Brandrede Bergoglios (jetzt: Papst Franziskus) aus dem Vorkonklave veröffentlicht:
Für eine radikale Neuorientierung der Kirche
Die Sensation kam aus Kuba: Der Kardinal von Havanna, Jaime Lucas Ortega y Alamino, veröffentlichte ein Manuskript jener Rede, die Jorge Maria Bergoglio Anfang März vor den Kardinälen in Rom hielt, wenige Tage, bevor das eigentliche Konklave begann.
Hätte nicht der Autor selbst, der inzwischen zum Papst gewählt wurde, ihm die Genehmigung dafür gegeben, würde Ortega wohl exkommuniziert. So aber erhalten die gesamte katholische Kirche und die interessierte Öffentlichkeit einen einmaligen Einblick in einen Vorgang, der sonst nur über Andeutungen und Indiskretionen schemenhaft publik geworden wäre.
Die Rede sorgte, wie bereits mehrere Kardinäle in den vergangenen Tagen angedeutet hatten, wegen ihrer klaren Analyse und dem darin enthaltenen Aufruf zu radikalen Reformen im Vorkonklave für Aufsehen.
Ortega bat um Redemanuskript
Ortega bat Bergoglio später um eine schriftliche Fassung, die dieser ihm handschriftlich anfertigte. Das Manuskript mit der kleinen, aber gut lesbaren Handschrift zirkuliert nun im Internet.
Der Text beginnt mit der These, dass die Verkündigung des Evangeliums der eigentliche Daseinszweck der Kirche sei. Daher sei die Kirche aufgerufen, aus sich selbst herauszugehen und sich an die Grenzen der menschlichen Existenz vorzuwagen. Bergoglio greift damit den in der Befreiungstheologie beliebten Begriff der Orientierung hin zur „Peripherie“ auf: Nur wenn sich die Kirche an jene wendet, die am Rand der Gesellschaft stehen, erfüllt sie den Auftrag Jesu. Zugleich deutet er ihn um: die Kirche müsse auch an die Ränder der menschlichen Existenz gehen, dazu zählten „die Sünde, der Schmerz, die Ungerechtigkeit und jede Form von Elend“.
„Theologischer Narzissmus“
Hart urteilt Bergoglio in seiner Rede über bestimmte Formen der klerikalen Eitelkeit und über die Beschäftigung der Kirche mit sich selbst. Er erklärte, wenn die Kirche nur auf sich selbst schaue, werde sie «selbstreferenziell» und verfalle einem „theologischen Narzissmus“. Sie täusche nur noch vor, dass Jesus Christus in ihr sei; in Wahrheit aber entferne sie sich von ihm.
So entstehe ein Übel, das Bergoglio mit einem Zitat des Konzilstheologen Henri de Lubac (1896-1991) auch schon in früheren Äußerungen als „geistliche Mondänität“ bezeichnete. Es ähnelt dem von Papst Benedikt XVI. kritisierten Phänomen der „Verweltlichung“ der Kirche und führe zu einer Art innerkirchlicher Eitelkeit, die abstoßend wirke und das klare Licht des Evangeliums verdunkele.
„Veränderungen für die Rettung der Seelen“
Letztlich gebe es nur zwei Kirchenbilder, betonte Bergoglio am Ende seiner Rede: die Kirche, die Gottes Wort hört und es treu verkündet, und eine „verweltlichte Kirche, die in sich, von sich und für sich lebt“. In diesem Licht, so schloss Bergoglio seine Ausführungen, müsse man „mögliche Veränderungen und Reformen sehen, die notwendig sind für die Rettung der Seelen“.
Mit der Bergoglio-Rede aus dem Vorkonklave ist nun erstmals schriftlich eine Art Programm des Franziskus-Pontifikates veröffentlicht. Sie hat ein vergleichbares Gewicht wie jenes Programm, das Kardinal Joseph Ratzinger vor acht Jahren in seiner letzten Predigt vor dem Konklave in seiner inzwischen historischen Kampfansage an die „Diktatur des Relativismus“ formulierte.
Bergoglios angekündigte radikale Neuorientierung der Kirche dürfte weitreichende Veränderungen nach sich ziehen.
Ludwig Ring-Eifel (KNA)
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Zusammenfassung der Rede:
Der kubanische Kardinal Jaime Ortega hat ein Manuskript des vormaligen Kardinals Jorge Mario Bergoglio veröffentlicht. Darin fasst dieser eigenhändig eine Rede zusammen, in der der spätere Papst Anfang März das Kardinalskollegium in Rom vor dem Konklave zu einem radikalen Richtungswechsel der Kirche aufrief. Hier eine Übersetzung der Katholische Nachrichten-Agentur
Ich habe Bezug genommen auf die Evangelisierung. Sie ist der Daseinsgrund der Kirche. Es ist die "süße, tröstende Freude, das Evangelium zu verkünden" (Paul VI.). Es ist Jesus Christus selbst, der uns von innen her dazu antreibt.
1. Evangelisierung setzt apostolischen Eifer voraus. Sie setzt in der Kirche kühne Redefreiheit voraus, damit sie aus sich selbst herausgeht. Sie ist aufgerufen, aus sich selbst herauszugehen und an die Ränder zu gehen. Nicht nur an die geografischen Ränder, sondern an die Grenzen der menschlichen Existenz: die des Mysteriums der Sünde, die des Schmerzes, die der Ungerechtigkeit, die der Ignoranz, die der fehlenden religiösen Praxis, die des Denkens, die jeglichen Elends.
2. Wenn die Kirche nicht aus sich selbst herausgeht, um das Evangelium zu verkünden, kreist sie um sich selbst. Dann wird sie krank (vgl. die gekrümmte Frau im Evangelium). Die Übel, die sich im Laufe der Zeit in den kirchlichen Institutionen entwickeln, haben ihre Wurzel in dieser Selbstbezogenheit. Es ist ein Geist des theologischen Narzissmus.
In der Offenbarung sagt Jesus, dass er an der Tür steht und anklopft.
Papst Franziskus wird auch zu Ostern in einem Jugendgefängnis Fußwaschungen vornehmen - hier ein Bild aus 2008 - s!NEdi|photo|bearbeitung nach einer Abb. bei SPIEGEL.DE |
In dem Bibeltext geht es offensichtlich darum, dass er von außen klopft, um hereinzukommen ... Aber ich denke an die Male, wenn Jesus von innen klopft, damit wir ihn herauskommen lassen. Die egozentrische Kirche beansprucht Jesus für sich drinnen und lässt ihn nicht nach außen treten.
3. Die um sich selbst kreisende Kirche glaubt - ohne dass es ihr bewusst wäre - dass sie eigenes Licht hat. Sie hört auf, das "Geheimnis des Lichts" zu sein, und dann gibt sie jenem schrecklichen Übel der «geistlichen Mondänität» Raum (nach Worten de Lubacs das schlimmste Übel, was der Kirche passieren kann). Diese (Kirche) lebt, damit die einen die anderen beweihräuchern.
Vereinfacht gesagt: Es gibt zwei Kirchenbilder: die verkündende Kirche, die aus sich selbst hinausgeht, die das "Wort Gottes ehrfürchtig vernimmt und getreu verkündet"; und die mondäne Kirche, die in sich, von sich und für sich lebt.
Dies muss ein Licht auf die möglichen Veränderungen und Reformen werfen, die notwendig sind für die Rettung der Seelen.
(KNA)
http://www.domradio.de/nachrichten/2013-03-27/brandrede-bergoglios-aus-dem-vorkonklave-veroeffentlicht
http://www.domradio.de/nachrichten/2013-03-27/bergoglios-zusammenfassung-seiner-rede-vor-den-kardinaelen