Frank Schirrmacher - nach einem Foto von: picture-alliance / Sven Simon/picture-alliance |
Frank Schirrmacher ist tot ... Heute abend hörte ich diese bittere Nachricht. Ich habe schnurstracks sein Buch "EGO" aus dem Bücherschrank gezogen - und bin zu meiner Frau gelaufen, die just im selben Moment die gleiche Nachricht in der "Tagesschau" serviert bekam ...
Frank Schirrmacher ist ein überragender Journalist, der gern Dinge zusammenzieht, die eigentlich diametral im ersten Moment voneinander getrennt sind ...
So etwas hat er im Gespür: und - nicht zu vergessen - sein "EGO"-Buch kommt vor den Enthüllungen des Edward Snowden auf den Markt - ein Buch, in dem er eigentlich den moralischen und faktischen Inhalt der Snowden-Recherchen vorwegnimmt.
Ich habe zu meiner Frau eben gesagt, dieses Buch ("EGO") ist seit seinem Erscheinen für mich das wichtigste, was es neben der Bibel unbedingt zu lesen gilt ... Na ja - sie hat etwas ungläubig dreingeblickt - und ich weiß nicht, ob ein so hehrer Vergleich tatsächlich gerechtfertigt sein kann: Aber mit "EGO" hat mir Frank Schirrmacher den Blick geöffnet - und "wie Schuppen von den Augen" gezogen: Das waren keine "Verschwörungsstrategien", sondern da war ein ganz virtuelles unfassbares Machtgehabe und Machtgeschiebe, dem er einen allgemeinverständlichen Zugang eröffnet hat: Ein Zugang - nicht um der publikumsträchtigen Sensationshascherei und der Auflagenpuscherei willen - sondern viel eher eine Warnung fürs Leben und für die Welt: "Aha - so läuft das ab ..." - "aber das gibt's doch gar nicht" ...
Ja - aber das gibt es doch: So wie Frank SWchirrmacher es beschrieben hat - vielleicht noch eine Spur knallharter - denn Schirrmacher selbst war nicht kantig hart - sondern eher empathisch weich - umsichtig - verantwortungsvoll ...
Für mich ist Frank Schirrmacher immer der "Gute" gewesen - vor allem im Vergleich mit BILD-Zeitungs Kai Diekmann: der tiefgründige Denker gegen den hin und her hüpfenden Macher, Ernst gegen Klamauk - und in Bezug auf die Cyberwelt: der glattrasierte grübelnde Warner - vor dem ein Jahr in Silicon-Valley einsitzenden und bartsprießenden und herumwuselnden Diekmann ...
Politisch hatte ich lange meine Vorbehalte gegen Schirrmacher: ich meinte immer, dass der F.A.Z.-Journalismaus eigentlich schon "von Haus aus" mit meiner 68-er Prägung gar nie kompatibel werden könne:
Aber - auch da war Frank Schirrmacher vor - ich musste lernen: Wenn es um "die Sache" geht, spielen ideologische Unterschiede eigentlich keine Rolle ...
Ich werde nie die Stelle vergessen, die Schirrmacher in seinem "EGO"-Buch beschreibt:
"Seit die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik auf dem Höhepunkt der Lehman-Krise (2008) filmreif (und fast beispiellos) eine Reihe von Chefredakteuren einlud, um sie vor Panik zu warnen, befand sich die deutsche und europäische Politik in einem Irrflug – als würde eine hochnervöse Bodenstation (die Politik) versuchen, mit einem hochnervösen Piloten (den Märkten) über starkes Hintergrundrauschen hinweg zu kommunizieren. Und darum darf kein Bundesverfassungsgericht, kein Plebiszit und vor allem kein »falsches Wort« bei Absturzgefahr des Gesamtsystems diese Kommunikation zusätzlich stören...."
Eine dichtere Stelle - ganz nah am Abgrund - ist selten in einem Sachbuch beschrieben worden - wahrscheinlich direkt von Schirrmacher miterlebt - und in ihrer politischen und ethisch-moralischen Brisanz nur vergleichbar vielleicht mit Situationen und Szenen während der Schleyer-Entführung durch die RAF im Bundeskanzleramt unter Helmut Schmidt und dem damaligen Krisenstab ...
Ja - ich bin tieftraurig: Frank Schirrmacher ist tot ...