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Verschlüsselte Botschaft: Halt den Mund - hinter vorgehaltener Hand...

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Früher haben wir gesungen: ... "was ich noch zu sagen hätte, dauert (k)eine Zigarette - und ein letztes Glas im Stehen ..." ... - aber heutzutage hat ein Fußballstar schon mal gar nichts mehr (heimlich) zu sagen: Es wird genau hingeschaut: seine Lippenbewegungen - seine Artikulationsmimikry ... - und besondere geschulte Asse können dann dazu alles "von den Lippen lesen" - und anscheinend zweifelsfrei erkennen, was sich da gerade inhaltlich zugeraunt wird ... - 
und Edward Snowden hat so detailliert von einer solchen Munderkennungs-Ableseabteilung bisher noch nicht berichtet ... - gibt es wahrscheinlich aber längst ...(vielleicht: MEAAbtlg.... - oder "Mouth detection read off" = Mdroff ...

Lippenleser bei der WM

Halt den Mund - oder: 
Hinter vorgehaltener Hand

Von Rainer Leurs | SPIEGEL-ONLINE

Wieso reden so viele Spieler bei dieser WM eigentlich nur hinter vorgehaltener Hand? Schuld sind professionelle Lippenleser, die jeden Fluch und jede Lästerei auf dem Platz live übersetzen. Auch die deutsche Elf steht unter Beobachtung.






Sie werden Wichtiges zu bereden gehabt haben, die Herren Neymar und Alex Song. Nach dem Abpfiff der WM-Begegnung Brasiliens gegen Kamerun nahm der blondierte Superstar seinen Teamkollegen vom FC Barcelona beiseite - vielleicht um ihn zu trösten, nach der 4:1-Packung, die es gerade gesetzt hatte. Eine handelsübliche Situation also nach dem Ende eines Länderspiels - nur, dass die Profis ihre Unterhaltung führten wie zwei 13-Jährige, die sich für ihre Zahnklammern schämen: komplett hinter vorgehaltener Hand.

Für die neue Heimlichtuerei in den WM-Stadien ist Neymar zweifellos ein Extrembeispiel. Kaum jemals macht der Brasilianer den Mund auf, ohne ihn vorher sorgsam hinter der halb geöffneten Faust verschwinden zu lassen. Ähnliches jedoch ließ sich während der Vorrunde auch schon bei anderen WM-Teilnehmern beobachten, von den Engländern um Wayne Rooney bis hin zur deutschen Nationalelf. Anlass für die Verschleierungstaktik sind professionelle Lippenleser, die bei der Weltmeisterschaft besonders gründlich hinsehen - im Auftrag diverser Zeitungen und Fernsehsender, aber auch in Eigenregie, mit Live-Output bei Twitter.
Völlig neu ist diese Entwicklung nicht - schon 2006 versuchten Lippenleser zu enthüllen, was Marco Materazzi vor dem legendären Zidane-Kopfstoß zu seinem Kontrahenten gesagt haben könnte. Und 2012 berichtete SPIEGEL ONLINE über die gehörlose Bloggerin Julia Probst, die bei der Europameisterschaft von den Lippen der deutschen Nationalelf las und später sogar als Expertin beim Bezahlsender Sky anheuern sollte.

Während das Phänomen damals noch eher eine interessante Randerscheinung war, hat das kickende Personal mittlerweile offenbar verstanden, was die Dauerbeobachtung in Verbindung mit Medien wie Twitter für den Weltfußball bedeutet - und sich für entsprechende Gegenmaßnahmen entschieden. Konspiratives Genuschel mit verdeckten Lippen ist seither eine echte Massenerscheinung geworden - um mal in die hohle Hand zu sprechen.

"Man beobachtet diesen Trend immer häufiger", bestätigt Lippenleserin Probst in einer E-Mail an SPIEGEL ONLINE. Vor allem Profis, die in Spanien ihr Geld verdienen, würden regelmäßig ihre Lippen beim Sprechen verdecken. Mesut Özil und Bastian Schweinsteiger habe sie ebenfalls schon mit der Hand vor dem Mund erwischt.

Für Probst ist das lästig, denn über ihren Twitter-Account @EinAugenschmaus gibt sie auch bei der WM 2014 live an rund 25.000 Follower weiter, was sie von den Lippen der Profis liest (Hashtag: #ableseservice). Dank ihr wissen wir etwa, was Toni Kroos vor Freistößen so zu seinen Teamkollegen rüberraunt ("Aber das ist schwer. Ein Stück weiter…") oder was Thomas Müller dem Portugiesen Pepe an den Kopf warf, bevor der Portugiese die Fassung verlor und sich eine rote Karte einfing.

Ohnehin sei das Lippenlesen während der Live-Übertragungen nicht einfach, berichtet Probst. "Ablesen auf so einem hohen Niveau und über einen so langen Zeitraum erfordert extrem hohe Konzentration", schreibt sie. "Oft bin ich hinterher so K.o., dass ich nur noch schlafen will." Sie tröste sich damit, dass sie Menschen mit ihrem Ableseservice für Barrierefreiheit und Inklusion sensibilisieren könne.

Kommerziell ambitionierter und mit Unterstützung einiger Mitarbeiter geht die Britin Tina Lannin die Mission Lippenlesen an. In London bietet die Unternehmerin mit ihrer Firma 121captions Kommunikationshilfen für Hörgeschädigte; während der WM übersetzte ihr Team die Flüche, Ausrufe, Lästereien und Lamentos der englischen Nationalelf live - ebenfalls per Twitter.

Auch Lannin bestätigt, dass es zunehmend schwerer wird, einen freien Blick auf das Mundwerk von Spielern und Trainern zu bekommen. "Ihnen wird zunehmend klarer, dass sie sorgfältig beobachtet werden", schreibt die Britin in einer E-Mail an SPIEGEL ONLINE. Lannin muss es wissen: 121captions hat jahrelange Erfahrung im Lippenlesen bei Großereignissen, von Begegnungen der englischen Premier League bis hin zur Hochzeit von Prinz William und Herzogin Catherine. "Noch vor zwei Jahren war es ganz einfach, in Wimbledon oder bei Fußballspielen von den Lippen zu lesen", wurde Lannin kürzlich in der "Times" zitiert. "Inzwischen merken wir, dass die Leute zunehmend die Hand vor den Mund nehmen."

Was bleibt, sind jene Situationen, in denen selbst abgebrühte Premier-League-Ledernacken nicht mehr daran denken, dass ihnen Experten aufs Maul schauen. Etwa jene, in der Daniel Sturridge der Ausgleich zum zwischenzeitlichen 1:1 gegen Italien gelang: "Jesus Christ I love you", jauchzte der Stürmer vom FC Liverpool laut 121captions nach seinem Treffer.
Andere WM-Stars sind von so viel Transparenz nur noch genervt. "Jeder versucht mitzukriegen, was wir reden, es ist schrecklich", moserte laut "Süddeutscher Zeitung" Brasiliens Trainer Luiz Felipe Scolari nach dem Kamerun-Spiel ob der Lippenleser, die inzwischen von Fernsehsendern eingesetzt würden. "Wir können bald nicht mehr miteinander reden."


Ganz so weit ist es dann doch noch nicht - zumal nach Schätzung von Tina Lannin ohnehin nur 40 Prozent des Gesagten tatsächlich von den Lippen lesbar ist. "Der Kontext hilft enorm, ebenso wie der Gesichtsausdruck und genaue Kenntnisse der Sprache, in der gesprochen wird." Lippenlesen sei eben eine Kunst - und keine Wissenschaft.

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