Bielefeld
Der Versuch, mit theologischen Begründungen diakonisches Handeln an den neoliberalen Turbokapitalismus zu verraten ...
"Die Schließung der Einrichtung ist gemäß vorliegender theologischer Überzeugung mit dem diakonischen Auftrag des Evangelischen Unternehmens vereinbar", heißt es in den schriftlichen Erläuterungen der Geschäftsführung eines großen diakonischen Konzerns, in der zunächst auf die schwierige wirtschaftliche Situation einer Sucht-Klinik in den vergangenen 15 Jahren verwiesen wird - bevor sie nun endgültig geschlossen wurde ... Die zur Verfügung stehenden Ressourcen seien endlich, "nur Gott ist unendlich". Zudem sei die Begrenzung durch ein Ende (Zitat: im weitesten Sinne Tod / Sterben) ein wesentlicher Inhalt theologischen Denkens.
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In der letzten Woche erfuhr ich aus der NEUEN WESTFÄLISCHEN in Bielefeld von dieser Purzelbaum-Theologie eines leitenden theologischen Geschäftsführers eines großen über 100 Jahre alten Sozialkonzerns unter dem Dach und angeblich im Geist der Evangelischen Diakonie.
Ich war über 40 Jahre in der Diakonie in "geschwisterlicher" Nachbarschaft zu dem jetzt in Rede stehenden Unternehmen tätig - und habe in meinen dienstlich relevanten Ausbildungen und Unterweisungen - und als Sohn eines Diakons quasi schon "von Haus aus" - folgende vor allem neutestamentliche Begründungen für diakonisches Handeln erhalten:
Im Neuen Testament treten zunächst Erzählungen Jesu dazu in den Blick. Das bekannteste Beispiel ist wohl das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30): der den jüdischen Zuhörern verhasste Mann aus der samaritanischen Religionsgemeinschaft sorgt sich in vorbildlicher Weise um einen Überfallenen. Zudem ist das Gleichnis vom Weltgericht in Mt 25,31–46 in dieser Hinsicht besonders wichtig. Es gipfelt in Mt 25,40: „Was ihr getan habt einem unter diesen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Zudem gibt Jesus uns Beispiele diakonischen Handelns, etwa wenn er in Joh 5,5–6 die Not eines Kranken erkennt und sich seiner annimmt. Ähnlich auch das Magnificat (Lk 1,46–54), in dem Maria Gott lobt, weil er sich der Notleidenden annimmt.
In seinen Weherufen Mt 23,1–36 gegen die religiöse Oberschicht seiner Zeit macht Jesus bereits klar, dass gerade die Vernachlässigung des Engagements für soziale Gerechtigkeit, Krankenpflege, Armenfürsorge, Sorge für Witwen und Waisen, bei gleichzeitigem zur Schau stellen einer oberflächlichen Frömmigkeit eine massive Verirrung im Judentum seiner Zeit war. Seine Warnungen sprechen aus heutiger Perspektive auch die christliche Gemeinde und die Diakonischen Konzerne an und gebieten, nebst Mission und Gottesdienstgestaltung sich auch jener Menschen anzunehmen, derer sich sonst niemand annimmt.
Diakonie als Funktion der christlichen Gemeinde lässt sich schon in den ersten Beschreibungen des Gemeindelebens der Jerusalemer Urgemeinde nachweisen (Apg 2,41–47); erwähnt werden hier Gütergemeinschaft und die fürsorgende Unterstützung bedürftiger Gemeindemitglieder. Das Amt des Diakons beruht auf der ersten Erwähnung von Diakonen in Apg 6,1–7 zur Armenpflege.
Paulus schließlich bezeichnet die Diakonie – das gegenseitige Lastentragen – als Erfüllung des Gesetzes Christi (Gal 6,2).
Postkarte des Verbandes Evangelischer Diakonen-, Diakoninnen- und Diakonatsgemeinschaften in Deutschland (VEDD) e.V. |
"Der Diakonat ist Ausdruck der Versöhnung, die Gott in Jesus Christus allen Menschen erweist. Der Dienst der im Diakonat tätigen Frauen und Männer geschieht in der Bindung an Jesus Christus und der Orientierung an seiner Botschaft.
Sie streben nach Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Alle Hilfe richtet sich auf Heil und Wohl der Menschen.
Der Dienst im Diakonat verwirklicht sich in lebendiger Beziehung zwischen diakonischem Handeln und gottesdienstlichem Leben der Gemeinde und hilft mit, die Ganzheit von Körper, Seele und Geist zu bestärken und zu erhalten.
Der sachgemäße Dienst im Diakonat erfordert Kompetenzen im Blick auf Beratung, Begleitung und Prävention in sozialen, physischen und psychischen Lebensfragen. Er nimmt sich der Menschen an, die sich selbst nicht vertreten können.
In Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung aller im Diakonat Tätigen werden humanwissenschaftliche Erkenntnisse mit biblisch-theologischen Aussagen über den Menschen und seine Welt verbunden.
Die Gemeinschaften dienen im Diakonat Tätigen, Diakoninnen, Diakonen und anderen Mitarbeitenden im Diakonat zur Ermutigung, Befähigung und Unterstützung."
Präambel des Verbandes Evangelischer Diakonen-, Diakoninnen- und Diakonatsgemeinschaften in Deutschland (VEDD) e.V.
Unter diesen Begründungswurzeln diakonischen Handelns wirkt die "Theologische Begründung" oben zur Schließung einer Sucht-Klinik geradezu "ungeheuerlich" ...
"Ungläubig" fragen sich da betroffene Mitarbeiter, inwieweit die Schließung einer Einrichtung eine solch verdrehte theologische Dimension haben kann. "Glaubwürdig" klingt das alles nicht. "Es ist neu, dass neben den allseits üblichen Formulierungen von der schwierigen wirtschaftlichen Situation diesmal zusätzlich die Theologie als machtvolles Begründungs-Instrument herhalten muss", heißt es in einer Stellungnahme aus der Mitarbeiterschaft. Mit dieser Form der Rechtfertigung werde scheinbar der Versuch unternommen, die drängenden Fragen nach dem "Warum", nach den Zusammenhängen und den Folgen wortgewaltig im Keim zu ersticken.
Dieser große bundesweit - ja sogar europaweit - tätige Konzern der Diakonie stellt klar, dass die Mitarbeiter durch die sogenannte Sicherungsordnung "in einer besonderen Weise geschützt" seien. Sie soll in drei Schritten erfolgen. Gesucht werde zunächst nach einem mindestens gleichwertigen Arbeitsplatz innerhalb der Einrichtung. Ist das nicht möglich, soll Schritt zwei greifen, sprich ein nichtgleichwertiger Arbeitsplatz im Unternehmen gesucht werden. Ist auch das nicht möglich, soll bei anderen Dienstgebern des diakonischen, kirchlichen und öffentlichen Dienstes gesucht werden. "Solch ein Vorgehen ist schon außergewöhnlich, die Chancen stehen durchaus gut. Wir bemühen uns intensiv um Lösungen", betont die Pressesprecherin des Unternehmens. Betriebsbedingte Kündigungen allerdings "wären der allerletzte Schritt" - sind aber auch nicht ausgeschlossen ...
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Hierzu möchte ich unbedingt aus einem Leserbrief eines Lesers zitieren, der 4 Tage später in der NW abgedruckt wurde:Wer weiß, dass die Leitung kirchlicher und diakonischer Einrichtungen grundsätzlich in den Händen von Theologen (genauer: Pastoren) liegt und sich bisher gefragt hat, warum das so sein müsse, erhält im Bericht über die Schließung der Sucht-Klinik eine bizarre Begründung "gemäß vorliegender theologischer Überzeugung": die Begrenzung durch ein Ende (im weitesten Sinne Tod / Sterben) sei ein wesentlicher Inhalt theologischen Denkens. "Nur Gott ist unendlich".
Das ist "Theologie" auf Bürokratenart und dem Niveau von "Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei". Mit solchen Sätzen Mitarbeiter auf ihre Versetzung und letztlich auf die - angesichts der Schließung weiterer Einrichtungen des Unternehmens naheliegende - Möglichkeit betriebsbedingter Kündigung vorzubereiten, erscheint mir als blanker Hohn, der zudem an Blasphemie grenzt.
Bedauerlich, dass vom Diakoniekonzern keine Stellungnahme zu erhalten war! Die Hoffnung, dass es sich bei den schriftlichen Zitaten um Übermittlungsfehler handeln könnte, ist aber wohl müßig. So fährt man nicht nur eine Klinik "vor die Wand", sondern auch den Ruf der Konzerndiakonie und damit womöglich der Diakonie überhaupt.
Auszüge aus: © 2014 Neue Westfälische
03 - Bielefeld Süd, 18. und 22. Juli 2014 und WIKIPEDIA (Diakonie) (Namen und Einzelheiten dort)