Re•for•ma•ti•on [-'t ̮sjoːn], die
Ja - ich möchte mal heute am Reformationstag weniger den religiösen Aspekt der Re•for•ma•ti•on[-'t ̮sjoːn] beleuchten - sondern eher die Bedeutung Erneuerung, geistige Umgestaltung, Verbesserung, wozu der Duden bezeichnenderweise meint, diese Wortbedeutung sei "bildungssprachlich veraltend" ...
Ich weiß noch gut, wie rollend und hoffnungsvoll sich das Wort Re•for•ma•ti•on[-'t ̮sjoːn] aus dem Munde Willy Brandts anhörte, der es oft und gerne anwandte - meistens jedoch in der Kurzform "Reform" ...
Neuorientierung, geistige Umgestaltung - nun, das kann man nur beispielhaft skizzieren - da wo es (noch) geschieht:
Die geplante CSU-Autobahn-Maut des Herrn Dobrindt ist sicherlich keine Reformation - sondern ganz schlicht eine ausländerfeindliche Abzocke ohne jeden tatsächlichen Gewinn ...
Aber - ich habe vorgestern einer echten Umorientierung und einer "Gesinnungs"-Reformation beiwohnen dürfen:
Nach 70 Jahren des schmach- und schamvollen Schweigens, wissenschaftlich aufgebrämten Einbalsamierens in Archiven, Wegschauens und zum Teil bewussten Verschweigens hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) nun eine zumindest teilweise würdevoll ansprechende Erinnerungs- und Gedenkstätte für die 1.017 bis dahin zum Teil vergessenen und sogar verleugneten NS-"Euthanasie"-Opfer der Provinzialheilanstalt Güterloh präsentiert, die von hier aus zwischen 1940 - 1945 in die jeweiligen NS-Psychiatrie-Tötungsanstalten deportiert wurden ...
Das nenne ich mal eine Re•for•ma•ti•on[-'t ̮sjoːn], wenn der LWL-Direktor Matthias Löb in seiner Rede betont:
„Es gibt nichts zu beschönigen: Der Provinzialverband Westfalen und die Westfälischen Provinzial-Heilanstalten als Vorgänger des LWL und der heutigen LWL-Kliniken für Psychiatrie haben sich damals aktiv an Unrechtstaten beteiligt, für die wir heute kaum noch Worte finden.“Und Bernd Meißnest, heutiger Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie in Gütersloh, erinnerte daran, dass bis in die 1980er-Jahre geistig kranke Menschen an den Rand der Gesellschaft getrieben wurden. Er schaute auch nach vorne:
"Die Geschichte lehrt uns, eine Psychiatrie unter den Augen der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen." Die Psychiatrie müsse sich immer wieder der öffentlichen Debatte stellen.Da ist zumindest auch eine Re•for•ma•ti•on[-'t ̮sjoːn] im Wollen, in den Absichten - das ist der Weg hin zu den Reformbemühungen um die Komplexe mit den Stichworten "Inklusion" und "Diversity" ...
Der inzwischen geflügelte literarische Begriff "...hinter den Mauern der Psychiatrie weggesperrt..." gehört somit hoffentlich balde der unwiederbringlichen Vergangenheit an ... eine echte Re•for•ma•ti•on[-'t ̮sjoːn] ...
Re•for•ma•ti•on[-'t ̮sjoːn] heißt auch:
Nichts ist so beständig wie der Wandel
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Eine Re•for•ma•ti•on [-'t ̮sjoːn], die leuchtet ...
Neues be- und er-leuchtendes Namensband mit 1.017 NS-"Euthanasie"-Opfernamen im LWL-Klinikum Gütersloh
Im "Raum der Namen" in der düsteren Klinikkapelle in der LWL-Klinik Gütersloh werden aus der Zahl der 1.017 Opfer wieder Individuen.
Jedes der Euthanasieopfer ist auf er- und be-leuchtenden - die Wände des inneren Kirchenschiffs umlaufenden - Panelen verzeichnet. Die Nennung der Namen - darunter auch ERNA KRONSHAGE (s. auch den "reformierten"/neugestalteten Gedenkblog mit vielen neuen Materialien) - machen uns klar, dass wir eben nicht vor einer anonymen, unvorstellbar großen Menge stehen, sondern dass es Menschen aus unserer unmittelbaren Umgebung waren, die vernichtet wurden.
Dieses Bewusstsein können nur lokale Orte des Gedenkens schaffen. 1.017 Patienten allein aus Gütersloh wurden Opfer dieser sogenannten "Euthanasie"-Velegungen. Ein Großteil wurde in der Gaskammer von Hadamar, der zentralen Tötungseinrichtung für die westfälischen Patienten, oder zum Beispiel in den Tötungsanstalten im besetzten Polen in Meseritz-Obrawalde oder Tiegenhof/Gnesen ermordet.
Diese Menschen starben gezielt und planvoll durch Überdosen an Medikamenten, durch Hunger, Kälte und katastrophale hygienische Verhältnisse in den Durchgangs- und Zielanstalten. Neben diesem beeindruckenden Leucht- und Namensband - graphisch gestaltet vom Bielefelder Designer Mario Haase - komplettieren ein "Rundgang zur Klinikgeschichte" auf dem Friedhof - und ein "Stein des Gedenkens" mit einer beschrifteten Bodenplatte diese Verortungen des "Erinnerns und Gedenkens" - nun endlich - nach 70 Jahren des würdelosen vornehmlichen (Ver-)Schweigens ...
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