Kunstkontext
Zunächst irritiert
Das Werk der ermordeten Reporterin Anja Niedringhaus wird in Kaiserslautern präsentiert. Gehören diese Bilder ins Museum?
ALEXANDER JÜRGS | der Freitag
Italienischer Soldat nach einem Selbstmordattentat in Nasiriya, Irak, 2003Foto: Anja Niedringhaus/AP/dpa |
Zum Beispiel das Foto oben: Ein Soldat steht im Dunklen. Die eine Hand am Helm, die andere am Gewehr. Auf den Boden starrend, kraftlos. Es handelt sich um einen italienischen Soldaten im Einsatz in Nasiriya, Irak. Aufgenommen wurde das Foto nach einem Selbstmordattentat auf eine Militärkaserne, bei dem 16 italienische Soldaten und acht irakische Zivilisten ums Leben gekommen sind. Das Foto zeigt nicht die Katastrophe, nicht die sichtbaren Folgen der Tat, sondern die Trauer, die Verzweiflung.
US-Marines bei einer Besprechung in Falludscha, Irak, 2005Foto: Anja Niedringhaus/AP/dpa |
Palästinensische Mädchen in einem Vergnügungspark bei Gaza-Stadt, 2006Foto: Anja Niedringhaus/ AP/dpa |
Als Reportagefotografin war Anja Niedringhaus immer parteiisch. Parteiisch für den Menschen. Was macht der Krieg mit ihm? Wie hält er es überhaupt aus? Solche Fragen waren es, die sie angetrieben haben. Und darum haben sich ihre Bilder in den allermeisten Fällen auch den gewohnten Rastern der Kriegsfotografie widersetzt, darum haben sie andere Geschichten erzählt. „Ich bin viel mehr am Leben der Leute vor Ort interessiert als an der Ballerei. Ich sitze sicher nicht hier und warte auf den nächsten Anschlag“, hat Niedringhaus in einem ihrer letzten Interviews gesagt.
Es traf die Falsche
At War heißt nun eine Ausstellung ihrer Fotografien im Museum Pfalzgalerie in Kaiserslautern – genauso wie das lange vergriffene und erst kürzlich wiederaufgelegte Buch mit Bildern, die sie als Fotografin der Presseagentur Associated Press in Afghanistan, im Irak, in Gaza oder Libyen schoss, genauso wie eine andere Schau, die ihr das Fotokunstzentrum C/O Berlin 2011 widmete. Es ist die erste Einzelausstellung mit Werken von Niedringhaus nach dem gewaltsamen Tod der Fotografin im April 2014 in der afghanischen Provinz Khost. Niedringhaus begleitete damals einen Konvoi, der Stimmzettel für die Präsidentenwahl auslieferte. Ermordet wurde sie von einem Polizisten, der sich damit für die Tötung von Familienangehörigen durch einen NATO-Angriff rächen wollte. Mit seinem Attentat traf er eine der schärfsten Gegnerinnen des Afghanistan-Kriegs.
Geplant wurde die Ausstellung lange vor dem Tod von Anja Niedringhaus. Dicht an dicht hängen ihre Fotografien in vier Räumen des Museums, thematisch sortiert nach den Begriffen „Alltag und Spiel“, „Stille und Kontemplation“, „Kampfhandlung“ und „Verwundung und Trauer“. Ein kleiner Teil der Schau wird außerdem im benachbarten Pfalztheater gezeigt.
Dass Niedringhaus’ Kriegsfotografien in einem Kunstmuseum zu sehen sind, ist nichts Außergewöhnliches. Bereits in den frühen Nullerjahren wurden Fotografien von ihr, die in den Jugoslawienkriegen entstanden sind, im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) ausgestellt. Damals begann man dort auch, ihre Bilder für die Museumssammlung zu erwerben. Niedringhaus’ Werke gingen aber auch in die Sammlung der Deutschen Börse, die als eine der herausragenden Unternehmenssammlungen für Fotokunst gilt. Es folgten Ausstellungen in der Neuen Galerie Graz, bei C/O Berlin, im Kasseler Kunstverein. Nein, die Musealisierung von Niedringhaus’ Werk ist kein neues Phänomen.
Es heißt, dass Anja Niedringhaus zunächst irritiert gewesen war, als sich Museen bei ihr meldeten, die ihre Bilder zeigen wollten. Dass sie nicht begreifen wollte, was ihre für den Moment, für eine schnelle Veröffentlichung gemachten Fotografien in einer Ausstellung verloren hätten.
Fotografiert hat Niedringhaus, Jahrgang 1965, schon als Schülerin, für die Lokalzeitung in ihrer Heimatstadt Höxter. Nach dem Abitur ging sie für die Kindernothilfe nach Indien, später studierte sie in Göttingen. Niedringhaus arbeitete weiter als freie Fotografin, ihre Bilder vom Berliner Mauerfall verschafften ihr 1990 eine erste Festanstellung bei der European Pressphoto Agency. Ihr erster Einsatz als Kriegsfotografin brachte sie ins umkämpfte Jugoslawien. Für ihre Fotografien aus dem Irakkrieg wurde sie 2005, gemeinsam mit neun anderen Fotografen der Agentur Associated Press, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Sechs bis acht Monate war sie pro Jahr in Krisenregionen unterwegs, dafür musste sie einen Großteil ihres Privatlebens aufgeben. „Kriegsfotografin zu sein, ist mehr als ein Beruf, wenn man ihn so intensiv macht wie ich. Aber ich bin glücklich damit“, sagte Niedringhaus.
Was passiert mit ihren Fotografien, wenn sie aus der Zeitung und aus dem Netz ins Museum wandern? Das Interesse der Ausstellungshäuser an dokumentarischer Fotografie ist in den vergangenen Jahren jedenfalls stetig gewachsen. Waren es zunächst Künstler, die sich an der Grenze zur Dokumention bewegten, wie Wolfgang Tillmans, Larry Clark oder Nan Goldin, sind es heute immer mehr Pressefotografen, denen große Ausstellungen gewidmet werden: Martin Parr, Barbara Klemm, Robert Lebeck oder James Nachtwey. Eine „Ästhetisierung“ ihrer Werke ist dabei quasi unausweichlich, die Verschiebung des Blicks weg vom historischen Ereignis, von den Inhalten, hin zur Komposition, zur Bildsprache. In seinem Beitrag für das Buch über Anja Niedringhaus vergleicht Jean-Christophe Ammann, der frühere MMK-Direktor, ihre Arbeiten mit Werken von Georg Seurat, Caspar David Friedrich, Kasimir Malewitsch oder des chinesischen Konzeptkünstlers Liu Wei. Ist das nicht etwas weit hergeholt? Indem er Niedringhaus’ Bilder in ein kunsthistorisches Korsett zwängt, legitimiert er erst ihr Auftauchen im musealen Kontext. Natürlich sind auch Anja Niedringhaus kompositorische Farben, Wirkung und Farbigkeit ihrer Bilder wichtig gewesen. Sie arbeitete mit starken Kontrasten, mit großen Bildflächen. Fotografiert hat sie mit der Digitalkamera. Ihre Agentur hat Niedringhaus’ Bilder oft farbig vermarktet, so wurden sie meistens auch gedruckt. Für Ausstellungen und ihre Bücher bestand die Fotografin auf Abzügen in Schwarz-Weiß.
Nach der Autopsie
Wichtig ist, wie solche Fotos präsentiert werden. In Kaiserslautern werden sie sehr sachlich, nüchtern gezeigt. Zu jedem Foto gibt es eine detailreiche Bildbeschreibung, wie sie bei Agenturfotografien üblich sind. Eine kleine Auswahl von Niedringhaus-Bildern stellt aktuell auch das Frankfurter MMK in seiner neuen Filiale in einem Luxushochhaus im Bankenviertel aus. Die Gruppenausstellung Boom She Boom zeigt ausschließlich Künstlerinnen aus der Sammlung des Museums. Dort, wo Niedringhaus’ Fotografien hängen, stehen sie lauter anderen Werken in Schwarz-Weiß gegenüber, einer minimalistischen Malerei von Jo Baer, einer Word Vitrine von Bethan Huws, den 32 schwarz-weißen Herren von Katharina Fritschs Skulptur Tischgesellschaft. Diese formale Klammer wirkt aufgesetzt. Rechts neben den Bildern von Niedringhaus wurde Teresa Margolles’ Arbeit Banco platziert. Die mexikanische Künstlerin formt diese Bänke aus einer Mischung aus Zement und dem Abwasser aus einem Leichenschauhaus. Es ist das Wasser, mit dem die Opfer von Gewaltverbrechen nach der Autopsie gewaschen werden. Tod, Gewalt, die getötete Fotografin: In einer solchen Aneinanderreihung der Werke verschwimmt alles zu einem Grundgefühl, geht die Differenzierung verloren.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es ist natürlich hervorragend, wenn Anja Niedringhaus’ Fotografien heute in Kunstmuseen auftauchen. Man kann ihre Bilder gar nicht oft genug zeigen. Man kann sich auch gar nicht oft genug an ihre Arbeit erinnern. Als junge Fotoreporterin ist sie mit dem Wunsch angetreten, die Welt durch ihre Arbeit ein Stück besser zu machen. Als sie merkte, dass das naiv war, hat sie ihre Ziele revidiert. Dazu beizutragen, dass die Gräuel wenigstens nicht vergessen werden, war fortan ihre Maxime. „Wenn ich es nicht fotografiere, wird es nicht bekannt“, hat Anja Niedringhaus gesagt. Ihre Zeugnisse für weitere Präsentationen zu konservieren, dafür ist eine Museumssammlung tatsächlich der am besten geeignete Ort.
Ausstellungen: Anja Niedringhaus: At War Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern, bis 26. April | Boom She Boom MMK 2 Frankfurt, bis 14. Juni
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nach einem Foto von REUTERS | fr-online |
Anja Niedringhaus(* 12. Oktober 1965 in Höxter; † 4. April 2014 in Banda Khel) war eine deutsche Fotojournalistin, die aus Kriegsgebieten in Jugoslawien, Palästina, Afghanistan, Kuwait, Libyen und Irak in einzelnen Fotos komplexe Geschichten erzählte. Sie wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. 2014 wurde sie einen Tag vor der Präsidentschaftswahl in Afghanistan erschossen.
Leben
Anja Niedringhaus wuchs mit zwei Geschwistern auf. Mit 17 Jahren begann sie, für die Lokalredaktion der Neuen Westfälischen Zeitung in ihrer Heimatstadt Höxter zu arbeiten. Nach dem Abitur 1986 am König-Wilhelm-Gymnasium Höxter ging sie für die Kindernothilfe nach Indien. Sie studierte ab 1986 an der Universität Göttingen Germanistik, Philosophie und Journalismus und schrieb und fotografierte für das Göttinger Tageblatt. Sie wohnte zuletzt mit der Familie ihrer Schwester auf einem Hof in Kaufungen und hatte eine weitere Wohnung in Genf.
Ihre Fotos vom Fall der Mauer in Berlin verschafften ihr 1990 eine Anstellung bei der European Pressphoto Agency (EPA), sie wurde als erste Frau fest angestellt. Nach zwei Jahren Sport- und Gesellschaftsfotografie wurde sie 1992 in den gerade begonnenen Krieg in Jugoslawien geschickt. Bei ihrem ersten Einsatz in Sarajewo wurde sie von Heckenschützen unter Feuer genommen und getroffen; sie überlebte dank einer kugelsicheren Weste. 1997 erlitt sie bei einem Unfall mit einem Polizeifahrzeug in Belgrad mehrere Fußfrakturen. Im Kosovo 1998 wurde ihr Wagen von einer Granate getroffen und sie von Granatsplittern verletzt. 1999 wurde sie mit einer Gruppe von Journalisten bei einem Grenzübergang zwischen Albanien und dem Kosovo irrtümlich von NATO-Flugzeugen bombardiert.
Im Jahr 2001 fotografierte Niedringhaus die Folgen der Terroranschläge am 11. September in New York. Kurz darauf arbeitete sie erstmals in Afghanistan, wo sie in Mazar-e-Sharif und Kabul drei Monate lang über den Sturz der radikalislamischen Taliban berichtete. Ab 2002 arbeitete sie für die US-amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press (AP), auch als Reporterin und Kriegsberichterstatterin.
2003/04 gehörte sie zu den wenigen Kriegsreportern, die „embedded“ (innerhalb der US-Armee) bei der Schlacht um Falludscha im Irak anwesend sein durften. Sie war bei der ersten Angriffswelle dabei; 60 Prozent der Soldaten der Einheit, die sie begleitete, starben. Ihr berühmtestes Foto dieser Serie zeigt den damaligen US-Präsident George W. Bush, der streng geheim unter großen Sicherheitsvorkehrungen eingeflogen worden war, um im schwer gesicherten Flughafen Bagdad den Soldaten überraschend zum Thanksgiving-Fest einen Truthahn zu servieren; später stellte sich heraus, dass der Truthahn nur Dekoration war. Außer ihr hatte die Szene kein Fotograf abgelichtet.
Sie fotografierte die Bombenanschläge auf die Zentrale des Internationalen Roten Kreuzes in Bagdad, auf das Hauptquartier der italienischen Sicherheitskräfte in Nasiriya und im irakischen Abu-Ghuraib-Gefängnis sowie die irakischen Wahlen im Jahr 2005. Niedringhaus erhielt für Fotoberichterstattung aus dem Irak – als erste deutsche Frau – zusammen mit neun AP-Kollegen den „Pulitzerpreis“ 2005. Im selben Jahr wurde ihr auch ein Preis für Mut, den „Courage in Journalism Award“ der International Women’s Media Foundation (IWMF), verliehen. 2008 bekam sie die „Goldene Feder“ für herausragende Reportagen als Frau in Krisengebieten.
2007 verbrachte sie ein akademisches Jahr mit einem Nieman-Fellowship-Stipendium an der Harvard University, die auch für Stipendiaten fällige Studiengebühr übernahm Warren Buffett.
Als Ausgleich zu ihrer hauptsächlichen beruflichen Tätigkeit fotografierte Niedringhaus wichtige Sportereignisse, zum Beispiel war sie jedes Jahr bei den Wimbledon Championships.
Niedringhaus war im September 2009 die Erste, die nach dem ISAF-Raketenangriff Fotos der beim Luftangriff bei Kunduz zerstörten Tanklastwagen machte. Die zwei von den Taliban entführten Tanklastwagen waren auf Befehl des deutschen Oberst Georg Klein bombardiert worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bundeswehr noch bestritten, dass bei dem Luftangriff auch 91 Dorfbewohner getötet worden waren.
Anja Niedringhaus' Arbeiten wurden vielfach ausgestellt, so im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, im Kasseler Kunstverein, im Internationalen Forum für Visuelle Dialoge C/O Berlin, im Museum of Fine Arts in Houston, im Coalmine Forum für Dokumentarfotografie in Winterthur und Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum. Ihr Motto als Kriegsberichterstatterin war: "Wenn ich es nicht fotografiere, wird es nicht bekannt."
Attentat
Niedringhaus und ihre Associated-Press-Kollegin, die kanadische Journalistin Kathy Gannon, waren in einem Wahlkonvoi aus afghanischen Sicherheitskräften und Wahlhelfern, die Stimmzettel auslieferten, in der Provinz Chost unterwegs, um über die Präsidentschaftswahl in Afghanistan 2014 zu berichten. An einem Stützpunkt der Sicherheitskräfte warteten sie am 4. April auf der Rückbank ihres Fahrzeugs auf die Weiterfahrt, als ein Polizist mit den Worten „Allahu Akbar“ eine Feuersalve aus einem AK-47 auf sie abgab. Niedringhaus war sofort tot, Gannon wurde durch drei Kugeln verwundet.
Der 25-jährige Schütze ließ sich widerstandslos festnehmen. Er hatte seit 2012 bei der Afghan National Police gearbeitet und war von US-Ausbildern in Masar-e Scharif ausgebildet worden. Er hat angegeben, aus Rache für den Tod von Familienangehörigen bei einem NATO-Bombardement in der Provinz Parwan gehandelt zu haben.
Am 22. Juli 2014 wurde er von einem Gericht in Kabul nach einer zweistündigen nichtöffentlichen Verhandlung zum Tode verurteilt. Das Urteil ist bis zur Bestätigung durch ein übergeordnetes Gericht nicht rechtskräftig und muss zudem vom afghanischen Präsidenten genehmigt werden. Bis zur Rechtskraft des Urteils führt auch die Generalbundesanwaltschaft ein Verfahren gegen den Polizisten. Die deutsche Regierung sprach sich ausdrücklich gegen ein Todesurteil aus. Beim Prozess in Kabul drängte ein Diplomat auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe statt der Todesstrafe.
Niedringhaus wurde am 12. April 2014 in ihrer Geburtsstadt Höxter auf dem Friedhof am Wall beigesetzt.
Hintergrund
Zwischen dem offiziellen Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs am 15. Februar und der Wahl am 5. April 2014 wurden in mindestens 20 Fällen Journalisten bedroht oder angegriffen. Zwei von ihnen starben im März, darunter Nils Horner.[19]
Das Attentat wurde von einem Innentäter verübt. Neben dem Fall von Anja Niedringhaus gab es bis Anfang August 2014 drei solche Attentate in Afghanistan, bei denen auch Deutsche zu Schaden kamen. Entgegen der verbreiteten Auffassung, dass es sich bei den Tätern regelmäßig um eingeschleuste Terroristen handelt, spielen bei den Taten oft interkulturelle Missverständnisse, soziale Beleidigungen und persönliche Rache eine Rolle. WIKIPEDIA