Manchmal hält sich der Karfreitag nicht an seinen ihm zugestandenen Kalenderplatz ...
- In den letzten Minuten von Germanwings-Flug 4U9525 müssen sich an Bord dramatische Szenen abgespielt haben - das geht aus neuen Erkenntnissen hervor, die der ermittelnde französische Staatsanwalt Brice Robin in Marseille bekanntgab. Demnach war der Co-Pilot der Maschine alleine im Cockpit und leitete bewusst einen Sinkflug ein.
- Der Flugkapitän versuchte derweil offenbar, zurück ins Cockpit zu gelangen, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Das legen laut Staatsanwalt die Aufnahmen des Stimmrekorders nahe.
- "Es sieht so aus, als habe der Co-Pilot das Flugzeug vorsätzlich zum Absturz gebracht und so zerstört", sagte Robin. SPIEGEL-ONLINE
„Warum lässt Gott das zu?“
Spätestens angesichts der telemedial übermittelten Fotos und Videos von zertrümmerten Wrackteilen des Eurowings Airbus-Flugzeugs A320 aus der unzugänglichen Gebirgswelt in Südfrankreich mit seinen 150 Absturzopfern stellt sich für Viele diese Frage:
„Warum lässt Gott das zu?“
Wenn es einen Gott gibt, der diese Welt und ihre Menschen geschaffen hat, warum lässt er dann dieses Elend zu? Diese Warum-Frage hat sich beinahe jeder einmal gestellt. Sie taucht in verschiedenen Lebensalterstufen unterschiedlich auf, aber es ist immer die gleiche Frage.
Die Frage ist so alt wie die Geschichte der Menschheit. Seitdem Menschen über ihr Verhältnis zu Gott nachdenken, stoßen sie auf diese Frage. Wenn ein Gott ist, der diese Welt gut geschaffen hat, wenn Gott in seinem innersten Wesen Liebe ist, wo liegt dann die Ursache für all den Streit, den Hass, die Vernichtung, den Schmerz in dieser Welt - die Katastrophen - die abgestürzten zerstückelten Toten da in den Alpenfelsen Südfrankreichs?
Diese Frage aller Fragen befreit uns aber auch von der Frage an uns, warum wir Menschen in unserer Gottesferne so viel "Böses" kreieren und zulassen und leben ...
Diese Frage aller Fragen befreit uns aber auch von der Frage an uns, warum wir Menschen in unserer Gottesferne so viel "Böses" kreieren und zulassen und leben ...
Die Bibel hat ihre eigene Formulierung dieser Frage. Sie lautet:
„Gott, warum hast du mich verlassen?“
Der biblische Mensch verstand die Nähe Gottes als Heil und Glück. Wo Gott war, da konnte es kein Unglück geben. Wenn Gott da ist, dann geht es mir gut. Daraus folgte: wenn es mir schlecht geht, dann kann Gott nicht anwesend sein, dann muss er mich verlassen haben.
Die Antwort liegt bereits in der Frage und in dem, der da Karfreitag am Kreuz diese Frage herausgeschrien hat. Wer stößt denn diesen Schrei der Gottverlassenheit aus? Es ist der Mensch Jesus von Nazareth. Von seinem Leben und Wirken waren einige seiner Zeitgenossen so fasziniert, dass sie merkten: in Jesus ist mehr auf dem Plan, als ein fantastischer Prediger und ein begabter Heiler. In seinem Reden und Handeln ist Gott selber dabei. Es gibt zwischen dem, was Jesus tut und dem Willen Gottes keinen Unterschied. Darum fing man an, von ihm als dem "Sohn Gottes" zu sprechen. Man verstand: er gehört mit seinem Handeln und Denken in diesen Gott. Wer sich auf diesen Gedanken einlässt, für den öffnet sich eine neue Welt. Nirgendwo sonst, weder in der Philosophie, noch in den Religionen, geht Gott als Vater & Sohn gleichzeitig so in das Leid mit hinein.
Im christlichen Glauben sind Gott und sein erlittenes Leid zusammen. Christen bekennen: In Jesus von Nazareth ist Gott auf dem Plan: Was heißt: Gott selber macht die Erfahrung des Scheiterns, des Leidens und des Sterbens...
Im Unterschied zu allem anderen philosophischen Reden von Gott steht dieser Gott dem Leid im Sterben Jesu nicht teilnahmslos und unbeteiligt gegenüber - im Gegenteil: ER stirbt mit ... Zugespitzt formuliert heißt dies sogar: selbst das Gefühl der Gottverlassenheit bleibt Gott nicht fremd. Und so betet der sterbende Christus am Kreuz auch folgerichtig:
aus Rudolf Schäfer: Jesus ... - aber gleichzeitig der menschgewordene GOTT |
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Schon in diesen Formulierungen, einer Aufnahme eines alten israelitischen Gebets (Psalm 22), liegt ein Paradox: Denn der in der Gottverlassenheit vor Wut brüllt, der wendet sich gleichzeitig an eben diesen Gott, den er als „meinen Gott“ bezeichnet - er wendet sich in gewisser Weise also an sich selbst im tiefsten Innern - an sein innerstes Ich, wo Gott in jedem Menschen verortet ist: In dieser Hinrichtungs-Situation ist Jesus mit und in Gott der menschlichen gottlosen Wut und Gewalt ohnmächtig ausgeliefert - den Schicksalswellen diesseitigen Seins - denn Gott geht bis zum Ende und darüberhinaus in jedem mit und hält die Treue, aber er ist nicht der "Große Zampano", den wir uns in solchen Momenten von ihm erhoffen - er kann nicht "Simsalabim" - und er kann nicht - vielleicht noch nicht - dieses Leben paradiesisch und unsterblich gestalten - dazu ist die Freiheit, die er den Menschen lässt, viel zu groß ... Wer einen solchen "allmächtigen" Gott erwartet, der hat ihn irgendwann einmal missverstanden - ein solcher "Gott" würde die Menschheit zu einem programmierten Apparatschik umformulieren. Der Tod ist keine "Strafe" für eine vielleicht irgendwie verfehlte Lebensführung - alle Menschen - auch die gottes"fürchtigsten" - sind bis heute auf dieser Welt am Ende ihres Lebens verstorben - der Tod und die Schicksalsschläge, Unglück und der Irrtum gehören zum Leben wie Gott es geschaffen hat - ebenso wie das Leben, das Wachsen, das Gelingen und das Glück und die Ewigkeit: Gott ist Liebe im Leben u n d Tod - er schreit und brüllt mit Jesus - und lässt sich mit in ihm hinrichten - und spürt Verlassenheit und unendlichen Schmerz - und hält unsere Hand in all diesen Lebensbedingungen - im Lachen und Weinen - im Werden und Vergehen: Und auch ein Bruch der eigenen Gotteserfahrung gehört mit in die Gottesbeziehung hinein...
Ein bisschen vergleichbar ist diese von Jesus mit Gott gemeinsam erlebte und hinausgebrüllte Situation vielleicht wie die des zweiten Piloten in der Unglücksmaschine, von dem es jetzt heißt, er habe das Cockpit verlassen und hätte vergebens versucht, wieder hineinzukommen, die Tür war plötzlich von innen irgendwie versperrt ... - und Gott kann dann in höchster Not nicht jede menschlich vielleicht pathologisch-suizidale oder als Terroranschlag erdachte Blockade wie von selbst wieder öffnen und lösen ... - er ist mit allen dort zu Tode erschrocken gewesen und stürzt mit allen dort einfach mit in die Tiefe ...
Ein bisschen vergleichbar ist diese von Jesus mit Gott gemeinsam erlebte und hinausgebrüllte Situation vielleicht wie die des zweiten Piloten in der Unglücksmaschine, von dem es jetzt heißt, er habe das Cockpit verlassen und hätte vergebens versucht, wieder hineinzukommen, die Tür war plötzlich von innen irgendwie versperrt ... - und Gott kann dann in höchster Not nicht jede menschlich vielleicht pathologisch-suizidale oder als Terroranschlag erdachte Blockade wie von selbst wieder öffnen und lösen ... - er ist mit allen dort zu Tode erschrocken gewesen und stürzt mit allen dort einfach mit in die Tiefe ...
Was heißt das für uns, die wir unter der Ferne Gottes leiden und eher distanziert formulieren:
„Warum kann Gott das zulassen?“
Der Gott, dessen Nähe wir in Zeiten der Finsternis suchen, tritt an uns heran, legt seine Hand auf unsere Schulter und spricht: „Es ist gut. Ich kenne deine Not. Ich weiß, was dir zu schaffen macht. Ich habe es am eigenen Leibe erfahren. Und wenn du an Gott - an mich - verzweifelst – ich bin es auch. Und wenn du nicht mehr ein noch aus weißt, wenn du dir die Augen aus dem Kopf weinst und wenn du heiser bist vom Schreien, dann musst du wissen, diese Tiefe kenne ich. Ich bin dort auch gewesen, und ich bin dort bei dir und ich lass dich niemals - auch dann nicht - in dieser paradoxen Erfahrung - allein.“
Gott kann uns das Leid nicht ersparen, aber in Jesus Christus hilft er uns durch die schwersten Stunden hindurch. Es ist gut zu wissen, dass nicht etwa Gott Leiden schickt, sondern dass er als der Mitleidende auch und gerade in solchen Tiefen bei uns ist. Es ist schmerzlich, dass, solange wir auf dieser Erde leben, das Leid nicht aufgehoben wird. Leid und Schmerz ist die Schattenseite des Lebens. Und doch ist der, der glaubt, in der Tiefe und in der Finsternis nicht allein.
Dietrich Bonhoeffers hat deutlich zu unterscheiden gewusst zwischen menschlicher Verantwortung und göttlicher Führung. Er hat sich in den Widerstand gegen Hitler begeben, geholfen, jüdische Menschen zu retten und das Attentat vom 20. Juli 1944 mitvorbereitet.
Als er dann verhaftet wurde und zwei Jahre im Gefängnis saß, bevor er am 6. April 1945 auf Befehl Adolf Hitlers hingerichtet wurde, da hat er sich in diesen – ihm zunächst unverständlichen – Weg ergeben: „Widerstand und Ergebung“ heißt darum auch das Buch, in dem die Briefe gesammelt sind, die Zeugnis ablegen von diesem Weg. Es geht darum, Menschen in ihrer Verantwortung ernst zu nehmen und zu stärken, andererseits aber das Unvermeidliche zu akzeptieren. Der Glaube an Jesus Christus hilft zu beidem, zu Widerstand und Ergebung.
„Warum lässt Gott das zu?“
Diese Frage lässt sich nicht ein-für-alle-mal bündig und schlüssig schlussendlich beantworten. Es ist aber ein großer Unterschied, ob ich diese Frage stelle, um Gott die Schuld für das Elend dieser Welt aufzuladen oder ob ich gegen dieses Elend mit Gott gemeinsam ankämpfe und ihn dabei an meiner Seite weiß.
Ausblick über den Tod hinaus
Die schreckliche Erfahrung des Sterbens ist beileibe nicht eine wahrzunehmende Gottesferne, denn Gott verheißt auf vielfache Weise, dass der Tod nicht das letzte Wort hat: Wir sehen das vielleicht schon symbolisch am besten an der Metamorphose der Bäume z.B. mit den grünenden Knospenansätzen mitten im letzten Herbstlaub - kurz bevor der Baum in seiner Krone winterkahl wird ... - oder auch wenn es schon das Karnevalslied ganz banal weiß: " ... auf jeden Dezember - folgt wieder ein Mai ..."
Sterben heißt nichts anderes als Eintreten in den Gestaltwandel des Lebens, in die letzte große Metamorphose. Im Tod endet nicht das Leben, aber da enden die Lebensgestalten der uns bekannten Geschöpfe. Das ist Schmerz genug. Aber das Sterben als Gestaltwandel bewahrt das gestalthafte Leben vor der Vergreisung und vor der Vergleichgültigung der Werte. Ein Leben ohne Sterben und Tod wäre die Hölle ... -
... Menschwerdung als Entwicklung über den Tod der Individuen hinaus fixiert nicht deren sterbliche Gestalt. Aber der Geist, der die Creatio continua in Gang hält und neue Lebensgestalten schafft, nimmt die in den vergangenen Lebensgestalten der Geschöpfe wirksam gewesenen geistigen Potenzen in sich auf und sorgt so für eine Weiterentwicklung des Menschseins über das jeweilige Heute hinaus. Das ist Auferstehung in die fortgesetzte Menschwerdung hinein - ohne leibliche Himmelfahrt ..., schreibt Prof. Dr. Klaus-Peter Jörns in seinem Büchlein: Lässt Gott leiden?, Gütersloher Verlagshaus, 2013, S. 29 und 44
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Modifiziert und aktualisiert - mit Materialien aus einer Predigt von: Hans-Jürgen Abromeit, Greifswald - und: Klaus-Peter Jörns: Lässt Gott leiden ? , Gütersloher Verlagshaus 2013 | Bildmaterial: S!NEDi -
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Und noch einmal ein vielleicht hilfreicher Gedankensprung: Sascha Lobo wies in seiner SPIEGEL-KOLUMNE"Netzreaktionen nach Flugzeugunglück: Die verlogene Wut beim Posten" darauf hin, dass die Netzreaktionen auf den Germanwings-Absturz zeigen, dass es online kein richtiges oder falsches Trauern gibt... - und er schließt seine Kolumne mit einem Link auf einen Nachruf auf den kürzlich verstorbenen Fantasy-"Scheibenwelt"-Autor Terry Pratchett, den eine "frau meike" auf ihrer Homepage verfasst hat - sie schreibt u.a.:
... Als mein Vater im November 2009 starb, war das das schlimmstmögliche Ereignis, das ich mir bis dahin hatte vorstellen können. Nach einer Woche voller Entsetzen, die ich nach der Diagnose Lungenkrebs bei meinen Eltern verbrachte, starb mein Vater unter großen Qualen und ich wusste nicht, wie ich jemals darüber hinwegkommen sollte. Aber mir fiel ein Satz ein, den ich auf der "Scheibenwelt" zum ersten Mal gehört hatte. Der TOD, ein nüchternes, ernstes und vollkommen unbestechliches Gerippe mit einer Vorliebe für Großbuchstaben, das immer dann zur Stelle ist, wenn jemandes Uhr abgelaufen ist, erklärte einem jungen Mann, dessen Liebste im Sterben liegt und der den TOD fragt, ob das vielleicht gerecht sei, wenn so ein junger Mensch am Beginn seiner Liebe sterbe: “ES GIBT KEINE GERECHTIGKEIT, NUR DEN TOD.”
Ich habe lange gebraucht, um diesen Satz zu entschlüsseln, um die Größe und Wahrheit, die in ihm liegen, zu erkennen, aber wann immer ich ihn mir heute ins Gedächtnis rufe, überkommt mich Ruhe, eine liebevolle Ruhe, die den Tod umarmen kann als eine Art freundlichen Nachbar, der nur seine Hecke schneidet.
Als ich von der rasch fortschreitenden Alzheimererkrankung Terry Pratchetts erfuhr, versuchte ich, sie zu verdrängen. Ich wollte mir die Welt minus Terry Pratchett nicht vorstellen, ich wollte mir die Menschen minus Terry Pratchett nicht vorstellen. Wer wird das jetzt machen, die Menschen so zu zeigen, dass sie erträglich sind? Wer wird jetzt dafür sorgen, dass wir einander verzeihen können, dass wir sind wie wir sind? Wer wird jetzt die Wut kleiner machen?
ES GIBT KEINE GERECHTIGKEIT, NUR DEN TOD. Ich werde mich sicher auch dieses Mal darauf besinnen können. Doch erst einmal muss ich aufhören zu weinen. ...
Hier würde ich gern abschließend auch Terry Pratchett ergänzen wollen: “ES GIBT KEINE GERECHTIGKEIT, NUR LEBEN MIT DEM TOD.”