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Sigmar Polke: Genie wider Willen | "Alibis" im Museum Ludwig

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Spöttischer Blick auf die Warenwelt: Museumsbesucher betrachten das "Schokoladenbild" von Sigmar Polke aus den 60er Jahren. Foto: dpa




Genie wider Willen

Das Museum Ludwig in Köln widmet Sigmar Polke unter dem Titel "Alibis" eine Werkschau

Von Christoph Driessen | dpa | Neue Westfälische


Sigmar Polke - nach dpa-foto
Eigentlich dürfte es die Sigmar-Polke-Ausstellung im Kölner Museum Ludwig gar nicht geben. Denn Polke hat sich sein ganzes Leben lang lustig gemacht über den Geniekult des Kunstbetriebs. "Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!" heißt sein bekanntestes Bild. Deshalb entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn er nun selbst als begnadeter Ausnahmekünstler gefeiert wird.

Die Ausstellung ist die erste Retrospektive seit Polkes Tod vor fünf Jahren. In abgewandelter Form war sie zuvor im Museum of Modern Art in New York und in der Tate Gallery in London zu sehen, den beiden wichtigsten Museen für moderne und zeitgenössische Kunst überhaupt.

Dies zeigt schon den Stellenwert Polkes. Die Kölner Ausstellung geht über New York und London hinaus, indem sie Polke nicht nur als Maler zeigt, sondern als einen Künstler, der mit allen möglichen Medien arbeitete, vor allem auch mit Foto und Film.

Polke hat in Köln den Großteil seines Lebens verbracht, ebenso wie sein Studienfreund Gerhard Richter. Doch während dieser geradezu schüchtern ist, war Polke eine respekteinflößende Erscheinung. Ein großer Mann, der einen Raum sofort dominierte - so schildern ihn diejenigen, die ihn erlebt haben. Richter selbst sagte: "Polke war extremer als ich. In den 1970er Jahren war Polke dann in einer ganz anderen Szene als ich und nahm auch Drogen." Damals zerbrach die Künstlerfreundschaft. Legendär sind Polkes schlechten Manieren. 

Die englische Zeitung The Guardian verbreitete vor ein paar Jahren eine Geschichte, wonach er sich einmal, als einige stinkreiche Sammler sein Atelier besuchten, von hinten angeschlichen und einem von ihnen gegen den Mantel gepinkelt hatte. Ein anderes Mal zerriss er die Grafiken, die ein Sammler gerne kaufen wollte, vor dessen Augen. "Die magst du doch so gerne", sagte er dabei.

Die Kölner Ausstellung zeichnet Polkes Entwicklung chronologisch nach. Ganz von selbst erschließt sich so, wie stark er jeweils auf aktuelle Entwicklungen reagierte. "Für mich ist das die größte Überraschung: dass wir hier nochmals die ganze Geschichte der BRD aufgefaltet sehen", sagt die Kuratorin Barbara Engelbach. Es beginnt mit Bildern von Oberhemden, Socken, Würsten und Schokolade. Wie die amerikanische Pop Art setzt sich Polke mit der Warenwelt der Konsumgesellschaft auseinander, aber kritischer, spöttischer als Warhol und Lichtenstein. Immer wieder erwarten den Betrachter böse Überraschungen: Zwei "Freundinnen" wirken aus der Distanz wie Illustrierten-Models, geht man näher heran, erscheinen ihre Augenhöhlen schwarz und tot. In einer abstrakten Konstruktion wird ein angeschnittenes Hakenkreuz erkennbar. Und überall zerstören Kleckse, Flecken, Druckstellen und andere Fehler die schöne Ordnung.

Später experimentiert Polke mit Meteoritenstaub, Schneckensaft, Uran und hochgiftigem Kobaltnitrat, schafft Bilder, die sich je nach Temperatur oder Blickwinkel verändern. Man nennt ihn den "Alchemisten", den "Magier" - alles Begriffe, die er ablehnt. Am Ende malt er einfach wunderbare Bilder - riesig groß und von selten gesehener Leuchtkraft. Und er schafft ebensolche Kirchenfenster im Grossmünster von Zürich.

Hier ergeben sich wieder Parallelen zu Gerhard Richter, der zu dieser Zeit sein Fenster für den Kölner Dom entwarf. Doch obwohl die beiden jahrzehntelang in derselben Stadt lebten, haben sie nicht mehr zusammengefunden. "Als ich in Köln wohnte, haben wir uns nie besucht, kaum jemals gesehen", erinnert sich Richter. Er bedauert das. Und freut sich nun umso mehr auf die Ausstellung.

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Polkes witzigste Kunstwerke

Drei der bekanntesten - und witzigsten - Werke von Sigmar Polke sind in der Kölner Ausstellung zu sehen:


  • "Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!": Das berühmteste aller Polke-Bilder ist einfach nur weiß grundiert mit einer schwarzen Ecke rechts oben. Was will uns der Künstler damit sagen? Dass sich seinesgleichen oft zu wichtig nimmt. Polke glaubte nicht an den Geniekult, an das hehre Meisterwerk. Darüber wollte er sich mit diesem Bild von 1968/69 lustig machen.



  • "Kartoffelhaus": Eine Hütte aus einem Holzlatten-Gitter, an dem lauter Kartoffeln befestigt sind, entstanden 1967. Die Kartoffeln müssen von den Museumskuratoren natürlich regelmäßig ausgetauscht werden. Polke fand Kartoffeln toll, weil sie von ganz allein kreativ sind: Sie keimen auf und entwickeln dann die interessantesten Formen.



  • "Der Wurstesser": Eines der frühesten Werke, datierend von 1963, zeigt eine nur angedeutete Person, die dabei ist, eine lange Kette von Frankfurter Würstchen zu verspeisen. Die Würste sieht man sofort, die Person erst auf den zweiten Blick. Es wirkt fast, als wäre die Würstchenkette lebendig - eine Art Schlange oder Kopffüßer. Außerdem bildet die Wurstkette auch wieder eine menschliche Figur ab. Das Bild gilt als ironischer Kommentar zur großen "Fress-Welle" im Deutschland des Wirtschaftswunders.


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Info
  • Die Ausstellung "Alibis. Sigmar Polke. Retrospektive" im Kölner Mueum Ludwig ist bis zum 5. Juli zu folgenden Zeiten geöffnet: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, jeden ersten Donnerstag im Monat bis 22 Uhr.  
  • Katalog: Alibis: Sigmar Polke 1963-2010, Prestel Verlag 2015, 328 Seiten, 39,95 Euro im Museum.

© 2015 Neue Westfälische
03 - Bielefeld Süd, Donnerstag 19. März 2015

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Ich habe mich im Mai letzten Jahres schon einmal mit Sigmar Polke hier im Blog beschäftigt: indem ich mich in erster Linie auf seine sieben Kirchenfenster konzentrierte, die er 2009 vollendet hat - sieben Kirchenfenster für die Zürcher Grossmünster-Kirche, die aus Achatschnitten gefertigt wurden ... 

Dieser wohl vielseitigste und witzigste Künstler (1941 - 2010) ist nun leider seit 5 Jahren tot - und es ist halt wie immer: erst nach dem Tod konstatiert die Kunstwelt das umfangreiche und bedeutende Oeuvre und die tatsächliche Wucht, mit der ein Künstler das hinterlassen hat. Und nun zeigt somit endlich das Kölner Museum Ludwig seine Retrospektive: "Alibis", die zuvor schon in anderer Zusammensetzung im MoMA in New York und in der Tate Gallery in London zu sehen war.

Als was geisterte und geistert dieser kreative Mann durch die einschlägigen Kunst-Gazetten: als "ironischer Alchemist" - als "ein Künstler im psychedelischen Wunderland – zwischen Sex, Drugs and Rock’n Roll, Hippie-Kultur und politischem Aktivismus" - und vieles andere mehr - aber Sigmar Polke konnte immer auch "anders" - er war eben ungeheuer vielseitig - ein Künstlerleben in echter "diversity-Vielfalt" - und mit der Rubrik "Pop-Art" allein kaum zu fassen ...


Raster Drawing (Portrait of Lee Harvey Oswald), 1963. 

Bei Polke erscheinen vor meinem geistigen Auge immer zuerst seine extrem großen fleckig leuchtenden in Rasterpunkte zerlegten Motive ... - und in seinen schlitzohrigen wilden Phasen erinnerte er mich immer an den ebenso vielseitigen Künstler Martin Kippenberger (1953-1997) ... - und doch wieder auch völlig anders ...

Auf alle Fälle schielt das deutsche Publikum in erster Linie immer gern über die Grenzen auf vermeintlich echte "Kunst-Typen" - und vergisst da oft den Grundsatz: "Warum in die Ferne schweifen? - Sieh - das Gute liegt so nah ...": z.B. Gerhard Richter, Anselm Kiefer, Georg Baselitz, Martin Kippenberger und nun hier, Sigmar Polke sowie die deutschsprachigen Informel-Künstler (Bernard Schultze, Emil Schumacher, Arnulf Rainer) - dazu die Szene der deutschen Meisterphotographie aus der Düsseldorfer Photoschule Bernd und Hilla Becher - wie z.B. Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Simone Nieweg, Thomas Ruff, Jörg Sasse und Thomas Struth (dazu ggf. jeweils die (falls vorhanden) Namen-Tags in der Cloud in der rechten Sidebar dieses Blogs anclicken ...) - das ist schon total sehenswerte und absolute Weltklasse - und doch: Was gilt schon der Prophet im eigenen Land ... - Also - für Polke - auf nach Köln ins Museum Ludwig ...


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