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Pep Guardiola liest Lyrik: Miquel Martí i Pol - eine inspirierende Freundschaft

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Bearbeitetes Video-Still von der Lesung in München - links: Thomas Loibl - rechts Pep Guardiola ...

Heute möchte ich von einer öffentlichen Lesung Pep Guardiolas aus den Werken seines Lieblingslyrikers Miquel Martí i Pol berichten, die auf SZ.de von Lars Langenau und von Frieder Pfeiffer, SPIEGEL.de, besprochen wurde - gleichzeitig möchte ich einen Einblick in die Werke Martí i Pol's geben durch Ausschnitte aus einem Artikel in der NZZ - und dem WIKIPEDIA-Eintrag zu ihm ... 
Also - ich kannte den Lyriker Miquel Martí i Pol bis dato noch nicht - doch schon die Beschäftigung mit einer Lesung aus seinem Œuvre macht neugierig ...

Inspirierende Freundschaft 

Pep Guardiola liest aus den Werken seines Lieblingslyrikers Miquel Martí i Pol 


Der Katalane Miquel Martí i Pol war ein dichterisches Talent mit klassenkämpferischem Charakter. 
Seine Lyrik besingt Leben und Leiden der einfachen Leute, zu denen er selbst zählte.


«Der Kopf, seine Last, hat mir den Rücken gekrümmt 
und die Brust ausgehöhlt. Unaufdringlich 
dafür muss man dankbar sein 
bekommt der Bauch 
die Rundung, wie ihn die Handbücher vorschreiben. 
Beine und Hände trödeln und meckern, 
und die Stimme macht Urlaub für immer,
eingeschüchtert von Argwohn und Fragen.
Nur die Augen halten ihre Tätigkeit 
zu überwachen aufrecht . . .»

Miquel Marti i Pol.
nach einem Bild von NZZ | Pere Virgili / Album)
So beschreibt sich der katalanische Dichter Miquel Martí i Pol in seinem «Selbstbildnis mit sechzig Jahren». Er war an multipler Sklerose erkrankt, seit dem 40. Lebensjahr in Rente und an den Rollstuhl gefesselt. Die Stimmbänder waren gelähmt, er vermochte nur noch die Lippen zu bewegen, seine zweite Frau, Montserrat Sans, konnte die rudimentäre Artikulation deuten und dolmetschen. Über sie und seine elektrische Schreibmaschine kommunizierte er mit der Welt.

Gern wäre man Zeuge gewesen, als Pep Guardiola, damals Spieler des FC Barcelona, den Lyriker in seiner Heimat, dem Pyrenäenstädtchen Roda de Ter, besuchte. Der Fußballer hatte das Gefühl, er müsse sich nicht nur als Sportler, sondern auch als Mensch weiterentwickeln, und suchte deshalb in Begleitung seiner Frau Cristina Serra das Gespräch mit einer geistigen Autorität. Eine paradoxe Situation; der Athlet und der Lahme, der Reiche und der arme Schlucker, der Zungenfertige und der Stumme – was hatten sie einander zu sagen? Offenbar war der Dialog unter so erschwerten Bedingungen fruchtbar. Sie «pflegten die poetische Freundschaft», schreibt Tobias Burghardt (Verleger der Edition Delta und bisher wichtigster Übersetzer Martí i Pols), und der Beweis ist die Widmung des Bandes «Buch der Einsamkeiten» an den Besucher aus Barcelona und seine Begleitung.

Das Goethe-Institut und sein katalanisches Pedant, das Institut Ramon Llull, haben nun in München, im Literaturhaus, eine Lesung aus den Werken Miquel Martí i Pol's durch Pep Guardiola auf Katalanisch und dem Schauspieler Thomas Loibl auf Deutsch möglich gemacht. Es wird ein tiefer, poetischer Abend - getragen von einem Mann, der weit mehr ist als ein Fußballtrainer.

"Poesie ist Privatsache", sagt Guardiola. "Normal liest man zuhause für sich." Auch Martí i Pol habe er vorgelesen, "peinlich" sei ihm das anfangs gewesen. Dabei ist die Zurückhaltung wohl eher Ehrfurcht denn Scham.

Irgendwann sieht es so aus, als bewege sich Guardiola so sanft und vorsichtig in seinem Sessel, damit er die lyrische Aura nicht vertreibe. Auch auf die Fremdsprache verzichtet er. "Wenn ich auf deutsch über Fußball spreche, habe ich Probleme. So werde ich gerade über meine Heimat-Literatur nicht auf deutsch sprechen. Das ist besser. Für mich - und für euch."


Als Trainer des FC Barcelona hat Guardiola dem Fußball neue Welten erschlossen, in Deutschland erweitert er auch die Spielräume der Sprache. Doch hier geht es nicht um "super, super Spieler" und "große, große Dank an meine Mannschaft". Es geht um Arbeiterlyrik aus den schlimmen Zeiten der Franco-Diktatur, um Revolution, Liebe, den Tod.

Es sei eine inspirierende Freundschaft mit Miquel Martí i Pol gewesen, sagt Pep. Inspirierend vor allem für ihn, weil er zu lesen begann. Martis Lyrik habe ihn "auf den Teppich zurückbringen" können. "Niemand hat so von der Liebe und dem Tod geschrieben wie er. Aufgrund seiner Krankheit musste er nach innen blicken." Und die Lyrik ermögliche es, mit so wenigen Worten so viel Tiefe widerzuspiegeln. Es ist eine einfache, zugängliche Sprache, die doch voller Reichtum ist.

Die politische Schnittmenge dieser Freundschaft dürfte sich vor allem auf den Kampf um die Unabhängigkeit Kataloniens konzentriert haben. Auch wenn der Fußballtrainer sagt: "Große Gedichte sind immer aktuell. Die, die sich auf dem Rücken der Beherrschten ein schönes Leben machen, gibt es immer noch." Pep, der Revolutionär.

Guardiola ist also ein bekennender Fan von Miquel Marti i Pol und ein selbstbewusster Katalane: "Ich bin nicht als Kulturbotschafter Kataloniens hierhergekommen und ich weiß nicht, welche Vorstellung über mein Land hier vorherrschend war." Aber es freue ihn, wenn die reiche Kultur und Kunst dieser Region wahrgenommen werde. Natürlich hätte er die Gedichte auch auf Deutsch lesen können, aber die Verantwortlichen hätten eben das Katalanische hören wollen. Und das hat sich gelohnt: Er hat eine schöne, tiefe, männliche Stimme, den Mund oft spitzend, die Zunge häufig heraus schnellend und wieder einrollend. Lispelnd und spielend mit den Betonungen.

Pep Guardiola - nach einem Foto von SZ.de|AFP
Pep Guardiola verschenkte in Barcelona zur Motivation Bücher von Miquel Marti i Pol an Spieler, die sich für Literatur interessierten. Ob das auch in München der Fall sei? Seine doppeldeutige Antwort: Es gebe auch Bayern-Spieler die lesen - "und eigentlich sollten die mir mal deutsche Bücher empfehlen". Guardiola findet aber auch noch die Brücke zwischen dem Trainer und dem Autor: "Erst gibt es eine Idee, die man verwirklichen will, dann kommt der Aufbau, man möchte ein Werk schaffen. Und dann gibt es ein Ende, das so oder so sein kann."

Zurück zu Marti i Pol, der seit seinem 14. Lebensjahr über drei Jahrzehnte Fabrikarbeiter war und den erst schwere Krankheiten zu seiner wahren Profession führten. Guardiola beginnt die Lesung mit einem handfesten, ja, kommunistischen Gedicht: Gegen die Mächtigen, gegen das Joch der Arbeiter, für Widerstand, gegen Unterdrückung.

Marti pflegte sozial engagierte Lyrik, die wir in Deutschland "Literatur der Arbeitswelt" nannten. Es ist ein in Vergessenheit geratenes lyrisches Genre, das - auf Deutsch gelesen von dem Schauspieler Thomas Loibl - trotz allem noch berührt. Zwar ist es irgendwie auch tiefsinnig, wenn sie da im katalanischen Original vom Podium von einem Millionär gelesen - und bewundert - wird.

Da ist dann der Marti i Pol-Zyklus «La fàbrica», der 1972 erstmals in einer Liebhaber-Ausgabe erschien und nach mehr als 40 Jahren nun auf Deutsch vorliegt, übertragen von dem Regensburger Romanisten Johannes Hösle, der Martí i Pol einst während einer Arbeitspause auf dem Fabrikhof kennenlernte. Vier Jahrzehnte nach Gründung des Unternehmens, 1965, begann Martí i Pol seine poetische Bilanz zu ziehen, und angesichts der anonymen Hekatomben, die der wachsende Moloch verbraucht hatte, formulierte der Chronist sein Programm, eine Art Geschichtsschreibung von unten: «An diese Leute will ich erinnern: an jene, die noch / am Leben sind, von den Jahren beschwert, senil geworden, / und die andern, die mitten auf dem Weg / jener langen vierzig Jahre gestorben sind // Sie und nicht die anderen, / jene, die grosstuerisch ihren Namen / auf das Getane drucken, / sind die einzigen Helden dieser Geschichte . . . Maria Carné, die dann ledig verstarb, / Isidre Feixas, Cinto Filosa, / Joana Martínez, die Toiletten / und die Ecken der Räume wischte und allmählich / runzlig wurde, wie Blätter runzlig werden . . . Carmeta Escalé, die jetzt aufhört und schon arbeitete, / als sie kaum acht war / . . . was kann sie vor dem Nichts, in dem sie leben, retten, / wenn nicht die Stimme eines der Ihren, die über sie spricht?»

Solange es Martí i Pol bei einem reinen Name Dropping belässt, bleibt der Abwehrzauber gegen das Vergessen schwach. Sobald er Einzelheiten liefert, hat er die Aussicht, die Amnesie zu besiegen. Davon macht er denn immer wieder Gebrauch. Beispielsweise in Falle Elionor.


«Elionor war / vierzehn Jahre und drei Stunden alt, / als sie zu arbeiten anfing. / . . . Sie trug noch Zöpfe / und sagte: ‹Ja, senyor› und ‹Guten Abend›. / Die Leute mochten sie leiden, / die so sanfte Elionor, / und sie sang, während sie / hurtig mit ihrem Besen kehrte.» Ein unverwüstlich fröhliches Mädchen, so scheint es, das sich seine primitive, perspektivlose Arbeit nicht verdrießen lässt. Aber dann stellen sich hysterische Weinkrämpfe ein «und jenes nicht unterdrückbare Gefühl, / einsam zu sein». Die lebensklugen Frauen in ihrer tristen Umgebung hinter den blinden Scheiben sagen, solche Anfälle kuriere man, indem man heiratet und Kinder bekommt. Elionor gehorcht, heiratet und bekommt Kinder. «Das Älteste, es war ein Mädchen, / war genau drei Stunden zuvor / vierzehn geworden, / als es zu arbeiten anfing. / Es trug noch Zöpfe / und sagte ‹ja, senyor› und ‹Guten Abend›». Die Fabrik ein Familienunternehmen in jenem anderen Sinne, dass es Generation nach Generation verschlang, mit Wiederholungszwängen, die aus der Not geboren waren.

Es verstieße gegen die poetische Gerechtigkeit, wenn in diesen Versen das Fabrikleben nur schwarz in schwarz gemalt würde, wenn es nur aus Staub und Lärm, dauernd verschärftem Arbeitstempo, dem Terror der Stechuhr wie der Sirenen bestünde. Martí i Pol kennt auch die lichten Momente, etwa wenn im Frühjahr das schöne Wetter kommt und die Pausen fast einem Picknick ähneln. Da werden «mit sieben weißen Kieseln / sieben Speiseplätze / am Ufer» gemacht. Da wird geschmaust und geblödelt, einem Lehrling mit dem Leinenschuh der nackte Hintern versohlt oder «hinter einem Lagerschuppen, im fernen / und gedämpften Lärm der Maschinen», ein Mädchen geliebt. Ein unschuldiges Vergnügen? Nein, denn die Chefs legen Wert auf Zucht und Ordnung. Würde ein ehebrecherisches Verhältnis wie das der Rita Mirambell mit einem Walker ruchbar, wäre eine Kündigung unvermeidlich. «Wie belämmert, / heilige Muttergottes, / sind doch die Armen.»

Guardiola und Loibl wechseln nach der Arbeiterprosa zu erotischen Gedichten, die von Brüsten, Hüften und brennenden Geschlechtern handeln. Schließlich ist die "Lust ein weiter Horizont", wie Marti i Pol einst dichtete. Seine Gedichte handeln in dieser Phase seines Lebens aber auch vom Alleinsein, Ferne, Einsamkeit, Sehnsucht und Verzauberung. Die Poesie des wohl am meisten vertonten Lyrikers Kataloniens ist filigran und deftig zugleich. Und wunderschön in Verbindung mit dem Klang der katalanischen Sprache.


Es folgen Werke aus den achtziger Jahren, nach dem Ende der Franco-Diktatur, einer Zeit voller Aufbruch: "Lasst uns erneut aufstehen!", "Alles liegt vor uns - und alles ist möglich."




Das waren dann die Zeilen, mit denen sich auch Fußballer inspirieren lassen. Und der Fußballleser Guardiola schließt mit Gedichten aus einem sehr traurigen Buch, mit dem Marti i Pol den Tod seiner Frau versuchte zu verarbeiten und dem "Buch der Einsamkeiten", das er einst Guardiola und seiner Frau Cristina Serra widmete. Für Pep war diese Widmung eine Überraschung, "aber manchmal hatte er solche Ideen".


Dass Martí i Pol 1999 im Namen der katalanischen Kultur für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde, war kein Grössenwahn. – Der Autor starb am 11. November 2003. Mit den Bänden des Maro-Verlags und der Edition Delta liegt nun ein beachtlicher Teil seines Œuvres auf Deutsch vor. Nehmt und lest.

Bücher von Miquel Martí i Pol auf Deutsch: 
  • La fàbrica. Gedichte. Aus dem Katalanischen von Johannes Hösle. Maro-Verlag, Augsburg 2014. 104 S.
  • Parlavà-Suite. Jemand wartet. Buch der Einsamkeiten. Gedichte, zweisprachig. Aus dem Katalanischen von Juana und Tobias Burghardt. Edition Delta, Stuttgart 2012. 131 S. 
  • Liebe Marta. Haikus in Kriegszeiten. – Gedichte, zweisprachig. Aus dem Katalanischen von Juana und Tobias Burghardt. Edition Delta, Stuttgart 2010. 153 S. 
  • Der Bereich aller Bereiche. Nach allem. – Gedichte, zweisprachig. Aus dem Katalanischen von Juana und Tobias Burghardt. Edition Delta, Stuttgart 2007. 175 S.


Textquellen: NZZ  und SZ.de und SPIEGEL.de


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Miquel Martí i Pol 
(* 19. März 1929 in Roda de Ter, Osona; † 11. November 2003 in Vic) war ein katalanischer Lyriker.

Miquel Martí i Pol wuchs in Roda de Ter, einem Dorf in der Provinz Barcelona, auf. Er kam aus einer einfachen Familie, besuchte die spanischsprachige Volksschule und begann mit 14 Jahren, in der Textilfabrik Cala Tecla Sala zu arbeiten, in der auch seine Mutter beschäftigt war. Eine Lungentuberkulose zwang den 19-Jährigen ein Jahr lang zur Bettruhe, was ihm gestattete, zu schreiben und vor allem zu lesen. Das Gelesene übersetzte er später ins Katalanische. Sein erster Gedichtband Paraules al vent wurde 1954 mit dem Literaturpreis „Ossa Menor“ ausgezeichnet. In den 1970er-Jahren vertonten Liedermacher der Nova Cançó wie Maria del Mar Bonet, Ramon Muntaner, Lluís Llach, Celdoni Fonoll und Rafael Subirachs seine Gedichte und sorgten für seine Popularität.

Er wurde Mitglied der Partit Socialista Unificat de Catalunya (PSUC), die in der Franco-Diktatur im Untergrund operieren musste.

Zu Beginn der 1970er-Jahre erkrankte er an Multipler Sklerose, was ihn später am Sprechen hinderte, so dass er nur noch mit rudimentärer Artikulation und elektrischer Schreibmaschine kommunizieren konnte. 1977 wurde in Spanien wieder eine demokratische Regierungsform hergestellt. Bei einer „Semana Popular“ 1978 in Osona wurde sein politischer Einsatz von Künstlern wie Antoni Tàpies, Vicent Andrés Estellés, Pere Quart, Joan Brossa, Joan Vinyoli, Ramon Puyol und Xavier Bru de Sala gewürdigt.

Er übersetzte Werke von Antoine de Saint-Exupéry, Simone de Beauvoir, Guillaume Apollinaire, Gustave Flaubert, Emile Zola, Jean Racine, Joris-Karl Huysmans und Roland Barthes ins Katalanische.

1990 schrieb er im Hause des Musikers Lluís Llach die Parlavà-Suite, aus der Llach und die deutsche Schauspielerin Hanna Schygulla zur Diada de Sant Jordi 2010 in der Berliner Kulturbrauerei vortrugen.

Das Buch der Einsamkeiten entstand in den Jahren 1995 bis 1997 und wurde dem Fußballprofi von Barça, Pep Guardiola und seiner Frau Cristina Serra gewidmet. Beide pflegten mit dem Dichter „eine poetische Freundschaft“ und besuchten ihn in Roda de Ter. Guardiola hat Martí i Pols Gedichte gelegentlich öffentlich vorgetragen. Dass er das auch als Trainer beim FC Barcelona vor seiner Mannschaft gemacht habe, verwies Guardiola bei einer Lesung im Literaturhaus München im Juni 2015 in den Bereich der modernen Märchen.

Nach ihm wurde ein Lyrikpreis „Premio de Poesía Miquel Martí i Pol“ benannt. Schulen und Straßen in Katalonien tragen seinen Namen.



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