Der Philosoph Slavoj Zizek - S!NEDi|bild|bearbeitung nach SPIEGEL.de | Imago |
Der herrschende Kampf ist ein Kampf um eine wirtschaftliche und politische Leitkultur Europas. Die EU-Mächte stehen für den technokratischen Status quo, welcher Europa für Jahrzehnte in Trägheit halten wird.
Der große Konservative T. S. Eliot hat in seinen "Notes Towards a Definition of Culture" bemerkt, dass es Momente gibt, in denen es nur die Wahl zwischen Häresie und Unglauben gibt:
- wenn beispielsweise der einzige Weg, eine Religion am Leben zu halten, die sektiererische Abspaltung von ihrem Korpus ist.
Dies ist unsere heutige Lage in Bezug auf Europa: Nur eine neue Häresie - momentan von Syriza vertreten - kann jenes sichern, was des Sicherns im europäischen Erbe wert ist: Demokratie, Vertrauen in die Menschen, egalitäre Solidarität.
Jenes Europa, das gewinnen wird, wenn Syriza ausgebootet ist, wird ein Europa der asiatischen Werte sein.
Der zeitgenössische Kapitalismus begrenzt die Demokratie. Slavoj Zizek
(aus einem SPIEGEL.de-Interview)
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Slavoj Žižek [ˈʒiʒɛk]
(* 21. März 1949 in Ljubljana, SFRJ) ist ein aus Slowenien stammender Philosoph, Kulturkritiker und Theoretiker der lacanianischen Psychoanalyse. Bekannt geworden ist er durch seine Übertragung und Weiterentwicklung der Psychoanalyse Jacques Lacans in das Feld der Populärkultur und der Gesellschaftskritik. Er wird häufig dem Poststrukturalismus zugerechnet, hat sich selbst jedoch mehrfach von dieser Einordnung distanziert. Žižek äußert sich zu vielen Themen. Seine ersten deutschsprachigen Texte wurden 1991 von der Kulturzeitschrift Lettre International publiziert.
Žižek wurde 1949 in der sozialistischen Teilrepublik Slowenien geboren. Zunächst studierte er Philosophie an der Universität Ljubljana, dann studierte er von 1981 bis 1985 an der Universität Paris VIII bei Jacques-Alain Miller, einem Schüler des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan. 1990 war Žižek Kandidat für das sogenannte „kollektive Präsidium“ der Liberaldemokratie Sloweniens, nachdem er bereits im Realsozialismus als Dissident aktiv war. Er war jahrelanger Herausgeber der Zeitschrift der slowenischen Lacan-Schule „Wo Es war“ und setzte sich unter anderem mit der Philosophie des Deutschen Idealismus (besonders Hegel) auseinander, sowie mit Karl Marx und mit zeitgenössischen Denkansätzen aus dem Bereich des Poststrukturalismus, der Medientheorie, des Feminismus und der Cultural Studies. Seine erste englischsprachige Buchveröffentlichung The Sublime Object of Ideology erschien 1989. Seitdem veröffentlichte Žižek über 20 Monographien, in denen er sich zunächst um eine lacanianische Lesart der Philosophie, der Populärkultur und in den letzten Jahren zunehmend der Politischen Theorie bemühte.
Žižek ist unter anderem Professor für Philosophie an der Universität seiner Heimatstadt Ljubljana. 2001 war er Fellow des Kollegs Friedrich Nietzsche.Seit Anfang 2007 ist er International Director des Birkbeck Institute for the Humanities an der University of London.
2004 heiratete er das ehemalige argentinische Model Analia Hounie, das Paar trennte sich jedoch bald wieder. Zuvor war er mit der slowenischen Philosophin und Soziologin Renata Salecl verheiratet, mit der er einen Sohn hat.
Das Werden des Subjekts
Žižeks Texte kreisen um Identitäten, Identitätsbildung und ihre wechselnden Beziehungen zu den sie umgebenden Geflechten aus Ideologien, gesellschaftlichen Verhältnissen und psychischen Konstellationen des Unbewussten. Eine entscheidende Rolle spielt dabei Lacans Konzeption des Anderen, über den sich das Subjekt erst als Eigenes konstituiert. Dieser Andere besitzt nach Lacan zwei Dimensionen: den „großen Anderen“ und den „kleinen anderen“, das Objekt klein a.
Das Objekt klein a ist das Objekt des Begehrens des Subjekts, nach dem das Subjekt hinstrebt und mit dem es sich zu vereinigen versucht – idealtypisch ist hierfür das sexuelle Begehren eines anderen Menschen. Das Objekt dieses Begehrens ist im Grunde beliebig und austauschbar, solange es in den Rahmen des persönlichen Phantasmas, der persönlichen Phantasien, passt, der es erst begehrenswert macht. Denn erst ein bestimmter Ort innerhalb der psychischen Struktur des Subjekts verleiht dem Objekt seine Bedeutung als – wie man mit einem Filmtitel von Luis Buñuel sagen könnte – „obskures Objekt der Begierde“.
Eine der wesentlichen Eigenschaften dieses Objekts klein a– bzw. seiner Position in der Struktur des Subjekts – ist, dass es dem Subjekt immer schon entzogen ist. Gerade der Mangel im Subjekt treibt das Subjekt zu seinen Handlungen an. Žižek veranschaulicht das am Hitchcock'schen Objekt des MacGuffins, einem an sich bedeutungslosen und austauschbaren Objekt (ein Geheimplan, eine Formel etc.), das nur dazu dient, die Handlung des Films in Gang zu bringen: „MacGuffin ist eindeutig objet petit a: der Mangel, das Überbleibsel des Realen, das die symbolische Bewegung der Interpretation in Gang setzt, eine Lücke im Zentrum der symbolischen Ordnung, der bloße Anschein eines zu erklärenden, zu interpretierenden ,Geheimnisses‘.“
Die andere Form eines Anderen ist der große Andere – eine symbolische Instanz, welche die Gesetze und Normen des Sozialen garantiert und die dem Subjekt erst einen Platz innerhalb der Gesellschaft zuweist. Der große Andere kann von verschiedenen Trägern eingenommen werden; es kann ein Elternteil sein, aber auch andere Bezugspersonen, die die Gesellschaft repräsentieren, etwa Lehrer, Richter oder Polizisten. Indem das Subjekt diesen Anderen als Funktionsträger und damit als Träger des Gesetzes anerkennt, ordnet es sich zugleich dem gesellschaftlichen Ganzen unter. Für Žižek besteht in dieser Strukturierung des Subjekts durch den großen Anderen auch die wesentliche Funktionsweise der Ideologie – wofür er in der Regel das Beispiel des Stalinismus anführt.
Aber der große Andere ist nicht bloß eine ideologische Instanz. Denn zugleich – und paradoxerweise – gewinnt das Subjekt durch diese Anerkennung des Anderen erst seinen eigentlichen Subjektstatus, indem es durch sie erst einen Ort findet, von dem aus es sich überhaupt artikulieren kann, an dem es eine Sprache findet. Doch diese Sprache, und mit ihr das Subjekt als solches, ist immer schon vom Anderen bestimmt:„Ich ist ein Anderer“, wie Lacan einen berühmten Satz von Arthur Rimbaud zitiert. So ist das Subjekt im Grunde kein Subjekt, vielmehr ein Ort, der von einem konstitutiven Außen her strukturiert ist – vom großen wie auch vom kleinen Anderen –, der nicht das eigene Selbst ist; ein Gegensatz zur berühmten Definition von Descartes: „ich denke, also bin ich.“
Mit der Betonung dieser Bedeutung des Anderen bleibt Žižek nicht nur den Erkenntnissen Lacans treu, sondern verdeutlicht auch dessen Nähe zu anderen poststrukturalistischen Ansätzen eines „dezentrierten Subjekts“, wie sie sich etwa bei Gilles Deleuze oder Jacques Derrida finden. Žižeks Eigenständigkeit besteht nicht so sehr in diesem Gedanken selbst, sondern mehr in der Heranziehung zahlreicher Beispiele aus der Politik und Populärkultur, insbesondere des Films, mit dessen Hilfe er diese zunächst abstrakten Theorien anwendet und veranschaulicht, aber auch weiterentwickelt.
Das Reale, das Symbolische und das Imaginäre
Eine zentrale Rolle im Denken Žižeks spielt das auf Lacan zurückgehende triadische Modell der drei Strukturbestimmungen der Psyche:
- Reales,
- Symbolisches und
- Imaginäres (RSI).
Das Reale
Das Reale ist bei Žižek, wie schon bei Lacan, ein recht rätselhafter Begriff und nicht mit der „Realität“ gleichzusetzen. Die Realität des Menschen ist symbolisch konstruiert, also letztlich eine kollektiv praktizierte Fiktion. Das Reale dagegen ist innerhalb dieser Ordnung des Symbolischen ein nicht fingierbarer Kern, der sich nicht symbolisieren, nicht in Worte fassen lässt. Es hat keine positive Existenz, sondern existiert nur als Ausgeschlossenes, das an den Grenzen der gewöhnlichen Realität zum Vorschein kommt.
Nicht alles in der Realität lässt sich als Fiktion entlarven, es bleibt immer ein Rest des Realen übrig – bestimmte Punkte, die mit sozialen Gegensätzen, mit Leben, Tod und Sexualität oder allgemeiner dem logisch-rational nicht Greifbaren zu tun haben. Das Reale, sofern es das Subjekt überfordert und verunsichert, hat stets etwas Traumatisches an sich. Das Reale ist nicht eine tieferliegende Realität hinter der Realität, sondern besteht aus den Leerstellen, welche die Realität unvollständig und inkonsistent machen. Auf die Psychoanalyse bezogen bedeutet dies, dass die Realität nicht nur eine beliebige Erzählung unter vielen anderen ist. Vielmehr muss der Patient den harten Kern des Realen, die traumatische Dimension seiner Innenwelt, erkennen, aushalten und neu erzählen.
Die Triade des Realen/Imaginären/Symbolischen spiegelt sich innerhalb jedes einzelnen dieser drei Bereiche des Psychischen wider. Es gibt also entsprechend drei Modalitäten des Realen:
- Das symbolische Reale – der auf eine sinnlose Formel reduzierte Signifikant, die wie jede Wissenschaft ans Reale greift, aber kaum nachvollziehbare Vorstellungen produziert.
- Das reale Reale – ein grauenhaftes Ding, etwa das, was in Horrorfilmen das Gefühl des Horrors vermittelt.
- Das imaginäre Reale – ein unergründliches Etwas, das als „Erhabenes“ (Kant) durch die Dinge hindurch scheint. Diese Art des Realen wird etwa in dem Film Ganz oder gar nicht – Full Monty daran deutlich, dass sich die arbeitslosen Protagonisten beim Striptease vollkommen ausziehen, wodurch in der zusätzlichen „freiwilligen“ Erniedrigung zugleich etwas Erhabenes, eine eigene Würde sichtbar wird.
Das Symbolische
Das Symbolische bildet die (soziale) Realität des Menschen und deren sprachliche und normative Dimension. Seine Elemente sind Signifikanten, d. h. bedeutungsvolle Zeichen, die sich zu einem„Netz“ der „symbolischen Ordnung“ strukturieren. Seine Geltung bezieht das Symbolische aus der Autorität des großen Anderen, insofern dieser als Herrensignifikant bzw. als Name-des-Vaters das Netz der Signifikanten strukturiert und legitimiert. Es ist damit auch die Sphäre der Herrschaft und der Diskurse – deren Macht Žižek vor allem als symbolische Macht versteht.
Als Herrschaftsverhältnis besitzt das Symbolische, wie schon das Herr-Knecht-Verhältnis bei Hegel, einen dialektischen Charakter, der auf gegenseitiger Anerkennung beruht. So ist „nur der ein König, zu dem sich die anderen als Untertanen verhalten“. Gleichzeitig gibt es immer – außer in der Paranoia – einen gewissen Abstand des Symbolischen zum Realen: „Nicht nur der Bettler ist verrückt, der glaubt, er ist ein König, sondern auch der König, der glaubt er ist ein König.“ Denn dieser hat ja nur das symbolische Mandat eines Königs, ist nur austauschbarer Träger einer ihm eigentlich äußeren Funktion.
Auch das Symbolische besitzt drei Dimensionen:
- Das reale Symbolische ist der auf eine sinnlose Formel reduzierte Signifikant.
- Das imaginäre Symbolische entspricht etwa den Jung'schen Symbolen.
- Das symbolische Symbolische ist das Sprechen und die sinnvolle Sprache, das „volle Sprechen“ etwa einer erfolgreichen Psychoanalyse.
Mit dem Beispiel des Cyberspace beantwortet Žižek eine Fragestellung, die für seine Methode und seinen Denkstil typisch ist. Die Frage Žižeks lautet nicht: „Was können wir vom Leben über den Cyberspace lernen“, sondern umgekehrt: „Was können wir vom Cyberspace über das Leben lernen?“. Diese von Žižek in verschiedenen Zusammenhängen variierte Frage-Verdrehung dient der „theoretischen Psychoanalyse“: Im Gegensatz zur „angewandten Psychoanalyse“ will sie nicht die Kunstwerke analysieren und so das Unverständliche und Fremde verständlich machen, sondern einen neuen Blick auf das Gewöhnliche schaffen, den Alltag verfremden und die Theorie am Gegenstand weiterentwickeln.
Das Imaginäre
Das Imaginäre liegt auf der Ebene des Verhältnisses des Subjekts zu sich selbst bzw. zu seinem Selbstbild. Es ist der Ort der Identifikation mit dem eigenen Ich. Dieses imaginäre Selbstverhältnis bildet sich nach Lacan am Blick in den Spiegel auf sich selbst im Spiegelstadium, wobei Lacan betont, dass dieser Blick auf sich selbst, der immer auch den vorgestellten Blick eines Anderen bedeutet, letztlich auf einer „Verkennung“ beruht (siehe dazu auch: Spiegelstadium).
Auch das Imaginäre lässt sich dreifach einteilen:
- Ein reales Imaginäres (das Phantasma, das den Platz des Realen einnimmt).
- Ein imaginäres Imaginäres (das Bild selbst).
- Ein symbolisches Imaginäres (etwa die Archetypen nach Jung). Um über das Imaginäre sprechen zu können, so Lacan, muss man sich immer schon außerhalb des Imaginären befinden: Das Imaginäre ist im Grunde immer schon in das Symbolische eingebettet.
Postmoderne und Ideologie
Insbesondere widmet sich Žižek der Postmoderne, die die Psychoanalyse mit neuen Fragen konfrontiert: Aufgrund des Wegfalls der „patriarchal“ strukturierten Gesellschaft und fest gefügter, autoritärer Ordnungsmuster gerät nämlich ein wichtiger Baustein der Psychoanalyse, der Ödipuskomplex, ins Wanken.
Besonderes Augenmerk richtet Žižek dabei auf die Produktion von Ideologie in gegenwärtigen Gesellschaften, aber auch auf die Funktionsweise von Ideologie im Realsozialismus. Ideologie setzt sich nach ihm immer aus zwei Seiten einer Medaille zusammen: den von einem politischen System öffentlich verkündeten Werten und der so genannten „verdeckten Kehrseite“, einem‚schmutzigen‘ Geheimnis. Das sind die implizit mittransportierten Werte und Prämissen einer Ideologie, die aber, damit eine Ideologie funktionieren und sich reproduzieren kann, unausgesprochen bleiben müssen. All diesen ideologisch geprägten, phantasmatischen Formen des Leugnens oder Ausweichens hält Žižek das Ziel der Psychoanalyse entgegen, das darin besteht, das „Phantasma zu durchqueren“, das Trugbild zu durchschreiten, und zum Kern des Genießens, der sogenannten Jouissance, vorzudringen.
Ein so genannter „authentischer Akt“ zerstört das Phantasma, wenn er dieses vom Standpunkt des gesellschaftlichen Symptoms aus angreift. Dadurch wird eine Geste zum Akt, zum Ereignis, mit Alain Badiou gesprochen gar zum „Wahrheitsereignis“. Ideologie ist die Verzerrung von Nicht-Ideologie, eines ursprünglich „utopischen Moments“ (Fredric Jameson) ins Ideologische. Der nicht-ideologische Anteil der utopischen Sehnsucht sollte jedoch nach Žižek ernstgenommen und respektiert werden. So sollte etwa die Sehnsucht nach Gemeinschaft nicht automatisch als „protofaschistisch“ angesehen oder gar als Wurzel des Faschismus missverstanden werden. Ideologisch wird diese Sehnsucht erst in ihrer faschistischen Umdeutung.
Heutzutage, im Zeitalter des Kulturkapitalismus und der „Postideologie“, funktioniere Ideologie nicht mehr aufgrund eines fanatischen Engagements, sondern vielmehr umgekehrt aufgrund einer inneren Distanz und Gleichgültigkeit, die das symbolische Mandat des Subjekts nicht ernst nehme: Ein Vater verhalte sich heute oft derart distanziert zu sich selbst, dass er sich selbstironisch über die Dummheit beklage, heute überhaupt noch Vater zu sein.
Politisierung und Hegemonie
Im Zeitalter nach dem (angeblichen) Ende der Ideologien kritisiert Žižek die Art und Weise, wie politische Entscheidungen begründet werden. So wird die Kürzung von Sozialausgaben bisweilen als scheinbar objektive Notwendigkeit bezeichnet, die selber keiner politischen Diskussion mehr unterliegen kann. So betrachtet er etwa die bürgerlich-sozialdemokratische Idee einer Bürgerbeteiligung als wenig wirksam, solange nicht langfristig bedeutendere und grundlegendere Maßnahmen ergriffen werden, um die Gesellschaft zu verändern – Maßnahmen etwa zur Begrenzung der Freiheit des Kapitals und zur Unterordnung des Produktionsprozesses unter die Kontrolle der Gesellschaft. Letztlich schwebt Žižek dabei eine radikaldemokratisch-revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft vor, eine „radikale Repolitisierung der Ökonomie“.
Aufbauend auf Herbert Marcuses Schlagwort einer „repressiven Toleranz“ kritisiert Žižek die herrschende Ideologie einer sinnlosen Political Correctness: „Der ,tolerante‘ multikulturelle Ansatz vermeidet“ als Dogma der heutigen Gesellschaft „die entscheidende Frage: Wie können wir den politischen Raum wieder in die heutigen Bedingungen der Globalisierung einführen?“ Žižek plädiert nicht nur für eine„Politisierung der Ökonomie“, sondern auch für eine „Politisierung der Politik“ als Gegenentwurf zur postmodernen Post-Politik. Im Bereich der politischen Entscheidungsfindung im Rahmen einer Demokratie kritisiert er insbesondere das in vielen Ländern faktisch herrschende Zwei-Parteien-System als Erscheinung einer Wahlmöglichkeit, die es im Grunde gar nicht gibt.
Die Existenz gesellschaftlicher Klassen sieht Žižek nicht als primär objektive Bestimmung, als ökonomische Lage gegenüber dem Kapital, sondern in einer„radikal subjektiven“ Position verortet: Das Proletariat ist der lebendige „verkörperte Widerspruch“ der Gesellschaft. Das Einstehen für die eigenen Interessen wird heute oft als egoistisch diskreditiert, tatsächlich aber liegt im Partikularismus für Žižek der Schlüssel zur Dynamik sozialer Bewegungen.
Die Möglichkeit einer Politisierung sieht Žižek – im Anschluss an die Hegemonietheorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe – in der Möglichkeit, dass „eine partikulare Forderung als Vertreter für das unmögliche Allgemeine zu funktionieren beginnt“. Erst durch einen Partikularismus im politischen Kampf kann ein Universalismus überhaupt entstehen. So können partikulare Forderungen als „metaphorische Verdichtung“ (Laclau/Mouffe) auf etwas Weiterreichendes abzielen, ja bis zur Rekonstruktion und Infragestellung des gesamten gesellschaftlichen Rahmens reichen.
Žižek sieht demnach den politischen Konflikt situiert zwischen einer wohlgeordneten Gesellschaftsstruktur einerseits und dem ausgeschlossenen Teil, der in dieser scheinbar perfekten Ordnung keinen Platz mehr findet, andererseits. Dieser „Teil ohne Anteil“ am Gesamten (vgl. dazu auch den Begriff des Prekariats) bringt die gesamte Struktur zum Wanken, weil er sich auf ein „leeres Prinzip des Allgemeinen“ bezieht bzw. dieses verkörpert. Gerade der Umstand, dass eine Gesellschaft nicht leicht in Klassen einzuteilen ist, dass es dafür kein„einfaches Strukturmerkmal“ gibt, dass etwa die Mittelschicht auch vom Rechtspopulismus umkämpft ist, ist ein Anzeichen für diesen fortwährenden und unentschiedenen Kampf um Hegemonie innerhalb einer Gesellschaft.
Rezeption und Kritik
Žižek gilt als bekannter und einflussreicher Vertreter des so genannten Poststrukturalismus, welcher vor allem in der Literaturwissenschaft, der Soziologie, der Philosophie und der Politikwissenschaft in den letzten Jahren an Bedeutung gewann. Žižeks zahlreiche Veröffentlichungen und Auftritte auf wissenschaftlichen Kongressen sind mit ein Faktor für die wachsende Popularität lacanianischer Ansätze in den Geisteswissenschaften, deren Anwendbarkeit auf aktuelle und über die Psychoanalyse hinausgehenden Phänomene Žižek an vielen, oft unterhaltsamen Beispielen ausführt. Trotz seiner oft schwer verständlichen, von Gedankensprüngen und schnellen Assoziationen geprägten Ausführungen ist Žižek heute einer der bekanntesten, aber auch umstrittensten Intellektuellen der Gegenwart.
Oft wurde Žižek für seinen populärwissenschaftlichen, bisweilen unsauberen und nach Pointen heischenden Stil kritisiert, dem die begriffliche und sachliche Schärfe zum Opfer falle. Von manchen wird der „Starphilosoph“ auch abschätzig als „Philosophie-Entertainer“ oder gar „Scharlatan“ bezeichnet. So schreibt Andreas Dorschel in einer Rezension zu Parallaxe:„Zizek schwafelt. Ins Schwafeln gerät, wer eine Sache nicht auf den Punkt zu bringen vermag. […] Dass Zizek Argumentation simuliert, statt bloß beliebig Assoziationen aufzufädeln, was als Form doch dem Inhalt seines Buches angemessen wäre, scheint starre akademische Gewohnheit. Er ist ein Pedant des Wirren. Statt einfach zu spinnen, behängt er das Resultat solchen Tuns mit Fußnoten“.
Inhaltlich wurde bisweilen die Leichtfertigkeit kritisiert, mit der Žižek sein Wissen der Psychoanalyse auf die Gesellschaft überträgt. Zudem habe Žižek einige der Autoren, auf die er sich beziehe, nur ungenügend verstanden: So vor allem Hegel, aber auch Lacan selbst, etwa in dessen Interpretation der Antigone, welche Žižek weitaus dramatischer deute als Lacan.
Scharfe Kritik an Žižeks „Gewaltvisionen“ und seiner philosophischen Leere übt John N. Gray, der in Anspielung auf Žižeks Buch Less Than Nothing (2012) resümiert: „Žižek täuscht Substanz vor, indem er endlos eine im Grunde leere Vision wiederholt, und sein Werk – das die Prinzipien parakonsistenter Logik schön veranschaulicht – ergibt am Ende weniger als nichts“.
Die Ideen insbesondere zur Deutung des Symbolischen, zu Ideologie und Postmoderne der slowenischen Lacan-Schule Žižeks wirkten seit den frühen 1980er Jahren inspirierend auf die inzwischen international bekannt gewordene Bewegung Neue Slowenische Kunst.
Auszeichnungen
Für sein Forschungsprojekt „Antinomien der postmodernen Vernunft“ erhielt Žižek 1999 den mit einer Million Deutsche Mark dotierten Kulturwissenschaftlichen Forschungspreis des Landes Nordrhein-Westfalen.
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