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VINCENT VAN GOGH - IN MEMORIAM

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29. Juli 1890 - 
Vincent van Gogh stirbt in Auvers-sur-Oise - 
vor 125 Jahren


Genie und/oder Wahnsinn
Lust und Last des Kunstschaffens


Die Psychiatrie hatte 
im ausgehenden 19. Jahrhundert für ausgelebte künstlerische Phantasie wenig übrig


Da war unser damaliger Hausarzt ganz in seinem Element, als wir Mitarbeiter eines Heimes für schwerstgeistigbehinderte Kinder und Jugendliche in Bethel seinerzeit mit ihm das Kröller-Müller Museum in Otterlo im Park Hoge Veluwe inmitten der Niederlande besuchten. 


Selbstbildnis: Vincent van Gogh - artble.com
Der Arzt hatte als junger Student der Psychiatrie-Medizin sich ausführlich mit Vincent van Gogh beschäftigen müssen - und sogar eine Prüfungsarbeit über diesen "Fall" verfasst ...  - und nun versuchte er  uns vor jedem Exponat van Goghs den jeweiligen "Fortschritt" der vermeintlichen Krankengeschichte aufgrund seiner Fachkompetenz aufs Genaueste zu erklären: Denn mit einer Diagnose "Akuter Wahnsinn mit Tobsucht" bzw. mit "Epilepsie" wurde van Gogh aufgrund einer Initiative besorgter Bürger  in die Nervenheilanstalt Saint-Paul-de-Mausole im südfranzösischen Saint-Rémy-de-Provence eingeliefert ... 

Aus den Bildern, Briefen und weiteren Zeugnissen van Goghs vermochten verschiedene Ärzte zu verschiedenen Zeiten für ihn jeweils "eindeutig" u.a. folgende Erkrankungen herauszulesen:  
  • Schläfenlappen-Epilepsie, 
  • die Menière-Krankheit, 
  • Syphilis, 
  • Vergiftung durch Absinth-Missbrauch, 
  • Schizophrenie, 
  • Hysterie, 
  • eine manisch-depressive Erkrankung, 
  • die Stoffwechselkrankheit AIP (Akute intermittierende Porphyrie), 
  • verschärfend schlechte Ernährung bei hohem Alkoholkonsum ...

Dem klinischen Aufenthalt in Saint-Rémy war der zweimonatige Besuch des Malerkollegen Paul Gauguin in Arles bei Vincent vorausgegangen, wo es zu einem schweren Zerwürfnis zwischen den beiden begnadeten Künstlern kam, aufgrund dessen im Nachhinein van Gogh sich unter nie ganz geklärten Umständen einen Teil eines Ohres oder - je nach Lesart - ein ganzes Ohr abschnitt ...   

In der Folge wird der Maler immer wieder von "Wahnvorstellungen und Depressionen" heimgesucht. Allerdings weiß man bis heute nicht genau, ob diesen Zuständen tatsächlich jeweils ein psychiatrisch akuter Krankheitsschub zugrunde lag, oder ob vielmehr das totale persönliche Aufgehen in die eigene Kunst - im wahrsten Sinne des Wortes: mit Haut und Haaren und Leib und Seele - der Auslöser dieser seltsamen ekstatischen Zustände wurde ... Vincent van Gogh hat sich jeweils auch körperlich und seelisch bei seinem Kunstschaffen ganz und gar verausgabt - und hat sich durchaus fast besessen jeweils wie "besoffen" in einen "Wahn" gemalt ...

Er will damals nämlich nicht malen, was er sieht. 
Er will malen, was er seelisch und körperlich empfindet. 

Besondere optische Reize in der flirrenden südfranzösischen Sonne lösen bei dem Niederländer eine unbändige Schaffenswut bis hin zu handfesten Rauschzuständen aus, die er in seinen Briefen an seinen Bruder Theo auch schon einmal als "Orgasmen mit den Augen" beschreibt: "Die Erregung, die mich angesichts der Natur ergreift, steigert sich bei mir bis zur Ohnmacht", schreibt van Gogh ...

Unser guter Bethel-Arzt - Gott hab ihn selig - wusste zwar im Kröller-Müller-Museum auch etwas von diesen subjektiv so empfundenen Rauschzuständen Vincents, meinte aber angesichts der Werke uns erklären zu können, wie van Gogh seinen beginnenden Wahn mit verschleiernden Selbsterklärungen zu kaschieren versuchte - "was übrigens jeder Psychiatrie-Patient anfangs versucht - denn eine Krankheitseinsicht tritt - wenn sie je kommen sollte - erst viel viel später hinzu ...", dozierte der Arzt fachmännisch ...: "Das ist so wie beim Alkoholiker, der auch tausend Gründe erfindet, warum er wieder zur Flasche gegriffen hat ...", meinte er damals ...

Café-Terrasse am Abend (Le Café, le soir). 1888
Öl auf Leinwand: 81 x 65,5 cm
Otterlo, Museum Kröller-Müller 
Im flirrenden Strich seiner Bilder, wird das "Wahnhafte" festgemacht. Unser Hausarzt zeigte uns dazu das Gemälde "Café-Terrasse am Abend (Le Café, le soir)" von 1888, was mit seinen"schon über Gebühr funkelnden Sternen" ein Vorläufer war zum Spätwerk "Sternennacht"(1889) - mit dessen spektakulären Sternenlicht- und Himmelswirbeln. Während also in der abendlichen "Café-Terrasse" sich "das Unheil latent schon ankündigte", so unser Arzt, galt dann das Bild "Sternennacht" als "Ausdruck des totalen Ausbruchs von van Goghs nun zu Tage tretender Geisteskrankheit"... 

Heute jedoch - das hat unser guter Doktor nicht mehr erlebt - werden diese Bilder nicht mehr ganz so pathologisch gesehen wie noch von ihm und seinen Lehrern und Kollegen - sondern eher als intuitive malerische Darstellung des Phänomens physikalischer aber auch innerseelischer Ergriffenheit und den dadurch empfundenen und wahrgenommenen Turbulenzen - etwa wie späterhin John Cage seine experimentellen Musikpartituren versucht hat in abstrakten Zeichen zu notieren, weil die gängigen Notenzeichen zu Darstellung des Gemeinten nicht mehr ausreichten ...  

Für Kritiker wie den Pulitzerpreisträger und van-Gogh-Biografen Steven Naifeh sind "diese vorzüglich gemalten blauen Pinselstriche in Wirklichkeit ein Muster von Vollkommenheit, Harmonie und Schönheit."

Sternennacht. 1889 | Öl auf Leinwand, 73,7 × 92,1 cm | Museum of Modern Art, New York


Bei diesen Bildern "Café-Terrasse" und "Sternennacht" meine ich auch ohne tiefenpsychologische oder kunsthistorische Vorbildung eigentlich überlegt angelegte und ästhetisch durchorganisierte Kompositionen zu erkennen, die eigentlich nichts haben von einer wahnhaft spontanen "Art brut" als die unverbildete Kunst der Geisteskranken - sondern allenfalls Elemente eines späterhin in Mode kommenden künstlerischen Surrealismus vorwegnehmen ...














1890 verlässt van Gogh die Anstalt und begibt sich in die Obhut des Arztes Paul Gachet nach Auvers-sur-Oise. Hier steigert sich seine unbändige Arbeitswut in einen nicht enden wollenden Schaffensrausch. In 70 Tagen malt er 80 Gemälde und 60 Zeichnungen, darunter die Häuser des Dorfes und sein berühmtes Porträt von Dr. Gachet. Am 27. Juli verlässt er, mit Staffelei und Farben beladen, seine Herberge.

Selbstmord – oder Mord? 

Irgendwann an diesem Tag fällt ein Schuss. Wer diesen Schuss tatsächlich abgefeuert hat, konnte nie zweifelsfrei geklärt werden. Van Gogh jedenfalls schleppt sich verletzt zurück in seine Kammer und nach 30-stündigem Todeskampf erliegt er am 29. Juli 1890 seinen Verletzungen.

Zu der psychiatrisch-pathologischen Deutungsgeschichte des Werkes und der Person Vincent van Goghs passte dann natürlich am besten die Erklärung:"Es war ein Selbstmord - er hat sich 'suizidiert'" ... – eine Interpretation, die sich auch in der Kunstgeschichte bis heute als wahrscheinlichste Theorie hält. 

Allerdings führt Steven Naifeh in seiner Biografie auch Indizien für einen Unfall oder einen Mord an - und fragt:"Wie ist er an die Pistole gekommen? Jeder in Auvers wusste, dass er in einer Nervenheilanstalt war. Und: Pistolen waren selten auf dem Lande. Wer hätte Vincent van Gogh eine Pistole gegeben?"Und Tatsache ist auch, dass van Gogh in Auvers-sur-Oise nicht nur Freunde hatte. Ein solcher als etwas verschrobener und verhuscht geltender Künstler ist in so einem Örtchen natürlich ein Außenseiter - erst recht mit diesem sichtbaren "Ohrenabschnitt" ... Und deshalb foppte eine Jugendgang den merkwürdigen Sonderling fortwährend, die von einem Jüngling namens René angeführt wurde, der im Ort besonders als schießwütig verschrien war ...

Unter Anregung und Einbeziehung eines "Stichtag"-Textes vom WDR 

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S!NEDi: Sonnenblumen-Photo nach Vincent-Art bearbeitet ...

IN MEMORIAM 
VINCENT VAN GOGH
1853 - 1890


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