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... sei schnell zum hören - langsam zum reden - langsam zum zorn

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Felix Nussbaum: Das Geheimnis | 1939, Öl auf Leinwand - © akg-images/VG Bild-Kunst | republik-online.at


Ein jeder Mensch 
sei schnell zum Hören, 
langsam zum Reden, 
langsam zum Zorn.
Jakobus 1,19

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Das ist in der Herrnhuter Losung von heute der Lehrtext. Ich will hier ja dieses Blog nicht zu einer Bibel-Studierstube umbauen - aber ich finde diesen Tagesimpuls für diese Zeit der allgegenwärtigen totalen Kommunikation - des Redens, des Quatschens, der Handymanie und des facebook-Shitstorms - schon so bemerkenswert, dass ich mich einmal damit näher befassen möchte.

Zunächst einmal habe ich mir die "Bibel - in gerechter Sprache" geschnappt und habe den Text in einer zeitgemäßen Übersetzung im Zusammenhang gelesen:

Macht euch dieses klar, meine lieben Schwestern und Brüder: Jede und jeder von euch sei schnell zum Zuhören bereit, zögere jedoch mit dem Reden und dem Zürnen.
Und dann heißt es dort weiter ab Vers 20-27:
Denn wer zornig ist, tut nicht, was Gott als gerecht anerkennt. Deshalb legt jede Art von Schmutz und überhaupt alle Schlechtigkeit ab. Nehmt stattdessen besonnen das Wort an, das Gott euch eingepflanzt hat und das euch retten kann. Folgt dem Wort, das in euch wirkt, indem ihr es in die Tat umsetzt und euch nicht etwa mit dem Hören begnügt. Sonst betrügt ihr euch selbst. Denn die das Wort nur hören und nicht auch tun, sind wie Menschen, die ihr Gesicht, von Gott geschaffen, im Spiegel betrachten, und kaum dass sie sich umdrehen, schon vergessen haben, wie sie beschaffen sind. Die aber, die das vollkommene Gesetz der Freiheit engagiert studieren und nicht zu den vergesslichen Hörerinnen und Hörern zählen, sondern dabeibleiben und es in die Tat umsetzen, werden glücklich sein bei dem, was sie tun. Diejenigen, die meinen, gottesgläubig zu leben, ihre Zunge aber nicht beherrschen und also ihr Herz betrügen, deren Gottesgläubigkeit kommt bei Gott nicht an. Die Gottesgläubigkeit, die Gott akzeptiert, ist diese: die hilfsbedürftigen Menschen in ihrer Not aufzusuchen und beizustehen und sich nicht in die Ausbeutungsstrukturen der Welt verwickeln zu lassen.

Der Jakobusbrief wurde bereits seit Luther in der Evangelischen Kirche immer etwas stiefmütterlich behandelt. Luther passten die Aussagen nicht, er war ihm zu ungehobelt, zu ungeordnet, einfach zu untheologisch ... eine Verhaltens-Maßgabe eher ... Über Passagen aus dem Jakobusbrief selbst wird deshalb selten gepredigt, da schwingt immer ein moralischer Zeigefinger mit - und er entlarvt mitunter "gnadenlos" - z.B. durch sein Bild oben vom "Widerspiegeln" - den Leser des Briefes selbst, oder eben denjenigen, der vielleicht professionell sich damit auseinanderzusetzen hat ...

Im Jakobusbrief geht es fast durchgehend um Hören und Reden und Tun - hier um vielleicht ein zu oberflächliches Zuhören und dem, was dann von dem Gehörten an folgerichtiger Re-aktion erfolgt: Oftmals verkommt die schrille alltägliche Geräuschkulisse in unserer Welt heutzutage zum "weißen Rauschen" - durch die lauten mit Werbung durchwachsenen Medien und der schnellen abgehackten und "mailverkürzten" und handytauglichen "Sprache" (Rede- und Zuhörzeit ist beim Handyfonieren oft echtes Geld) - besonders verbreitet in der jungen Generation ... - wir hören zwar - aber wir nehmen nicht auf - wir nehmen nicht wahr - vor allem werden Nuancen verschluckt - Nuancen, die vielleicht etwas vom Charakter eines Menschen preisgeben, von seiner "Philosophie" und seiner Biographie - von seinem Sosein ... - damit wir "angemessen" re-agieren können ...

In Apostelgeschichte 8, Vers 26 - 40, wird von einem "Kämmerer aus dem Morgenland" berichtet, der auf dem Weg in seiner Kutsche im Buch des Propheten Jesaja las; den Philippus aber, nachdem er vom Heiligen Geist extra dazu herbeigerufen wurde, dann auch befragte: "Verstehst du auch, was du da liest?", worauf der Kämmerer antwortete: "Wie sollte ich das verstehen können, solange mich nicht jemand anleitet?" ... Also - das gesprochene oder geschrieben Wort muss oft mit den Hör- und Verstehensgewohnheiten des Gegenübers "kompatibel" gemacht werden ...

Und da sagen die Fernsehmacher, eine Sequenz der Sendung bis zum nächsten Szenen-Schnitt dürfe eine ganz bestimmte Länge von vielleicht allerhöchstens einer halben Minute auf keinen Fall überschreiten ... Das sind also unsere "Hör-und Seh-Zu"-Gewohnheiten, auf die hat man uns nun per Medium jahrelang dressiert. Und schon nach dem Abspann der Sendung wissen wir nicht mehr, was wir eigentlich da gesehen haben - ..."wie Menschen, die ihr Gesicht, von Gott geschaffen, im Spiegel betrachten, und kaum dass sie sich umdrehen, schon vergessen haben, wie sie beschaffen sind" ...  - oder auch: "Verstehst du auch, was du da gesehen hast?" - "Nein - wie sollte ich das verstehen können, solange mich nicht jemand anleitet?" - Die Märchen unserer Kindheit und die Bibelverse im Konfirmandenunterricht, die wir hörten und fast auswendig aufsagen konnten, waren immer länger als so eine "Aufmerksamkeits-Sequenz" heutzutage ... Aber wir bemerken das ja auch beim alltäglichen Zeitungslesen, was lesen (also "hören" mit den Augen ...) wir da tatsächlich - und was überlesen wir rasch, weil es zu lang ist, zu kompliziert, nicht "flüssig genug formuliert" ... - was haben die Comic-Hefte mit ihren Sprechblasen und die Emotions-Zeichensprache ;-)) in der Mail uns in dieser Hinsicht eingebrockt ... ???

Ja - und was führt uns dann davon zu irgendeiner Aktion als Re-aktion auf das Gelesene/Gehörte, zu einer diesbezüglichen davon ableitbaren Tat. Ich habe noch heute morgen gelesen, eine Faustregel besage, dass 90 % zum Beispiel der Online-Leser im Internet oder auf den sozialen Netzwerken in Bezug auf Gehörtes und Gelesenes einfach passiv bleiben, 9 % interagieren, indem sie z.B. den "Gefällt mir"-Knopf bei "facebook" drücken oder den Beitrag zu Freunden und Mitinteressierten weiterleiten. Und nur 1 % der Leser kommentieren den aufgenommen Fakt, bilden sich dazu einen Gedanken, den sie als Re-aktion mitteilen möchten - und das sind vor allem jene, die sich unverstanden fühlen.

Nun - diese Zahlen zeigen überraschender Weise an, wie sehr die Menschen Vers 19 von Jakobus 1 im Internet bereits verinnerlicht haben: Schnell - ja superschnell - Surfen und Zuhören/Lesen, jedoch passiv bleiben oder zögern mit einer lauten Bewertung des Aufgenommenen (90 %) bzw. einer tatsächlichen Re-aktion zum Thema (1%) ...

Und dann sagt die Studie, dass die meisten Personen dieses einen reaktiven Prozentes "sich unverstanden fühlen" - also im Sinne von Jakobus 1,19 wohl eher "zürnen", zornig werden ...
Aber - wer zornig ist, neigt zu überschießenden und unangemessenen Re-aktionen, wird meistens ungerecht in seinen Worten und Taten.

Nun gibt aber seit Kindesbeinen der Menschheit und den allermeisten Menschen ein von Gott sehr genial "eingepflanztes" eingerichtetes Instrument, das uns jeweils "retten" kann, uns davor bewahrt, um in gewissen Situationen größeren Schaden anzurichten. Dieses Instrument ist die Schranke zwischen Hirn und Mund. Diese Schranke verhindert, dass sich Gedanken zu schnell ihren Weg zum Mund bahnen, sondern vorher noch einmal geprüft und überdacht werden können.

Bei manchen Menschen ist diese Schranke sehr ausgeprägt vorhanden, in einem hervorragenden Zustand und voll funktionstüchtig. Diese Menschen wiegen ihre Worte sorgsam ab, es passiert selten, dass sie etwas Unbedachtes sagen. Sie werden als besonnen und vernünftig wahrgenommen. Und dann gibt es da auch Menschen, bei denen ist diese Schranke... nun ja, nur sehr eingeschränkt einsetzbar. Hier ist die Zunge - oder die Computer-Tastatur - meist schneller als das Hirn - und die spontanen Gedanken sind schneller draußen, als man schauen kann. Das sind dann die Menschen, die sich dann in ihrer Re-aktion schnell um Kopf und Kragen reden oder schreiben, meist zum größeren Amüsement der Umstehenden.

Das Zuhören - das Lesen - das Wahrnehmen - sind eine Kunst. Denn das passiert nicht einfach so.„Hörst du mir überhaupt zu?“ ist ja eine sehr verbreitete Frage von Gesprächs"partnern" im "Dialog miteinander", wenn einer in einer Zeitung blättert und der andere munter drauflos schwätzt. Der eine redet, der andere hat die Worte gehört – aber zugehört hat er nicht.

Zum tatsächlichen Zu-hören muss ich mich aktiv entscheiden, dafür muss ich alles Ablenkende weglegen, ich muss mich auf mein Gegenüber einlassen. Das ist die eine Seite. Sich darauf einlassen, wirklich zuzuhören. Das andere beim Zuhören ist, selber erst einmal die Klappe zu halten. Wie schnell sind wir dabei, wenn uns jemand seine Sorgen klagt, mit schnellen Lösungen bei der Hand zu sein. Oder die eigenen Sorgen abzuladen, frei nach dem Motto „ist ja schön, wenn es dir schlecht geht, aber hör mal her, wie dreckig es erst mir geht!“ Zum Zu-hören gehört es, dass wir es aushalten, erst mal gar nichts zu sagen. Den anderen reden zu lassen. Ihm ganz zuzuhören, ihn damit ernst zu nehmen.

Und dann kommt noch der dickste Brocken, den der Jakobus uns dann ins Nest legt: Kommt vom Wort auch in die Tat - Christsein ist immer auch das Wort hören und danach handeln ... Prüft alles - aber das Beste behaltet (1. Thess. 5,21) - und setzt es in die Tat um. Diese "Taten" können ganz verschiedene Ausmaße annehmen: Ich kann beten für etwas, für meinen Nächsten, für Zustände um mich und in der Welt: ich kann spenden für die notleidenden Flüchtlinge, die aus dem Mittelmeer gefischt werden - oder den notleidenden Roma, die aus den Zeltbaracken des Balkan zu uns drängen - ich kann Patenkinder unterstützen bei der Kindernothilfe - ich kann dem Nachbarn, dem es nicht gutgeht, eine Besorgung abnehmen - mit dem Freund, der seine Frau gerade verloren hat, zumindest erst einmal vorsichtig telefonieren - ich kann einer Freundin helfen bei der Gestaltung ihrer Homepages - ber auch dabei immer erst Zu-hören und dann erst reden - und dann erst tun ...

Ich kann mich gesellschaftspolitisch im Sinne Jesu und seinem von ihm so vor 2000 Jahren apostrophierten "Reich Gottes" einzubringen versuchen - ohne in ollen "Frömmigkeiten" zu verbrämen - über meine Blogs, über Gespräche, die ich führe: Und auch dann zählt: Höre genau hin, diskutiere, ringe – und dann tue aber das, was du genügend abgewägt und geprüft hast - vielleicht in dem ich noch einmal "eine Nacht drüber schlafe", ehe ich re-agiere - aber es bleibt: Nicht nur nicken und für wahr halten, sondern dafür aktiv werden.

Mir gelingt das oft am besten, wenn ich mir vor meinem geistigen Auge Jesus vorstelle, wie er in seinen damaligen Tempel kommt, um dort als erstes auf die Opfertierhändler und die Geldwechslern stößt, die er dann als "Räuberhöhle" alle aufscheucht und aus "seines Vaters Haus" vertreibt ...

Auch in fast allen unseren Kirchen heutzutage stoßen wir als erstes im Eingangsbereich immer auf kleine Spruchkarten oder Kirchenführer und Kirchen-Diaserien, die gegen Knete zum Verkauf angeboten werden - und auf einen großen kupfernen Opferstock - und Jesus hängt da am Kreuz weiter hinten - und von seiner Bergpredigt und von seinen Meditationen, von seinem Zuhören, Bedenken, seinen Gleichnissen und dann auch seinem eindeutigen Handeln finden wir fast nichts ... - weder im Glaubensbekenntnis noch in den Kirchen ...



mit Anregungen und Materialien aus einer Predigt in der EKG Freiberg


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