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WIR TREFFEN UNS IM PARADIES

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Foto: Bernhard Pierel | WSTFALEN-BLATT
»Wir treffen uns im Paradies«
Theaterprojekt erzählt die Geschichte von Geflüchteten in Bielefeld auf dem Klosterplatz

Von Vivian Winzler | WESTFALEN-BLATT, 21.6.2016

Eine Kiste, die wie von Geisterhand über den Boden fährt. Kleine graue Gesichter, die ängstlich daraus hervorgucken. Dazu Erzählungen, die unter die Haut gehen.

»Wer ein Zuhause hat, das den Namen verdient, der geht nicht weg – der bleibt«, ist nur eine davon. Es sind vor allem solche Worte, die im Publikum des Open-Air-Theaterstücks »Wir treffen uns im Paradies« am Freitagabend eine starke Betroffenheit auslösen.

14 Geflüchtete aus Detmold erzählen auf dem Klosterplatz innerhalb von 90 Minuten ihre Geschichte – ganz ohne Dialog. Stattdessen untermalen eingespielte Audioaufnahmen die Angst und Verzweiflung der Geflüchteten, die unter freiem Himmel nachgestellt werden.

Das Theaterprojekt »fragile« aus Berlin erarbeitete in Kooperation mit den Geflüchteten das Stück, dass ohne viel Schnickschnack daherkommt. So reichen eine Kiste und ein paar Eimer als Requisiten völlig aus. Die Darsteller tragen zudem ausdruckslose graue Masken, die dem Ganzen eine Note von Tristesse und Ausweglosigkeit verleihen. »Dadurch bekommt das ganze eine gewisse Härte und Magie«, meint auch Merlin Nowak vom Kulturamt Bielefeld, die das Projekt unterstützt. »Das war auch das Ziel. Es soll nah und unkompliziert wirken.«

Tatsächlich braucht es nicht viel, um dem Zuschauer die Lage zu vermitteln. Ganz ohne Worte wird die Geschichte eines Paares erzählt, das einen Schmuggler bezahlt, um sich auf die lebensgefährliche Reise mit einem Frachter zu machen.

Die eingespielten Erzählungen geben die Handlung zwar nicht wieder, sind jedoch nie störend oder unpassend. Sogar dass einige der Audiotakes in der Muttersprache der Einzelnen gesprochen sind, wirkt alles andere als unverständlich.

»Ich bin wie ein Mann im Dunkeln, der spazieren geht ohne Licht«, erzählt ein junger Iraker. In dem Stück gibt es zum Schluss dennoch etwas Licht. Am Ende bauen die Darsteller einen kleinen Markt auf, wo sich das Paar wieder trifft. Und ehe man sich versieht, steht man plötzlich selbst auf der Bühne und bekommt einen Teller warme Suppe und Rezepte aus aller Welt in die Hand gedrückt. Integration zum Anfassen könnte man es nennen.

Doch nicht nur das begeistert die Bielefelder: die Darsteller, teils noch Kinder, ernten tosenden Applaus und stehende Ovationen. »Es ist verständlich, dass die Deutschen Angst haben vor den Anderen. Aber vielleicht ist das Anders-Sein ein ganz neuer Anfang.«
Mit diesen Worten schließt das Stück – und öffnet gleichzeitig den Raum für neue Gespräche.


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