Streit um Jesus
Wie sollte das Evangelium heute verkündet werden?
Zwischen liberalen und konservativen Theologen gibt es immer wieder Diskussionen, worauf es im christlichen Glauben eigentlich ankommt. Aus Anlass der größten Evangelisation in Europa – ProChrist – bat idea zwei Experten an einen Tisch: den Theologieprofessor Klaus-Peter Jörns (Berg/Starnberger See) und den Sprecher der Evangelisation „ProChrist“, Pfarrer Ulrich Parzany (Kassel). Das Gespräch moderierte Karsten Huhn.
idea: Herr Jörns, Herr Parzany, wie sollte Jesus Christus heute verkündet werden?
Was hat Jesus wirklich gesagt?
Es gibt keinen Einheitsjesus
Parzany: Dass Sie unterschiedliche Aspekte in der Bibel zu Gegensätzen stilisieren, halte ich für völlig unberechtigt. Wenn ich einen Juwel betrachte, kann ich dies von verschiedenen Seiten tun und erhalte verschiedene Draufsichten. Deshalb handelt es sich doch nicht um unterschiedliche Juwelen! Herr Jörns, Sie reden so hoch von der Auferstehung, aber wenn man genauer hinschaut, bleibt davon nicht mehr viel übrig: Jesu Grab war Ihnen zufolge natürlich nicht leer, sondern Jesus lebt im Geiste weiter. Verzeihen Sie, aber so was lese ich auch ständig in der Esoterik!
Sind wir ohne Gott verdammt?
Parzany: Ich halte es für verantwortungsvoll zu sagen, dass Gott durch den Kreuzestod seines Sohnes die Welt mit sich selbst versöhnt hat. „Darum bitten wir an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott“ (2. Korinther 5,20) – das ist für mich der Kern des Evangeliums. Und Jesus selbst sagt: „Der Menschensohn ist … gekommen, … dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“ (Markus 10,45).
Braucht Gott das Blut seines Sohnes?
Wie ist das Abendmahl zu verstehen?
Parzany: Ich finde es völlig unangemessen, Jesus auf einen Verkündiger der Liebe Gottes zu reduzieren, wie es liberale Theologen immer wieder getan haben. Jesus lehrte Vergebung nicht nur, sondern er allein ist es, der sie uns auch schenken kann! In dieser Frage unterscheiden wir uns sehr! Ich bin Ihnen aber sehr dankbar für Ihre klaren Worte. Dazu kann ich mich leichter verhalten als zu dem Geschwurbel, das ich sonst oft in der Kirche höre. Ihre Untersuchung „Die neuen Gesichter Gottes“ bei Berliner und Brandenburger Pfarrern im Jahr 1992 hat es auf den Tisch gebracht: Nur noch 13 % der Pfarrer vertreten, dass der Tod der Sünde Sold ist, lediglich 52 % sagen, dass Menschen Erlösung von der Sünde brauchen, und nur 74 % glauben an die Auferstehung der Toten.Das Stammpersonal der Kirche trägt die Kernaussagen des Glaubens also nicht mehr mit. Und ich rege mich mit Ihnen darüber auf, dass diese Erkenntnisse in den Kirchenleitungen keine Resonanz finden. Ich meine: Darüber muss diskutiert werden!
Ulrich Parzany
(71) war Generalsekretär des CVJM in
Deutschland und ist
Sprecher der per Satellit übertragenen
Evangelisation „ProChrist“. Von Parzany
erschien 2012 das
Buch „Christ. Glauben. Leben“.
Quelle des Streitgesprächs: http://glaubensreform.de/media/pdf/Streitgespraech-Joerns-Parzany.pdf (idea)
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sinedi's Anmerkung:
Ich habe oben im Header meines Blogs das Motto stehen: "Ich suche nicht - ich finde" ..., das im Ursprung als Zitat wohl Pablo Picasso zuzuschreiben ist.
Auch dieses oben hochgeladene für mich äußerst spannende Streitgepräch habe ich "zufällig" entdeckt - wofür ich sehr dankbar bin.
Ich bekenne, dass mein immersuchender Glaube von den Positionen Prof. Klaus-Peter Jörns am stärksten angesprochen wurde - und das ich auf den Seiten http://klaus-peter-joerns.de/ und http://glaubensreform.de/ sowie http://www.offene-kirche.de/ viele Anregungen fand, die ich nach und nach hier besprechen werde - und die sicherlich die Anstöße zu meinen folgenden "(m)ein-wort-zum-sonntag"-Beiträgen beinhalten können, wenn ich sie denn dazu redaktionell "rechtzeitig" finde ,-)) ...
Wie sollte das Evangelium heute verkündet werden?
Der evangelikale ProChrist-Prediger, Pfarrer Ulrich Parzany (links), und der liberale Theologieprofessor Klaus-Peter Jörns (rechts) im Streitgespräch - Originalfoto: idea / Axel Griesch |
Zwischen liberalen und konservativen Theologen gibt es immer wieder Diskussionen, worauf es im christlichen Glauben eigentlich ankommt. Aus Anlass der größten Evangelisation in Europa – ProChrist – bat idea zwei Experten an einen Tisch: den Theologieprofessor Klaus-Peter Jörns (Berg/Starnberger See) und den Sprecher der Evangelisation „ProChrist“, Pfarrer Ulrich Parzany (Kassel). Das Gespräch moderierte Karsten Huhn.
idea: Herr Jörns, Herr Parzany, wie sollte Jesus Christus heute verkündet werden?
Jörns: Jesus Christus verkünden – das klingt für mich nach einem Markenartikel, den man fix und fertig hat und nun verbreiten will. So verstehe ich unseren Auftrag nicht. In seiner Umgebung ist Jesus zuerst ein Revolutionär gewesen: Er verkündete einen Gott, der uns Menschen bedingungslos liebt. Und er sah die Menschen nicht als böse von Jugend auf an, sondern als Menschen, die es schwer haben, gut zu sein. Wir müssen auf Fragen antworten, die heute dran sind. Das verlangt zum Beispiel ein Update, das Glaube und Evolution verbindet.Parzany: Nach meiner Auffassung ist es die zentrale Aufgabe der Christen, Jesus Christus bekanntzumachen. Inihm gibt sich Gott selbst in seiner leidenschaftlichen, voraussetzungslosen Liebe zu erkennen. Durch Jesus Christus will uns Gott zurückgewinnen und die Trennung zwischen Gott und Mensch überwinden. Jesus ist Mensch geworden, er identifiziert sich mit uns, hat unsere Sünden für uns getragen und gibt uns durch die Auferstehung über den Tod hinaus eine Perspektive für die Ewigkeit.
Jörns: Wenn Sie von „Trennung zwischen Gott und Mensch“ reden, kommt das Menschenbild der „Sündekultur“ hervor, gegen das Jesus gekämpft hat. Es beurteilte den Menschen nach den Forderungen des Gesetzes, die absolut und unerfüllbar sind. Jesus sah die Menschen anders: als „mühselig und beladen“ – gerade wenn sie gut sein wollen. Er half ihnen, das Leben zu ertragen, indem er ihnen die Vollmacht zur Vergebung gab.Parzany: Ihre Kritik an der „Sündekultur“ kann ich nicht nachvollziehen. Gott will mit uns Menschen in einer Beziehung leben, und es ist eine unerhörte Wohltat, dass er uns Menschen liebt und uns nicht aufgibt, selbst dann, wenn Menschen meinen, ohne ihn besser leben zu können. Gott geht es nicht um ein unerbittliches Gesetz, sondern um eine Liebesbeziehung. Diese haben wir Menschen gebrochen – und das ist unser Unheil!
Was hat Jesus wirklich gesagt?
Jörns: Sie reden mit ausgesprochener Lust vom Gericht Gottes und von Verdammnis, und ihr Positivwort lautet dann „Rettung“. Sie konfrontieren den Menschen mit einem Forderungskatalog, an dem schon Jesu Zeitgenossen gelitten haben. Kein Mensch kann aber alle Gebote erfüllen. Deshalb tritt Jesus mit aller Konsequenz auf die Seite der Menschen und sagt: Der Mensch ist nicht für das Gesetz da, sondern das Gesetz ist für die Menschen da, als Gottes Dienst an uns (Markus 2,27).Parzany: Beim Lesen Ihrer Bücher frage ich mich: Woher wissen Sie eigentlich, was Jesus wirklich gesagt hat – nach all den Worten, die Sie von ihm aussortiert haben? Die Evangelien berichten schroffste Gerichtsworte von Jesus, zum Beispiel in Matthäus 10,15: „Sodom und Gomorra wird es am Tag des Gerichts besser ergehen als euch.“ Herr Jörns, Ihr Umgang mit der Bibel scheint mir willkürlich zu sein. Sie suchen sich aus der Bibel den Jesus heraus, der Ihnen passt!
Es gibt keinen Einheitsjesus
Jörns: Nein! Subjektive Wahrnehmung ist keine Schande, sondern dringend notwendig. Die Bibel selbst führt das vor: Denn es gibt vier Evangelien und nicht nur eins, also keinen Einheitsjesus. Die Evangelien spiegeln unterschiedliche religiöse Herkünfte und Lebensbezüge der Evangelisten. Die Distanz zwischen Markus und Johannes ist riesengroß – es sind fast zwei Religionen, wenn man genau hinschaut. Ich sortiere keine Bibelverse aus. Was ich von Jesus zitiere, ist eine Schnittmenge: Wir haben ungefähre Konturen seiner Botschaft. Aber historische Kritik heißt, auch Jesus kritisch zu rezipieren. Er hat doch auch dazugelernt, so dass er die alte Grenze zwischen Juden und anderen überwinden konnte: Die Syrophönizierin, die er lieblos abgewiesen hatte, hat schließlich ihn überwunden! (Matthäus 15)Wie ist die Auferstehung zu verstehen?
Parzany: Dass Sie unterschiedliche Aspekte in der Bibel zu Gegensätzen stilisieren, halte ich für völlig unberechtigt. Wenn ich einen Juwel betrachte, kann ich dies von verschiedenen Seiten tun und erhalte verschiedene Draufsichten. Deshalb handelt es sich doch nicht um unterschiedliche Juwelen! Herr Jörns, Sie reden so hoch von der Auferstehung, aber wenn man genauer hinschaut, bleibt davon nicht mehr viel übrig: Jesu Grab war Ihnen zufolge natürlich nicht leer, sondern Jesus lebt im Geiste weiter. Verzeihen Sie, aber so was lese ich auch ständig in der Esoterik!
Jörns: Ich und Esoterik! Wenn ich von Gott rede, möchte ich, dass das mit der realen Welt zu tun hat, in der ich lebe. Ich akzeptiere keine Sonderwirklichkeit für den Glauben, in der aus mythischen Bildwörtern wie Himmelfahrt physikalische und biologische Realien werden. Ich muss biblische Einsichten mit dem verbinden können, was ich sonst vom Leben weiß. Die bei Ihnen übliche Vermaledeiung des Zeitgeistes ist bildungsfeindlich – und das lehne ich ab. Herr Parzany, Sie gehen von einer Schöpfungsvorstellung aus, die von anno Tobak stammt …Parzany: … nein, das tue ich nicht…
Jörns: … und ich bemühe mich, eine zeitgemäße Vorstellung von Gott und der Schöpfung zu finden. Ich glaube: Gott ist Geist (Johannes 4,24). Er ist vom Urknall an die Potenz, aus der sich alles Leben über das Heute hinaus entfaltet. Schöpfung ist ein offener Prozess. Das ist kompatibel zu anderen Wissenschaften.Parzany: Ich teile mit Ihnen den Wunsch, dass Gott und Glauben mit dieser Welt zu tun haben und wir den Dialog zu den Wissenschaften pflegen. Ich möchte den Glauben nicht in eine isolierte Zone abschieben …
Jörns: … was Sie machen, ist aber wissenschaftsfeindlich!Parzany: Wieso?
Jörns:Das, was man heute wissen kann und wissen muss, ist mit Ihrer Theologie nicht zu verbinden.Parzany: Der entscheidende Punkt, der uns trennt: Ich glaube nicht, dass wir über Gott etwas Zutreffendes aussagen können, wenn er sich uns nicht offenbart. Sie gehen dagegen davon aus, dass es nur eine Wahrnehmungsgeschichte der Religionen gibt. Wenn ich dem folgen würde, wäre ich Agnostiker: Wir können von Gott nichts Genaues wissen. Die Religionskritiker des 19. Jahrhunderts waren konsequenter, als Sie es sind. Ich würde lieber als Agnostiker leben als mit Ihrer Selbstkonstruktion.
Sind wir ohne Gott verdammt?
Jörns: Sie verstehen nicht: Wahrnehmen kann man nur, was einem begegnet! Schlimm ist: Sie machen gezielt Angst vor der Verdammnis! Sie schreiben: „Es fehlt der Predigt die Angst, dass Hörer und Prediger in die Hölle kommen.“Parzany: Pfarrer brauchen die Sorge, dass es um Tod und Leben in Zeit und Ewigkeit geht – die Bibel gebraucht dafür den Ausdruck „Rettung“. Denn an der Frage, wie wir zu Gott stehen, entscheidet sich unsere Existenz. Sind wir mit Gott verbunden, wird das Leben gelingen. Sind wir es nicht, werden wir scheitern.
Jörns:Warum machen Sie Angst?Parzany: Angst ist ein Engegefühl in lebensgefährlichen Situationen. Das ist nicht unmoralisch, sondern ganz natürlich. Als Vater habe ich doch auch Angst, wenn meine Kinder in Gefahr sind. Und es ist nun mal so: Ohne Gott ist der Mensch verloren.
Jörns: Kein Mensch oder Tier sind je ohne Gott. Sie predigen, dass Jesus am Kreuz „das Gericht, das wir verdient haben, trägt“. Da kann ich nur sagen: Die meisten Menschen auf der Erde erleben bereits die Hölle von Hunger, Krieg, Rassen- und Glaubensdünkel. Ja, wir müssen gerettet werden – und zwar vor solcher Höllenpredigt!Parzany: Sie vertreten eine Opiumreligion vom netten Gott .
Jörns: Nein. Ich nehme die Seligpreisungen und den Heilandsruf Jesu ernst: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken“ (Matthäus 11,28). Jesus kümmerte sich um die „Religionsgeschädigten“, die von Angst- und Gerichtspredigern produziert werden. Ich halte es für einen Missbrauch der Seelen von Menschen, wenn Sie ihnen heute noch sagen, dass sie den Tod, den Jesus erlitten hat, eigentlich selbst verdient hätten. Und wer „den lieben Gott“ verhöhnt, begreift nicht, dass „lieben“ im Deutschen auch „leiden können“ heißt.Was hat Jesu Tod zu bedeuten?
Parzany: Ich halte es für verantwortungsvoll zu sagen, dass Gott durch den Kreuzestod seines Sohnes die Welt mit sich selbst versöhnt hat. „Darum bitten wir an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott“ (2. Korinther 5,20) – das ist für mich der Kern des Evangeliums. Und Jesus selbst sagt: „Der Menschensohn ist … gekommen, … dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“ (Markus 10,45).
Jörns: Dass diese Rede vom „Lösegeld“ schon Theologie ist, merkt doch jedes Kind. Sie ist angehängt worden an Jesu Aussage „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“.Parzany: Ich wundere mich über solche Spekulationen. Woher wollen Sie wissen, was damals vermeintlich gedacht wurde? Nach diesen Prinzipien könnte ich auch „Der Mai ist gekommen“ analysieren und wer weiß was draus machen. Das ist doch Willkür!
Jörns: Nein! Jeder lernt im Theologiestudium, dass Jesus „nur“ gepredigt, aber nichts geschrieben hat. Die Evangelien sind Glaubenszeugnisse, die seine Botschaft mitentwickelt haben. Fast jeder Jesus-Satz enthält auch die Theologie derer, die von ihm geschrieben haben. Beides zu trennen ist eine Hilfe, Jesus zu verstehen. Im Übrigen: Hätte Jesus den Lösegeld-Satz gesagt, hätte er hier noch das alte Gottesbild transportiert. Aber das passte nicht zu seiner vertrauensvollen Anrede „Abba“ im Vaterunser: Gott vergibt ohne jede Vorleistung, ohne blutige Sühne, allein aus seiner Liebe. Herr Parzany, Sie machen es dagegen wie Paulus, der die bedingungslose Liebe Gottes wieder zu etwas vom Blut Jesu Abhängigen machte.Parzany: Das halte ich für völlig verfehlt! Wir dürfen das Leben Jesu niemals von seinem Leiden, Sterben und Auferstehen trennen. Jesus ist keine Salami, die man sich scheibchenweise zurechtschneiden kann. Die bedingungslose Liebe Gottes erweist sich doch im Sterben von Jesus, so sagt es der Apostel Paulus im Brief an die Römer.
Braucht Gott das Blut seines Sohnes?
Jörns: „Durch sein Blut sind wir gerettet vor Gottes Zorn“, heißt es in Römer 5,9. Also redet Paulus von der Ursache und Bedingung für unsere Rettung. Es wäre schlimm, wenn das so wäre! Das würde bedeuten, dass Gott seine Liebe dadurch ausdrückte, dass er den unschuldigen Jesus ans Kreuz – in diesen grauenvollen Tod – hineinschickte. Das kann ich nicht akzeptieren! Paulus konnte so denken, weil er als pharisäischer Theologe die Opferpraxis des Tempelkultes gewöhnt war. Das ist 2.000 Jahre her und nicht mehr unsere Welt.Parzany: Gott brauchte den Tod seines Sohnes nicht, sondern wir brauchen ihn. „In Christus versöhnte Gott die Welt mit sich selbst“, heißt es in 2. Korinther 5,19. Der Kreuzestod Jesu lässt sich nur begreifen, wenn wir das Geheimnis der Dreieinigkeit Gottes berücksichtigen: Gott selbst war in Christus und starb für uns.
Jörns:Ich brauche diesen Tod nicht.Parzany: Dann machen Sie das mit Gott aus. Ich brauche diesen Tod! Ich nenne Ihnen eine Analogie: Jeder Vater, jede Mutter wäre bereit, das eigene Leben zu geben, wenn dadurch der Tod des eigenen Kindes vermieden werden könnte.
Jörns: Ein gefährlicher Vergleich! Sie brauchen doch nicht den Tod Ihrer Angehörigen!Parzany: Nein, auch die Liebe des Menschen zeigt sich in der Hingabe des eigenen Lebens für den anderen. Wir würden uns gerne mit dem geliebten Angehörigen identifizieren – nicht wegen irgendwelcher Gesetze, sondern aus Liebe. Wir können es letztlich nicht – das ist unsere Ohnmacht, und an dieser Stelle findet der Vergleich seine Grenze. Aber er ist eine Brücke, um Jesu Kreuzestod zu begreifen. Er ist kein kultisches Opfer, kein blutrünstiges Geschäft, sondern Gottes Geschenk an uns.
Wie ist das Abendmahl zu verstehen?
Jörns: Dass der Kreuzestod als Sühne gedeutet worden ist, verdanken wir einer kultisch orientierten Theologie. Menschenopfer und später Tieropfer waren in der Antike überall üblich. „Ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung“ (Hebräer 9,22) – glaubte man. Dieser Sühnegedanke findet sich bei Paulus oft, etwa in Römer 3,25: „Ihn – Jesus – hat Gott zu einem Sühnopfer gemacht in seinem Blut.“ Dieser Gedanke wurde im ersten Jahrhundert von Juden verbreitet, die das Blut der Märtyrer als Sühnemittel und Bundesblut (2. Mose 24,8) verstanden. Er steckt in dem „für uns gestorben“ bei Paulus. Dieses Denken hatte Jesus aber nicht geteilt. Er hat die Vergebung im Vaterunser vom Blutvergießen und Kult abgekoppelt. Den neuen Weg weisen die Seligpreisungen, weist die Bergpredigt: weg vom Blut, weg von dieser elenden Logik, dass ein Unrecht mit dem nächsten Unrecht ausgeglichen werden soll. Unglücklicherweise hat Paulus das nicht übernommen. Er hat die ganze Jesus-Predigt ausgeblendet.Parzany: Was Sie vertreten, halte ich für ein Zerrbild. Was in der Bibel nicht in Ihr Weltbild passt, lassen Sie weg, etwa Jesu Einsetzungsworte beim Abendmahl: „Das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden“ (Matthäus 26,28).
Jörns: Jesus hat in seiner Botschaft das Wort „Bund“ nie verwendet. Die Abendmahlsworte sind frühkirchlich.Parzany: Und das wissen Sie so genau, obwohl diese Aussage in den Evangelien von Matthäus, Lukas und Markus steht?
Jörns: Dass Jesus in den letzten Stunden seines Lebens noch eine Bundesmahltheologie geschaffen habe, finden Sie nirgends in der wissenschaftlichen Exegese. Diese Theologie ist frühkirchlich.Gibt es zwei neue Konfessionen?
Parzany: Ich finde es völlig unangemessen, Jesus auf einen Verkündiger der Liebe Gottes zu reduzieren, wie es liberale Theologen immer wieder getan haben. Jesus lehrte Vergebung nicht nur, sondern er allein ist es, der sie uns auch schenken kann! In dieser Frage unterscheiden wir uns sehr! Ich bin Ihnen aber sehr dankbar für Ihre klaren Worte. Dazu kann ich mich leichter verhalten als zu dem Geschwurbel, das ich sonst oft in der Kirche höre. Ihre Untersuchung „Die neuen Gesichter Gottes“ bei Berliner und Brandenburger Pfarrern im Jahr 1992 hat es auf den Tisch gebracht: Nur noch 13 % der Pfarrer vertreten, dass der Tod der Sünde Sold ist, lediglich 52 % sagen, dass Menschen Erlösung von der Sünde brauchen, und nur 74 % glauben an die Auferstehung der Toten.Das Stammpersonal der Kirche trägt die Kernaussagen des Glaubens also nicht mehr mit. Und ich rege mich mit Ihnen darüber auf, dass diese Erkenntnisse in den Kirchenleitungen keine Resonanz finden. Ich meine: Darüber muss diskutiert werden!
Jörns: Ja, aber im Sinn einer Glaubensreform! Ich denke, dann wird aufgedeckt, dass es längst zwei neue Konfessionen gibt, quer durch die bestehenden hindurch: eine biblizistische und eine aufgeklärte. Das gilt es zu akzeptieren.idea: Vielen Dank für das Gespräch!
Ulrich Parzany
(71) war Generalsekretär des CVJM in
Deutschland und ist
Sprecher der per Satellit übertragenen
Evangelisation „ProChrist“. Von Parzany
erschien 2012 das
Buch „Christ. Glauben. Leben“.
(73) ist emeritierter
Professor für Praktische Theologie. 2012
erschien von ihm das
Buch „Update für den
Glauben. Denken und
leben können, was
man glaubt“. Jörns
ist Mitbegründer der
„Gesellschaft für eine
Glaubensreform“.
Quelle des Streitgesprächs: http://glaubensreform.de/media/pdf/Streitgespraech-Joerns-Parzany.pdf (idea)
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sinedi's Anmerkung:
Ich habe oben im Header meines Blogs das Motto stehen: "Ich suche nicht - ich finde" ..., das im Ursprung als Zitat wohl Pablo Picasso zuzuschreiben ist.
Auch dieses oben hochgeladene für mich äußerst spannende Streitgepräch habe ich "zufällig" entdeckt - wofür ich sehr dankbar bin.
Ich bekenne, dass mein immersuchender Glaube von den Positionen Prof. Klaus-Peter Jörns am stärksten angesprochen wurde - und das ich auf den Seiten http://klaus-peter-joerns.de/ und http://glaubensreform.de/ sowie http://www.offene-kirche.de/ viele Anregungen fand, die ich nach und nach hier besprechen werde - und die sicherlich die Anstöße zu meinen folgenden "(m)ein-wort-zum-sonntag"-Beiträgen beinhalten können, wenn ich sie denn dazu redaktionell "rechtzeitig" finde ,-)) ...