Quantcast
Channel: nunc|hic
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2576

Wenn Christsein Geborgenheit ist. - 95 Thesen zum Glauben heute aus der ZEIT

$
0
0







DIE ZEIT No. 45 | GLAUBEN & ZWEIFELN | S. 51:

Was ist heute christlich?

Im Oktober 1517 schlug Martin Luther 95 Thesen ans Kirchenportal in Wittenberg. Zum Reformationsjahr baten wir 95 Autoren um ihre Antwort auf die Frage, was für sie der Kern des Glaubens sei. Hier drucken wir, was Theologen und Politiker, Dichter und Kabarettisten, Wirtschaftsbosse und Journalisten sagen


nach einem foto von jörg gläscher aus seiner serie "lutherland" ... - Quelle: DIE ZEIT | S!|art

     

Kirche und Politik sollten mehr auf Luther hören: den Leuten aufs Maul schauen und deutsch mit ihnen reden!

Markus Söder, CSU, bayerischer Finanzminister 


Christ sein heißt frei sein, großzügig sein und voller Hoffnung. Christen sind Brückenbauer und keine Brückenwächter. Die zentrale Botschaft des neuen Testaments heißt: »Fürchtet euch nicht«, und deshalb glauben Christen fest daran, dass das Beste noch kommt. Christ sein heißt auch, manchmal fünfe gerade sein zu lassen. Ein prima Christ ist Franziskus, schade, dass er kein Protestant ist.

Harald Lesch, Astrophysiker 


Der Schatz der Kirche sind nicht die Kirchensteuerzahler, sondern die, die von Herzen geben.

Gerhard Polt, Kabarettist 


Christlich sein heißt das Doppelgebot der Liebe ernst nehmen, das Jesus uns mit auf den Weg gegeben hat: Gott und den Nächsten lieben. Beides kann nie auseinandergerissen werden. Nächstenliebe ohne Gottesbeziehung würde uns abschneiden von den Kraftquellen, aus denen wir leben. Gottesdienst ohne Nächstenliebe wäre bloßer Kult. Radikale Liebe zu Christus heißt radikale Liebe zur Welt. Es heißt öffentliche Einmischung da, wo die Schwachen ignoriert oder mit Füßen getreten werden. Wer fromm ist, muss auch politisch sein. Christlich sein heute, das bedeutet, aus der Zuversicht zu leben. Fest darauf zu vertrauen, dass Gewalt und Unrecht nicht das letzte Wort haben. 

Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)


Als kleiner Junge fand ich Glauben toll. Ich ging in die Kirche und hörte den Satz: »Wenn ihr nicht umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.« Super, dachte ich, ich bin ein Kind, ich komme ins Himmelreich. Heute ist der Glaube die Basis meines Lebens. Am schönsten, wenn ich das kindliche Urvertrauen spüre. Wenn Christsein Geborgensein ist.

Kilian Trotier, Redakteur ZEIT:Hamburg 


Die große Zeit des Christentums liegt nicht hinter uns. Sie liegt noch vor uns. Das Evangelium ist für Deutschland und Europa noch lange nicht »ausgereizt«.

Reinhard Marx, Kardinal, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK)


Christlich ist, sich nie über einen anderen Menschen zu erheben. Und christlich ist es, nie jemandes Stiefel zu lecken. Deshalb: Nie herrisch sein und nie hündisch!

Matthias Naß, Internationaler Korrespondent der ZEIT


Luther macht die Bibel zum Maßstab. Dort sagt Jesus: »Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen.«Wer Fremde beherbergt, sich der Menschen auf der Flucht erbarmt, steht in der Nachfolge Jesu von Nazareth. Nicht Pegida verteidigt das vermeintlich christliche Abendland, sondern Menschen in all den Gemeinden, die für Geflüchtete einstehen, verteidigen christliche Werte!

Margot Käßmann, Reformationsbotschafterin 


Christsein in dieser friedlosen Welt heißt: Sagen, was ist, damit es nicht so bleibt.

Thomas Schiller, Chefredakteur epd 

10 

Ich denke, Luthers »Christenmensch« sollte frisch, fromm, fröhlich, frei sein. Frisch: Die Begegnung mit ihm erfrischt. Fromm: Man merkt, dass ihn der Glaube trägt. Fröhlich: Er strahlt die Leichtigkeit der Erlösten aus. Frei: Er ist offen gegenüber allen Menschen.

Joachim Zirkler, Pfarrer, Lutherischer Weltbund 

11 

Auch wir Muslime brauchen eine Reform(ation). Luther und den Islam verbindet die Einsicht, dass keine vermittelnde Instanz zwischen Gott und Mensch nötig ist. Allahs Barmherzigkeit ist grenzenlos. Mit dieser Einsicht beginnt die Freiheit. Wir brauchen muslimische »Luthers«!

Abdel-Hakim Ourghi, Professor für Religionspädagogik 

12 

Christlich bedeutet heute, auch als Protestant Luther gegenüber kritisch zu sein. Er schuf eine der bedeutendsten Bibelübersetzungen der Welt, aber ließ (in folgenschweren religiösen Vorurteilen gefangen) dem Volk der Bibel keine Gerechtigkeit widerfahren.

Salomon Korn, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main

13 

»Wir nehmen auch Muslime!« Leider muss man das noch einmal sagen. Zwar boten die Deutschen im vergangenen Jahr Hunderttausenden bedrängten Mitmenschen Schutz. Doch: »Wir nehmen nur Christen«, tönten selbst ernannte Bewahrer unseres christlichen Abendlandes. Wie hohl und kalt wären unsere stolzen Kathedralen ohne Mitgefühl. Unser christliches Bekenntnis wäre seit 2000 Jahren vergessen, hätte Jesus in der Kernfrage der Barmherzigkeit Unterschiede akzeptiert.

Ursula von der Leyen, Verteidigungsministerin 

14 

Christlich ist, was Christus entspricht. Also muss er unser Maßstab, Fundament und Quelle sein. Da sind wir uns einig. Vor ihm sehen wir zwar beide, die Katholischen wie die Evangelischen, schlecht aus. Doch etwas Besseres als Jesus Christus gibt es nicht. Luther hat zu Recht gesagt: Es gilt, »was Christum treibet«. Ließen wir uns ganz von ihm treiben, wären wir längst eins. Nach 500 Jahren ist es darum höchste Zeit, ganz zu werden, was wir sind: Christen.

Walter Kasper, emeritierter Kurienkardinal 

15 

Das größte Problem, das ich heute mit meiner Kirche habe, ist, dass sie mir nicht dabei hilft, zu glauben. Nur Menschen, die begnadet sein müssen oder sehr naiv, schaffen es als Erwachsene, weiter ungebrochen am Glauben festzuhalten. Die Regel sind doch eher der bohrende Zweifel und lange Phasen der Abgewandtheit, in denen man sich nicht mehr aufgehoben fühlt bei seinem Gott. Die ernüchternden Erkenntnisse der Wissenschaftler, auch der Historiker, über Jesus und seine Zeit tun ihr Übriges. Wir gehen in die Kirche und halten schon die Tatsache, dass wir dort nicht alleine sind und den Rahmen der Liturgie haben, für eine Bestätigung, dass es da irgendwo etwas geben muss. Ich wünschte mir, dass man mit den Zweifeln nicht allein gelassen wird. Aber es kommt mir manchmal so vor, als ob das die Frage ist, die Christen heute am meisten verdrängen: »Bist du eigentlich sicher, dass du glaubst?«

Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT 

16 

Die Kirche, vollgestopft mit Barockengeln. Der Altarraum, vollgestopft mit Kommunionskindern. Mittendrin ein Pfarrer namens Heil – schönes Detail. Mit einer Pranke Köpfchen tätschelnd, mit der anderen Hostien verteilend. Da piepst es: »Bisschen trocken. Gibt’s die auch mit Marmelade?« Die Kinder kichern, der Pfarrer wütet. Ich finde meinen Spruch bis heute gut. Das Christentum? Viel Glaube. Wenig Humor.

Rudi Novotny, ZEIT-Redakteur, Chancen 

17 

Der Kern des Christentums besteht in der Gewissheit, dass Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, in seinem Sohn Jesus Christus Gestalt angenommen hat und als Mensch geboren wurde; dass also der Schöpfer zu seinem eigenen Geschöpf geworden ist, um die für die Menschenseele tödliche, von Adam ererbte Sünde auszulöschen und jedem einzelnen Menschen die Möglichkeit einer Rückkehr zu der diesem von Beginn an zugedachten Gottebenbildlichkeit zu eröffnen.

Martin Mosebach, Schriftsteller

Bildquelle: DIE ZEIT






















18 

Ich bin froh, dass vor uns nicht mehr die Trennung der Kirche liegt wie 1517. Wir Christen sind auf dem Weg zur Einheit. Sie hat bereits begonnen. Papst Franziskus, der wie Luther vom Vertrauen auf Jesus Christus erfüllt ist, macht mir als evangelischem Pfarrer Mut. 

Jens-Martin Kruse, evangelischer Pfarrer in Rom 

19 

Eine gemeinsame Wallfahrt der katholischen und evangelischen Bischöfe ins Heilige Land hat ein Zeichen gesetzt. Wir christlichen Kirchen brauchen nicht den Eigensinn und die Rechthaberei, mit denen wir den Menschen den Blick auf Gottes Größe und Barmherzigkeit verstellen. Die Kirche ist ökumenisch, oder sie ist nicht Kirche!

Hans-Jochen Jaschke, Weihbischof 

20 

Ich habe bei der Konfrontation mit Menschen, die hassen, begriffen: Christlich ist, sich dem Hass zu stellen, gerade auch dem, der sich gegen einen selbst richtet. Und sich dabei nicht vom Hass anstecken zu lassen. 

Klaus Mertes, Jesuit, Schulleiter 

21 

Christentum ist keine Seelenwellness. Paulus erklärt, dass Gott gleich einem Töpfer das Recht habe, aus seinem Ton – sprich: uns – zu machen, was er will: Tafelgeschirr oder Nachtgeschirr. Welch krasse Beleidigung menschlicher Autonomie und Würde! Doch nur solch krasses Christentum kann uns Selbstgefälligen Stachel im Fleische sein. Honig schmiert uns der Zeitgeist schon genug ums Maul.

Thea Dorn, Schriftstellerin 

22 

Als ehemaliger Christ, heute Atheist, kenne ich das Spektrum des Glaubens. Was christlich ist, ist relativ. Homophobie (1. Kor. 6, 9; Tim. 1,9), Sexismus (1. Kor. 14, 34) und die Ausgrenzung Andersdenkender (Mat. 10, 35) sind fundamentale christliche Werte. Ich wünsche mir ein Christentum, das sich von seinen Ursprüngen emanzipiert.

Misha Vérollet war Zeuge Jehovas und schrieb das Buch »Goodbye, Jehova!«

23 

Eine Gesellschaft, die mit ihren kulturellen, auch religiös begründeten Traditionen ihre eigene Identität pflegt, kann dem Fremden Raum geben, ohne sich bedroht zu fühlen. Wir sollten deshalb den Mut haben, uns auch unter Andersdenkenden selbstbewusst zu christlichen Werten zu bekennen.

Monika Grütters, Kulturstaatsministerin 

24 

Jesus Christus sagte seinen Nachfolgern zu: »Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.« Das Christentum braucht gerade heute die weltweite und konfessionsüberschreitende Gemeinschaft der Kirchen. Leider gibt es noch krampfhaftes Bemühen um konfessionelle Abgrenzung. Luther hat in vier großen soli-Sätzen gesagt, wodurch wir erlöst sind: solus christus, sola gratia, sola scriptura, sola fide. Ich möchte ein aktuelles solus hinzufügen: solus communis, »allein in Gemeinschaft«. Nur in Gemeinschaft mit Christus gründet sich Kirche, und nur so können wir das Christentum leben. 

Nikolaus Schneider war Ratsvorsitzender der EKD 

25 

Egal, wo ich in meinem Leben hingekommen bin (neue Stadt, neues Land, anderer Kontinent), in christlichen Gemeinden habe ich mich immer sofort zu Hause gefühlt. Christlicher Glaube ist für mich, Heimat in der ganzen Welt zu finden. 

Sarah Schaschek, Redakteurin ZEIT LEO 

26 

Reformation heißt Transformation: Umkehr vom herrschenden Optimierungswahn mit seinen ausbeuterischen Kehrseiten, hin zu einem menschlichen Maß. Das bedeutet: Ja zu Grenzen, zu Fehlern, zu Genügsamkeit; Ja zu Gott, der mich freundlich von Selbstvergötterung befreit.

Ilse Junkermann, evangelische Landesbischöfin in Mitteldeutschland

27 

Christen sollten lernen, wie inspirierend Pfingsten ist, in vielen Sprachen reden, verstehen, Brücken bauen. Sie erkennen dann auch, dass das Christentum ungeeignet ist für jede Form der Abschottung und dass sie sich nur fürchten müssen, wenn sie nicht mehr das leben, wovon sie überzeugt sind; nicht mehr sagen, was ihnen heilig ist; und als Christen nicht zueinander finden.

Annette Schavan, deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl

28 

Und meine ungläubigen Lippen beten voller Inbrunst / Zu Mensch, dem Gott all meiner Gläubigkeit.« Mein lebenslängliches Credo, so singe ich es im Großen Gesang. Menschen, an die einer wie ich glaubt, sind wunderbar verschieden. Aber gleich sind sie auch. Jedoch nur in ihrer Gleichheit vor dem Gesetz. Juden und Christen haben diese Egalität mit den Zehn Geboten festgeschrieben. Das garantiert eine lebendige Demokratie.

Wolf Biermann, Liedermacher 

29 

Das Reformationsgedenkjahr hilft uns, das Christentum im Land zu stärken. Wir feiern dieses Jubiläum anders: Früher neigten wir zur Abgrenzung voneinander und damit zu einer überhöhten Selbsteinschätzung. Jetzt sind auch wir Katholiken mit eingeladen, können vieles sogar mitgestalten. Wir Christen haben den Mut, unser Versagen einzugestehen. Dies darf nicht zu einer neuen Selbstgefälligkeit führen. Wir brauchen in dieser zerschundenen Welt Offenheit, um tiefe Wunden zu heilen, vor allem durch Aufrichtigkeit, Solidarität und Barmherzigkeit. 

Karl Lehmann, Kardinal 

30 

»Ein rechter Christ sei, so Martin Luther, ›fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen‹ – wunderbar! Und das möglichst ohne Teufelsangst, Grobianismus und antirömischen Affekt.«

Johannes zu Eltz, Stadtdekan in Frankfurt am Main 

31 

»Sind die auch christlich?«, fragen meine Kinder mich, wenn sie im Alltag Menschen treffen, die schon mal im Gottesdienst waren. Im säkularisierten Osten Deutschlands ist Christlichsein nicht selbstverständlich. Und man erkennt Christen deutlicher: an ihrem Engagement und weil sie jederzeit auskunftsfähig sein müssen über den eigenen Glauben. 

Kathrin Oxen leitet das Zentrum für Predigtkultur in Wittenberg

32 

Das Luther-Jahr führt uns zur kritischen Selbstbefragung: Wie hältst du’s mit dem kulturellen Erbe der Reformation? Mit dem Glauben? Und auch: mit dem Nachbarn, dem Fremden? Ich hoffe, dass wir im anderen zuallererst den Menschen sehen. Und dass in den zu uns kommenden Muslimen vor allem der gläubige und friedliche Zeitgenosse gefunden werden kann.

Bodo Ramelow, Ministerpräsident, Thüringen 

33 

Christlich ist es, der altruistischen Seite eine Chance zu geben. Wir alle tragen sie in uns, doch viele gestehen sich das nicht ein, begrenzen das Kümmern auf Familie oder Freunde. Doch das Wohl des anderen zu verfolgen ist ein menschlicher Ansporn, genau wie Egoismus und Konkurrenzstreben. Wir sollten ihn zulassen, entwickeln, ausbauen.

Uwe Jean Heuser, ZEIT-Ressortleiter Wirtschaft 

34 

Fliehende an den Grenzen, Armutsexplosionen, politische Schwelbrände – jeden Tag ist zu sehen, was und wer barmherzig ist. Seinen Reichtum teilen, also christlich leben – es ist offensichtlich, dass man dazu nicht Christ sein muss. Es reicht schon, wie Buddha und Gandhi zeigten, ein uneitler, anständiger und mutiger Mensch zu sein.

Susanne Mayer, Kulturreporterin der ZEIT 

35 

Für mich als Katholik ist Luther heute kein Gegner. In einem hatte er auf jeden Fall recht: Die Kirche muss die Sprache des Volkes sprechen. Dann wird die Botschaft des Evangeliums auch verstanden. Ihm ging es um den Glauben, nicht um Befindlichkeiten. Luther war übrigens Katholik.

Jens Spahn, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium 

36 

Das Christentum ist die Religion der Nächstenliebe. Eine Gesellschaft, die in erster Linie auf Eigenliebe und Egoismus setzt, in der Reichtum ebenso erblich ist wie Armut, in der die profitabelsten Konzerne die niedrigsten Steuern zahlen, während viele Menschen trotz harter Arbeit nicht mehr zu wirklichem Wohlstand gelangen, ist nicht nur ungerecht, sondern auch unchristlich. Sie muss verändert werden.

Sahra Wagenknecht, Oppositionsführerin Die Linke 

37 

Der Finsternis das vorletzte Wort lassen.

Elisabeth von Thadden, ZEIT-Redakteurin im Feuilleton 

38 

Vertrauen, Hoffnung und Gelassenheit sind Geschenke des christlichen Glaubens: das Vertrauen darauf, dass das Leben einen Sinn hat, die Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, und schließlich die Gelassenheit, weil wir »nie tiefer fallen können als in Gottes Hand«.

Reiner Haseloff, Ministerpräsident, Sachsen-Anhalt 

39 

Die Kirche Christi verbindet Zeit und Ewigkeit. Deshalb steht der Glaube an das ewige Leben seit mehr als 1500 Jahren am Ende des Credos aller Christen. Und der Glaube an Gott, den Schöpfer, am Anfang. Ohne diese beiden Glaubenssätze könnte das Schifflein Christi wohl kaum das Meer des dritten Jahrtausends durchqueren.

Ludwig Ring-Eifel, Chefredakteur der KNA 

40 

Um 3.45 Uhr aufstehen! Von seinem Glück nichts abgeben, Populismus mit Populismus bekämpfen, Menschen nach Hautfarbe, Religion, Sexualität beurteilen, den Untergang des Abendlandes propagieren und dabei die Nächstenliebe mit Füßen treten, Arm gegen Ärmer ausspielen – all das ist unchristlich. Sorry, wie war noch mal die Frage? Ach so. Fakten umdrehen, bis sie einem in den Kram passen, ist auch nicht christlich.

Dunja Hayali, Fernsehmoderatorin 

41 

Christlich, zutiefst christlich ist, auf eine Selbstrettung des Menschen, auch eine Rettung der Welt durch den Menschen nicht zu setzen. Ohne die Gnade Gottes geht gar nichts, selbst der Glaube ist eine Gnade. Die Autonomie des Menschen wird radikal begrenzt. Unchristlich ist der Gedanke der Machbarkeit. Für die Moderne und ihr Fortschrittsvertrauen muss wahres Christentum ein Ärgernis sein und bleiben.

Jens Jessen, ZEIT-Redakteur im Feuilleton 

42 

Mit 20 Jahren bin ich aus der Kirche ausgetreten. Meinem Vater, der Pfarrer war, habe ich das nie gesagt. Meine Werte konnte ich mit dem Wort christlich, das Parteien für sich vereinnahmen, nicht mehr in Einklang bringen. Christlich heißt für mich einfach: nicht hassen. Jetzt, da mein Vater nicht mehr da ist, bin ich sicher, er hätte mich verstanden.

Peter Lohmeyer, Schauspieler 

43 

Christlich ist die Friedensbotschaft Jesu und das oberste Gebot: Du sollst nicht töten – wider alle Ideologie vom gerechten Krieg. Christlich ist Luthers Mahnung: »Man lasse die geyster auff eynander platzen vnd treffen. Aber die faust halltet stille.«

Christoph Dieckmann, Reporter der ZEIT 

44 

Christ zu sein bedeutet für mich, an Gott zu glauben, an die Auferstehung und an die versöhnende Botschaft des Neuen Testaments, verkörpert durch Jesus Christus. In der Welt von heute bedeutet Christ sein für mich auch, in die Welt zu gehen, in der Welt zu bestehen und in der Welt zu handeln – in Verantwortung und Demut vor Gott.

Thomas de Maizière, Bundesinnenminister 

45 

Tue Gutes – aber überlege erst, wie das, was du zu tun beabsichtigst, tatsächlich wirkt, damit die gute Absicht keine bösen Konsequenzen hat.

Hans-Werner Sinn, Ökonom 

46 

Als evangelischer Kantor der Dresdner Frauenkirche bin ich von der verbindenden Kraft der Musica Sacra überzeugt. Unser Chor tritt in Dresden nicht nur vor Christen auf. Und wir waren als Botschafter der Versöhnung auch schon beim Papst in Rom. Verbunden sind wir alle durch den Einen. 

Matthias Grünert, Kantor, Frauenkirche Dresden 

47 

Ein Menschenrecht auf ein Geheimnis, auf einen Raum des unerschütterlichen Vertrauens. Dafür sollen Christen sich einsetzen und die Kirchen, die seit Jahrhunderten diesen Raum hüten. Das Wort »Transparenz« in der digitalen Gesellschaft hat für politische Institutionen zu gelten – nicht für den einzelnen, zunehmend gläsernen Menschen.

Johanna Haberer, Professorin für Theologie 

48 

Ich bin in Sorge, dass wir mit der Digitalisierung die politische Steuerung der Gesellschaft verlieren. Andererseits hoffe ich, dass wir Christen eine Zukunftsoption sind. Die Zukunft erfordert, dass sich jede Glaubensüberzeugung oder Weltanschauung in den Dienst der gesamten Menschheit stellt. Davon sind wir leider sehr weit entfernt.

Dieter Althaus, Ministerpräsident a. D. 

49 

Christlicher Glaube befreit aus selbst verschuldeter Unmündigkeit. Er ist das Fenster der Vernunft. Wer es öffnet, atmet den Geist der Freiheit. Zynismus hat keinen Platz.

Christian Wolff, evangelischer Pfarrer in Leipzig 

50 

Der von Luther verordnete Selbstzweifel macht vielleicht nicht immer rasend glücklich. Aber wer mit Bomben und Macheten hantiert, um diesen Selbstzweifel in Schach zu halten, blutet schneller aus.

Mariam Lau, ZEIT-Redakteurin Hauptstadtbüro 

51 

Christsein heißt contemplatio in actione. Die Unterscheidung der Geister im Durcheinander dieser Welt praktizieren; Gott suchen und finden in allen Dingen; sich voll und ganz einsetzen, weil Gott uns hält.

Hans Zollner, Jesuit 

52 

Mich interessieren Zusammenhänge zwischen Religion und politischer Ordnung. Zum Beispiel fällt ins Auge, dass auf dem Index wahrgenommener Korruption, den Transparency International jährlich veröffentlicht, die Integritäts-Spitzenplätze kontinuierlich von protestantisch geprägten Ländern besetzt sind.

Gertrude Lübbe-Wolf, Bundesverfassungsrichterin a. D. 

53 

Christ sein heißt, im Leben und Sterben seine Hoffnung auf Christus zu setzen. In diesem Bekenntnis findet sich die Kirche geeint.

Gerhard Ludwig Müller, Kardinal und Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre 

54 

Dort, wo die Urchristen lebten, braucht es Sicherheit für Christen. Ihre Zukunft im Entstehungsgebiet der Botschaft Christi ist Voraussetzung für den friedlichen Dialog. Das Christentum darf nicht nachlassen, das offene Gespräch mit der anderen großen Religion, dem Islam, zu führen.

Cem Özdemir, Bundesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen

55 

»Christ sein bedeutet, nicht gewalttätig zu werden, wenn jemand einen Witz über den Heiland macht, keine Fahnen anzuzünden, keine Menschen zu töten, sondern, wenn der Witz gut ist, zu lachen. Auch Jesus hatte Humor: Er stellte sich drei Tage tot, nur um seine Jünger zu erschrecken.«

Felix Dachsel, ZEIT-Redakteur im Ressort Z 

56 

Luther sagt: »Der Glaube ist und soll auch sein ein Stehfest des Herzens, der nicht wackelt, bebt, zappelt und zweifelt, sondern fest steht und seiner Sache gewiss ist.« Glaube ist somit kein Glaube an etwas, sondern ein im Innersten gewonnenes Lebensvertrauen. Es hilft, Selbst- und Weltzweifel ebenso zu bestehen wie Belastungen und Ängste.

Friedrich Schorlemmer, evangelischer Theologe 

57 

Für mich ist es unchristlich, die Welt zu verachten, nur weil sie plural ist. So macht man Religion zur Waffe. Ohne Pluralismus keine Aufklärung. Wer davor Angst schürt, vor dem muss man Angst haben.

Eva Bucher, ZEIT-Autorin 

58 

Christlich ist, wer den Lehren Jesu nachstrebt. Heute würde das bedeuten, angesichts der Verbrechen der Kirchengeschichte um Vergebung zu bitten. Und den Andersgläubigen und Ungläubigen ein Vorbild an Toleranz zu werden.

Gero von Randow, ZEIT-Redakteur Politik 

59 

Christlich handeln heißt ethisch handeln und Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen. Das gilt für Unternehmer und Manager genauso wie für jeden Einzelnen. Es kommt auf die Tat an. Dieser Kern der Reformation gilt unverändert.

Rolf Buch, Vorstandschef, Dax-Konzern Vonovia 

60 

Sich dem Leben stellen, der von Gott anvertrauten Verantwortung! Das eigene Leben teilen, andere sehen, fühlen, achten, lieben! Etwas bewegen für die, die es selber nicht können und schaffen! Gutes tun und fröhlich jeden Tag wieder neu Christin werden.

Andrea Nahles, Bundesarbeitsministerin 

61 

Ein Christ soll Aug und Ohr aufmachen für das, was nottut. Er soll das Herz aufmachen, auch seine Grenzen. Er soll sich aufmachen. Offen sein. Aufbruch wagen. Ein guter Aufmacher wäre, wenn die katholische Welt zum Reformationsjubiläum titelte: »Versöhnte Verschiedenheit wird Wirklichkeit«.

Markus Schächter war Intendant des ZDF und berät jetzt den Vatikan 

62 

Christlich sein heißt auch heute antimodern sein, den Widerstand gegen den Zeitgeist zu wagen – auch wenn man dadurch Nachteile hinnehmen muss. Das war zur Zeit Jesu nicht anders als zu jener Thomas von Aquins, Luthers, des »Dritten Reichs« oder der DDR-Diktatur. 

David Berger, katholischer Theologe 

63 

Die Bibel, das Buch aller Christen, versammelt die schönsten, die schwierigsten Texte. Ihre Botschaft ist kein Rezept. Sie unterliegt dem ständigen Strom der Lesarten und Deutungen. Die katholische Kirche hat – trotz aller Entgleisungen – den Strom gebändigt und das genuin Christliche über 2000 Jahre hinweg bewahrt. Man kann es nicht definieren. Man sollte es feiern: in Liturgie und Eucharistie.

Ulrich Greiner, Kulturkorrespondent der ZEIT 

64 

Je mehr die christlichen Kirchen auf Randfragen fixiert sind, desto mehr verlieren sie ihre Mitte aus den Augen. Wenn Gott nicht im Mittelpunkt steht, schaffen die Kirchen sich selbst ab. 

George Augustin, Professor für Dogmatik 

65 

Gott offenbart sich nicht nur sonntags zwischen 10 und 11 Uhr. Die transzendente Natur unseres Lebens ist entweder gar nicht oder immer präsent – wir sind in der Regel nur zu abgelenkt, um sie wahrzunehmen. Daher: Christ sein heißt, ein Sensorium zu entwickeln für das, was jenseits des Weltgetriebes liegt. 

Ulrich Schnabel, ZEIT-Redakteur Wissen 

66 

Ich halte es mit dem jungen Luther. Der rät 1515 einem Mitbruder, nicht den eigenen Kräften zu vertrauen, sondern in der Verzweiflung zu sagen: Herr Jesus, du bist meine Gerechtigkeit! Christlich ist also das Akzeptieren der eigenen Unvollkommenheit.

Stefan Rhein, Direktor der Luther-Gedenkstätten 

67 

Das Christentum ist herrlich ungerecht. Als Heranwachsender leuchtet einem nicht ein, dass der verlorene Sohn wieder aufgenommen wird, obwohl er das Geld des Vaters verprasst hat. Und warum man die andere Wange hinhalten soll? Auf dem Schulhof war man nur zu schwach, sich zu wehren. Trost dieser seltsamen Religion: Die Schwachen sind die Starken – und dies nicht erst im Himmelreich.

Adam Soboczynski, ZEIT-Ressortleiter Feuilleton 

68 

Gott die Ehre zu geben, statt Irdisches zu vergötzen: sich um seine Mitmenschen zu sorgen, statt nur um sich selbst zu kreisen; in der Freiheit zu bestehen, statt sie nur in Anspruch zu nehmen – das ist für mich Leben aus dem Geist der Reformation. Eine Zeit, in der die Vergötterung des Geldes und der Egoismus nach der Vorherrschaft drängen, braucht Menschen mit Demut vor Gott, mit Liebe zum Nächsten und der Bereitschaft zu verantworteter Freiheit. 

Wolfgang Huber war Ratsvorsitzender der EKD 

69 

Die Zukunft der Reformation ruht tief in ihrer Vergangenheit, dort, wo Luthers Hass auf die Juden begann. Barmherzige Christen ließen die Schoah geschehen. Eine glaubwürdige Reformation erfordert die Aufarbeitung der Vergangenheit und verurteilt den neuen Antisemitismus im Gewand von Antizionismus. Zum gegenseitigen Respekt zwischen Juden und Christen gibt es keine vernünftige Alternative. Gott sei Dank.

Louis Lewitan, Coach 

70 

Die Christen müssen daran erinnern, dass alle Vielfalt der Sprachen, Religionen, Kulturen nichts ist, worauf die Menschen stolz sein können. Denn im Anfang gab es nur eine Sprache und eine Kultur. Der Hochmut der Menschen hat diese universale Einheit zerstört, wie man in der Geschichte vom Turmbau zu Babel nachlesen kann. Jetzt und immer gilt es, die alte Einheit der Menschheit zu suchen und mit Gottes Gnade wiederherzustellen.

Benedikt Erenz, ZEIT-Reporter 

71 

Heute wäre christlich, von Jesus als Juden zu sprechen, ohne gleichzeitig das Judentum als defizitär herabzusetzen und das Andauern des Bundes Gottes mit dem jüdischen Volk in Zweifel zu ziehen.

Walter Homolka, Rabbiner 

72 

Als ich nach dem Tod von Rupert Neudeck, dem Gründer von Cap Anamur, noch einmal ein Interview mit ihm im Radio hörte, dachte ich: Das ist wahrhaft ein von christlichem Handeln bestimmtes Leben. Schon bei seiner ersten Aktion rettete er Menschenleben, obwohl er nicht wusste, wo die Geretteten unterkommen sollten. Er hat den Menschen wichtiger genommen als die Regel, wie Luther. Ich glaube, es geht auch eine Nummer kleiner: jeden Menschen als Menschen sehen und ihm so im Alltag begegnen. Das ist für mich christlich.

Julia Jäkel, CEO Gruner + Jahr 

73 

Diese Woche stand ich in den Alpen auf 2200 Meter Höhe, der Himmel riss auf, und Zugspitze, Albspitze, Wetterstein waren zu sehen – es war überirdisch schön. Sosehr ich im städtischen Alltag zu den Zweiflern gehöre, dort oben nicht. Dort packt mich Ehrfurcht vor der, ich könnte sagen Natur, aber ich denke – Schöpfung. Christlich ist, so viel Schönheit nicht als Zufall zu betrachten und im Tal seinen Teil dazuzutun, sie zu erhalten.

Götz Hamann, ZEIT-Redakteur Digitaler Wandel 

74 

Das Adjektiv christlich? War mal eine Hegemonialkeule: Attribut der Mehrheitsgesellschaft, Zutat einer Leitkultur, Synonym für anständig. Das ist vorbei. Heute, in unserer säkularen Vielfaltsgesellschaft, bezeichnet »christlich« nur noch eine Kategorie von Religion, Punkt. Diese Präzision ist gut für Gläubige wie Nichtgläubige.

Stefan Schmitt, Stellv. ZEIT-Ressortleiter Wissen 

75 

»Christlich« bedeutet für mich als Muslim in erster Linie Religion als Privatsache, eine immer wieder kritische Auseinandersetzung mit dem Glauben und eine zeitgemäße Auslegung religiöser Grundsätze.

Abdul-Ahmad Rashid, ZDF-Redakteur und Islamwissenschaftler

76 

Mein Vers für die Tür: Im Matthäus-Evangelium steht: »Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.« So übersetzt Herr Doktor Luther die fünfte Lobpreisung. Illusion? Aber ein Ziel!

Jürgen Flimm, Intendant der Berliner Staatsoper 

77 

Für mich bedeutet christlich vor allem: achtsam mit seinen Mitmenschen umgehen! Im Alltag Nächstenliebe, Mitleid und Toleranz zeigen! Aber auch die Freude über häufige kleine Wunder gehört zum Christentum. Und gelegentlich über ein größeres. Ist es nicht wundervoll, dass wir seit über 70 Jahren fast überall in Europa Frieden haben – nach Jahrtausenden ständiger Kriege? Und dass die Würde des Menschen die Leitidee unseres Grundgesetzes ist?

Rainer Esser, Geschäftsführer des ZEIT-Verlages 

78 

Christlich ist, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zu kennen – und zu verstehen, dass der Gesunde den Ekel vor dem Verblutenden überwindet, für ihn sorgt und, wenn er es selbst nicht mehr kann, andere damit beauftragt und dafür bezahlt. Fremdenliebe ist die Revolution, die das Christentum in die Welt gebracht hat.

Ellen Überschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages 

79 

Christin zu sein bedeutet für mich die Verpflichtung: Geld und materiellen Erfolg nicht zu wichtig nehmen und Menschen nie daran zu messen. 

Elisabeth Niejahr, ZEIT-Redakteurin im Hauptstadtbüro 

80 

»Wir schaffen das« ist für mich Christentum, verdichtet in drei Worten.

Karen Heumann, Vorstand der Agentur thjnk 

81 

»Ich wünsche mir in diesen Zeiten der Wut öfter mal einen Luther, der den ganzen Pegidas, Hatern und Reichsbürgern die christlichen Grundwerte unseres Abendlandes an die Tür nagelt.«

Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen, Obmann im Bundestagsausschuss Digitale Agenda 

82 

Zu der Barmherzigkeit, die Angela Merkel mit dem demütigen Hochmut einer Protestantin ihrem Volk verordnet hat, gibt es als Kontrapunkt nur eins: die zutiefst christliche, für zeitgemäße Inanspruchnahme nicht zur Verfügung stehende Musik von Johann Sebastian Bach. Ein Leben ohne Bach wäre arm und trostlos.

Petra Kipphoff, ZEIT-Autorin 

83 

Beim Feierabendbier in der Kneipe wollte mein bester Freund mich überzeugen, dass Gott nur eine menschliche Bierlaune ist. An eine Bierlaune zu glauben, die Gott ist, antwortete ich, ist immer noch besser, als an nichts zu glauben und Bier zu trinken.

Raoul Löbbert, Redaktionsleiter »Christ & Welt« 

84 

Nicht aufgeben! Wenn ich knapp davor bin, kommt mir dieser Paulus-Satz zu Hilfe: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern Kraft, Liebe und Besonnenheit.

Michael Göring, Vorstandsvorsitzender der ZEIT-Stiftung 

85 

»Hospital« kommt von Gastfreundschaft. Und »Charité« nicht von Shareholder. Mitgefühl und Solidarität sind der Kern abendländischer Medizin. Für Christen ist kein Mensch »Fallpauschale«, Mammon. Schmerz und Einsamkeit haben nicht das letzte Wort. Es gibt nach Luther auch ein »Heilertum« aller Gläubigen: Wenn wir jemandem die Hand reichen, haben wir »heilende Hände«. Ja, wir werden alle eines Tages sterben. Aber an allen anderen Tagen eben nicht! 

Eckart von Hirschhausen, Kabarettist 

86 

Christlich ist es, sich von christlichen Werten wie Nächstenliebe leiten zu lassen – auch und gerade im Umgang mit Menschen, die keine Christen sind.

Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender Daimler AG 

87 

Welche Sünden mochten die im Fegefeuer kochenden Männer begangen haben, die vom Lindwurm vergewaltigten Frauen? Ich denke an Gewalt und Unrecht heute, die Menschen einander im Namen höherer Moral zufügen: Da schätze ich mich glücklich, mit offenem Haar durch den Park zu spazieren, frei zu wählen, was ich studiere, wer unser Land regiert, mit wem ich das Bett teile. Luthers Abkehr von der Gewaltandrohung im Namen Gottes machte das friedvolle Miteinander von Männern und Frauen möglich. Das Sicherheitsgefühl der Frauen ist die zarteste, fragilste Errungenschaft der westlichen christlichen Welt.

Julia Franck, Schriftstellerin 

88 

Mein Glaube definiert sich nicht über Rituale oder strenge Regeln, was ich wann genau tun muss. Dagegen muss ich mich aber immer fragen und fragen lassen können, ob mein Handeln und mein Wirken von Jesus gebilligt würden.

Frank J. Weise, Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge

89 

»So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!«, sagt Jesus. Im Judentum heißt es noch knapper: »Das Gesetz des Königreiches ist das Gesetz.« So wurde die Trasse zum modernen liberalen Staat gelegt, der auf der Trennung von Thron und Altar ruht, wo Bürgerrechte nicht vom richtigen Glauben abhängen. Diesen Schritt hat der Islam noch nicht getan; die weltliche Macht hat sich dem göttlichen Gesetz zu beugen.

Josef Joffe, Herausgeber der ZEIT 

90 

Reformation, Gegenreformation und Konfessionalisierung haben dazu geführt, dass eine ursprünglich »katholische« Weite des Christentums in enge, konkurrierende Konfessionskirchen aufgespalten wurde. Heute gilt es, das Ganze der christlichen Botschaft, ihre Vielfalt wiederzuentdecken, denn catholon heißt ja »gemäß dem Ganzen« und widerspricht allen Fundamentalismen. 

Hubert Wolf, Kirchenhistoriker 

91 

Für besonders christlich halten sich Europas Radikalpazifisten. Sie predigen gegen Waffen, als gehörte dazu Mut. Mutig aber sind Christen im Irak, die sich mit Waffen gegen den »Islamischen Staat« wehren. Junge Kämpfer tragen als Tätowierung ein Kreuz. Es ist das Symbol für das Ende aller Gewalt. Trotzdem wütet sie weiter. Dieses Dilemma zu leugnen und anderen vom sicheren Hochsitz der Moral Pazifismus zu empfehlen ist nicht christlich, sondern brutal. 

Evelyn Finger, ZEIT-Ressortleiterin Glauben & Zweifeln 

92 

Das Kreuz. Wir haben es durch Rauchverbots-Schilder ersetzt. Und im schwarzen Nachmittag auf Golgota stirbt der geschundene Leib, Augen voller Blut und Wasser, die Zähne bis zu den Wurzeln entblößt, Schwärme von Fliegen an Händen und Füßen, von allen verlassen, auch von seiner Religion.

Thomas Hürlimann, Schriftsteller 

93 

»Effata!«, sagte Jesus zu dem Taubstummen, das heißt: Öffne dich! Jesus berührte Zunge und Ohren, und der Mann konnte hören und reden. Dieses »Effata!« verstehe ich als Auftrag für Christen heute: erst hören und die Wahrheit suchen, dann aufstehen und bekennen. 

Manuel Hartung, ZEIT-Ressortleiter Chancen 

94 

Im 500. Jahr nach Luther ist die Rolle der Autoritäten in den Kirchen weiter zu hinterfragen. Was der Glaube bedeutet, welche ethischen Schlüsse zu ziehen sind, das sind individuelle Fragen aufgeklärter Menschen. Bischöfe können Argumente bieten, aber keine Schablonen für Lebensführung. Mehr Raum für individuelle Überzeugung kann dem Christentum nicht schaden.

Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP 

95 

Wenn die Kirchen und Kathedralen im Winter geheizt wären, würden die Gläubigen nicht so oft Schnupfen haben. Und sie würden nach dem Gottesdienst auch nicht immer so böse schauen und jeden verachten, der nicht mit ihnen gefroren hat.

Maxim Biller, Schriftsteller 

______________________________________________________

 ... und ich habe da ja schon vor geraumer zeit meinen senf dazu getan:



Viewing all articles
Browse latest Browse all 2576