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Kai Diekmann umarmt Philipp Rösler: "Wer mit BILD im Aufzug nach oben fährt ...."

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GEORG SEESSLEN 06.06.2013 | der Freitag, S. 13

Die Unabhängigkeitstat


Meta-Demokratie 

"Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann ist zurück aus dem kalifornischen Silicon Valley und hat eine neue Online-Politik mitgebracht. Geblieben ist vor allem eine Umarmung


Trash-Inszenierung in der Geisterstadt der digitalen Moderne: Pressemensch herzt Wirtschaftsminister - dpa


Silicon Valley ist ein paradoxer Zustand. Der Ort, an dem fieberhaft an der Entortung der Welt gearbeitet wird, an Kulten der „Oberflächen“ und Fiktionalisierung. Hier ist ein Sprung in den Pool eine performative Leistung und kein Ausdruck von Spaß an Abkühlung. Und das geeignete Mittel, sich der Wirklichkeit und des Körpers zu versichern, sind Cola, Sex und Joggen bis an den Rand des Herzinfarkts.

Kai Diekmann ist ein paradoxer Zustand. Mastermind im regressivsten und reaktionärsten Medium des deutschen Mainstream, verkauft er sich als moderne, coole Boomtown-Ratte. Ein Mann fürs Grobe, der „auf Augenhöhe“ mit seiner Zeit ist, der bullig-erfolgreiche Sohn der verhärmten Bild-Leser-Familie, einer der verkauft, was er vielleicht nicht braucht, was er aber gut kennt.

Philipp Rösler ist ein paradoxer Zustand: Der Boyscout des verschärften Neoliberalismus, der gern über seinen christlichen Glauben und sein gesegnetes familiäres Daheim spricht, der Musterknabe, der immer vorlaut und schutzbedürftig zugleich wirkt. Einer, der verkaufen will, was er ist, aber nicht recht weiß, wie man das macht.

Politischer Tourismus

Die drei paradoxen Zustände sind in einem mittlerweile schon wieder ikonisch gewordenen Nachrichtenbild zusammenkomponiert, das nur scheinbar leicht zu lesen ist: Der Pressemensch in fröhlicher Umarmung mit dem Wirtschaftsminister. Nur an diesem Unort der Welt konnten die beiden so ausgelassen ihren, nun ja, Gefühlen freien Lauf lassen. Rösler, so scheint’s, hat endlich einen großen Bruder gefunden, und im sonnigen Kalifornien dürfen beide herzlich genug sein: in der Geisterstadt der digitalen Moderne.

Silicon Valley öffnet sich mittlerweile den politischen Touristen dieser Art. Der Bild-Macher wollte sich hier im Verlauf eines Jahres „neu erfinden“, das Signal auftun, wie in Zukunft mit „Journalismus“ im Netz Geld zu verdienen sei. Neben den schrillen Bildern gelangen teilgedämpfte Statements in die Nachrichtenschleifen: Bild will zum Vorreiter für Bezahlmodelle im Internet werden. Und wir müssen befürchten, dass diese Modelle weiterhin einen reichen Profit für die Unternehmer bringen, Autoren und Nutzer aber benachteiligen werden.

Die Umarmung des Wirtschaftsministers bedeutet dann wohl auf der ersten Ebene, dass dieses Projekt politisch begleitet und gefördert wird. Dieses Bild ist durchschaubar Inszenierung, beiden ist die Gegenwart der Fotografen bewusst. Und uns wiederum ist diese Tatsache bewusst. Das ist eine der Bilderfallen der Meta-Demokratie, die sich zwischen Demokratie und Postdemokratie ereignet als Medienspiel: Statt zum Bild wird die Simulation zur Karikatur. Und wie einst bei Guttenberg, der auf dem Broadway posierte, scheint paradoxerweise ein Scheitern der pseudoamerikanisierten deutschen Cleverles ausgerechnet an Amerika abgebildet: Der Stilkritik aus der Mitte hält diese Trash-Inszenierung nicht stand. Aber ist sie für diese Mitte überhaupt gedacht?

Kein Gegenschuss

Die Performativität der Geste und die Verbreitung des Fotos mag Philipp Rösler allenfalls noch bei Menschen Sympathien kosten, die seine Partei ohnehin nicht wählen werden, allerdings geht die symbolische Notation weiter. Das Foto zeigt Diekmann, nicht Rösler; wer da Gönner und wer der Begönnte ist, wer Umarmer und wer der Umarmte, das vermittelt sich sofort. Es gibt zu diesem Bild nur unerhebliche Varianten, keinen Perspektivwechsel, zum Schuss keinen Gegenschuss.

Rösler kam ja an der Spitze einer Delegation von deutschen Internetfirmengründern, die in die Hallen von Apple und Facebook Einlass finden, um, wie es der Minister ausdrückt, „den Spirit mitzunehmen“. Firmengründungen sind das erklärte Ziel, soll man hier lernen, und wie man das macht. Eine brave Schulklasse bei der Besichtigung der echten Ökonomie.

Am Ende verewigte sich Rösler bei Facebook auf einer Tafel... Foto: dpa

Ansonsten ist das Bild, das sich mit ziemlicher Vervielfältigungsgeschwindigkeit bewegte, Anlass zur meta-demokratischen Dekonstruktion. Man erinnert sich nicht nur daran, dass Philipp Rösler von Bild im Allgemeinen und Diekmann im Besonderen aufgebaut worden ist, als „cooler“ Politiker kampagniert (ausgerechnet!), und der Stern (meta-demokratisches Rivalitätsspiel, nebenbei) lässt verlauten, Bild-Mitarbeiter hätten preisgegeben, dass sie „von oben“ den Auftrag zu positiver Rösler-Berichterstattung bekommen hätten. „So souverän hat in der Politik schon lange keiner mehr auf fiese Attacken reagiert“, hat Bild gestaunt und Rösler gar „Mr. Cool“ genannt.

Tellerwäschers Millionärsträume 

Nach allgemeiner Übereinstimmung meta-demokratischer Event- und Bildkritik ist dieses Bild ein „Lapsus“. Eine unfreiwillige Selbstoffenbarung. Oder zumindest eine Inszenierung, die nicht den gewünschten Erfolg erzielt. Wie aber, wenn dieses Spiel doch offenkundig sein soll und die missmutigen Kommentare der anderen Zeitungen den Effekt in Wahrheit verstärken, der sich um die Bild-Zeitung und ihren Politiker entwickelt?

Also noch einmal zum Bild selber: Ein schmächtiger Mann in teurem Stoff fällt einem kräftig-bärtigen Typen in die Arme, der durch Armbänder auffällt und der weder Jacke noch Krawatte trägt. Bevor Diekmann sich Rösler in der Umarmungsunterwerfung zunutze machen konnte, hat er sich selbst einen mehr als hemdsärmeligen und kontrolliert bodenständigen Look zugelegt. Der „bürgerliche“ Politiker sinkt einem Journalisten in die Arme, der dem bürgerlichen Dresscode entsagt hat. Davon kündete auch ein Vergleich beider Brillen-Modelle. Die FDP, die unbarmherzig die Interessen der ökonomischen „Eliten“ vertritt, von denen aber eben gerade nicht „auf Augenhöhe“ behandelt wird, sondern wie ein Hündchen, das im entscheidenden Moment draußen bleiben muss, sucht sich andere Verbündete; eher unterhalb der sogenannten Mitte. Als könnte man sich, wenn einen die Millionäre schon nicht brauchen können, wenigstens bei den Tellerwäschern (oder dem digitalen Prekariat) andienen, die sich vor dem Fernseher den Millionärsträumen hingeben. Der Bruderkuss zwischen Rösler und Diekmann ist Bild gewordener Klassenkampf. Silicon Valley vereinigt die ökonomische und die mediale Linie des Neoliberalismus.

Dort wird gerade an einer Zukunft der deutschen Mainstream-Medien gebastelt. Springers Vorstand für die Bild-Zeitung, Andreas Wiele, sagt: „Unabhängiger Journalismus hat in der digitalen Welt nur eine Chance, wenn er wie auch im klassischen Printgeschäft über Anzeigen- und Vertriebserlöse finanziert wird“. Die Unabhängigkeit vermittelt sich durch das Umarmungsbild. Wieles Journalismus darf sich mächtiger fühlen als die Mächtigen.

Keine Opposition

Diekmann, Rösler und Silicon Valley sind Figuren und Bühne eines meta-demokratischen Melodrams, von dem man wissen kann, was daraus wird oder zumindest werden soll. Das Netz wird eine neue Struktur erhalten. Die FDP wird mithilfe der Bild-Zeitung die Fünf-Prozent-Hürde überwinden. Danach wird die Bild-Zeitung den coolen Herrn Rösler abservieren und die Kampagne umdrehen. Diekmann wird jemand anderen umarmen, der der geschmeidigen Verbindung von Medien und Politik nutzt, um ihn dann für die Auflage ans Kreuz zu nageln. Rösler wird, wie man so sagt, „in die Wirtschaft gehen“, und die Bild-Zeitung wird ein Internet-Angebot der unterschiedlichsten Nutzer-Tiefen, mit endlosen Labyrinthen und Bezahlfallen sein, das sich die Print-Ausgabe für die konservative Klientel hält. Das Kapital wird ungehinderter walten, die Wirklichkeit wird noch mehr mit dem Bild-Logo versehen, die hündchenhafte FDP wird noch hündchenhafter.

Und der unabhängige Journalismus? Schon besser gelacht. Dass Philipp Rösler sich von seinem großen Bruder von der Presse so demonstrativ umarmen lässt, macht klar, dass man auf die Verschleierung der geschmeidigen Beziehung von Medien und Politik keinen Wert mehr legt. Das ist, natürlich, keine „Verschwörung“; es ist der Charakter der Meta-Demokratie am Umschlag zur Postdemokratie selber. Welche Opposition, welche Kritik hätte noch Chancen gegen die Verbrüderung von Politik und Journalismus im Zeichen von Apple, Google & Facebook?

Philipp Rösler und seine IT-Start-up-Gründer kehren aus Silicon Valley zurück. Kai Diekmann kehrt aus Silicon Valley zurück. In Silicon Valley lachen die digitalen Gespenster.

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„Für die Bild-Zeitung gilt das Prinzip: Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten. Diese Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen.“
Springer-Chef Matthias Döpfner 2006

Anmerkung sinedi: Wir hatten den Maler, deshalb kommt der Beitrag zu dieser Judas-Kuss-ähnlichen Umarmung erst heute ...
Das Bild von Rösler und Diekmann machte umgehend die Runde im Netz. Auf einer Website kann man ihm etwa einen eigenen Text verpassen. Foto: Screenshot Thomas Pfeiffer | rp-online - Gleichzeitig sieht man an den verschiedenen Perspektiven, dass dort in Kalifornien eine regelrechte Foto-Session geschossen wurde ...


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