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werde ich erkennen | wie ich erkannt bin

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Wir sehen jetzt 
durch einen Spiegel 
in einem dunklen Wort, 
dann aber von Angesicht zu Angesichte. 
Jetzt erkenne ich's stückweise;
 dann aber werde ich erkennen,
 gleichwie ich erkannt bin.
1. Korinther 13,12


s!NEdi|photo|graphic: werde ich erkennen | wie ich erkannt bin



βλέπομεν γὰρ ἄρτι δι’ ἐσόπτρου ἐν αἰνίγματι, τότε δὲ πρόσωπον πρὸς πρόσωπον· ἄρτι γινώσκω ἐκ μέρους, τότε δὲ ἐπιγνώσομαι καθὼς καὶ ἐπεγνώσθην.



...
Ich bin erkannt. Und ich selbst erkenne nur Stückwerk. Nur Teile werden mir klar. Warum ist die Welt so? Warum gibt es das Leiden, den ganzen Kummer, so viel Verzweiflung? Warum so viel Dunkelheit - das bleibt für uns oft verborgen, Gott bleibt verborgen, in Dunkelheit. Ein dunkles Bild...

Aber, sagt die Bibel, eines Tages werden wir Gott gegenüberstehen von Angesicht zu Angesicht. Das ist die große Zukunftshoffnung der Bibel. Vieles verstehen wir nicht, vieles ist widersprüchlich. Gott wo bist du, fragen wir. Und in der Bibel ist die Hoffnung: eines Tages, in Gottes Zukunft, da wird Gott mitten unter uns sein. Gott wird unter uns wohnen, wir werden ein Volk sein, all die Kriege und Auseinandersetzungen, die Tränen, ja der Tod werden nicht mehr sein.

Jostein Gaarder, der bekannte Autor von "Sofies Welt", bezieht sich in seinem Buch "Durch einen Spiegel in einem dunklen Wort" exakt auf unsere Bibelstelle. Es handelt von Cecilie, einem Mädchen, das sterbenskrank ist und sein letztes Weihnachtsfest erlebt. In ihrem kleinen Notizbuch notiert sie ihre Gedanken. Sie liegt in ihrem Zimmer, Weihnachtsgeräusche dringen zu ihr nach oben, ihr kleiner Bruder Lasse erzählt vieles. Auf ihrer Reise auf den Tod hin lernt sie den Engel Ariel kennen. Und Cecilie führt mit ihm Gespräche über Gott, die Welt und die beiden Seiten des Spiegels. Sie spürt das Sterben nicht, die Leserin ahnt es. Sie fliegt erstmals mit Ariel mit.

Gaarders Buch endet wie folgt:
"Etwas später flogen sie zum offenen Fenster zurück und setzten sich auf die Fensterbank, wo Ariel bei seinem ersten Besuch gesessen hatte. Beide blickten auf Cecilies Bett. Sie fand es seltsam, daß sie sich selbst dort liegen sehen konnte. Ihre blonden Haare waren über das Kissen gebreitet, und auf die Bettdecke hatten sie den alten Weihnachtsstern gelegt.

"Ich finde mich auch schön, wenn ich schlafe", sagte sie. Ariel hielt ihre eine Hand. Er blickte zu ihr hoch und sagte: "So, wie du hier sitzt, bist du noch schöner." "Aber das kann ich nicht sehen, jetzt bin ich doch auf der anderen Seite des Spiegels." Erst, als sie das gesagt hatte, ließ Ariel ihre Hand los. "Du siehst aus wie ein prächtig gekleideter Schmetterling, der von Gottes Hand losgeflogen ist", sagte er. Sie sah sich im Zimmer um. Ein dünner Streifen Morgensonne zog sich über Schreibtisch und Boden. Unter Cecilies Bett hatten einige Strahlen den Weg zu dem chinesischen Notizbuch gefunden. Sie sah, wie die vielen Seidenfäden glitzerten und funkelten."

So endet das Buch. Ich finde, das ist eine wunderbare Übersetzung der Frage nach Gott und dem Sinn und dem Tod. Cecilie ist auf der anderen Seite des Spiegels. Auf unserer Seite des Spiegels können wir uns die Trauer der Eltern, die Tränen der Großeltern, den Kummer des Bruders vorstellen. Mit dem Tod hat sich für das Mädchen die Perspektive verändert. Das Stückwerk nimmt ein Ende, sie erkennt, wie sie schon immer erkannt war ...
aus einer Predigt von Dr. Margot Käßmann zum Gottesdienst am 28. Juli 2002 in St. Martin, Kassel, zur dortigen Documenta 11

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