Mit "Der Auftrag" (siehe Besprechungen unten) schließt Konrad Kästner an seinen preisgekrönten Dokumentarfilm "Kathedralen" an. In dem er zusammen mit der Kamerafrau Eva Katharina Bühler Bilder einer Stadt in China eingefangen hat, die für eine Million Menschen gebaut wurde, aber leer steht. Eine Geisterstadt, Investitionsblase. Babylon nach der Zerschlagung. Oder davor.
Als Untermalung der entseelten Bilder ertönt eine Erzählung von Michael Ende: "Die Bahnhofshalle stand auf einer großen Scholle." Ein Feuerwehrmann, der als Einziger versucht, die Menschen aufzuhalten, die von einem Prediger angestachelt das goldene Kalb Mammon anbeten und in den eigenen Untergang taumeln, wird von diesen als "Ungläubiger" niedergemetzelt. Es ist gut, sich an den Feuerwehrmann zu erinnern, wenn man den "Auftrag" sieht.
Denn wie der Bahnhof auf der großen Scholle steht das experimentelle Stück auf den kapitalismuskritischen "Kathedralen" und führt vor Augen, dass ein derartiges Ungleichgewicht in der Geldverteilung, wie wir es uns realiter leisten, geradezu zwangsläufig Demagogen gebiert.
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Im Rahmen der experimentellen Reihe FORMATE entsteht Konrad Kästners multimediales Projekt, das die Grenzen von Dokumentarfilm und fiktionalem Theater auflöst. Der Dokumentarfilmer macht sich mit seinem Filmteam auf in den Osten der Republik. In einer widersprüchlichen Region zwischen Flüchtlingsheimen, Tagebau, Selbstironie und Angst vor Veränderungen sucht er nach nichts Geringerem als der nackten Wahrheit. Es entsteht ein wildes Roadmovie, ein multimediales Theaterspektakel frei nach der Novelle Der Auftrag – Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter von Friedrich Dürrenmatt. Woher kommt dieses Gefühl, unsere Sicherheit und Kultur – wenn nicht gar unsere ganze Zivilisation – sei bedroht? Entspricht der rote Faden der andauernden Krisen unserer unmittelbaren Lebenswirklichkeit, ist er empfunden, Realität oder journalistisch herbeigezaubert? Sind die Algorithmen der sozialen Netzwerke ein Echo unserer Erlebniswünsche? Steuern wir unsere sozialen Cluster oder werden wir manipuliert? Konrad Kästner knüpft mit dieser Arbeit an seinen preisgekrönten Dokumentarfilm Kathedralen an. Ihn beschäftigt nun die Wechselwirkung zwischen Medien und dem Objekt der Berichterstattung. Bei seiner Recherche findet er mysteriöse Spuren, die von den karstigen Landschaften des Ostens quer durch Deutschland bis ins Herz Nordrhein-Westfalens führen, das überraschenderweise hier, in Bielefeld, im TAM ZWEI zu schlagen scheint. Ein Abend über den Menschen im Zeitalter der Beobachtung. (Theater Bielefeld)
Geistige Brandstifter: Georg Böhm spielt Steve Zänke. FOTO: PHILIPP OTTENDÖRFER | NW |
Dem Populismus auf der Spur
Uraufführung: Konrad Kästners nach Dürrenmatt konzipierter Theateressay "Der Auftrag" erzählt im Bielefelder Theater am Alten Markt von der dunklen Kunst des Feuerlegens
Von Antje Doßmann | NW
Dieses Stück ist eine Zumutung. Das fängt schon beim Platznehmen an. "Der Auftrag" ist irritierend, beklemmend, zutiefst beunruhigend. Das Gegenteil eines Katzenvideos. Man sollte es sich anschauen. Konrad Kästner hat das Stück für das Bielefelder Theater am Alten Markt konzipiert, Dariusch Yazdkhasti die Dramaturgie übernommen, am Samstag feierte es Premiere.
Frei, sehr frei, nach Friedrich Dürrenmatts Novelle "Der Auftrag oder Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter" (Link) ist daraus ein multimediales, gesellschaftsanalytisches Sezierstück entstanden mit einem ganz zurückhaltend agierenden Georg Böhm in der Hauptrolle.
Den ganzen Bericht lesen = click here
- Die nächsten Vorstellungen: 1. und 8. Dezember sowie am 13. und 14. Januar. Karten gibt es unter Tel. (05 21) 55 54 44. Weitere Informationen unter www.theater-bielefeld.de .
Szenenfoto: PHILIPP OTTENDÖRFER | WB |
Wir im Echoraum
In »Der Auftrag« ist der Schauspieler der »persönliche Algorithmus« des Publikums
Burgit Hörttrich | WB
Die Wahrheit tut weh. Kein Problem: Dann gibt Schauspieler Georg Böhm alias Steve Zänke (»Ich bin Ihr persönlicher Algorithmus«) uns, dem Publikum, das, was wir wollen. Katzenvideos. Und fragt anschließend: »Oder wollen Sie sich lieber aufregen?«
Im TAM-zwei war als Uraufführung ein Mix aus Video-Dokumentation und Schauspiel zu sehen: »Der Auftrag«. Konrad Kästner hat Friedrich Dürrenmatts Novelle (Link) frei, sehr frei auf die Bühne, auf die Leinwände gebracht. Die Bühne: ein Echoraum, eine Filterblase, in der jedem Nutzer vom Algorithmus eine eigene Auswahl von Neuigkeiten geliefert wird. Keine Informationen, nichts, was die eigene Weltsicht stört.
Kästner und Böhm begeben sich in die Untiefen des Populismus – in »Dunkeldeutschland«, genauer: Dresden, Kästners Heimat. Und in Bielefeld.
In einer Welt, in der Fakten unwichtig geworden sind, in einer Welt, in der die irrsinnigsten Gerüchte tausende von Likes bekommen, in einer Welt, in der es Menschen gibt, die die Apokalypse ausrufen – in dieser Welt ist es normal, dass jeder jeden beobachtet. Böhm (alias Zänke): »Der Mensch ist ein beobachteter Mensch. . . Dem Staat ist der Mensch und dem Menschen der Staat immer verdächtiger.« Aber dann wird es dunkel. Böhm alias Zänke beobachtet uns, das Publikum, nicht mehr und wir, das Publikum, nicht mehr ihn: »Wenn ich Sie nicht sehe und Sie mich nicht sehen, dann kommen Sie sich doch sinnlos vor. Nicht beobachtet, nicht beachtet, nicht geachtet, bedeutungslos, sinnlos.«
Überall Verschwörungen, überall Feinde, überall Plakate mit »Merkel muss weg«. Und die Autobahn-Moschee? Glyphosat in Spekulatius? Alles wahr, stand ja bei Facebook. Propaganda, sagt Böhm alias Zänke, Propaganda hat keine Chance mehr, denn: »Wir sind unser eigenes Massenmedium.« Dazwischen auf den Leinwänden: Pegida-Aufmärsche, der Tag der deutschen Einheit in Dresden, Identitäre, Reichsbürger, AfD, Entrüstete, Besorgte: »Ich bin ja kein Nazi, aber. . .«
Die Zuschauer im TAM-zwei werden aufs Glatteis geführt: Mal sollen sie die Plätze tauschen, dann wiederum den Schauspieler mit der Handylampe anstrahlen und weil sie dann schon mal stehen, auch gleich das Deutschlandlied singen. Ein vermeintliches Grundgesetz mit plumpen (Rechtschreib-)Fehlern ist zu sehen.
Wir, das Publikum, wir im Echoraum, fallen auf so etwas nicht herein, denn: »Wir sind schlau. Wir gehen ins Theater.«
Kurz vor Schluss – die Stimmung ist depressiv, zu Lachen gibt es wirklich nichts – rüttelt Böhm (alias Zänke) die Zuschauer noch einmal auf, holt sie in die wirkliche Wirklichkeit (?) zurück: »Ich frage mich manchmal, wer das Volk eigentlich ist? Die Mehrheit? Die Wenigen? Alle? Keiner? Ihr? Wir? Wer? Wer bestimmt das? Die? Das hier ist unser Land. Mein Land. Und das lasse ich mir nicht wegnehmen!«
Nicht von denen.
Dabei bleibt Georg Böhm immer angenehm unaufgeregt. Im Gegensatz zu denen. Den Geiferern.
70 Minuten, die alles andere sind als ein Spaß. 70 Minuten, die uns, das Publikum 2016/2017, angehen. Denn das Stück handelt von Menschen im Zeitalter der Beobachtung. Manipulation leicht gemacht. Wird es etwas ändern? Nein. Natürlich nicht.
© WESTFALEN-BLATT, Montag 28. November 2016
In »Der Auftrag« ist der Schauspieler der »persönliche Algorithmus« des Publikums
Burgit Hörttrich | WB
Die Wahrheit tut weh. Kein Problem: Dann gibt Schauspieler Georg Böhm alias Steve Zänke (»Ich bin Ihr persönlicher Algorithmus«) uns, dem Publikum, das, was wir wollen. Katzenvideos. Und fragt anschließend: »Oder wollen Sie sich lieber aufregen?«
Im TAM-zwei war als Uraufführung ein Mix aus Video-Dokumentation und Schauspiel zu sehen: »Der Auftrag«. Konrad Kästner hat Friedrich Dürrenmatts Novelle (Link) frei, sehr frei auf die Bühne, auf die Leinwände gebracht. Die Bühne: ein Echoraum, eine Filterblase, in der jedem Nutzer vom Algorithmus eine eigene Auswahl von Neuigkeiten geliefert wird. Keine Informationen, nichts, was die eigene Weltsicht stört.
Kästner und Böhm begeben sich in die Untiefen des Populismus – in »Dunkeldeutschland«, genauer: Dresden, Kästners Heimat. Und in Bielefeld.
In einer Welt, in der Fakten unwichtig geworden sind, in einer Welt, in der die irrsinnigsten Gerüchte tausende von Likes bekommen, in einer Welt, in der es Menschen gibt, die die Apokalypse ausrufen – in dieser Welt ist es normal, dass jeder jeden beobachtet. Böhm (alias Zänke): »Der Mensch ist ein beobachteter Mensch. . . Dem Staat ist der Mensch und dem Menschen der Staat immer verdächtiger.« Aber dann wird es dunkel. Böhm alias Zänke beobachtet uns, das Publikum, nicht mehr und wir, das Publikum, nicht mehr ihn: »Wenn ich Sie nicht sehe und Sie mich nicht sehen, dann kommen Sie sich doch sinnlos vor. Nicht beobachtet, nicht beachtet, nicht geachtet, bedeutungslos, sinnlos.«
Überall Verschwörungen, überall Feinde, überall Plakate mit »Merkel muss weg«. Und die Autobahn-Moschee? Glyphosat in Spekulatius? Alles wahr, stand ja bei Facebook. Propaganda, sagt Böhm alias Zänke, Propaganda hat keine Chance mehr, denn: »Wir sind unser eigenes Massenmedium.« Dazwischen auf den Leinwänden: Pegida-Aufmärsche, der Tag der deutschen Einheit in Dresden, Identitäre, Reichsbürger, AfD, Entrüstete, Besorgte: »Ich bin ja kein Nazi, aber. . .«
Die Zuschauer im TAM-zwei werden aufs Glatteis geführt: Mal sollen sie die Plätze tauschen, dann wiederum den Schauspieler mit der Handylampe anstrahlen und weil sie dann schon mal stehen, auch gleich das Deutschlandlied singen. Ein vermeintliches Grundgesetz mit plumpen (Rechtschreib-)Fehlern ist zu sehen.
Wir, das Publikum, wir im Echoraum, fallen auf so etwas nicht herein, denn: »Wir sind schlau. Wir gehen ins Theater.«
Kurz vor Schluss – die Stimmung ist depressiv, zu Lachen gibt es wirklich nichts – rüttelt Böhm (alias Zänke) die Zuschauer noch einmal auf, holt sie in die wirkliche Wirklichkeit (?) zurück: »Ich frage mich manchmal, wer das Volk eigentlich ist? Die Mehrheit? Die Wenigen? Alle? Keiner? Ihr? Wir? Wer? Wer bestimmt das? Die? Das hier ist unser Land. Mein Land. Und das lasse ich mir nicht wegnehmen!«
Nicht von denen.
Dabei bleibt Georg Böhm immer angenehm unaufgeregt. Im Gegensatz zu denen. Den Geiferern.
70 Minuten, die alles andere sind als ein Spaß. 70 Minuten, die uns, das Publikum 2016/2017, angehen. Denn das Stück handelt von Menschen im Zeitalter der Beobachtung. Manipulation leicht gemacht. Wird es etwas ändern? Nein. Natürlich nicht.
© WESTFALEN-BLATT, Montag 28. November 2016