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Panikattacken in dieser Zeit

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Angst

Mitteilungen einer unheimlichen Gefährtin

Angst ist mächtig und unberechenbar, sie kann plötzlich auftauchen und Leben zerstören. Niemand mag sie. Dabei will sie uns manchmal helfen. Und immer will sie uns etwas sagen.

Von Stephan Lebert

21. Februar 2017, 14:45 Uhr ZEIT Wissen Nr. 2/2017, 21. Februar 2017

Draußen tobt die Welt, und hier drinnen? Ein Zimmer in einer therapeutischen Praxis in Berlin, zwei Stühle stehen sich gegenüber. Blumensträuße und eine große Pflanze sollen dem Raum die Schwere nehmen. Hier drinnen soll es um den Menschen gehen, nur um den Menschen und seine Sorgen, nicht um das lärmende Getöse draußen, nicht um die Ängste der Zeit. Geht das? Der Ort, an dem ein Terrorist vor wenigen Wochen mit seinem Lkw elf Menschen in den Tod gerissen hat, der Breitscheidplatz, liegt keine zwei Kilometer entfernt von der Berliner Praxis.

Nein, das geht nicht. "In den letzten Wochen und Monaten hat sich meine Arbeit mit den Patienten stark verändert", sagt die Therapeutin. Aber anders, als man zunächst meinen könnte. Es geht nicht darum, dass sich ihre Patienten Sorgen machen würden wegen der Flüchtlingssituation (alles dazu lesen Sie auf diesen Seiten) oder dass sie Ängste hätten vor einem terroristischen Angriff. Diese konkrete Welt bleibt scheinbar draußen. Aber da sind die Ängste, die auf diesem Stuhl Platz nehmen, ihr gegenüber, viel mehr als sonst. "Bei vielen Leuten kommen jetzt Dinge hoch, die lange geschlummert haben. Richtige Traumata, die plötzlich ausbrechen. Manche fragen mich: Warum geht das denn jetzt los?" Es sind Ängste aus der Kindheit, ewig verdrängte Ereignisse von früher, die präsent werden. "Es scheint so zu sein", sagt die Berliner Therapeutin, "dass das allgemeine Klima der Unsicherheit, das unsere Gesellschaft gerade beschäftigt, bei Menschen sehr persönliche, eigene Ängste hervorholt, die immer da waren, aber jetzt Alarm schlagen."

Ängste tauchen gerne da auf, wo man sie nicht erwartet. Sie sind nur schwer zu berechnen und zu kategorisieren. Angst ist etwas anderes als Furcht. Furcht ist konkret, man fürchtet sich vor einem wilden Tier, vor dem Scheitern in einer Prüfung, vor einer Operation. Angst ist allgemein – und wirkt oft irrational. Eine Einteilung in große und kleine Ängste bringt nichts, auch nicht in sinnlose Ängste und sinnvolle. Was soll es schon für einen Sinn machen, wenn jemand beispielsweise nicht in der Lage ist, über eine Brücke zu gehen, weil er wahnsinnig Angst davor hat, obwohl es eine ganz normale, sichere Brücke ist?

Manchmal sind Ängste nicht einmal leicht zu erkennen. Matthias war 41, als er eines Nachts aufwachte und nicht wusste, was los war. Er spürte einen Druck in der Brust; als er aufstand, spürte er Schwindelgefühle. Er dachte: Ein Herzinfarkt? Ein Schlaganfall? Er rief den Notarzt. Kam ins Krankenhaus, aus dem er zwei Tage später entlassen wurde. Als körperlich gesund. Die Ärzte zuckten mit den Schultern: Ihnen fehlt nichts, auf Wiedersehen. Es war eine Krankenschwester, die ihn zur Seite nahm: Sie hatten eine Panikattacke, das kann wiederkommen, wahrscheinlich sogar. Suchen Sie sich mal einen guten Psychologen.

Wie bitte, dachte Matthias: Panikattacke, ich? Matthias arbeitet bei einer großen Münchner Versicherung, ist dort so etwas wie ein Star, der Fachmann für Risikoanalysen jeder Art, er verdient knapp 200.000 Euro im Jahr und hatte ein Angebot auf dem Tisch von der Konkurrenz in den USA, der Job würde noch mehr Geld und Denver bedeuten. Privat war er auch nicht unglücklich, im Gegenteil, dachte er: Er hatte noch keine Familie, auch keine feste Beziehung, aber ausreichend Liebschaften, neulich war sogar mal ein Mann darunter gewesen, warum nicht? Im Großen und Ganzen ist doch alles in Ordnung, dachte Matthias. Also beschloss der Meister der Risikoanalyse, den einen Vorfall in der Nacht zu ignorieren.

Das nächste Mal erwischte es ihn nur einige Tage später beim Einparken seines Wagens. Er hatte gerade noch mit seinem Chef telefoniert, das Gespräch war ein wenig kompliziert gewesen, aber macht nichts, kommt eben vor. In zwei Stunden sollte er nach Hause fahren zu seinen Eltern, sie lebten in derselben Stadt, und er hatte noch kein Geschenk für seinen Vater, der Geburtstag hatte. Und im Radio, das brannte sich bei ihm ein, lief gerade ein alter Beatles-Song. Yesterday. All my troubles seemed so far away. Plötzlich bekam er Probleme mit dem Atmen. Er dachte, er wird ohnmächtig, er dachte, er wird verrückt. Er stieg aus dem Wagen. Ein paar Minuten. Dann ging es wieder, er dachte, es ging wieder. Doch dann musste er anfangen zu weinen. Die Passanten schauten ihn an. Es war ihm peinlich. Er setzte sich wieder ins Auto. Und weinte weiter. Eine Stunde lang.

Etwa zehn Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Angststörungen: unter Panikattacken, generalisierten Ängsten oder diversen Phobien, die sie dazu bringen, bestimmte Situationen zu meiden oder sich schlimmstenfalls von der Umgebung völlig zurückzuziehen. Experten sind sich einig, dass es jeden treffen kann, jeder vierte Deutsche muss in seinem Leben damit rechnen. Bei dem einen kommt die Angst früher, bei dem anderen später.

Edvard Munch: Der Schrei, 1893 - Pastell

Angst lähmt, bringt das Leben zum Stillstand

Bei mir, dem Autor dieser Zeilen, war es früher so weit, das muss man wohl so sagen. Meine Familie machte sich schon reichlich Sorgen, weil ich fast drei Jahre alt war und immer noch nicht sprach, jedenfalls nichts, was man hätte verstehen können. Dann kam diese Nacht, ich war längst ins Bett gebracht worden, und draußen gewitterte es, wohl ziemlich stark. Meine Mutter schaute noch einmal nach mir, und da saß ich aufrecht im Bett, ganz weiß im Gesicht, zitternd. Und, so wird es überliefert, ich sagte ganz klar und deutlich: "Angst." Es war das erste Wort, das ich in meinem Leben gesprochen habe. Ein ängstlicher, sensibler Junge, für dieses Etikett hatte ich damit selbst gesorgt. Es sollte mich begleiten.

Der Begriff Angst stammt aus dem Indogermanischen, anghu, und ist verwandt mit dem lateinischen angustus, was so viel heißt wie Enge, Bedrängnis, Beengung. Die Sprache ist weise, denn wenn die Angst regiert, wird die Welt eng und immer noch enger. Wenn sie regiert, ist nichts mehr von Freiheit und Weite da. Angst lähmt, bringt das Leben zum Stillstand.

Es ist nicht leicht, über die wirklichen Ängste zu sprechen, vor allem in der Öffentlichkeit. Ich interviewte einmal einen Berliner Spitzenpolitiker, es war wenige Tage nach dem 11. September 2001, als die Terroristen die Flugzeuge in die Twin Towers in New York steuerten und Tausende Menschen in den Tod rissen. Das Thema des Gesprächs sollte Angst sein, und es war im Vorfeld klar vereinbart worden, dass das Interview nur Sinn macht, wenn der Politiker persönlich wird und über die eigenen Ängste spricht. Okay, abgemacht. Das Interview wurde eine Katastrophe, so sehr, dass es nie gedruckt werden konnte. Auf die Frage, wovor er sich als Kind gefürchtet hatte, antwortete er: Ja, da gab es bestimmt etwas. Und auf Nachfrage ergänzte er: Leider könne er sich konkret an die Ängste nicht erinnern. Albträume? Panikzustände? Ja, ja, durchaus, aber welche genau, das sei ihm leider entfallen. Und so weiter und so fort. Der Mann hatte vielleicht gemerkt, wer wirklich über Ängste spricht, verrät eine Menge von sich. Ein bisschen sensibel wäre er gerne rübergekommen, für das äußere Bild. Aber das? Nein, auf keinen Fall.

Der Erfinder der Psychoanalyse, Sigmund Freud, nannte die Angst den "Knotenpunkt der Seele". Wer sie zu lesen verstehe, schrieb er einmal, könne alles begreifen, was das Seelenleben eines Menschen ausmache. In einer Vorlesung vor Studenten stellte Freud eine Art Formel auf: Es gibt etwas, was Angst auslöst, mehr als alles andere, und das ist die Vermeidung. Wer in seinem Leben zentrale, wichtige Dinge vermeidet, wichtigen Erfahrungen, wichtigen Entscheidungen aus dem Weg geht, zahlt dafür einen Preis. Und dieser Preis heißt Angst.

Man könnte es auch so formulieren: 
Die Angst erinnert Menschen auf ihre eigene Weise daran, was zu tun ist.

Matthias suchte nach der zweiten Panikattacke einen Psychotherapeuten auf. Und es war keine kurze Therapie, die folgen sollte. Matthias musste begreifen, dass sein Leben ein wenig komplizierter war, als er es sich eingestehen wollte. Stück für Stück wurden in der Therapie die ungeklärten Felder seines Lebens freigelegt. Seine mögliche Homosexualität, die er nicht akzeptieren und ganz zulassen wollte, weil er sich fürchtete, das zu Hause zu erzählen. Er war immer der perfekte Sohn gewesen, nie hatte er sich aufgelehnt, seine Eltern waren so stolz auf ihn und seinen beruflichen Erfolg. Matthias war spät, erst mit Anfang zwanzig, ausgezogen. Seine Eltern führten keine glückliche Ehe, er war das einzige Kind. Der Therapeut versuchte ihn aus der Familienstruktur zu lösen, damit er begriff, dass er jetzt sein eigenes Leben führen musste, ohne Rücksicht auf den strengen Vater, dass es egal sein musste, was der von einem schwulen Sohn hält. Freiheit wurde das zentrale Wort der Therapie. Matthias sollte auch verstehen, dass er seine beruflichen Entscheidungen ebenfalls nur einem Menschen gegenüber rechtfertigen muss: sich selbst.

Und seine Panikattacken? Er hatte noch einige zu überstehen. So schnell geht das nicht. Matthias erlernte Techniken, damit umzugehen, dazu gehörte eine bestimmte Methode zu atmen, wenn es losging. Das half. Und Matthias hat heute das Gefühl, er befindet sich auf einem guten Weg. Hält er seine Angstattacken für eine Art Schicksalsschlag? Nein, sagt er, so gerne er darauf verzichten würde, müsse er sich eingestehen: Die letzten Monate seien nicht die schlechtesten in seinem Leben gewesen, "ich spüre eine neue Lebendigkeit in mir".

Angst: das stärkste Gefühl der Welt. Philosophen wie Søren Kierkegaard und Martin Heidegger stellten Angst ins Zentrum ihrer Denksysteme: Niemand könne sich von der Erkenntnis befreien, dass das eigene Leben endlich sei, dass jeder sterben müsse. Kierkegaard war es auch, der bereits Mitte des 19. Jahrhunderts feststellte, dass die Selbstbestimmung des Menschen eine weitere Angstquelle ist, die Möglichkeit der freien Entscheidung produziere oft Unsicherheit. Der französische Philosoph und Schriftsteller Jean-Paul Sartre sah nur eine Chance, aus dem Angstkosmos des Lebens auszubrechen: Der Mensch müsse sich dem anderen zuwenden, nur der andere Mensch, das Gegenüber, könne Halt versprechen.

"Beobachten, was das Angstmonster dann tut"

Der Therapeut Georg Eifert arbeitete lange als Professor an der Chapman University in Kalifornien und ist einer der Mitbegründer der akzeptanzorientierten Verhaltenstherapie. Er verwendet gerne das Bild des Seilziehens: Auf der eine Seite zieht der Mensch, auf der anderen Seite die Angst. Je mehr der eine zieht, desto mehr hält der andere entgegen. "Angstpatienten reagieren in der Regel anfangs immer so: Sie wollen die Angst besiegen. Und früher wurden sie darin von vielen Therapeuten unterstützt." Doch er selbst hält davon wenig, er möchte seine Patienten dazu bewegen, aus dem Seilkampf auszusteigen, einfach das Seil auf den Boden zu legen und zu beobachten, was das Angstmonster dann tut. Eifert hält nichts davon, die Angst als Feind oder Gegner zu beschreiben, "das bringt nichts. Viel hilfreicher ist es, die eigene Ängste zu akzeptieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen." Dazu gehöre natürlich auch, zu lernen, wie man die Ängste aushält.

Die Ängste zu bekämpfen hat nach Ansicht von Eifert noch einen anderen Nachteil: Man nimmt sie zu wichtig. Am Ende besteht das ganze Leben nur noch aus diesen Ängsten. Er versucht eine andere Richtung: Er bittet die Patienten, ihre Angstgeschichte auf zwei Weisen zu erzählen oder aufzuschreiben, zunächst als Tragödie und dann als Komödie. Als Nächstes sollen sie von ihrem Leben erzählen, von allem, nur nicht von ihren Ängsten. Um deutlich zu machen, dass jeder so viel mehr ist als seine Ängste. Dass diese Ängste aber oft eine Botschaft haben an das Leben. Therapeut Etifert fragt seine Patienten auch gerne, was irgendwann mal auf ihrem Grabstein stehen soll. Da habe noch keiner geantwortet: Hier ruht Frau Marianne Müller, die ihre Angstneurosen gut im Griff hatte.

STEPHAN LEBERT
hat einen ziemlich guten Satz in dem Text nicht untergebracht, er stammt vom Soziologen Heinz Bude: "Das Einzige, was wirklich hilft gegen die Angst, ist das Lachen."

Zu mir hat einmal eine Therapeutin gesagt, ich solle mir die Angst als ein Wesen vorstellen: Wie sieht dieses Wesen aus? Vor allem aber: Was will dieses Wesen von mir? Mir einfach nur Angst machen? Oder will es mir vielleicht etwas sagen? Will es eine Warnung loswerden? Oder einen Ratschlag? Ist es ganz ausgeschlossen, dass es mir helfen will? Warnsystem Angst. So muss dieses Gefühl verstanden werden. Das hat Sigmund Freud gemeint, als er vom Knotenpunkt der Seele sprach.

Wenn sich der Alltag in der Berliner Therapeutenpraxis verändert, wenn immer mehr Ängste bei den Menschen hochkommen, dann ist das auch ein gesellschaftlicher Warnruf. Die Angst als Knotenpunkt der Gesellschaft. Die Menschen werden verunsichert durch die politische Situation, etwa durch die Gefahren des Terrors – und reagieren darauf mit eigener Verunsicherung. Die Lösung kann nicht Verdrängen oder Vermeiden sein. Der Soziologe Heinz Bude spricht bereits von der Angstrepublik Deutschland und hat als Hauptursache die Angst vor dem sozialen Abstieg ausgemacht. Die Gesellschaft muss dringend Wege finden, die Menschen mit diesen Gefühlen nicht alleinzulassen.

Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter hat einmal einen hübschen Wunsch formuliert. Er möchte sein ganzes Leben wiederholen, Liebesgeschichten, Reisen, Alltagsmomente, alles genau so, wie es gewesen ist, nur mit einem Unterschied: dieses Mal ohne Angst, ohne jede Angst. Wie herrlich wäre das denn. Vielleicht klingt dieser Wunsch auch deshalb so sympathisch, weil er leider gar nichts mit dem Leben zu tun hat.
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Kommentar der Leserin: "greta7"

Schade, dass die, bereits auch wissenschaftlich nachgewiesene, transgenerationale Weitergabe von Traumata in solchen Artikeln nur selten erwähnt wird.

Auch wenn die Zeit des großen Nachkriegs-Schweigens lange vorbei ist, gibt es in fast allen Familien emotional immer noch viel aufzuarbeiten. Die mentale Beschäftigung mit den Kriegsfolgen reicht nicht, um alte Gefühle aufzulösen und Familiensysteme zu heilen.

Und da in der konsumorientierten Ego-Gesellschaft nur Leistung und Ablenkung zählten, müssen Depression und Angst jetzt als Kanal herhalten.

In Zukunft wird das vermutlich noch heftiger werden. Wer verweigert, die alten Gefühle wie Wut und Angst einfach zuzulassen und zu empfinden, der wird von seinem Körper und Geschehnisse im Umfeld nachdrücklich darauf hingewiesen werden.

Das ist keine Panikmache sondern eine Entwicklung, die der Zeitqualität einfach entspricht.

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