SÜDDEUTSCHE ZEITUNG | Panorama
'Was wir machen, ist sehr riskant'
Protest aus der Vogelperspektive: Zwei Istanbuler filmen die Zusammenstöße auf dem Taksim-Platz mit Drohnen. Ihre Videos werden im Netz millionenfach angeklickt
Interview: Alex Rühle
"Es geht ja auch um einen Krieg der Bilder": Die Demonstration aus der Sicht des fernsteuerbaren Fluggeräts von Jenk1907 und Ufuk A. Foto: OH / SZ |
Plötzlich tauchten diese Luftaufnahmen im Netz auf: Der Taksim-Platz von oben. Polizisten, die auf die Demonstranten losgehen, Tränengaswolken, ein Erschossener auf offener Straße. Alles aufgenommen aus der Vogelperspektive. Zwei Istanbuler filmen die Zusammenstöße seit einigen Tagen mit zwei Drohnen und veröffentlichen die Aufnahmen im Netz (http://vimeo.com/jenk1907/videos). Der eine will nur seinen Twitter-Namen Jenk1907 preisgeben, der andere nennt sich Ufuk A.
SZ: Hallo Herr 'Jenk'. Wie kommt man denn an eine Drohne?
Jenk1907: Die gibt es mittlerweile in jedem Hobbyladen. Wir haben die hier in Istanbul gekauft, zwei DJI Phantom. Vor ungefähr einem Monat.
Wollten Sie damals schon damit Polizeiaktionen filmen?
Jenk1907: Nein, wir hatten doch keine Ahnung, was hier passieren würde. Aber der Kauf hängt tatsächlich mit dem Gezi-Park zusammen, in dem die Unruhen ja begannen: Wir wussten, dass er verschwinden würde für einen Haufen Beton. Als Istanbuler hänge ich sehr an diesem Park und wollte ihn einfach noch mal von oben filmen.
Und wann haben Sie sich entschieden, die Drohne als eine Art Augenzeugen für die Demonstrationen einzusetzen?
Jenk1907: Ich hab" gesehen, wie alte Frauen und Familien von der Polizei attackiert wurden. Ärzte wurden in Handschellen abgeführt, weil sie Verletzten helfen wollten. Kinder standen weinend inmitten des Tränengases und der Wasserwerfer.
Ufuk A.: Die Regierung zerstört alle öffentlichen Orte, geht mit Panzern gegen die eigene Bevölkerung vor, zensiert die Medien - Erdogan will aus der Türkei einen Iran machen, man muss einfach dokumentieren, was hier passiert.
Jetzt filmen Sie also die Proteste und die Polizeieinsätze von oben. Teilweise scheinen Sie ja nur wenige Meter über dem Erdboden zu fliegen. Ist Ihre Drohne denn unsichtbar?
Ufuk A.: Überhaupt nicht. Die hat sehr helle rote und grüne LED-Lichter und kann sich ja auch nicht verstecken in der Luft.
Den Videos nach sind Sie recht versiert im Steuern einer Drohne.
Jenk1907: Ach was, wir sind Anfänger. Inzwischen können wir ganz gut steuern, aber wir machen die Starts und Landungen immer noch am liebsten von einer Terrasse oder einem Dach aus, einem Ort, wo keine Menschen sind. Was wir machen, ist sehr riskant,und man muss sich schon sehr konzentrieren, um eine Drohne an einem Ort fliegen zu lassen, an dem derart viele Frequenzen und Störsender durcheinanderlaufen.
In türkischen Medien hieß es, Ihr seid von der Presse.
Ufuk A.: Völliger Unsinn, Jenk hat einen amerikanischen Abschluss in internationaler Betriebswirtschaft, ich habe ein kleines Unternehmen.
Und wie reagieren die Demonstranten auf Eure Drohnen?
Jenk1907: Die meisten sehr positiv. Manche Leute haben Dinge danach geworfen, weil sie dachten, das sei eine Polizeidrohne. In solchen Fällen steuere ich die Drohne immer direkt über meinem Kopf, damit sie sehen, dass ich kein Cop bin. Inzwischen winken viele oder schwenken ihre Fahnen, wenn sie sie entdecken.
Und die Polizei?
Jenk1907: Wir standen manchmal direkt neben den Einsatzkräften. Die haben anfangs neugierige Fragen gestellt, so wie, Jungs: Wie teuer ist so eine Maschine? Hat sie fasziniert, dass dieses kleine Ding tatsächlich fliegen und aufnehmen kann.
Aber dann haben sie Ihre Drohne abgeschossen.
Ufuk A.: Am 11. Juni waren wir am TaksimPlatz. Der Gouverneur von Istanbul hatte versprochen, den Park nicht zu stürmen. Als die Polizei das dann doch machte, haben wir das von oben gefilmt. Ich bin mit der Drohne weiter runtergegangen, so auf zwölf Meter, um zu filmen, ob die Polizisten wieder ihre Dienstnummern überklebt haben. Da haben sie sie abgeschossen.
Und? Konnten Sie sie reparieren?
Ufuk A.: Wäre wohl gegangen, die Kugeln hatten nur die Kamera getroffen. Aber sie haben mich mitgenommen und zusammengeschlagen und dabei auch die Drohne soweit demoliert, dass sie jetzt nicht mehr funktioniert.
Aber Sie haben ja noch eine zweite, mit der Sie weitergefilmt haben. Haben Sie selbst keine Angst, erwischt zu werden?
Jenk1907: Erwischt - das klingt so, als hätten wir etwas Illegales gemacht. Haben wir nicht.
Stimmt, aber die Regierung nennt all die Leute, die den Park besetzt haben, Terroristen, und nimmt mittlerweile Twitter-User für das Verbreiten 'irreführender Mitteilungen' fest.
Jenk1907: Stimmt auch wieder. Würde mich nicht wundern, wenn sie irgendwann bei uns anklopfen. Ich habe auch anonyme Drohmails bekommen, nachdem die Filme im Netz so oft angeklickt wurden.
Ufuk A.: Als sie mich zusammenschlugen, haben sie immer wieder gefragt: Willst Du unser Land beleidigen? Es geht ja auch um einen Krieg der Bilder.
Den hat Erdogan eindeutig verloren. Wie viele Menschen haben sich Ihre Filme denn angesehen?
Ufuk A.: Alleine auf unserem Vimeo-Kanal wurden die weit über eine Million mal angeklickt. Aber das verbreitet sich über alle Netzwerke weiter.
Man sieht auf Ihren Luftaufnahmen immer wieder riesige Tränengaswolken.
Jenk1907: Ja. Istanbul im Nebel. Wir haben immer Gasmasken dabei. Fast noch gemeiner als das Tränengas sind aber die Wasserwerfer. Das Wasser wird mit Jenix versetzt, einer Chemikalie, die starke allergische Reaktionen verursacht.
Ufuk A.: Am gefährlichsten ist, dass sie gezielt auf die Köpfe schießen.
Werden Sie heute wieder filmen?
Ufuk A.: Nein. Im Moment ist es zu gefährlich. Alleine heute wurden Dutzende Leute festgenommen. Nicht von der Polizei, sondern von Anti-Terroreinheiten.
aus: Süddeutsche Zeitung, Mittwoch, den 19. Juni 2013, Seite9