Schulz im Wahlkampf
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Eine Woche vor der Wahl sieht es finster aus für die Sozialdemokraten. Wie konnte es so weit kommen?
VON NILS MINKMAR - Autor im SPIEGEL-Kulturressort
Bevor Martin Schulz Ende Januar Sigmar Gabriel an der SPD-Parteispitze ablöste und Kanzlerkandidat wurde, drohte den Sozialdemokraten in Umfragen der Absturz unter die 20-Prozent-Marke. Acht Monate und ein Umfragehoch später ist die politische Stimmung ähnlich: Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend kommt die SPD nur auf 20 Prozent, im ZDF-Politbarometer liegt sie bei 23 Prozent.
Wie ist der historische Absturz der SPD in den Umfragen zu erklären?
Drei Gründe:
- Merkel hat nahezu alle Differenzen zu Sozialdemokraten und Grünen abgeräumt, regiert wie die vierte sozialdemokratische Kanzlerin und bietet die Garantie, dass die Linke außen vor bleibt. Das ist vielen Sozialdemokraten wichtig.
- Zweitens ist die SPD zu spät gekommen. Einen Spitzenkandidaten muss man über Jahre aufbauen. Bis heute ist Martin Schulz nicht bekannt, damit nicht vertrauenswürdig genug.
- Und Drittens fehlt das entscheidende Argument für einen Kanzlerwechsel. Die sind in unserer stabilitätsverliebten Republik selten: In fast siebzig Jahren verloren nur drei Kanzler - Kurt Georg Kiesinger , Helmut Kohl und Gerhard Schröder - ihr Amt nach einer Bundestagswahl.
Welche Rolle spielt dabei Martin Schulz?
Schulz hat mit demselben Problem zu kämpfen, das schon Willy Brandt plagte: Die Partei macht ihn schlichter, als er ist.
Der empathische Gerechtigkeitsprediger aus dem Rathaus Würselen hat keine Chance gegen eine weltgewandte Bundeskanzlerin. Aber Martin Schulz kennt die Politiker der Welt ebenso gut wie die Kanzlerin, ist ein weit gereister und äußerst belesener Mann, der in den letzten Jahren half, Europa zusammenzuhalten.
Von dieser professionellen, intellektuellen Seite des Kandidaten haben die Wähler nur wenig zu sehen bekommen. Seine mitfühlende Art wurde betont, aber weit weniger diejenige, die ihn im europäischen Parlament erst berühmt machte, nämlich seine Fähigkeit, einem Silvio Berlusconi, Nigel Farage oder anderen Irrlichtern deutliche Ansagen zu machen und Grenzen zu setzen.
Das ist eine Qualität, die der Kanzlerin nicht zu eigen ist, nach der sich aber viele sehnen, in Zeiten von Putin, Trump und Erdogan. Schließlich ist es ein Wahnsinn, in Zeiten, in denen in jedem ambitionierten Unternehmen im Team gearbeitet wird, alles auf eine Person zu setzen.
Schulz hätte von Anfang an von Mistreitern aus einem breiten zivilgesellschaftlichen und politischen Spektrum umgeben sein müssen. Stattdessen zog er alleine los. Viele Persönlichkeiten, die ihn unterstützen wollte, drangen gar nicht zu ihm durch, wurden nicht zurück gerufen.
Gibt es für den enttäuschenden Wahlkampf Gründe innerhalb der SPD?
Eine Volkspartei funktioniert wie eine Familie, und die SPD spielt "Buddenbrooks". Oder eine Variante davon. Immer noch haben zwei verfeindete Brüder einen großen Anteil an der Schwäche des Lagers "diesseits der Union", wie Willy Brandt es nannte.
Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine haben noch beträchtlichen Einfluss und verhindern unter Verweis auf ihre unversöhnlichen Gegensätze die Konzeption einer tragfähigen rot-rot-grünen Koalition auf Bundesebene. Eine Familienaufstellung, zur Not auch einfach eine Kommission, die mal die letzten Jahre aufarbeitet, wäre dringend geboten. Oder es findet sich eine Gruppe, die die Altvorderen einfach vergisst.
In ganz Europa haben es sozialistische und sozialdemokratische Parteien schwer – ist ihre Zeit vorbei?
Eine Partei ist nicht nur die Summe aus Idee und Organisation, sondern vor allem ein Klub von Menschen, die über viele Jahre Höhen und Tiefen miteinander erleben. Das geht manchmal zulasten der Offenheit. Man bleibt gern unter sich.
Tatsächlich arbeiten, essen, leben und lieben wir anders als in der Mitte des 20. Jahrhunderts – haben aber noch dieselben Parteien. Die dazugehörigen Lager, die sozialen Schichten und Werte haben sich aber transformiert. Industriearbeiter sind nicht mehr die Verdammten der Erde, und nicht alle Katholiken wählen, was der Pfarrer empfiehlt.
Die SPD hat noch vor sich, was andere Säulen der Bundesrepublik - wie der Suhrkamp Verlag oder Karstadt - schon hinter sich haben: ihre Attraktivität und Nützlichkeit auch für jene beweisen, die die gute alte Zeit nicht erlebt haben.
Wozu wird die SPD denn noch gebraucht?
Um die Arbeit zu machen. In der Sozialdemokratie ist die Arbeit eine Form der Religion. Das schätzt auch die Kanzlerin, die eine ähnliche protestantische Arbeitsethik pflegt. In der Flüchtlingskrise hatte kein Genosse das Mobiltelefon ausgeschaltet, das erlaubte sich nur CSU-Chef Seehofer.
Sollte sich die SPD in der Opposition erneuern?
Schöne Idee, wird aber nicht funktionieren. In der Opposition wird die Partei im innerfamiliären Zwist versinken, und die Wähler werden sie vergessen.
Dann ist sie reif für das Museum der einst glorreichen, aber untergegangenen Parteien, zwischen italienischen Christdemokraten und französischen Kommunisten.
Was könnte helfen?
Personen, die unter Verzicht auf eigene Ambitionen den Übergang zu einer neuen Generation organisieren. So wie der große Hans-Jochen Vogel in den Achtzigerjahren den Transfer der Brandt- und Schmidt-Partei zu jener von Lafontaine und Schröder möglich machte.
Und eine Frau an der Spitze.