Wahlkampf
Gut drauf
Natalie Dedreux (18) hat das Downsyndrom. Im Fernsehen fragt sie die Kanzlerin, warum Menschen wie sie bis zuletzt abgetrieben werden dürfen
Von Eva-Maria Lerch | Publik-Forum
Es ist eines der TV-Formate, wie sie jetzt im Wahlkampf ständig über die Bildschirme laufen. Die Bundeskanzlerin steht in der »Wahlarena« der ARD vor rund 150 Wahlberechtigten und antwortet auf ihre Fragen. Die Teilnehmer wollen wissen, was Angela Merkel gegen den Pflegenotstand unternimmt, wie sie die Flüchtlinge integrieren will und warum sie gegen die Ehe für alle gestimmt hat. Die Kanzlerin antwortet freundlich, sachlich, häufig auch ausweichend. Doch als das Mikro an eine junge Frau mit Downsyndrom gereicht wird, verändert sich die Atmosphäre in der Arena und der Blick der Kanzlerin.
Natalie Dedreux trägt eine rote Brille, sie hat ein freundliches rundes Gesicht und große offene Augen. Sie liest ihre Frage von einem Zettel ab, doch ihre Stimme klingt kraftvoll. »Ich bin Redakteurin bei Ohrenkuss«, sagt die 18-Jährige. »Der Ohrenkuss ist ein Magazin. Da schreiben Menschen mit Downsyndrom – so wie ich. Neun von zehn Babys mit Downsyndrom werden in Deutschland nicht geboren. Sie werden abgetrieben. Ein Baby mit Downsyndrom darf bis wenige Tage vor der Geburt abgetrieben werden. Das nennt man Spätabbruch. Meine Kollegen und ich fragen Sie, Frau Merkel: Wieso darf man Babys mit Downsyndrom bis kurz vor der Geburt noch abtreiben?« Angela Merkel verlässt ihr Rednerpult in der Mitte des Raumes und bewegt sich auf die Fragende zu. Natalie Dedreux löst die Hände von ihrem Zettel und sagt: »Ich will nicht abgetrieben werden, sondern auf der Welt bleiben!« Das Publikum applaudiert, bewegt und lange.
Der kluge und offene Auftritt der jungen Kölnerin bewegt seitdem die deutsche Medienlandschaft, auch die britische Presse berichtet darüber. Mehr als die warmherzige, aber abwägende Antwort der Kanzlerin (»Wenn man sieht, was für ein toller Mensch Sie sind, dann kann ich nur sagen, dass es richtig ist, darüber nochmal nachzudenken«) hat die Fragestellerin selbst bewegt: Sie hat gezeigt, wie Menschen mit Downsyndrom selbstbewusst für ihre Interessen einstehen – und wie irrig es ist, ihren Lebenssinn zu bestreiten. Sie hat die Debatte über Spätabtreibung neu eröffnet.
Natalie Dedreux hat die Integrative Gesamtschule in Köln-Holweide besucht. Sie arbeitet in dem von der Caritas geführten Café Querbeet und will Köchin werden. Als Redakteurin der Zeitschrift Ohrenkuss schreibt sie Artikel und Gedichte in leichter, aber umso eindringlicherer Sprache. Sie macht Leichtathletik, sammelt BHs in verschiedenen Farben und schreibt über sich: »Seit ich geboren bin, sieht man mir an, dass ich das Downsyndrom habe. Man sieht es an den Augen und an den Ohren. Ich finde das gut. Ich bin gerne eine Frau mit Downsyndrom.«
aus. Publik-Forum, 20/2017 - S. 6
Gut drauf
Natalie Dedreux (18) hat das Downsyndrom. Im Fernsehen fragt sie die Kanzlerin, warum Menschen wie sie bis zuletzt abgetrieben werden dürfen
Von Eva-Maria Lerch | Publik-Forum
Es ist eines der TV-Formate, wie sie jetzt im Wahlkampf ständig über die Bildschirme laufen. Die Bundeskanzlerin steht in der »Wahlarena« der ARD vor rund 150 Wahlberechtigten und antwortet auf ihre Fragen. Die Teilnehmer wollen wissen, was Angela Merkel gegen den Pflegenotstand unternimmt, wie sie die Flüchtlinge integrieren will und warum sie gegen die Ehe für alle gestimmt hat. Die Kanzlerin antwortet freundlich, sachlich, häufig auch ausweichend. Doch als das Mikro an eine junge Frau mit Downsyndrom gereicht wird, verändert sich die Atmosphäre in der Arena und der Blick der Kanzlerin.
Natalie Dedreux trägt eine rote Brille, sie hat ein freundliches rundes Gesicht und große offene Augen. Sie liest ihre Frage von einem Zettel ab, doch ihre Stimme klingt kraftvoll. »Ich bin Redakteurin bei Ohrenkuss«, sagt die 18-Jährige. »Der Ohrenkuss ist ein Magazin. Da schreiben Menschen mit Downsyndrom – so wie ich. Neun von zehn Babys mit Downsyndrom werden in Deutschland nicht geboren. Sie werden abgetrieben. Ein Baby mit Downsyndrom darf bis wenige Tage vor der Geburt abgetrieben werden. Das nennt man Spätabbruch. Meine Kollegen und ich fragen Sie, Frau Merkel: Wieso darf man Babys mit Downsyndrom bis kurz vor der Geburt noch abtreiben?« Angela Merkel verlässt ihr Rednerpult in der Mitte des Raumes und bewegt sich auf die Fragende zu. Natalie Dedreux löst die Hände von ihrem Zettel und sagt: »Ich will nicht abgetrieben werden, sondern auf der Welt bleiben!« Das Publikum applaudiert, bewegt und lange.
Der kluge und offene Auftritt der jungen Kölnerin bewegt seitdem die deutsche Medienlandschaft, auch die britische Presse berichtet darüber. Mehr als die warmherzige, aber abwägende Antwort der Kanzlerin (»Wenn man sieht, was für ein toller Mensch Sie sind, dann kann ich nur sagen, dass es richtig ist, darüber nochmal nachzudenken«) hat die Fragestellerin selbst bewegt: Sie hat gezeigt, wie Menschen mit Downsyndrom selbstbewusst für ihre Interessen einstehen – und wie irrig es ist, ihren Lebenssinn zu bestreiten. Sie hat die Debatte über Spätabtreibung neu eröffnet.
Natalie Dedreux hat die Integrative Gesamtschule in Köln-Holweide besucht. Sie arbeitet in dem von der Caritas geführten Café Querbeet und will Köchin werden. Als Redakteurin der Zeitschrift Ohrenkuss schreibt sie Artikel und Gedichte in leichter, aber umso eindringlicherer Sprache. Sie macht Leichtathletik, sammelt BHs in verschiedenen Farben und schreibt über sich: »Seit ich geboren bin, sieht man mir an, dass ich das Downsyndrom habe. Man sieht es an den Augen und an den Ohren. Ich finde das gut. Ich bin gerne eine Frau mit Downsyndrom.«
aus. Publik-Forum, 20/2017 - S. 6