DIALEKTE
De skat fan ús taal - Der Schatz unserer Sprache
Unsere Standardsprache ist ein blasser Nachkomme der uralten Dialekte. Schriftsteller haben deshalb immer Dialektwörter in die Literatur gehoben. Diese Vielfalt ist ein Schatz. Sie geht verloren.
Von Matthias Heine | edition.welt
st das Verschwinden der deutschen Dialekte ein letzter heimlicher Triumph des Sozialismus? Auf diese Verschwörungstheorie könnte kommen, wer die „Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache“ liest, die 1983 in der DDR veröffentlicht wurde. In dem von den hochrangigen ostdeutschen Linguisten Joachim Schild und Wolfgang Fleischer herausgegebenen Standardwerk wird die Überwindung der alten Mundarten quasi als Plansoll verkündet, das im Arbeiter- und Bauernstaat schon fast erfüllt sei: „Allerdings scheint der Dialektgebrauch in der BRD langsamer zurückzugehen als in der DDR; das hat seine Ursache vermutlich in der Beibehaltung der für kapitalistische Verhältnisse typischen sozioökonomischen Struktur sowie im Fehlen eines einheitlichen und von Beschränkungen freien Bildungssystems.“
Die LPGs und der Dialekt
Was mit der „sozioökonomischen Struktur“ gemeint war, die im Westen für ein Fortdauern der Dialekte sorgte, ahnt man, wenn man zu Beginn des Kapitels in der „Kleinen Enzyklopädie“ liest: „Dialekte entsprachen den Kommunikationsbedürfnissen der an Grund und Boden gebundenen bäuerlichen Bevölkerung unter feudalen Bedingungen“. Der Rückgang der Mundart in der DDR wird also mit dem Verschwinden kleinräumiger Produktionsverhältnisse nach der Bodenreform erklärt. Der selbstständige Hofbauer und der kleine private Handwerker befriedigten demnach ihr „Kommunikationsbedürfnis“ mit dem Dialekt, der LPG-Genosse, PGH-Handwerker und der Kombinatsproletarier nicht mehr.
Für diese Theorie spricht, dass der echte Dialekt ausgerechnet in jenen Gebieten Ostdeutschlands heute nahezu komplett verschwunden ist, wo die größten landwirtschaftlichen Betriebe existierten und existieren: Im Norden, in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Eine Untersuchung im Auftrag der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften ergab, dass von zehn repräsentativen deutschen Mittelstädten im mecklenburgischen Parchim die wenigsten Menschen noch aktiv den traditionellen Dialekt beherrschen. Und schon 1983 konstatierten die DDR-Linguisten: „In der DDR wird in bestimmten Gebieten Thüringens oder des Erzgebirges viel stärker an dialektnahen Sprachformen festgehalten als im Norden, im Brandenburgisch-Märkischen oder ehemaligen Anhaltinischen.“
Gegen die Hypothese vom Zusammenhang zwischen industrieller Landwirtschaft und dem Rückgang der Mundart spricht wiederum, dass im Westen ausgerechnet Ostfriesland hartnäckig dem Dialektsterben trotzt. Hier beherrschen auch viele jüngere Menschen die Mundart noch so zahlreich wie sonst nur in Bayern und im alemannischen Raum. Aber das Gebiet an der holländischen Grenze ist gerade die Gegend in der alten Bundesrepublik mit der höchsten Dichte landwirtschaftlicher Großbetriebe.
Es muss also doch verschiedene Ursachen für das Dialektsterben geben, das die Wissenschaftler unter Leitung des Marburger Professors Erich Schmidt bei ihrer Zehn-Städte-Untersuchung festgestellt haben und über das sie im zweiten „Bericht zur Lage der deutschen Sprache“ (Stauffenburg-Verlag, 29,95 Euro) berichten. Die lange Abwertung des Dialekts als Sprache der Ungebildeten, die noch in der zitierten DDR-Enzyklopädie anklingt, gehört sicher dazu. Ein weiterer Grund ist, dass seit der Einführung von Radio und Fernsehen erstmals in der Geschichte unserer Muttersprache schon Kinder in der Lage sind, genormtes Hochdeutsch sprechende Menschen zu hören und sich nach ihnen zu richten. Bis vor 100 Jahren hatten sie diese Möglichkeit nicht, weil einfach jeder Deutsche seinen Dialekt oder zumindest eine dialektnahe regionale Umgangsprache sprach.
Was auch immer die Hintergründe des Dialektsterbens sind – es kann uns eigentlich nicht egal sein. Als die WELT zum ersten Mal über den dramatischen Schwund der uralten Mundarten berichtete, taten manche Leser das mit einem desinteressierten oder gar höhnischen Schulterzucken ab. Bei ihnen gelten Dialekte nach einer endlosen Zeit antimundartlicher Bildungspropaganda nur noch als schlechtes Deutsch, also falsch ausgesprochene Varianten des Hochdeutschen im Munde von retardierten Hinterwäldlern.
Das ist aber grundfalsch. In Wirklichkeit sind die Dialekte eigene Sprachen mit eigenen lautlichen und grammatischen Gesetzmäßigkeiten und eigenem Wortschatz. Sie sind viel älter als unser Hochdeutsch, das erst etwa 500 Jahre lang existiert. Auch wenn man schon seit 800 n. Chr. von Althochdeutsch spricht und die Epoche von 1050 bis 1350 als Mittelhochdeutsch bezeichnet, gab es damals keine überregionale Standardsprache, sondern nur Dialekte. Ein in der ganzen Nation halbwegs verbindliches Deutsch ist erst nach der Erfindung des Buchdrucks entstanden. Luthers Bibel war dafür ein wichtiger Beschleuniger.
die folgende karte stammt von hier: http://klangschreiber.de/files/2010/07/mundart-regionen.jpg
Wie Mundartwörter das Standarddeutsch bereichern
Das Neuhochdeutsch ist aus einem Dialekt entstanden. Luther legte seiner Bibelübersetzung das Ostmitteldeutsche zugrunde, nicht nur weil es die Sprache seines Sachsens war, sondern weil er dieser Mundart, die genau an der Grenze zwischen dem südlichen oberdeutschen und dem nördlich niederdeutschen Raum entstanden war, am ehesten zutraute, überall verstanden zu werden.
Jedes deutsche Wort war also ursprünglich ein Dialektwort. Und unser Hochdeutsch ist ein Dialektgemisch. Denn sein ostmittelhochdeutscher Kern ist immer wieder um Wörter aus anderen Mundarten bereichert worden. Das fängt schon bei Luther an, der sich entschied, in seiner Bibelsprache niederdeutschen Wörtern wie Lippe, Träne oder Ziege den Vorzug vor den oberdeutschen Formen Lefze, Zähre oder Geiß zu geben.
Und es geht immer weiter. Heute ganz hochsprachliche Wörter wie Grenze (aus altpolnisch granica) oder Horde (aus tatarisch ordo) waren ursprünglich Mundartwörter in ostdeutschen Dialekten. Die Schriftsteller haben immer wieder Mundartwörter literaturfähig gemacht: Das Schweizerische hat uns den Putsch beschert, mit tatkräftiger Hilfe Gottfried Kellers. Fontane und Tucholsky hievten das berlinische blümerant in den überregionalen Standard.
Und erst im 20. Jahrhundert sind Schlawiner aus der Münchner Stadtsprache und hinterfotzig aus dem Bayerischen in die allgemeine Hochsprache eingewandert. Wie schnell ein Wort dann seinen mundartlichen Beiklang verlieren kann, zeigt sich deutlich am heute gesamtdeutsch verbreiteten Abschiedsgruß tschüs, der noch bis 1950 weitgehend auf den niederdeutschen Sprachraum beschränkt war und dort ursprünglich mundartlich atschüs lautete.
Die Horde kam aus dem Osten
All diese Wörter haben den Synonymreichtum des Hochdeutschen gemehrt oder sie haben Benennungslücken geschlossen. Sie haben der Tendenz der Schriftsprache zum Verblassen entgegengewirkt. Und sie sind Erinnerungsspeicher, aus denen der Verständige Geschichte zu lesen versteht. Horde ist dafür ein schönes Beispiel. Es erzählt von den Zeiten, in denen Tatarenüberfälle in manchen Gebieten Deutschlands noch eine ganz reale Bedrohung waren. Noch im 17. Jahrhundert wurden durch die mordenden und Sklaven jagenden Reiter ganze Landstriche Ostpreußens entvölkert.
Der Dialekt Ostpreußens hat das damals überlebt. Den Garaus gemacht hat ihm erst die Vertreibung im 20. Jahrhundert. Er gehört wie das Sudetendeutsch zu den Dialekten, die schon jetzt verschwunden sind. Nur wenige alte Menschen verstehen sie noch, und keiner spricht mehr so. Wenn diese letzten Sprachzeugen verstummt sind, wird beispielsweise kein Mensch mehr wissen, dass bei den Deutschen Böhmens und Mährens „geil“ auch „übertrieben süß“ bedeuten konnte.
Vielfalt
Längst ist die linguistische Erkenntnis, dass mit jeder Sprache ein Stück kulturelles Gedächtnis der Menschheit stirbt, Allgemeingut geworden. Merkwürdigerweise rührt es uns aber mehr, wenn wir lesen, dass der letzte Sprecher einer indigenen Sprache im Amazonasgebiet dahingegangen ist, als wenn wir hören, dass das Saterfriesische bedroht ist. Das Nahe erscheint uns weniger teuer als das Ferne, weil wir es eben nur für falsch halten und seinen Eigenwert nicht erkennen.
Menschen, die den Wert von Biodiversität in der Natur und der Landwirtschaft begriffen haben, sollten aber leicht einsehen, wie kostbar der linguistische Schatz der Dialekte ist. „Vielfalt“ ist doch ein Leitwort des liberalen Bürgertums. In der Sprache ist Vielfalt tatsächlich mal reine Bereicherung, ohne Bedrohung. Gerade, weil so viele nur noch die Standardsprache sprechen, gilt es das uralte nicht Genormte zu hegen. Wenn alle nur noch das gereinigte Deutsch der Nachrichtensprecher nachreden, nützt es nichts mehr, dem Volk aufs Maul zu schauen.
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De skat fan ús taal - Der Schatz unserer Sprache
Unsere Standardsprache ist ein blasser Nachkomme der uralten Dialekte. Schriftsteller haben deshalb immer Dialektwörter in die Literatur gehoben. Diese Vielfalt ist ein Schatz. Sie geht verloren.
Von Matthias Heine | edition.welt
st das Verschwinden der deutschen Dialekte ein letzter heimlicher Triumph des Sozialismus? Auf diese Verschwörungstheorie könnte kommen, wer die „Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache“ liest, die 1983 in der DDR veröffentlicht wurde. In dem von den hochrangigen ostdeutschen Linguisten Joachim Schild und Wolfgang Fleischer herausgegebenen Standardwerk wird die Überwindung der alten Mundarten quasi als Plansoll verkündet, das im Arbeiter- und Bauernstaat schon fast erfüllt sei: „Allerdings scheint der Dialektgebrauch in der BRD langsamer zurückzugehen als in der DDR; das hat seine Ursache vermutlich in der Beibehaltung der für kapitalistische Verhältnisse typischen sozioökonomischen Struktur sowie im Fehlen eines einheitlichen und von Beschränkungen freien Bildungssystems.“
Die LPGs und der Dialekt
Was mit der „sozioökonomischen Struktur“ gemeint war, die im Westen für ein Fortdauern der Dialekte sorgte, ahnt man, wenn man zu Beginn des Kapitels in der „Kleinen Enzyklopädie“ liest: „Dialekte entsprachen den Kommunikationsbedürfnissen der an Grund und Boden gebundenen bäuerlichen Bevölkerung unter feudalen Bedingungen“. Der Rückgang der Mundart in der DDR wird also mit dem Verschwinden kleinräumiger Produktionsverhältnisse nach der Bodenreform erklärt. Der selbstständige Hofbauer und der kleine private Handwerker befriedigten demnach ihr „Kommunikationsbedürfnis“ mit dem Dialekt, der LPG-Genosse, PGH-Handwerker und der Kombinatsproletarier nicht mehr.
Für diese Theorie spricht, dass der echte Dialekt ausgerechnet in jenen Gebieten Ostdeutschlands heute nahezu komplett verschwunden ist, wo die größten landwirtschaftlichen Betriebe existierten und existieren: Im Norden, in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Eine Untersuchung im Auftrag der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften ergab, dass von zehn repräsentativen deutschen Mittelstädten im mecklenburgischen Parchim die wenigsten Menschen noch aktiv den traditionellen Dialekt beherrschen. Und schon 1983 konstatierten die DDR-Linguisten: „In der DDR wird in bestimmten Gebieten Thüringens oder des Erzgebirges viel stärker an dialektnahen Sprachformen festgehalten als im Norden, im Brandenburgisch-Märkischen oder ehemaligen Anhaltinischen.“
Gegen die Hypothese vom Zusammenhang zwischen industrieller Landwirtschaft und dem Rückgang der Mundart spricht wiederum, dass im Westen ausgerechnet Ostfriesland hartnäckig dem Dialektsterben trotzt. Hier beherrschen auch viele jüngere Menschen die Mundart noch so zahlreich wie sonst nur in Bayern und im alemannischen Raum. Aber das Gebiet an der holländischen Grenze ist gerade die Gegend in der alten Bundesrepublik mit der höchsten Dichte landwirtschaftlicher Großbetriebe.
Es muss also doch verschiedene Ursachen für das Dialektsterben geben, das die Wissenschaftler unter Leitung des Marburger Professors Erich Schmidt bei ihrer Zehn-Städte-Untersuchung festgestellt haben und über das sie im zweiten „Bericht zur Lage der deutschen Sprache“ (Stauffenburg-Verlag, 29,95 Euro) berichten. Die lange Abwertung des Dialekts als Sprache der Ungebildeten, die noch in der zitierten DDR-Enzyklopädie anklingt, gehört sicher dazu. Ein weiterer Grund ist, dass seit der Einführung von Radio und Fernsehen erstmals in der Geschichte unserer Muttersprache schon Kinder in der Lage sind, genormtes Hochdeutsch sprechende Menschen zu hören und sich nach ihnen zu richten. Bis vor 100 Jahren hatten sie diese Möglichkeit nicht, weil einfach jeder Deutsche seinen Dialekt oder zumindest eine dialektnahe regionale Umgangsprache sprach.
Was auch immer die Hintergründe des Dialektsterbens sind – es kann uns eigentlich nicht egal sein. Als die WELT zum ersten Mal über den dramatischen Schwund der uralten Mundarten berichtete, taten manche Leser das mit einem desinteressierten oder gar höhnischen Schulterzucken ab. Bei ihnen gelten Dialekte nach einer endlosen Zeit antimundartlicher Bildungspropaganda nur noch als schlechtes Deutsch, also falsch ausgesprochene Varianten des Hochdeutschen im Munde von retardierten Hinterwäldlern.
Das ist aber grundfalsch. In Wirklichkeit sind die Dialekte eigene Sprachen mit eigenen lautlichen und grammatischen Gesetzmäßigkeiten und eigenem Wortschatz. Sie sind viel älter als unser Hochdeutsch, das erst etwa 500 Jahre lang existiert. Auch wenn man schon seit 800 n. Chr. von Althochdeutsch spricht und die Epoche von 1050 bis 1350 als Mittelhochdeutsch bezeichnet, gab es damals keine überregionale Standardsprache, sondern nur Dialekte. Ein in der ganzen Nation halbwegs verbindliches Deutsch ist erst nach der Erfindung des Buchdrucks entstanden. Luthers Bibel war dafür ein wichtiger Beschleuniger.
die folgende karte stammt von hier: http://klangschreiber.de/files/2010/07/mundart-regionen.jpg
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Wie Mundartwörter das Standarddeutsch bereichern
Das Neuhochdeutsch ist aus einem Dialekt entstanden. Luther legte seiner Bibelübersetzung das Ostmitteldeutsche zugrunde, nicht nur weil es die Sprache seines Sachsens war, sondern weil er dieser Mundart, die genau an der Grenze zwischen dem südlichen oberdeutschen und dem nördlich niederdeutschen Raum entstanden war, am ehesten zutraute, überall verstanden zu werden.
Jedes deutsche Wort war also ursprünglich ein Dialektwort. Und unser Hochdeutsch ist ein Dialektgemisch. Denn sein ostmittelhochdeutscher Kern ist immer wieder um Wörter aus anderen Mundarten bereichert worden. Das fängt schon bei Luther an, der sich entschied, in seiner Bibelsprache niederdeutschen Wörtern wie Lippe, Träne oder Ziege den Vorzug vor den oberdeutschen Formen Lefze, Zähre oder Geiß zu geben.
Und es geht immer weiter. Heute ganz hochsprachliche Wörter wie Grenze (aus altpolnisch granica) oder Horde (aus tatarisch ordo) waren ursprünglich Mundartwörter in ostdeutschen Dialekten. Die Schriftsteller haben immer wieder Mundartwörter literaturfähig gemacht: Das Schweizerische hat uns den Putsch beschert, mit tatkräftiger Hilfe Gottfried Kellers. Fontane und Tucholsky hievten das berlinische blümerant in den überregionalen Standard.
Und erst im 20. Jahrhundert sind Schlawiner aus der Münchner Stadtsprache und hinterfotzig aus dem Bayerischen in die allgemeine Hochsprache eingewandert. Wie schnell ein Wort dann seinen mundartlichen Beiklang verlieren kann, zeigt sich deutlich am heute gesamtdeutsch verbreiteten Abschiedsgruß tschüs, der noch bis 1950 weitgehend auf den niederdeutschen Sprachraum beschränkt war und dort ursprünglich mundartlich atschüs lautete.
Die Horde kam aus dem Osten
All diese Wörter haben den Synonymreichtum des Hochdeutschen gemehrt oder sie haben Benennungslücken geschlossen. Sie haben der Tendenz der Schriftsprache zum Verblassen entgegengewirkt. Und sie sind Erinnerungsspeicher, aus denen der Verständige Geschichte zu lesen versteht. Horde ist dafür ein schönes Beispiel. Es erzählt von den Zeiten, in denen Tatarenüberfälle in manchen Gebieten Deutschlands noch eine ganz reale Bedrohung waren. Noch im 17. Jahrhundert wurden durch die mordenden und Sklaven jagenden Reiter ganze Landstriche Ostpreußens entvölkert.
Der Dialekt Ostpreußens hat das damals überlebt. Den Garaus gemacht hat ihm erst die Vertreibung im 20. Jahrhundert. Er gehört wie das Sudetendeutsch zu den Dialekten, die schon jetzt verschwunden sind. Nur wenige alte Menschen verstehen sie noch, und keiner spricht mehr so. Wenn diese letzten Sprachzeugen verstummt sind, wird beispielsweise kein Mensch mehr wissen, dass bei den Deutschen Böhmens und Mährens „geil“ auch „übertrieben süß“ bedeuten konnte.
Vielfalt
Längst ist die linguistische Erkenntnis, dass mit jeder Sprache ein Stück kulturelles Gedächtnis der Menschheit stirbt, Allgemeingut geworden. Merkwürdigerweise rührt es uns aber mehr, wenn wir lesen, dass der letzte Sprecher einer indigenen Sprache im Amazonasgebiet dahingegangen ist, als wenn wir hören, dass das Saterfriesische bedroht ist. Das Nahe erscheint uns weniger teuer als das Ferne, weil wir es eben nur für falsch halten und seinen Eigenwert nicht erkennen.
Menschen, die den Wert von Biodiversität in der Natur und der Landwirtschaft begriffen haben, sollten aber leicht einsehen, wie kostbar der linguistische Schatz der Dialekte ist. „Vielfalt“ ist doch ein Leitwort des liberalen Bürgertums. In der Sprache ist Vielfalt tatsächlich mal reine Bereicherung, ohne Bedrohung. Gerade, weil so viele nur noch die Standardsprache sprechen, gilt es das uralte nicht Genormte zu hegen. Wenn alle nur noch das gereinigte Deutsch der Nachrichtensprecher nachreden, nützt es nichts mehr, dem Volk aufs Maul zu schauen.
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"so reden - wie einem der schnabel gewachsen ist" ... - das ist hier in der gegend so ein "sprich-wort": wer es ehrlich meint - oder neudeutsch: "authentisch" - der spricht nicht in "political-correctness-druckreif-sprech - der legt das wort nicht erst auf die goldwaage - sondern der sagt "frei schnauze", was ihm "unter den nägeln brennt" ... - meist ist es die sprache - der dialekt - seines heimatortes, seiner eltern - meist klar und deutlich - mit ansage ! ... das meinte luther mit "dem volk auf's maul schauen" ...
oft haben sich menschen aus dem pütt mühsam das andauernde oft fragende bekräftigungs-"woll" versucht abzugewöhnen - um endlich ganz vornehm "hoch"-deutsch zu sprechen - und um eine andere gesellschaft-klassenzugehörigkeit vorzugaukeln ... - oder bei mir z.b. erkennt man sicherlich am "jau" statt "ja", das meine sippe mütterlicherseits westfälisch-platt "köierte" ...
leider habe ich das heimat-platt meiner mutter hier aus der senne nicht mehr fließend "drauf" ... - ich kann es aber noch verstehen ... - allerdings gehen hier die sprachgrenzen oft nur bis zum nächsten bach: z.b. südlich des von hannes wader besungenen "johannisbaches" in bielefeld mähte man den "roggen" - und nördlich davon "meihte" man "robben" - oder war es umgekehrt ... ???
hatte aber wohl mit dem holländischen bayern-fußballspieler weniger zu tun - aber vielleicht gibt es eine verwandtschaft des getreide-namens mit der etymologie des aus dem niederländisch-friesischen platt entstandenen familiennnamens ...
ja - und leider beansprucht ja auch die afd die "einfache-klare-deutsche" sprache für sich und krakeelt auch gegen "political correctness" - so ganz im trump-schen twitter-sinn ... und gegen die "lügenpresse", deren hochsprache sie nicht gewachsen ist - eben weil die welt viel komplizierter ist als die afd sich das ausmalt ...
aber das muss von dem hier gemeinten allgemeinen kulturellen anliegen, lokale und regionale dialekte sorgsam zu erhalten, ganz deutlich unterschieden werden ...
und meine tante frieda sagte immer: "ich spreche drei sprachen: hochdeutsch - plattdeutsch - und über 'annere lüüd'" ... - S!