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zwölf bilder pro skunde

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Sind sie es, und sind sie es doch nicht: Douglas Booth als Armand Roulin (im postgelben Sakko), Saoirse Ronan als Arzttochter Marguerite Gachet und Robert Gulaczyk in der Rolle des Vincent van Gogh.






Von Luise Schendel | welt.de 

Zwölf Bilder pro Sekunde: Der Van-Gogh-Film von Dorota Kobiela und Hugh Welchman ist der erste in Öl gemalte Animationsfilm der Welt

Er war böse. Das glaubt zumindest die Haushälterin. Und ihr Glaube, der ist ihr heilig. Eine eifrige Kirchgängerin ist sie, mit einer eisernen moralischen Peilung. Ihr, da ist sie sich sicher, fällt es leicht, das Böse zu erkennen, wenn es vor ihr steht. Und er stand oft vor ihr.

Wochenlang ging er in dem kleinen Haus im nordfranzösischen Örtchen Auvers-sur-Oise ein und aus, war ein Freund, ein Vertrauter, ein Teil der Familie. Er lachte und scherzte, verliebte sich. Doch da war noch etwas anderes in ihm. Etwas Dunkles, das seine Gedanken zunehmend verdüsterte. „Da war etwas Wahnsinniges in seinem Blick“, gibt sie mit zusammengekniffenen Augen und brüchiger Stimme zu Protokoll, „man traute sich nicht, ihn anzuschauen.“

Tage später starb er. Selbstmord mit Schusswaffe, so die offizielle Version. Doch unter der Hand hält sich hartnäckig das Gerücht, der Hausgast sei ermordet worden. Vielleicht von der kratzbürstigen Haushälterin (Helen McCrory)? Die kommt dem obligatorischen Gärtner und fleischgewordenen Wolf im Schafspelz zumindest ziemlich nahe. Eine Reminiszenz an Agatha Christie und Edgar Wallace, die alte Schule eben. Naheliegend.

Immerhin ist „Loving Vincent“ eine Kriminalgeschichte und mit einer zeitlichen Verortung im späten 19. Jahrhundert allem Anschein nach nicht nur von gestern, sondern schon von anno dunnemals. Und besitzt trotzdem noch immer Gültigkeit. Das mag auch an den thematischen Klammern liegen, in denen sich der Animationsfilm bewegt. Es geht um Liebe, Neid und Verzweiflung. Und um den Tod eines der markantesten Malergenies der modernen Kunstgeschichte. Damit reiht sich der Film nahtlos in den Trend ein, der mit „Frida“ (2002), „Goyas Geister“ (2006) oder „Mr. Turner – Meister des Lichts“ (2014) seit Jahren bedient wird. Van-Gogh-Filme gibt es viele, der berühmteste war wohl Vincente Minnellis Melodram „Ein Leben in Leidenschaft“ mit Kirk Douglas, der berührendste vielleicht Maurice Pialats Biopic von 1991, in dem Jacques Dutronc den Eigenbrötler mit den wahnhaften Zwängen gab. Nun werden die letzten Lebensmonate van Goghs in „Loving Vincent“ noch einmal neu aufgerollt. Überraschend ähnlich, aber vollkommen anders.

Vincent van Gogh (Robert Gulaczyk) war zu Lebzeiten weder besonders erfolgreich noch außergewöhnlich beliebt. Immer wieder stieß der melancholische Niederländer auf Vorurteile und Ausgrenzung. Gerade seine letzten Lebensjahre waren von den ständigen emotionalen und finanziellen Krisen geprägt, die ein erhebliches Konfliktpotenzial boten. Legendär der Dezembertag im Jahr 1888, an dem sich der immer wieder unter Nervenkrisen leidende Künstler seines linken Ohrs entledigte, es einer Prostituierten schenkte und am nächsten Morgen ohne Erinnerung an die Tat in der blutigen Bettwäsche erwachte.

Eine bewährte Mischung für einen kurzweiligen Plot also, mit der die Regisseure Dorota Kubiela und Hugh Welchman eigentlich auf Nummer sicher gehen, aber nur eine vergleichsweise harmlose Spannung erzeugen. Auch weil der fiktive Kommissar, der hier ermittelt, von dem zunächst widerspenstigen, dauerpaffenden und versoffenen Postmeistersohn Armand Roulin (mit postgelbem Sakko in der Rolle des Helden wider Willen: Douglas Booth) gegeben wird, der mit dem Maler herzlich wenig zu schaffen hatte. Abgesehen davon, dass der ihn immerhin zweimal porträtierte.

Wenn der Film beginnt, ist Vincent, dessen Sonnenblumenbilder später auf Auktionen Rekordsummen erzielten, bereits seit einem Jahr tot. Gestorben an der Kugel, die er sich am 27. Juli 1890 in die Brust schoss. Sein letzter Brief ist liegen geblieben, Roulin soll ihn dem Bruder, dem Pariser Kunsthändler Theo van Gogh, überbringen. Die Zustellung erweist sich als schwierig, denn Theo ist inzwischen auch gestorben. Roulin spricht mit Freunden, Bekannten, Geliebten und schlittert so von einem Nebenkriegsschauplatz auf den nächsten. Er lernt auch van Goghs Arzt und Mentor Docteur Gachet (Jerome Flynn) und dessen Tochter Marguerite (Saoirse Ronan) kennen. Wie ein Puzzle fügen sich diese Gespräche in den schwarz-weißen Rückblenden zu den letzten Lebensmonaten des Künstlers zusammen. So wirkt der Plot wie ein künstlich konstruierter Flickenteppich aus Erinnerungen und Brückenhandlungen, der dem Zuschauer erhebliche Konzentration abverlangt.

Ginge es nur darum, könnte auch ein sehr mäßiger „Tatort“ mit „Loving Vincent“ locker mithalten. Doch da ist mehr. Ein Wie, an dem der Zuschauer nicht vorbeikommt. Denn das Künstlerbiopic mit dem kriminalistischen Anspruch wurde an den berühmten Bildern van Goghs entlang entworfen.

Aufgereiht wie an einer Perlenschnur, dienen die Kunstwerke als luzide, bewegte Kulisse, vor der sich die Handlung entfaltet. Im „Nachtcafé“ von Arles, einem Interieurgemälde von 1888, lernt der Zuschauer Armand kennen und taucht mit ihm in die halb grafische, halb realistische Bildästhetik van Goghs ein. Der wuchtige grün-braune Billardtisch, die Wände in tiefem Rot und davor die runden und eckigen Holztische, an denen vereinzelte Trinker zusammengesunken sind – der Künstler malte, was er sah und fühlte. Aus dem weichen Schein der Kerzen wurde ein abstrahiertes Strichmuster, das die Realität noch nicht in jene Bruchstücke auflöste, wie es die Expressionisten später liebten. Gleichzeitig entfaltete sich die Darstellung nicht mehr in den winzigen Farbfeldern, die noch von Impressionisten wie Seurat oder Signac bevorzugt wurden.

Van Goghs in großen Schwüngen, Kreisen und Strichwirbeln stark bewegter Malstil gab den entscheidenden Anstoß zum Filmprojekt, er selbst schrieb: „Wir können nur durch unsere Bilder sprechen.“ Dass nun die empfindsame Farbenpracht und Harmonie seiner Bilder in einem Zeichentrickfilm der neuesten Generation zu einem nochmals intensivierten, gefühlsbetonten Bilderlebnis führt, adelt das malerische Œuvre. Und lässt sich umgekehrt durch die Vorlage legitimieren. Mit Ausnahme der bereits in Alfred Hitchcocks Film „Die Vögel“ eingesetzten Rotoskopietechnik, in der die Schwarz-Weiß-Rückblenden produziert wurden, erwachen unter den Händen von 125 Malern die real gedrehten Szenen als befremdliche stilistische Wiedergänger von einst.

Sie haben 65.000 Einzelbilder im Format 100 mal 60 Zentimeter gemalt. Hundert davon waren exakte Van-Gogh-Kopien, die anderen variiert beziehungsweise frei erfunden. Jede dieser fiktiven Szenen wurde zuerst mit Schauspielern gefilmt und dann in Öl gemalt. Was für eine Arbeit! Die Regisseure selbst sprechen von der langsamsten Methode, nach der je ein Spielfilm gedreht worden sei. Sie gipfelt in einem nie gesehenen Farbrausch.

„Loving Vincent“ ist ein Wunderwerk. Ästhetisch ein Meisterwerk. Vergessen der behäbige Krimi und die zu blassen, zu sprunghaften Szenen, die den Film gerade so über seine 94 Minuten Laufzeit bringen. (Die Handlung fußt auf den 800 erhaltenen Briefen, die van Gogh im Laufe seines Lebens schrieb.) Ginge es nur um die malerische Animation der Bilder van Goghs – es würde schon genügen, um eine kleine Revolution des Genres auszurufen. Es hat sechs Jahre gebraucht, diesen Film zu realisieren.

„Loving Vincent“ ist überwältigend, aber auch anstrengend. (Kunstkenner sind zweifellos im Vorteil.) Wahrhaft fulminant ist der Blick in einen kobaltblauen Himmel, auf dem die Sonne von einem Hof aus Strichen umschwirrt wird und der Wind die Wolken wellenartig auftürmt. Man kriegt eine Ahnung davon, was sich im Kopf des Malers abgespielt haben muss. „Nur wer ein Auge dafür hat“, schrieb er, „sieht etwas Schönes und Gutes.“ Aber auch: „Mancher Mensch hat ein großes Feuer in der Seele, und niemand kommt, um sich daran zu wärmen.“ Hätte er nur diesen Film sehen können!

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