feiert am 23. Januar seinen 80. Geburtstag
Kopfüber ins Abseits: Den „Orangenesser IX“ malte Georg Baselitz 1981 (Streifenfragment)
Copyright: © Georg Baselitz, 2018, Foto: Bayer&Mitko - ARTOTHEK
Eine Kerze zum 80. |
Der Selbstausgrenzer
Die Schweizer stört es nicht, dass er mit Trump sympathisiert: Basel richtet dem deutschen Jahrhundertmaler Georg Baselitz zum 80. eine fulminante Werkschau aus.
Von Hans-Joachim Müller | welt-edition
Man müsste jetzt noch einmal die ganze Geschichte erzählen. So wie man das immer tut, wenn einer 80 wird. Einen ehrenden Toast auf Georg Baselitz ausbringen. Den ergriffenen Festredner spielen, der wahrheitsgemäß von all den Skandalen des Malers berichtet, von seinem für manche befremdlichen Aufstieg zu den Erstgenannten der Szene, von den verlässlichen Provokationen seines Werks, von der verstörenden Selbstinszenierung als ewig polternder Sturkopf. Aber es ist viel mehr Laudatio, wenn man sagt: Fahrt nach Basel in die Fondation Beyeler! Dort in der grandiosen Geburtstagsausstellung erfahrt Ihr alles, was Ihr über den Künstler wissen müsst. Und Ihr braucht dort nur zu schauen, müsst nichts hören, gar nichts, kein geiles Interview lesen, seid endlich einmal frei vom ganzen öffentlichen Baselitz-Sound, der diesem Werk von Anfang an wie ein dumpfer Basso continuo unterlegt ist.
Schiere Malerei. Überwältigend in der mühelosen Gebärde, mit der sie sich immer wieder erneuert hat. So ähnlich muss es gewesen sein, als die Nachkriegsgeneration vor dem Kraftpaket stand, das die amerikanischen abstrakten Expressionisten geschnürt und zur bildmoralischen Aufrüstung nach Europa geschickt haben. Auch Georg Baselitz ist damals in den Anbetungsmodus verfallen, aber in seiner Bewunderung nicht erstarrt. Bekennender Amerikaner würde er nicht werden. Das stand fest. Und wenn das Heil auch im Rausch sublimer Ungegenständlichkeit läge, dann würde er es noch einmal mit der Figur versuchen.
Von wegen Versuch. Es ging gleich heftig los. So heftig, dass man noch immer verwundert vor diesen malerischen Schlammpanschereien verharrt, vor den Orgien der Hässlichkeit, auch wenn sie längst eingetrocknet sind und an der Wand wie stumm gewordene Erinnerungen hängen. Und nichts anderes fällt einem vor den grauslichen „Fuß“-Bildern ein als die uralte Erfahrung, dass wohl jedes Werk, das den Anerkennungskampf nicht gescheut hat, irgendwann seinen Urschrei loswerden musste.
So großartig der surreale Auftakt, so großartig das Spätwerk, das mit ungesehener Leichtigkeit und immer leiser werdender Wehmut das Figurenthema verklingen lässt. Mit zittriger Hand fährt der Maler den Körperlinien nach. Noch einmal sind sie ungeschützt nackt, er und seine Frau. Schatten nur noch, aber immer noch Thema, Antrieb, Motiv des unbändigen malerischen Willens. Und die Jahrzehnte, die dazwischenliegen? Ein singuläres Werk, das umso staunenswerter anmutet, als hier die Bilder zum privaten Kosmos verbunden sind und wunderbar vom alten Zwang entlastet scheinen, immer etwas behaupten und machtvoll anders sein oder martialischen Widerstand leisten zu müssen.
Martin Schwander, der Basler Kurator, der mit konzentrierter Neugier das Riesenwerk besichtigt hat und mit gutem Gespür für große Akzente durch alle Werkkapitel führt, hat sich auf Unterstützung aus buchstäblich aller Welt verlassen dürfen. Wohl nie zuvor ist eine Baselitz-Ausstellung so großzügig alimentiert worden und kann ohne auffällige Lücken noch einmal sämtliche Hauptbilder versammeln. Und doch darf man schon noch einmal kurz darüber nachdenken, warum es ausgerechnet ein Schweizer Museum ist, ein privat gesteuertes obendrein, das diese fulminante Retrospektive zustande gebracht hat.
Dass Baselitz die Stadt mag – inzwischen hat er Wohnsitz und Atelier in Basel –, dass seine ersten Ausstellungen in den frühen 70er-Jahren hier stattfanden und der damalige Leiter des Kupferstichkabinetts Dieter Koepplin zu den Museumsleuten gehörte, die dem Künstler unbeirrbar Freund geblieben sind, das alles ist bekannt und macht die große Feier plausibel. Aber es bleibt doch bemerkenswert, dass sich kein einziges deutsches Kunsthaus mit Rang und Namen zur Werkübersicht hat entschließen wollen. Und dazu ist auch kein Widerspruch, dass München und Dresden die Grafik ausbreiten. Der Maler steht bis heute in seltsamem öffentlichen Verdacht. Nicht einmal zur Übernahme der Ausstellung war man bereit. Sie wandert noch ins Hirshhorn Museum nach Washington. Und das war es denn auch.
Andererseits bietet der 80. natürlich großartige Möglichkeiten zum publizistischen Coup. Man bittet den Maler zum Interview und weiß genau, dass man ihn nicht lange bitten muss und dass er sich prompt wieder in jeder Meinungsfalle verfangen wird, die man vor ihm versteckt. Also verzapft er seinen Politschmarrn und bestätigt alle, die dem eitlen Außenseiter des Kunstbetriebs nie über den Weg getraut haben und in seinem Weltruhm nie etwas anderes als übelste Machinationen seiner verschworenen Entourage entdecken wollten. Wahr ist, Georg Baselitz hat geredet, wie man nicht redet, und er hat gemalt, wie man nicht malt. Aufs Ganze gesehen hat er wunderbar gegen die Genusskonventionen verstoßen, wie sie der gedämpfte deutsche Hedonismus von einem Jahrzehnt ans nächste weiterreicht. Etwas Besseres kann man über einen 80-jährigen Maler nicht sagen. Also noch einmal: Fahrt nach Basel! Für die Ächter willkommene Nachhilfe. Für die Freunde das allerschönste Geburtstagsfest.
„Georg Baselitz – Gemälde und Skulpturen“, Fondation Beyeler, Riehen bei Basel; „Georg Baselitz – Werke auf Papier“, Kunstmuseum Basel. Bis zum 29. April