WamS-notizzettel mit dem deutsch übersetzten "sexistischen" gomringer-gedicht |
guten tag -
wie gesagt - als eingefleischter 68-er hätte ich es mir nie träumen lassen, mal eines tages meinen aufrichtigen dank an ein erzeugnis "dieser springer-presse" auszusprechen.
mein dank gilt der heutigen "welt am sonntag"-ausgabe und ihrem chefredakteur peter huth, der in einem klaren eindeutigen "editorial" das gomringer-gedicht nachhaltig verteidigt, das an der fassade der "alice salomon hochschule" in berlin im herbst übertüncht werden soll, weil aufgeregte und wohl sehr junge internet-verseuchte #shitstorm-opfer darin knapp mehrheitlich angeblich "sexistisch" konnotierte passagen glauben entdeckt zu haben.
und die hochschulverwaltung und der asta machen solchen unsinn mit - mitten in deutschland - in dieser zeit ...
peter huth sagt zu recht:
Das ist, ganz einfach, ganz schlicht und ganz klar: absoluter Unsinn.
und ich habe das ja in einem langen und immer wieder ge-updateten post schon vor tagen ebenfalls festgestellt - und aus meiner sicht detailliert begründet.
mein dank gilt aber besonders auch der tollen, im wahrsten sinne "viel-fältigen" und irgendwie auch "stilechten" grafisch-typografischen aufbereitung dieses gedichttextes gomringers, einem text ja der "konkreten poesie" ...
die welt-grafiker haben durch die gesamte "welt am sonntag"-ausgabe hindurch immer wieder das gedicht von 1951 (! - der dichter eugen gomringer ist inwischen 93 jahre alt ...) in original-spanisch und auch in deutsch auf kleinen gelben notizzetteln handgeschrieben notiert und verteilt und "angepappt" ... - wohl ganz im sinne der tochter gomringers, die dazu eine seite auf instagram geschaltet hat ...
ich habe ein "welt"-electronic-abo (welt-plus gold) vor monaten abgeschlossen, um mich nicht als blogger nur von meinen "haus"-infos bis dato aus "spiegel", taz und "zeit" einlullen zu lassen ...
und besonders gefällt mir auch die typografische aufmachung des "welt"-ensembles, das mit abstand für mich wenigstens gestalterisch führend ist in deutschland. als alter gelernter bleilettern-schriftsetzer kann ich dazu - meine ich - auch fundiert etwas sagen. in der rangfolge liegen für mich klar dahinter die "zeit", der "tagesspiegel", die f.a.z. - und dann - nach einer weile - erst der "spiegel" ... - alle anderen sind für mich, was die grafische aufbereitung angeht, nicht weiter besonders erwähnenswert... - S!
hier ahnt man vielleicht die rot gekennzeichneten gelben anpapp-notizzettel mit dem gedichttext durch die gesamte wams-ausgabe ... |
EDITORIAL
Zwanzig Wörter lang ist der wichtigste Text in dieser WELT am SONNTAG-Ausgabe
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Von Peter Huth
Es sind nur zwanzig Wörter, in spanischer Sprache, geschrieben vom Schweizer Dichter Eugen Gomringer. 2011 erhielt er dafür den Poetik-Preis der Berliner Alice Salomon Hochschule, deren Fassade das Gedicht fortan schmückte.
Es ist kein politisches Gedicht.
Trotzdem sind diese zwanzig Wörter der wichtigste Text in dieser Ausgabe.
avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y
un admirador
Dieses Gedicht – es beschreibt wohl die Frühlingsstimmung in einer spanischen oder lateinamerikanischen Metropole mit ihren Prachtboulevards und Blumenständen und flanierenden Frauen – wird übermalt, also ausgelöscht. So hat es der Akademische Senat der Hochschule entschieden, nachdem sich der Allgemeine Studentenausschuss (AStA) über den Text beschwert hatte.
Die Begründung: Das Gedicht sei sexistisch. Dadurch, dass ein Bewunderer („admirador“) in die Szene eingeführt wird, „reproduziere“ das Werk „nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen* ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren, es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen* alltäglich ausgesetzt sind“. So schrieb es der AStA in einem offenen Brief.
Das ist, ganz einfach, ganz schlicht und ganz klar: absoluter Unsinn.
der deutsch übersetzte text |
Der Versuch, Sprache um jeden Preis zu politisieren, Kunst dadurch zu brechen und in ein Korsett aus Political Correctness zu stopfen, ist in Wirklichkeit ein Generalangriff auf unsere Kultur und damit auf unsere Freiheit.
Die vom AStA ausgelöste Farce, die quer durch alle politischen und publizistischen Lager auch als solche erkannt wurde, ist in dem Moment zur gefährlichen Tragödie geworden, als die Entscheidung fiel, das Gedicht auszumerzen. Wo Poesie unter Burkas aus Wandfarbe verschwindet, ist es keine Schariapolizei, die über Gut und Schlecht entscheidet, sondern die Sprachpolizei einer kleinen Minderheit von Tugendterroristen. Das eine wie das andere ist: Unterwerfung.
Ich wünschen Ihnen ein schönes Wochenende,
Ihr Peter Huth
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