Quantcast
Channel: nunc|hic
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2576

art 1968

$
0
0

Geiger Rupprecht "Documenta 1968" (pinterest)

»Sie haben gesagt: ›Was wir machen, ist Kunst‹«
Thomas Kellein, ehemaliger Direktor der Kunsthalle Bielefeld, über Künstler und die 68er-Bewegung
1968 und die Kunst – das ist ein weites, spannendes Feld. Haben Künstler die Entwicklung gespürt? Wie ist die Documenta 1968 gelaufen? Darüber hat Andreas Schnadwinkel mit Dr. Thomas Kellein (62), dem ehemaligen Direktor der Kunsthalle Bielefeld, gesprochen.

Was war damals der Grund »1968. Die Große Unschuld« erst 2009 und nicht 2008 zum 40. Jahrestag in der Kunsthalle zu zeigen?

Thomas Kellein: Der Hauptgrund war, dass wir 2007 die Ausstellung »1937« gezeigt haben. Das war bis dato die größte Ausstellung, die die Kunsthalle Bielefeld jemals gemacht hat. »1937« war sehr erfolgreich, aber auch sehr anstrengend, weil wir gezeigt haben, in welchen Ländern 1937 welche Kunst produziert wurde. Das forderte alle Ressourcen. Deswegen kam erst nach »1937« die Idee, und wahrscheinlich zu spät, das zweite wichtige Jahr des 20. Jahrhunderts ins Auge zu fassen:1968.

Hat es sich im Nachhinein als günstige Fügung erwiesen, den 1968-Medienhype im Jahr 2008 ins Land gehen zu lassen, um dann mehr Aufmerksamkeit zu haben?

Kellein: Bei 1968 wurde schon im Dezember 2007 klar, dass der Jahrestag von allen abgefrühstückt würde. Im März 2008 war das Thema in den Medien eigentlich schon durch. Was aber überhaupt nicht vorkam, war die Frage: Was ist 1968 denn künstlerisch passiert? Als ich 2007 und 2008 mit Künstlern über 1968 sprach, zum Beispiel auch mit Georg Baselitz, sagten viele, dass es kaum ein kunstfeindlicheres Jahr als 1968 gegeben hätte.
Thomas Kellein (rechts), mit Georg Baselitz 2009 im
Klostergarten Dalheim - war 1996-2010 Direktor der
Kunsthalle Bielefeld. Seit 5 Jahren ist er Leiter
der Kunstberatung der Privatbank Berenberg

Inwiefern war 1968 kunstfeindlich?

Kellein: Alles stürzte sich auf die Politik und auf gesellschaftliche Veränderungen, die Kunst erlebte insofern eine Art Generalverdacht. Baselitz ging weg aus Berlin, weil es in Berlin wenig opportun und kaum noch möglich war, Künstler zu sein. Kreativität passte nicht in die Absicht der Studenten und Professoren, politischen Widerstand zu organisieren. Die Illusion aus heutiger Sicht, dass Studenten die deutsche Arbeiterschaft überzeugen könnten, die Revolution zu starten, wurde damals ja nicht belächelt, sie wurde entweder stark genährt oder stark gefürchtet.


War Georg Baselitz ein typischer Künstler für 1968?

Kellein: Baselitz war ein untypischer Künstler für 1968. Man hat ihm ja lange vorgeworfen, dass er ein Oberreaktionär sei. Diesen Streit genoss Baselitz, das steigerte die Reputation. Er wollte Malerfürst sein wie übrigens auch Markus Lüpertz, während andere sich um Gesellschaft, Architektur und Konzeptkunst kümmerten.

Also ist eher Anselm Kiefer ein typischer 68er-Künstler?


Anselm Kiefers "Heroische Sinnbilder" gelten als
wichtige Werke der "68er-Kunst" - dpa
Kellein: Wenn man den »Marsch durch die Institutionen« auf die Kunst überträgt, dann ist Anselm Kiefer einer der wichtigsten 68er-Künstler. Seine »Heroischen Sinnbilder«, Selbstporträts mit Hitlergruß in der Landschaft, wurden politisch angegriffen, in der Kunstszene jedoch respektiert. Gut zwei Jahrzehnte später aber gab es kaum noch ein westliches Museum, das Anselm Kiefer nicht geschätzt hätte. Als ich Anfang der 80er oft in New York war, um für die Staatsgalerie Stuttgart Ausstellungen vorzubereiten, wurde ich häufig gefragt, ob ich ein Werk von Anselm Kiefer besorgen könne. Kiefer war ganz zu Anfang nicht unbedingt Maler, sondern eher Konzeptkünstler, der mit einer Haltung auftrat. Es waren die Haltungen oder »Attitüden«, die man sehr schnell mit »1968« in Verbindung brachte: Arte Povera, Land Art, Conceptual Art.

Gibt es außer Anselm Kiefer noch andere Künstler, die durch 1968 groß herauskamen?

Kellein: Sicherlich, viele Künstler, Carl Andre und Bruce Nauman zum Beispiel. In Deutschland geschah das von 1968 an stilprägend in der Galerie Konrad Fischer in Düsseldorf.

Was hat 1968 Positives für die Kunst bewirkt?

Kellein: Die Hauptleistung der 68er-Künstler besteht darin, dass seitdem nichts mehr an der zeitgenössischen Kunst vorbeiführt. Das haben sie erreicht. Sie haben gesagt: »Wir sind da. Was wir machen, ist Kunst. Und es reicht, wenn wir sagen, dass es Kunst ist.«

Hat 1968 in der Kunst auch die Emanzipation der Frau gestärkt?

Kellein: Als wir die Ausstellung »1968« gemacht haben, waren wir bestürzt, dass die Gleichberechtigung der Frau damals noch mit ganz wenigen Ausnahmen kein Thema war. Sexuelle Freiheit und Antibabypille waren Ausdruck von Hedonismus im Sinne von sexueller Befriedigung, nicht jedoch wirklich von Befreiung. Im Grunde wurden Künstlerinnen nur geduldet und nicht gefördert. Große Ausnahmefiguren waren Yoko Ono, Yayoi Kusama und Valie Export. Zwei davon sind heute Weltstars.

Wer waren 1968 die Weltstars der Kunst?

Kellein: Joseph Beuys natürlich, Christo, und umstritten war Georg Baselitz. Einflussreiche 68er-Kunst gab es hauptsächlich in Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich und den Niederlanden. Und nicht nur wegen des Vietnamkriegs sehr stark in den USA.

Gab es vor 1968 in der Kunst eine Strömung, die den kommenden gesellschaftlichen Umbruch vorspürte?

Kellein: Eine sehr weitreichende erträumte gesellschaftliche Veränderung ging vor 1968 von der Fluxus-Bewegung aus. In der Kunsthalle Bielefeld haben wir mal den Fluxus-Künstler George Maciunas gezeigt. Diese Kunst ist wahnsinnig komisch, aber auch schrecklich, weil sie alles entlarvt. Ein Beispiel: Man geht mit einem 100-Mark-Schein in die Bank und wechselt den Geldschein so lange in andere Währungen, bis nichts übrig ist. Das ist Fluxus, da wird der Glaube an die hohe Kunst sehr stark zerbröselt.
Zwei Weltstars der Kunst: Andy Wahol (links) und Joseph Beuys - fotografiert 1979 (dpa)

Was ist mit Andy Warhol?

Kellein: Warhol war ein unglaublich kluger, weiser und scharfsinniger Künstler, der über seine Kunst nie redete und so tat, als wäre er permanent auf Droge und gar nicht zurechnungsfähig. Das gehörte zu seiner Attitüde und war eine Form von Unschuld.

Haben Sie Ihrer 1968-Ausstellung deshalb den Untertitel »Die Große Unschuld« gegeben?

Kellein: Ja. Dieser kindliche Ansatz, dass es nichts gibt als meine Einstellung, meine Ideen und meine Phantasie, ist die große Unschuld. Einerseits ist diese Egozentrik befreiend, andererseits ist das schrecklich. Dass wir uns, jeder einzelne Mensch, heute für so wichtig halten wie Sonne und Mond, geht natürlich auf die 68er-Zeit zurück. Keine nachfolgende Generation hat so gesponnen wie die 68er.


BILD-Zeitung zur Ausstellungseröffnung in Bielefeld


Welche Bedeutung hatte 1968 die Documenta?

Kellein: Das waren drei verschiedene Veranstaltungen. Die eine war die offizielle Eröffnungsfeier mit Bürgermeister, die zweite war die Störung dieser Eröffnungsfeier durch Demonstranten, und die dritte war eine Anti-Documenta von Künstlern wie Wolf Vostell, die sich ausgeschlossen sahen. Unter den Störern war übrigens ein gewisser Jörg Immendorff, der einen Kunststoff-Eisbären auf einen Besenstiel gesteckt hatte und sagte: »Ich will hier mal den Eisbären reinhalten«. Darüber habe ich mich immer kaputt gelacht. Was für ein kurioser Unsinn!

Gehören die Schüsse der Radikalfeministin Valerie Solanas auf Andy Warhol auch zu 1968?

Kellein: Auf jeden Fall. Das Attentat zeigt auf dramatische Weise, wie wenig Frauen damals und auch noch später in der Kunst zu sagen hatten. 1972 beklagte sich die Künstlerinnen-Gruppe »Guerilla Girls« beim Documenta-Leiter Harald Szeemann über fehlende Gleichberechtigung. Szeemann schrieb einen Satz zurück: »Frauen sollen Suppe kochen.« Das habe ich in einem Archiv gefunden, es war ein dickes Ei.

Ob Biennale in Venedig oder Documenta in Kassel. Heute kommt Kunst kaum ohne die Flüchtlingskrise aus. Muss Kunst politisch und aktuell sein?

Kellein: Man muss unterscheiden zwischen Kunst, die mit Kriegsgewinnlertum zu tun hat, und Kunst, die politisch ist. In meinen Augen wird die Kunst zum Teil dafür missbraucht, dass sie diese Themen aufgreift. Dann haben alle ein schlechtes Gewissen, und die Politiker können ihre Zuschüsse rechtfertigen. Das ist mir zu billig. Natürlich muss Kunst politisch sein, sonst hätte es keinen Goya und keinen Beuys gegeben. Aber nicht so penetrant mit dem Zeigestock.

Quelle.: westfalen-blatt.de/68er - Teil 5 (? - nach meiner zählung müsste das schon teil 6 sein) - 21.02.2018 - oder click here



Museum Fridericianum 1968 - documenta 4: Tom Wesselmann, Great Ameriacan Nude *No.98 (1968), *Mouth No. 15 (1968) (c) Tom Wesselmann/VG Bild-Kunst; Richard Smith, Second Time Around 1-5 * (1967); Roy Lichtenstein,*Yellow Broshstroke II (1965), (c) Roy Lichtenstein/VG Bild-Kunst; Escobar Marisol, The Dealers (1965/66), Couple (1965/66); Robert Indiana The great Love (1966), (c) Robert Indiana/VG Bild-Kunst; Larry Poons, One Credit (1967), (c) Larry Poons/VG Bild-Kunst - Foto: Hans-Kurt Boehlke - documenta 4, Kassel




natürlich war ich seinerzeit in kassel bei der documenta - natürlich habe ich neben joseph beuys gestanden - und sein etwas grau-schwarz wirkender hinterer hals zum weißen kragen hat mich damals fasziniert - und all die leute, mit denen er sich umgab. und seine politischen äußerungen vom anthroposophischen von rudolf steiner zunächst beeinflusst - aber dann mit viel 68er zeitgeist verrührt - was dann ja auch überging in die "grüne bewegung" - wo er dann auch auf den ober-"68er" rudi dutschke stieß.

"die basis war der kunstbegriff, die gestaltung der gesellschaft auf der grundlage der selbstbestimmung und freiheit." beuys kandidierte bei der europawahl 1979 und machte mit rudi dutschke wahlkampf - und der spätere bundesinnenminister otto schily war damals dabei als rechtsanwalt der raf - ehe er sich später der spd anschloss.


wenn man von der kunst bei den "68-ern" spricht muss man auch die aktion "LIDL" von jörg immendorff ind chris reinecke unbedingt erwähnen: LIDL war ein aktionsprojekt, bestehend aus mehreren kunstaktionen zwischen 1968 und 1969.

ziel der „LIDL“-kunstaktionen war es, das verhältnis von darstellung und zeigbarem, bildmacht der sprache und sprachhaftigkeit der bilder zu hinterfragen (= ein bild sagt mehr als 1000 worte ...). Es war der versuch, bewegung in die konservative nachkriegsatmosphäre der brd zu bringen. „LIDL“ ist ein nonsens-wort, das vom geräusch einer babyrassel abgeleitet war und das immendorff als schlachtruf für seine spätdadaistischen auftritte diente ...



in diesen tagen wird ja viel über die "68-er" resümmiert - im guten wie im schlechten.

viele, die heute vor allem negativ darüber schreiben, waren damals erst 8-10 jahre alt - und die verbreiten nur das "igittigitt" ihrer konservativen eltern weiter, oder sind eben in einer 68-er landkommune so frei verzogen worden, dass sie sich nun "führung und eine starke hand" wieder herbeisehnen, der ihre eigenen kinder jetzt endlich wieder "flink wie windhunde, zäh wie leder und hart wie krupp-stahl" macht! 

die meisten aber, übersehen die kulturelle tiefe und breite und die befreiung vom alten mief und pulverdampf der braunen ns-zeit dieser 68-er völlig - und haben keine ahnung über die kulturelle und politische und internationale dimension des ganzen ... 

dazu gibt es einen lesenswerten aufsatz in der stockkonservativen "welt" von alan posener, der ja das "links-konservative - aber dafür jüdische" aushängeschild der "welt" gegenüber dem alten schlachtross henryk m. broder ist - und alan posener stellt fest, dass "1968" fast eine internationale "jüdische weltverschwörung" als reaktion auf den holocaust war ...

da sei auch noch mal auf die "beat"-literatur eines jack kerouac und eines allen ginsburg und ihrer "bewegung" hingewiesen - von wo es überallhin ausstrahlungen in die internationale literatur gab: rolf d. brinkmann und dann uwe timm in deutschland als beispiele ... - und die mainzer minipressen-messe mit den alternativ-verlagen und dem zentralorgan eines "ulcus-molle"-infos von "bibi" wintjes aus bottrop ... - und was wäre die musik ohne die forschungen und experimente eines john cage ... beuys berichtet ja im video von einer ähnlichen "akustischen" kunstaktion ...

das war nicht alles "unmöglich" und "igittigitt" - das wurde nur zu schnell vom kapitalismus aufgefressen - weil es zu "gefährlich" für die geldzähler wie onkel dagobert wurde - und weil man sich deshalb einen solchen alternativen geschäftszweig schnell zu eigen machen musste - mundtot machen durch "integration" - ein altbewährtes multinational globalliberales turbo-kapitalismus-mittel zum einschläfern der breiten massen ...- S!



Viewing all articles
Browse latest Browse all 2576


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>