RASSISMUS UND SPRACHE
Auch wer „Negerpüppis“ liebte, sagt nicht mehr „Neger“
Der MDR fragte in einem Tweet: „Darf man heute noch ‚Neger‘ sagen?“ Die Antwort ist einfach: Man darf. Aber man verrät sich dadurch als unhöflicher Trottel mit schlechtem Benehmen. Eine Wortbetrachtung.
Es ist faszinierend, dass in einem Land, in dem es nach wie vor relativ wenige schwarze Menschen gibt, kaum ein Wort so große Sprengkraft entfalten kann wie eine historische Bezeichnung für ebendiesen Personenkreis, die bei jedem Vernünftigen längst aus der Mode gekommen ist. Die Erregung um den Tweet des MDR, der eine mittlerweile abgesagte Radiodiskussion zum Thema „politische Korrektheit“ mit der Frage „Darf man heute noch Neger sagen?“ anpries, ist ja nicht die erste dieser Art.
Ältere Menschen werden sich erinnern, dass eine der letzten große Literaturdebatten (vor der Avenidas-„Was darf Lyrik?“-Debatte) 2013 damit begann, dass die damalige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) erklärte, sie ersetze die Wörter Negerkönig und Negerprinzessin, wenn sie ihrem Kind Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ vorläse.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Ausdrücke in neueren Ausgaben des Kinderbuchklassikers schon durch Südseekönig und Südseeprinzessin ausgetauscht – zwei Wörter, die den Vorlesern schon länger in Fußnoten als Alternativen vorgeschlagen wurden. Kurz darauf wurden auch Negerlein in Ottfried Preußlers „Die kleine Hexe“ durch Messerwerfer ersetzt. Das hatte der greise Autor noch selbst genehmigt. Astrid Lindgren war da schon tot, aber man darf davon ausgehen, dass sie das Wort Neger genauso wenig als zentral für ihre literarische Botschaft ansah wie ihr deutscher Kollege.
Ernst Neger war ein Näher
Zwei Jahre später attackierten Aktivisten die Dachdeckerei Neger in Mainz, deren Firmenschild die Silhouette eines schwarzen Menschen zeigt. Entworfen hat es der Großvater des heutigen Firmeninhabers, Ernst Neger, ein Sänger von Karnevals- und Stimmungsliedern. Der Mainzer Fall war insofern besonders interessant, weil der Familienname Neger gar nichts mit Afrikanern zu tun hat, sondern nur eine dialektale Variante der Berufsbezeichnung Näher ist.
Neger als Bezeichnung für Menschen mit dunkler Hautfarbe geht dagegen auf das spanische negro und das französische nègre zurück, die wiederum auf lateinisch niger „schwarz“ zurückzuführen sind. Es wurde seit dem 17. Jahrhundert im Gegensatz zum schon damals eher dem gehobenen, literarischen Stil zugehörigen Mohr das alltägliche allgegenwärtige Wort. Man nannte so nicht nur Afrikaner. Bis sich seit den Siebzigerjahren auch bei uns Aborigenes durchsetzte, hießen die australischen Ureinwohner hierzulande Australneger.
Es heißt, Neger sei früher ein wertfreies, nicht rassistisches Wort gewesen. Aber das ist zweifelhaft. Denn der Begriff ist eng mit dem Weltbild des 18. und 19. Jahrhunderts verknüpft, also Epochen, die Schwarze fast durchweg als inferior ansahen – auch wenn ihnen einzelne Menschen wohlwollend paternalistisch gegenübertraten.
In Deutschland wurde das Wort dann endgültig ruiniert durch den besonders gehässigen Gebrauch, den der Nationalsozialismus und seine Stichwortgeber davon machten. Ein Schlüsselerlebnis war für sie die „schwarze Schmach“, die Besetzung von Teilen Westdeutschlands durch französische Truppen Anfang der Zwanzigerjahre, bei der auch Soldaten aus den afrikanischen Kolonien eingesetzt wurden. Die Vernegerung Frankreichs galt den Nazis seitdem als erwiesen. Der Unterschied zwischen eher freundlichem Mohr und Neger zeigt sich schon darin, dass es keine den gehässigen Negermusik oder vernegern vergleichbare Wortbildungen mit Mohr gegeben zu haben scheint.
Trotzdem wurde Neger bis in die Siebzigerjahre hinein unbefangen gebraucht, nicht zuletzt, weil selbst ein Bürgerrechtler wie Martin Luther King im Englischen von negroes sprach. Als wirklich schlimm galt nur das im 19. Jahrhundert aus den USA importierte Nigger. Noch in den Achtzigerjahren benutzten es sogar eher linke Künstler und Intellektuelle, Neger eher spielerisch gegen den Stachel der schon damals aufkommenden sprachlichen Korrektheit löckend. In dieses Feld gehören „der weiße Neger Wumbaba“ des Cartoonisten Bernd Pfarr ebenso wie der Filmtitel „Der Neger Erwin“ von Herbert Achternbusch. Einer der Diederichsen-Brüder Detlev und Diedrich schrieb 1982 im „Sounds“ über Musik der amerikanischen Schwarzen und wählte dafür das Pseudonym „Neger Negersen“.
Der weiße Neger Wumbaba
Unmöglich wurde das Wort erst, als die Zahl der Afrodeutschen allmählich zunahm und diese es sich verbaten, Neger genannt zu werden. Der Verzicht auf diese Bezeichnung ist nicht unbedingt eine Frage neumodischer Ideen von politisch korrekter Sprache, sondern ein Impuls altmodischer Höflichkeit und Zivilisiertheit – zwei Verhaltens-Codices, die bei der aktuellen Brüllrechten aus der Mode gekommen sind. Er fällt umso leichter, weil das Wort außer für Rassentheoretiker niemals einen hohen Wert hatte. Wo Achternbuschs Film oder Jean Genets Stück „Die Neger“ noch gezeigt werden, können Erwachsene die Konfrontation mit historischen Sprachformen wohl aushalten. In der Alltagssprache ist es überflüssig.
Bei jeder neuen Neger-Debatte seit 2013 melden sich aber auch immer wieder Menschen, die fürchten, mit der Zurückdrängung des Worts ginge uns eine bewahrenswerte Kulturtradition verloren. Vor allem ältere Herren scheinen ihre schönsten Kindheitserinnerungen mit dem Ausdruck zu verbinden. Gewiss war es schön, der Negerpüppi in der Puppenstube einen Negerkuss zu servieren. Man sollte aus ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Spielen dennoch keine Verhaltensregeln für die Gegenwart ableiten.
DIE WELT
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also - ich bin auch damit aufgewachsen, dass dunkelhäutige mitmenschen "neger" hießen. es gab sie bei den englischen soldaten, die hier einige kasernen unterhielten - und ich kannte sie von bildern und als puppen. meine cousine hatte auch ein "neger-püppchen" ...
erst nach und nach habe ich internalisiert, dass im zuge eines "political correctness" hypes der "neger" obsolet wurde - und damit auch der "negerkuss" - und man wollte sogar pippi langstrumpfs "negerkönig" an die wäsche bzw. ihm seine schwarze haut über die schwarz-rot leuchtenden ohren ziehen ...
so ganz konnte ich das nie nachvollziehen - besonders nicht, wenn man alte original-texte im nachhinein verschlimmbessern wollte, in dem pippis "negerkönig" zum "südseekönig" mutiert werden sollte, ohne dass astrid lindgren dazu etwa ihr okay noch geben konnte...
okay - soviel hatte ich mir angelesen: "nigger" war ein schimpfwort aus der kolonialzeit - und so wurden schwarze sklaven bezeichnet. aber war "neger" gleichzusetzen" mit "nigger" ???
da es sich nicht mehr schickt, werde ich das wort "neger" möglichst vermeiden - obwohl ich ja inzwischen auch nicht mehr "mohrenkopf" sagen soll, stattdessen "schoko"- oder "schaumkuss": wobei beide begriffe mir rein optisch als tatsächliches kuss-attribut auch nicht sehr ästhetisch scheinen ... - die assoziationen zu schaum etwa: "schäumt vor wut" - "schaum vor dem mund" - "träume sind schäume" ...
nun ja ...: man/frau kann nicht alles haben - und "deutsche sprache - schwere sprache" ...
sprache lebt mit uns: wörter und begriffe und namen werden geboren oder haben eine hoch-zeit, ihre saison, ehe sie wieder vergehen ... und abgelöst werden - ja nach gusto ...
das ist also alles nicht weiter schlimm ... - und wenn wir begriffe aud der umgangssprache nicht mehr verwenden, weil sie im nationalsozialismus zum beispiel rassistisch konnotiert wurden - ist ja die spannende frage, sollen wir uns die ale unbedarfte bedeutung zurückerobern - oder geben wir dem damaligen braunen zeitgeist einfach nach ...: jüngste beispiele dazu sind die begriffe: journaille, zersetzung, altparteien, lügenpresse, volksverräter, minderwertig - wie überhaupt alle begriffe die vom stammwort "volk" abgewandelt wurden, wie "völkisch", "umvolkung" usw., die alle gern auch von joseph goebbels und konsorten eifrig in einem "zersetzenden" geist benutzt wurden ... - und neuerdings auch wieder gern in diesem sinne von herrn gauland und bis vor kurzem von frauke petry und allen "gesinnungsgenossen" ...
aber - ob zum beispiel "inklusion" oder "besonders förderungsbedürftig" besser ist als z.b. "gleichwertig" bzw."behindert" sei mal dahingestellt ...
frühere ganz normale medizinische bezeichnungen wie "idiotie" oder "epilepsie" haben da ja eine ganz eigenartige schimpfwort-"karriere" hinter sich ...
und doch bleibt es wohl dabei: "wer die musik bezahlt, bestimmt was gespielt wird" ...
und selbst luthers bibelübersetzung hat ja inzwischen in all den jahrhunderten ein paar revisionen über sich ergehen lassen müssen - mit viel aufwand und tam-tam ... - S!