Der Massenmörder aus Detmold
Vor 75 Jahren: Am 19. April jährt sich der Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto.
Die Niederschlagung hat der Ex-Katasteramtsgehilfe Jürgen Stroop befehligt. Zehntausende wurden getötet und deportiert
Von Sven Koch | NW
Es ist drei Uhr morgens am Montag, 19. April 1943, als die Deutschen anrücken. Zwei Bataillone der Waffen-SS umstellen das Warschauer Ghetto. Doch die 850 Soldaten werden von Partisanen beschossen, mit Brandbomben beworfen und müssen sich zurückziehen. Damit hatte niemand gerechnet.
In Berlin ist das Wetter an diesem Tag schlecht. Es passt zur Stimmung von Reichsführer-SS Heinrich Himmler, als er von den Vorfällen erfährt. Eigentlich hatte er Adolf Hitler am nächsten Tag zu dessen Geburtstag mitteilen wollen, dass Warschau "judenfrei" ist.
SS-Sturmbannführer: Stroop 1934. FOTO:Landesbibliothek Lippe (nachträglich coloriert) |
»Die Bedingungen im Ghetto waren unbeschreiblich«
Und Stroop funktioniert. Bis zum 16. Mai radiert er mit seiner Division das Ghetto aus, in dem sich jüdische Kampfgruppen formiert haben - junge Männer, die auf den Straßen täglich mit Elend und Entsetzen konfrontiert sind und nichts zu verlieren haben.
Pro Quadratkilometer leben 150.000 Menschen im Ghetto, pro Zimmer sieben bis acht Personen. Verhungernde und Erfrierende, darunter viele Kinder, gehören zum Straßenbild. "Auf das unerlaubte Verlassen stand die Todesstrafe. Die Lebensverhältnisse waren unbeschreiblich. In den Jahren 1941/42 starben im Ghetto 83.000 Menschen, zumeist an Erschöpfung, viele auch an Fleckfieber", schildert die Detmolder Archivarin. Am 22. Juli 1942 beginnen die Deportationen ins Vernichtungslager Treblinka, eigens für die Ermordung der Juden aus dem Warschauer Ghetto errichtet.
Keiner der Widerstandskämpfer will sich freiwillig auf die Schlachtbank führen lassen. "Der Warschauer Ghettoaufstand war die erste Massenrevolte von Juden im von Deutschland besetzten Europa. Tausende Ghettobewohner hielten die Deutschen in einem wochenlangen, vollkommen unerwarteten Kampf in Atem", schildert Bärbel Sunderbrink.
Stroop hat den Auftrag, das Ghetto zu räumen, von Himmler persönlich. Der Mann aus Detmold gilt als durchsetzungsstark. Begeisterter Soldat ist er schon lange. Sofort nach Kriegsbeginn im August 1914 hat er sich zum Militärdienst gemeldet, bekam Orden, aber für eine Offizierslaufbahn fehlte die höhere Schulbildung. 1918 muss er zurück zur lippischen Katasterverwaltung. 1932 tritt er in die NSDAP ein und wird nach der Machtübernahme Chef einer Hilfspolizei aus SA, SS und Stahlhelm, die unter anderem den Detmolder Journalisten Felix Fechenbach am 11. März 1933 verhaftet, der wenige Monate später im Wald zwischen Kleineberg und Scherfede erschossen wird. "Möglicherweise war Stroop an den Planungen des Mordes beteiligt", sagt Sunderbrink. "Dass er Mitwisser war, ist sehr wahrscheinlich."
In Warschau führt er eine ungleiche Schlacht und geht gnadenlos vor, mit Soldaten, Panzern und Flammenwerfen. Durch ein System von Bunkern und Kanälen versuchen viele zu entkommen. Am 16. Mai lässt Stroop die Synagoge sprengen - ein symbolträchtiges Ende. "Die Sprengung hatte Stroop eigenhändig durchgeführt", so Sunderbrink. Und er meldet stolz nach Berlin: "Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!"
Stroop hat seine Arbeit akribisch dokumentiert und in rund 50 Bildern fotografisch festhalten lassen. Das Foto, das einen Jungen mit erhobenen Händen zeigt, der sich den Deutschen ergibt, geht später um die Welt. Als "Juden und Banditen" bezeichnet er sie in seinem Rapport an Himmler, den er in zweifacher Ausfertigung herstellen lässt. Das andere geht an Adolf Hitler.
Stroops Erfolg wird honoriert und der Detmolder in den Rang eines höheren SS- und Polizeiführers für Warschau erhoben. Er geht nach Wiesbaden als SS- und Polizeiführer "Rhein-Westmark", wo er in Fliegermorde verwickelt wird: In der Endphase des Krieges sind es vor allem Polizei- und Parteifunktionäre, die abgeschossene oder notgelandete alliierte Flugzeugbesatzungen töten.
Am 8. Mai 1945 wird Jürgen Stroop von den Amerikanern festgenommen und im Zusammenhang mit den Fliegermorden am 21. März 1947 zum Tode verurteilt. Vollzogen wird das Urteil jedoch nicht, sondern Stroop wird nach Polen ausgeliefert. Sein akribischer Bericht wird ihm zum Verhängnis, anderen ebenfalls: Er gilt als einzigartiges Dokument der Vernichtungsmaschinerie und ist ein wichtiges Beweisstück bei den Nürnberger Prozessen. In Warschau wird Stroop am 23. Juli 1953 erneut zum Tode verurteilt. Seinem Gnadengesuch wird nicht entsprochen. Stroop wird am 6. März 1952 gehängt.
Während Stroop auf seine Hinrichtung wartet, muss er sich eine Zelle mit dem Offizier der national-polnischen Heimatarmee Kazimierz Moczarski teilen." Der Journalist dokumentiert Jahrzehnte später aus der Erinnerung seine "Gespräche mit dem Henker". Dokumentiert sind auch andere Gespräche, die Stroop mit Schalom Grajek, einem Mitglied einer jüdischen Kampforganisation, geführt hat. Er erzählt diesem von jüdischen Schulkameraden - 32 Menschen aus Detmold sind ins Ghetto deportiert worden. Er wird gefragt, was er getan hätte, wenn ihm einer im Ghetto wieder begegnet wäre. Und antwortet kühl: "Ich hätte ihn ganz einfach begrüßt, wenn er nicht zu den Kämpfern gehörte."
Auch in seinem Gnadengesuch bleibt er ohne jeglich Empathie - außer für sich selbst: Er habe nur bedingungslosen Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten gekannt. "Mein ganzes Leben", erklärt der Detmolder Massenmörder, "galt dem Dienste meines Vaterlandes und dem Wohle meiner Frau und meiner Kinder."
Foto: rarehistoricalphots.com - nachträglich coloriert |
Am 7. Dezember 1970 sinkt Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos auf die Knie. "Am Abgrund der deutschen Geschichte", sagt Brandt später, "und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt."
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03 - Bielefeld Süd, Donnerstag 19. April 2018
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es hagelt dieser tage ja mal wieder jahrestage der erinnerungskultur um israel, den juden und den holocaust: vor 70 jahren: gründung des staates israel - vor 75 jahren: aufstand im warschauer ghetto -
uns bleibt nur die pflicht, immer wieder an diese dinge eindringlich zu erinnern, die immer mehr zu verblassen drohen. da wird mitten in berlin ein israeli angegriffen, der sich eine kippa aufgesetzt hat, um die reaktionen dazu in berlin zu testen, der aber gar kein gläubiger jude ist ... - und er kam gar nicht weit, bis er von einem 19-jährigen araber angegriffen wurde und mit einem gürtel geschlagen wurde - wobei der angreifer immer wieder "yahudi/jude" rief ... - also einfach auf äußere attribute entsprechend reagierte ...
solche tätlichen übergriffe mehren sich in den letzten monaten - und auch mit dem zuzug arabischer flüchtlinge und der allgemeinen sittenverrohung gegenüber ausländern allgemein sowie vordergründig rechten und hier und da auch linken antiisraelischen umtrieben allerorten ...
wir haben hier in deutschland vielleicht zu rasch unsere moralische haftpflicht gegenüber israel und den juden in eine "normalität" setzen wollen, wie gegenüber bürgern und "gästen" anderer nichteuropäischer staaten auch - es gibt ja gottseidank aber erstaunlicherweise auch in der geschichte keine übergriffe gegenüber asiaten hinduistischen, buddhistischen oder konfuzianischen glaubens - und der dalai lama ist ein wohlgelittener gast hier allerorten.
die übergriffe von ein paar radikalen israelis gegenüber palästinensern im nachbarland - und überhaupt das ganze klein-klein und "auge-um-auge und zahn-um-zahn" dort zwischen palästinensern und israelis haben diese verpflichtungen und das verantwortungsbewusstsein gegenüber juden hier und israel und den juden dort schrumpfen lassen - wobei wir in den letzten jahren ja mühsam unsere offensichtlich gefühlten defizite gegenüber muslime haben versucht aufzuarbeiten und zu reglementieren ...
und doch: es gibt keine "neutralität" gegenüber juden und israel - wie wir sie vielleicht gegenüber dem herkunftsland und dem glauben unseres türkischstämmigen nachbarn und kollegen gefunden haben - es gibt im höchsten falle vielleicht eine "all-parteilichkeit", in dem wir versuchen empathisch beide seiten, die dort unten im nahen osten aufeinanderprallen, zu verstehen - wobei uns israel aber nie "gleichgültig" werden darf - da sind wir zur parteilichkeit gefordert - denn "juden" sind eben keine "anderen", sondern waren und sind unsere angestammten landsleute und nachbarn ...
insgesamt wäre es einfacher, wenn christen, juden und muslime sich auf ihren großen gemeinsamen und identischen stammvater abraham besinnen lernten, der im alten testament und damit in der thora und im koran gleichermaßen erwähnt und verehrt wird, als den gemeinsamen ursprung unserer religionen auch aus und zu dem einen gott, den die muslime "allah" nennen ...
diesen traum habe ich, auch angesichts des legendären kniefalls von willy brandt 1970 in warschau - dass diese drei abrahamitischen religionen voller gegegnseitiger achtung und eigenständigkeit trotz allem einmal zusammenfinden zu einem miteinander ... - das wäre ein großer schritt zum frieden in der welt - und ein zeichen gegenüber allen atheisten und agnostikern ... - S!