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... und immer wieder - mit wachsender begeisterung: gomringers "avenidas"-gedicht - jetzt auch in bielefeld ...

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Dr. Marcus Knauf und Prof. Dr. Helen Knauf aus Bielefeld lassen das Gedicht in Absprache mit seinem Schöpfer auf ihre Hauswand malen. Sie sehen das auch als ein Statement gegen die Einschränkung der Kunstfreiheit. Foto: Bernhard Pierel | WB

Werk angeblich »sexistisch«

Umstrittenes Gomringer-Gedicht jetzt auf Hausfassade in Bielefeld

Von Sabine Schulze | WB

Von der Wand der Berliner Alice-Salomon-Hochschule muss das Gedicht »Avenidas« des bolivianisch-schweizerischen Schriftstellers Eugen Gomringer verschwinden, weil es angeblich »sexistisch« ist. In Bielefeld ist es seit Mittwoch im öffentlichen Raum zu sehen.



Für Marcus und Helen Knauf, die das Gedicht an die Hausfassade anbringen lassen, ist »Avenidas« einfach nur schöne Poesie. Es seien acht Zeilen, die das Leben besingen. Für das Ehepaar Knauf ist die Argumentation der Hochschule nicht nachvollziehbar: »So ein Gedicht zu problematisieren, lenkt von den wahren Problemen ab«, sagt Prof. Dr. Helen Knauf. Für ihren Mann sei es auch ein Statement für die Freiheit der Kunst und Wissenschaft, es an die Wand des eigenen Hauses malen zu lassen.

»Es ist ein für den öffentlichen Raum schönes Gedicht, besonders geeignet, weil es so einfach ist.« Zeitlos sei es außerdem, denn die Stimmung, die Gomringer festgehalten habe, könne man auch heute noch nachvollziehen. »Und das macht gute und große Kunst aus.«

Das ungefähr ist die Stimmung auf den Ramblas von Barcelona, 1951/53, die Gomringer in dem Gedicht eingefangen und skizziert hat ... : Die Straße/Allee - die Blumen - die Frauen - und mich und dich - als Betrachter/Bewunderer dieser Szenerie hier im Bild - holt Gomringer mit in seine Textkomposition - einfsch genial ... S!|art






Gedicht als junger Mann verfasst

Gomringer, heute 93, hat das Gedicht als junger Mann verfasst: 1951 bummelte er durch Barcelona, nahm Alleen, Blumen und flanierende Frauen wahr. Sein Gefühl drückte er in Gedichtform aus. Das auf Spanisch verfasste Gedicht steht seit 2011 an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule. Es ist umstritten, seit vor zwei Jahren Studentenvertreter die Verse in einem offenen Brief als frauenfeindlich kritisierten.

Übersetzt auf Deutsch, heißt es in dem Gedicht:

alleen
alleen und blumen

blumen
blumen und frauen

alleen 
alleen und frauen

alleen und blumen und frauen und 
ein bewunderer

»Beim besten Willen ist aus dem Gedicht nichts Sexistisches oder Frauenfeindliches herauszuholen«, sagt der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Braungart. Für ihn ist »Avenidas« so offen und zugänglich, dass es als öffentliche Kunst tauge. »Davon versteht Gomringer etwas.« Drei Stichworte, wiederholt und variiert, genügten, um einen Moment der plötzlichen Sinnfülle, eine aufblitzende erotische Spannung zu beschreiben, die im nächsten Augenblick vorüber ist.

»Eine Reverenz an Baudelaire, der städtische Szenerie prägnant ins Bild gesetzt hat«, sagt Braungart. Kein Verb verbindet die Sub­stantive. »Wer Schlimmes dabei denkt, ist der Ertappte.«

Bei dem Gedicht geht es um den letzten Satz: »Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer.« Nach einer langen und teils erbittert geführten öffentlichen Diskussion hatte das Hochschulparlament im Januar dieses Jahres beschlossen, das Gedicht bei einer Fassadenrenovierung im Herbst zu übermalen. Künftig soll alle fünf Jahre das Werk eines neuen Poetik-Preisträgers auf die Wand kommen.

Eugen Gomringer wird sein »Avenidas« unterdessen wohl bald in Bielefeld bewundern: Thomas Thiel, Geschäftsführer des Kunstvereins, hatte die Idee, ihn Ende Juni gemeinsam mit der literarischen Gesellschaft zu einer Lesung einzuladen. »Ich hoffe, dass er dann auch uns besuchen kommt«, sagt Marcus Knauf.

aus: WESTFALEN-BLATT, Nr. 91 | 19.04.2018 

Lesen Sie hier eine ultimative Rezension zu dem Lyrik-Streit ...

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