Der Mensch hinter der Akte
Ausstellung in Bethel über kranke und behinderte Menschen in der NS-Zeit
Von Burgit Hörttrich | WB
Bielefeld(WB). Die Frage nach dem Wert des Lebens ist die Leitlinie dieser Ausstellung: Am 15. Mai 2018 wurde im Hauptarchiv Bethel (Bethelplatz) eine Ausstellung über kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus –»erfasst, verfolgt, vernichtet«– eröffnet.
Die Ausstellung bestehe aus drei Teilen, sagt Kerstin Stockhecke, Leiterin des Hauptarchivs. Da sei zum einen die Wanderausstellung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, die Ausgrenzung, Zwangssterilisation und Massenmord an Patienten in Heil- und Pflegeanstalten während der Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. Zwischen 1933 und 1945 seien bis zu 400.000 Menschen zwangssterilisiert, 200.000 ermordet worden. Ärzte, Pflegekräfte und Verwaltungsfachleute selektierten die Patienten nach Kriterien wie »Heilbarkeit«, »Bildungsfähigkeit« oder »Arbeitsfähigkeit«.
Die Ausstellung war 2014 zum ersten Mal im Bundestag zu sehen, wurde seitdem an 30 Standorten gezeigt – unter anderem in Australien, Japan und Südafrika. Mehr als 340.000 Menschen haben sie bislang besucht.
Ohne Bethel in der Zeit des Nationalsozialismus zu beleuchten, wäre es aber, sagt Kerstin Stockhecke, wohl gar nicht möglich gewesen, die Wanderausstellung in Bethel zu zeigen. Es gebe zwar mehr als 100 Veröffentlichungen zum Thema, jetzt habe man als Schwerpunkt auf die Biografien der betroffenen Menschen gesetzt. Grundlage dafür seien die Patientenakten gewesen. Gezeigt werden in der Ausstellung Schlüsseldokumente aus der NS-Zeit, die so noch nicht öffentlich zu sehen waren, darunter auch Fotos.
Das Künstlerhaus Lydda hat sich in einer inklusiven Gruppe ebenfalls mit den Patientenakten beschäftigt (Teil drei der Ausstellung). Die Künstler, so Jürgen Heinrich als Leiter des Künstlerhauses, hätten versucht, Gefühlen wie Entsetzen oder Fassungslosigkeit Gestalt zu geben. Heinrich: »Es ging dabei aber nicht um Illustrationen oder darum, die Patienten zu porträtieren, sondern um eigenständige Kunstwerke.«
Auf Fotos der Patienten hat man in der Ausstellung bewusst verzichtet, obwohl diese in den Akten vorhanden sind. »Diese Fotos sind nicht würdevoll«, erklärt Kerstin Stockhecke.
Thematisiert wird in der Schau auch die Strategie des damaligen Bethel-Leiters Friedrich von Bodelschwingh und des Leiters von Lobetal, Paul Gerhard Braune, sowie Ernst Wilms (später Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen): Noch nie gezeigte Briefe dokumentieren ihre Einstellung zu den Zwangssterilisationen und ihr Handeln gegen die Tötungen von Kranken.
Gezeigt werden zudem Fotos und in kurzen Texten Biografien von Opfern und von Tätern.
Kerstin Stockhecke sagt, die Ausstellung biete einen umfassenden Überblick zum Thema, geeignet auch für Schulklassen. Für sie gebe es ein eigenes, pädagogisches Programm (Beratung und Terminabsprache unter Telefon 0521/144-3255). Die Ausstellung ist bis zum 13. Juli zu sehen: montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr.
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Vorträge
Ausstellung in Bethel über kranke und behinderte Menschen in der NS-Zeit
Von Burgit Hörttrich | WB
Bielefeld(WB). Die Frage nach dem Wert des Lebens ist die Leitlinie dieser Ausstellung: Am 15. Mai 2018 wurde im Hauptarchiv Bethel (Bethelplatz) eine Ausstellung über kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus –»erfasst, verfolgt, vernichtet«– eröffnet.
Kerstin Stockhecke in der Ausstellung. Im Hintergrund ein Triptychon von Ralf Stühmeier . Fotos: Bernhard Pierel | WB |
Die Ausstellung bestehe aus drei Teilen, sagt Kerstin Stockhecke, Leiterin des Hauptarchivs. Da sei zum einen die Wanderausstellung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, die Ausgrenzung, Zwangssterilisation und Massenmord an Patienten in Heil- und Pflegeanstalten während der Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. Zwischen 1933 und 1945 seien bis zu 400.000 Menschen zwangssterilisiert, 200.000 ermordet worden. Ärzte, Pflegekräfte und Verwaltungsfachleute selektierten die Patienten nach Kriterien wie »Heilbarkeit«, »Bildungsfähigkeit« oder »Arbeitsfähigkeit«.
Die Ausstellung war 2014 zum ersten Mal im Bundestag zu sehen, wurde seitdem an 30 Standorten gezeigt – unter anderem in Australien, Japan und Südafrika. Mehr als 340.000 Menschen haben sie bislang besucht.
Ohne Bethel in der Zeit des Nationalsozialismus zu beleuchten, wäre es aber, sagt Kerstin Stockhecke, wohl gar nicht möglich gewesen, die Wanderausstellung in Bethel zu zeigen. Es gebe zwar mehr als 100 Veröffentlichungen zum Thema, jetzt habe man als Schwerpunkt auf die Biografien der betroffenen Menschen gesetzt. Grundlage dafür seien die Patientenakten gewesen. Gezeigt werden in der Ausstellung Schlüsseldokumente aus der NS-Zeit, die so noch nicht öffentlich zu sehen waren, darunter auch Fotos.
Jürgen Heinrich mit einem Bild von Schanna Saranzew |
Auf Fotos der Patienten hat man in der Ausstellung bewusst verzichtet, obwohl diese in den Akten vorhanden sind. »Diese Fotos sind nicht würdevoll«, erklärt Kerstin Stockhecke.
Thematisiert wird in der Schau auch die Strategie des damaligen Bethel-Leiters Friedrich von Bodelschwingh und des Leiters von Lobetal, Paul Gerhard Braune, sowie Ernst Wilms (später Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen): Noch nie gezeigte Briefe dokumentieren ihre Einstellung zu den Zwangssterilisationen und ihr Handeln gegen die Tötungen von Kranken.
Gezeigt werden zudem Fotos und in kurzen Texten Biografien von Opfern und von Tätern.
Kerstin Stockhecke sagt, die Ausstellung biete einen umfassenden Überblick zum Thema, geeignet auch für Schulklassen. Für sie gebe es ein eigenes, pädagogisches Programm (Beratung und Terminabsprache unter Telefon 0521/144-3255). Die Ausstellung ist bis zum 13. Juli zu sehen: montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr.
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Vorträge
- 8. Juni, 19 Uhr: Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl spricht über »Psychiatrie in Bethel. Vom Hospiz für Nervenleidende und Gemütskranke bis zur Psychiatriereform der 1970er Jahre«.
- 12. Juni, 18 Uhr: Filmgespräch mit Jenny Janzen und Kerstin Stockhecke; gezeigt wird der Film »Ringende Menschen« von 1933.
- 20. Juni, 19 Uhr: Prof. Dr. Thomas Pollmächer spricht über aktuelle rechtliche und ethische Herausforderungen für die Psychiatrie.
- 2. Juli, 18 Uhr: Dr. Uwe Kaminsky stellt sein Forschungsprojekt »Alltag in der Anstalt Bethel 1924-1949« vor.
- WESTFALEN-BLATT Nr. 112 - 16.05.2016 - S.12
... und dazu auch:
In diesem Theaterstück werden Szenen nachempfunden aus dem viel zu kurzen Leben meiner Tante - dem NS-"Euthanasie"-Opfer Erna Kronshage - click here |
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nun ist die wanderausstellung "erfasst - verfolgt - vernichtet" auf seiner kreuz-&-quer-weltreise in bethel angekommen. mit einem üppigen und anspruchsvollen begleitprogramm versehen.
es geht dabei immer um den menschen hinter der akte und auf den bildern und zu dem "stolperstein" vorm haus: und es sind dabei auch immer die kehrseiten:
- die ärzte in den weißen kitteln -
- die akademischen fern-begutachter in berlin,
- die professoren, die die tödliche "hungerkost" mit barbituraten "austüftelten" wie professor dr. paul-hermann nitsche, zunächst so, dass man ihnen hinterher kaum etwas gewaltsames nachweisen konnte,
- die busfahrer der sogenannten legendären "grauen busse" und
- die disponenten der todestransporte mit der reichsbahn,
- die "gekrat" (für: "gemeinnützige kranken-transportgesellschaft") in berlin,
- die lokführer,
- die zugbegleiter,
- die denunzianten in der nachbarschaft ("da schaut mal nach: die ist so komisch geworden"),
- die gemeindefürsorgerin von der ns-volks"wohlfahrt",
- die direktoren der landes"heil"- und pflegeanstalten,
- die krankenschwestern und -pfleger (die alle nur "ihre pflicht" taten - und auf anordnung handelten ...)
- die richter und bediensteten und sachverständigen in den erbgesundheitsgerichten und deren bürokratie zur anordnung der zwangssterilisationen,
- die polizisten, die für eine zwangseinweisung gerufen wurden:
sie alle waren an den ca. 300.000 "euthanasie"-morden beteiligt - also ein personenkreis von ca. 6-10 "mittätern" pro opfer - jeder auf seine art - und hinterher sagten alle - sie hätten von nichts gewusst ... - und auch die betroffenen familien haben alles "verschwiegen" - z.t. heute noch ...S!