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Was am Ende übrig bleibt
🔶 Könnte es schon einmal eine Industriegesellschaft auf der Erde gegeben haben? Woran würde man das erkennen? Ein erstaunlich aktuelles Gedankenspiel
Von Stefan Schmitt | DIE ZEIT
Die Silurianer sollen intelligente Echsen gewesen sein. Angeblich haben sie vor 450 Millionen Jahren auf der Erde gelebt und ihre eigene Technologie entwickelt, vergleichbar der menschlichen von heute. Natürlich sind die Silurianer eine Erfindung, sie stammen aus einer Folge der britischen Fernsehserie Dr. Who.
Jetzt aber stehen die Silurianer Pate für eine außergewöhnliche wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel Die Silurianer-Hypothese. Kein Quatsch. Der Fachaufsatz stammt von seriösen Wissenschaftlern, nämlich dem Klimaforscher Gavin Schmidt, Direktor des Goddard Institute for Space Studies der Nasa, sowie dem Physiker Adam Frank von der University of Rochester. Die beiden fragen sich: Könnten Geologen Spuren einer untergegangenen Industriegesellschaft in den stratigrafischen Aufzeichnungen, also den Ablagerungen der Erdgeschichte, erkennen? Dabei geht es Schmidt und Frank nicht um die Silurianer, sondern um uns selbst – in radikaler Zeitrafferperspektive.
Die Stratigrafie ist so etwas wie das Tagebuch des Planeten. Geologische Schichten zeugen allerdings nicht von den Geschehnissen einzelner Tage, sondern ganzer Epochen. Berge türmen sich auf und vergehen, Meeresboden fällt trocken und wird Land, Klimazonen verschieben sich, Tierarten entstehen und sterben aus. Und am Ende bleiben davon vielleicht ein paar Millimeterchen Sediment.
Archäologen der näheren Zukunft mögen einmal Handys oder Kaffeebecher aus dem frühen 21. Jahrhundert ausgraben. Gebäude und Anlagen? Der Gedanke an die Hinterlassenschaften einer untergegangenen Industriegesellschaft erinnert an Alan Weismans Sachbuch Die Welt ohne uns, in dem dieser beschreibt, wie Städte, Autobahnen und Fabriken von der Natur zurückerobert werden (ZEIT Nr. 41/07). Doch das alles ginge zu schnell vonstatten, um sich auf einer Zeitskala, die in Multimillionen Jahren misst, niederzuschlagen. Stattdessen blicken Schmidt und Frank auf die Geochemie. Wie sehen Ablagerungen natürlicherweise aus, und welche Spuren darin ließen sich als Zeugnisse industrieller Aktivität deuten?
Es gäbe da einige. Eine entsprechende Kultur könnte man zum Beispiel daran erkennen, dass sich plötzlich große Mengen von Blei und Chrom, Rhenium, Platin und Gold in einer Sedimentschicht zeigten, dass sich darin feinste Plastikpartikel und Rückstände synthetischer Steroide fänden, dass der Mix der Kohlenstoff-Isotope von einem starken Anstieg des atmosphärischen Kohlendioxid-Gehalts zeugte – kurz gesagt daran, dass in ferner Vergangenheit dieselben geochemischen Signale entstanden sein sollten, wie wir sie gerade selbst erzeugen.
Deshalb sind die Gedanken von Schmidt und Frank nicht nur für Erdgeschichtler interessant. Sie gehören in die anhaltende Debatte um das Anthropozän, jene neue geochronologische Epoche, die nach ihrem prägenden Einflussfaktor benannt werden soll, nach anthropos, dem Menschen.
Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen hatte den obskuren Begriff bei einer Konferenz im Jahr 2000 popularisiert; zwei Jahre später schrieb Crutzen in Nature: »Während der vergangenen drei Jahrhunderte sind die Auswirkungen der Menschen auf die globale Umwelt eskaliert. (...) Es erscheint angemessen, den Terminus »Anthropozän« auf die gegenwärtige, vielfältig vom Menschen dominierte geologische Epoche anzuwenden.« Seitdem streiten sich die Erdwissenschaftler. Ihre oberste Fachgesellschaft, die International Union of Geological Sciences, hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Faktenlage zu sortieren. Mehrere Gremien haben sich auf dem Weg durch die Geo-Bürokratie schon dafür ausgesprochen. Aber frühestens 2019 könnte das »Anthropozän« offiziell ausgerufen werden – oder verworfen.
Denn kurioserweise ist der Begriff schneller zum soziologischen Faktum gereift als zu einem naturwissenschaftlichen. Er steht für die Folgen menschlichen Handelns zum Beispiel in Gestalt von Klimawandel, Artenschwund (»Das sechste Sterben«) oder der Umlenkung der planetaren Nährstoffströme. Politiker und Umweltschützer bemühen die Vokabel, in den Feuilletons deuten Philosophen und Juristen sie aus. Ob das Konzept aber auch den Geowissenschaftlern genügen wird, das ist unsicher – wenngleich vieles darauf hindeutet. Das hat viel mit Timing zu tun. So gewaltig und zum Teil verhängnisvoll uns erscheinen mag, was gerade mit der Erde geschieht, so ist es doch zeitlich ein punktuelles Phänomen. Was sind schon 300 Jahre der aktuellen geologischen Ära angesichts der seit 66 Millionen Jahren währenden Erdneuzeit (Känozoikum)?
Schmidt und Frank bezeichnen den »Fingerabdruck« des Anthropozäns zwar als »klar«, legen aber dar, dass viele einzelne Faktoren erdgeschichtlich nicht einzigartig sind. »Es gibt zweifelsfrei Ähnlichkeiten zwischen früheren abrupten Ereignissen in der geologischen Abfolge und der voraussichtlichen Signatur des Anthropozäns in künftigen Ablagerungen.«
Zurück zur Hypothese von den Silurianern! Was bedeutet all das nun für die Annahme, vor vielen Millionen Jahren könnte eine Industriezivilisation auf Erden existiert haben? »Es ist vielleicht ungewöhnlich«, schreiben Schmidt und Frank, »aber die Autoren dieses Aufsatzes sind nicht überzeugt von der Richtigkeit der von ihnen vorgeschlagenen Hypothese.« Anders gesagt: Natürlich gab es keine Silurianer. Dennoch sei eine solche geochemische Spurensuche sinnvoll. Sie könnte etwa zum Nachweis längst erloschenen Lebens auf anderen Himmelskörpern dienen. Nicht ohne Grund veröffentlichen Schmidt und Frank ihren Aufsatz im International Journal of Astrobiology.
Mit dem Blick ins Weltall schließt sich der intellektuelle Bogen, den die Forscher durch die Erdgeschichte und in die ferne Zukunft schlagen. Sie bedienen sich dafür der berühmten Formel des Astronomen Frank Drake aus dem Jahr 1961. Darin finden sich alle Faktoren für die Häufigkeit außerirdischer, kommunikationsfähiger Zivilisationen. Das wird als spekulative Antwort auf die berühmte Frage des italienischen Nobelpreisträgers Enrico Fermi verstanden, der im Jahr 1950 mit himmelwärts gerichtetem Blick gemurmelt hatte: »Wo sind sie bloß alle?« Falls um Unmengen von Sternen Planeten kreisen und sich auf einem Teil davon Leben entwickelte, aus dem womöglich Zivilisationen hervorgingen, warum haben Menschen dann niemals ein Signal aus der Milchstraße aufgefangen? Dieser Gedanke ging als Fermi-Paradox in die Wissenschaftsgeschichte ein.
Eine Antwort vermag sowohl das Paradox aufzulösen als auch die Aussicht zu dämpfen, dass Spuren einer irdischen Industriegesellschaft auf der geologischen Zeitskala erkennbar bleiben. Es geht um den Faktor »L« in Drakes Gleichung, der Langlebigkeit hochtechnisierter Zivilisationen. »Die Möglichkeit, eine Erscheinung von nur ein paar Jahrhunderten (oder weniger) aufzuspüren, ist fragwürdig«, schreiben Schmidt und Frank bezogen auf die Stratigrafie. Natürlich gilt dasselbe für ferne Zivilisationen, die nur für kurze Zeit Signale aussenden. Beides wäre erdgeschichtlich nicht mehr als ein Wimpernschlag.
Ist also diese ganze Gedankenübung vom Anthropozän bis zu den Aliens nicht mehr als eine Lektion in Demut?
Gavin Schmidt hat parallel eine Science-Fiction-Kurzgeschichte geschrieben. In Under the Sun fantasiert er von einer Geochemikerin, die zufällig in 55 Millionen Jahre alten Sedimenten auf Spuren von PCB stößt, einer Stoffgruppe, die von Menschen erstmals im Jahr 1881 in einem deutschen Chemielabor erzeugt wurde. Diese Entdeckung wird in der Story als Beleg für die Existenz einer vormenschlichen Industriegesellschaft gedeutet. Doch die schriftstellerische Zweitverwertung des wissenschaftlichen Gedankenspiels geht noch weiter und rückt uns die fiktiven Silurianer erschreckend nahe. Findet sich doch in den Proben aus ihrer Schicht ein zweites Zeugnis der fernen Vergangenheit: Plutonium-244, ein radioaktives Isotop mit einer Halbwertszeit von 80 Millionen Jahren. Es entsteht nur bei der Zündung einer Kernwaffe.
So könnten Spuren von uns aussehen, die Archäologen in ein paar Hundert Jahren ausgraben. Was aber würde die Äonen überdauern? Illustration: Sören Kunz für DIE ZEIT (Negativbearbeitung)
(aus: DIE ZEIT - Nr. 22 - v. 24.05.2018 - S. 30 WISSEN)
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in meiner gestalt-ausbildung vor 35-40 jahren hieß ein grundsatz: leben im jetzt und hier (= nunc|hic - wie hier mein blog heißt ...).
insofern ist es die frage, ob wir uns mit diesen science-fiction-fragen beschäftigen sollen, ob denn tatsächlich schon einmal hier auf erden eine art industrialisierte zivilisation existiert hat.
was wäre das für ein zugewinn für uns, wenn wir das rekonstruieren könnten über die jahrmilliarden hinweg. und ist unser heutiges wissen nicht auch nur stückwerk - und nur vorübergehender natur ... ???
ob plutonium-244 eine tatsächliche halbwertzeit von 80 millionen jahren bemisst und ausschließlich bei der zündung einer atombombe entsteht - das sei mal so dahingestellt: der einschlag eines radioaktiven himmelskörpers kann das ja vielleicht auch auslösen - und es tickt ja zumindest da draußen im all in den von menschen erdachten geigerzählern hier auf erden.
vielleicht gibt und gab es aber auch ganz andere formen der energie - und die suche nach "unserer elektronik" u.a. ist nur müßig ... -
vielleicht sind unsere sinne ja auch nur für ganz bestimmte wahrnehmungen programmiert - und z.b. eine schnecke empfängt ganz andere für uns völlig fremde impulse und ist uns in ihrer schneckenartigen wahrnehmung weit überlegen ... - wer will das wissen oder bestreiten.
all unsere maßeinheiten und messinstrumente sind ja recht willkürlich und künstlich festgelegt worden - wenn man den sachen auf den grund geht, war da auch viel trickserei und nur mittelfristige erfahrung und zufall und interessengeleitete marktstrategie mit von der partie ... - ob das alles "objektiv" uns welt & all erklärt und erschließt - keine ahnung ...
eins wissen wir: - nämlich dass wir sehr wenig wissen - und unsere "warum"-fragen kommen aus dem kleinkindstadium - gemessen an der größe und weite des allumfassenden alls - in all seinen "natürlichen" erscheinungsformen - kaum hinaus.
ich persönlich habe große probleme, wenn kleine und minderbemittelte staaten sich mit atomwaffen bewaffnen müssen oder raketen ins weltall schicken oder zum mond fliegen - und die eigen bevölkerung deswegen hungern muss oder opfer zu bringen hat.
geht damit etwa ein "ruck" durch die beteiligten gesellschaften - hin zu einer angemessenen vernunft ...???
all dieses getue ist für mich oft "sand in die augen streuen"und genau das ist für mich "opium für's volk" ...
in den heiligen erfahrungs- und offenbarungsschriften der menschheit in ihrer begegnung mit dem, was sie vornehmlich als gott oder allah oder buddha bezeichnen, stehen oft wichtigere soziologische regelungen und erkenntnisse für ein stressfreies zusammenleben der menschheit als jeder start einer marssonde beinhaltet ... - behaupte ich mal ... - S!