FOTOGRAFIE
Ein wilder Taumel
Schnappschüsse aus den Siebzigern werden zu Mysterien: Sigmar Polke hatte immer eine Kamera dabei. Hunderte Aufnahmen wurden erst jetzt entdeckt. Das Museum Morsbroich zeigt den Malernun als Fotografen.
Von Boris Pofalla
Sigmar Polke (1941–2010) war ein Anarchist und auch Alchimist, ein sehr eigensinniger Mensch, der mit teils giftigen Stoffen Kunst machte und spöttisch auf Verehrung reagierte. Polke machte sich lustig über die staatstragenden Kollegen und über den heiligen Ernst der Kunst.
„Höhere Wesen befahlen: obere rechte Ecke schwarz anmalen“ ist wohl sein berühmtester Bildtitel und zeigt genau das: eine obere Ecke, schwarz angemalt. Polkes Bilder hängen heute in den großen Museen der Welt, sind Kunstgeschichte, weggerahmt.
Doch es gibt noch eine andere, unbekannte Seite dieses ungewöhnlichen Menschen zu entdecken: den Fotografen Sigmar Polke. Immer hatte er seine Kamera dabei, im Alltag und auf Reisen. Hunderte Aufnahmen aus den 70ern hat sein Sohn Georg Polke in einem Karton wiedergefunden. Erst jetzt wird dieser Schatz gehoben und ausgestellt.
Es ist ein wilder Taumel, eine Zeitreise in die 70er-Jahre, als die Haare der Männer lang, die Drogen psychedelisch und die Aschenbecher knallvoll waren. Polke knipst sich und sein künstlerisches Umfeld und verwandelt Schnappschüsse in kleine Mysterien.
Der Künstler tut, was ein guter Fotograf nicht macht: Er unterbricht die Entwicklung des Films, solarisiert ihn, verwendet unterschiedliche oder verdorbene Entwicklungsbäder und arbeitet insgesamt in einem „spontanen und intuitiv gesteuerten, teils durch bewusstseinserweiternde Substanzen beförderten Prozess“, wie Fritz Emsländer vom Museum Morsbroich es beschreibt. In dem Leverkusener Museum sind die Fotokunstwerke ab Sonntag bis zum 2. September zu sehen. In der Bildegalerie zeigen wir exklusiv eine Auswahl.
DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten
Ein wilder Taumel
Schnappschüsse aus den Siebzigern werden zu Mysterien: Sigmar Polke hatte immer eine Kamera dabei. Hunderte Aufnahmen wurden erst jetzt entdeckt. Das Museum Morsbroich zeigt den Malernun als Fotografen.
Von Boris Pofalla
Sigmar Polke (1941–2010) war ein Anarchist und auch Alchimist, ein sehr eigensinniger Mensch, der mit teils giftigen Stoffen Kunst machte und spöttisch auf Verehrung reagierte. Polke machte sich lustig über die staatstragenden Kollegen und über den heiligen Ernst der Kunst.
„Höhere Wesen befahlen: obere rechte Ecke schwarz anmalen“ ist wohl sein berühmtester Bildtitel und zeigt genau das: eine obere Ecke, schwarz angemalt. Polkes Bilder hängen heute in den großen Museen der Welt, sind Kunstgeschichte, weggerahmt.
Doch es gibt noch eine andere, unbekannte Seite dieses ungewöhnlichen Menschen zu entdecken: den Fotografen Sigmar Polke. Immer hatte er seine Kamera dabei, im Alltag und auf Reisen. Hunderte Aufnahmen aus den 70ern hat sein Sohn Georg Polke in einem Karton wiedergefunden. Erst jetzt wird dieser Schatz gehoben und ausgestellt.
Es ist ein wilder Taumel, eine Zeitreise in die 70er-Jahre, als die Haare der Männer lang, die Drogen psychedelisch und die Aschenbecher knallvoll waren. Polke knipst sich und sein künstlerisches Umfeld und verwandelt Schnappschüsse in kleine Mysterien.
Der Künstler tut, was ein guter Fotograf nicht macht: Er unterbricht die Entwicklung des Films, solarisiert ihn, verwendet unterschiedliche oder verdorbene Entwicklungsbäder und arbeitet insgesamt in einem „spontanen und intuitiv gesteuerten, teils durch bewusstseinserweiternde Substanzen beförderten Prozess“, wie Fritz Emsländer vom Museum Morsbroich es beschreibt. In dem Leverkusener Museum sind die Fotokunstwerke ab Sonntag bis zum 2. September zu sehen. In der Bildegalerie zeigen wir exklusiv eine Auswahl.
DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten
tja - der polke war neben dem kippenberger sicherlich so etwas wie das "enfant terrible" im deutschen kunstbetrieb der nachkriegszeit. er glaubte nicht an das hehre meisterwerk, an das begnadete genie.
es ist schon paradox, dass er selbst nun durchaus genau mit seiner ironie als ein solcher ausnahmekünstler anerkannt ist.
und während beuys und dann auch kiefer immer noch inhaltsschwere nachkriegsdeutsche blei- und filzschwere auch mal strohbestückte schicksalsschläge abarbeiteten und installierten - und gerhard richter auf formalen "stil" und farbexperiment und fotorealismus und fotoabstraktion bedacht war - machte polke in der gleichen zeit luftige lebensfreudige "foto-knipsereien" und allerhand anderen grafisch-künstlerischen schabernack: abends in der kneipe, beim gang zum kiosk, an filmplakaten vorbei ...: den augenblick festhalten für eine ewigkeit. und zuhause angekommen wurde der film vielleicht nur halbentwickelt oder der entwickler mit geheimen zusätzen versetzt - und einer prise "ommm" - die die abzüge dann einfärbten - oder das foto wurde gerastert in punkt und in bunten punk, wie man es damals in den zeitungen sah ... - als stilmittel zu einer fast kabarettistischen aktualität - gerade auch um das motiv ad absurdum zu führen ...: die wilden 60er/70er jahre: und unter den talaren ...
es ist schon paradox, dass er selbst nun durchaus genau mit seiner ironie als ein solcher ausnahmekünstler anerkannt ist.
und während beuys und dann auch kiefer immer noch inhaltsschwere nachkriegsdeutsche blei- und filzschwere auch mal strohbestückte schicksalsschläge abarbeiteten und installierten - und gerhard richter auf formalen "stil" und farbexperiment und fotorealismus und fotoabstraktion bedacht war - machte polke in der gleichen zeit luftige lebensfreudige "foto-knipsereien" und allerhand anderen grafisch-künstlerischen schabernack: abends in der kneipe, beim gang zum kiosk, an filmplakaten vorbei ...: den augenblick festhalten für eine ewigkeit. und zuhause angekommen wurde der film vielleicht nur halbentwickelt oder der entwickler mit geheimen zusätzen versetzt - und einer prise "ommm" - die die abzüge dann einfärbten - oder das foto wurde gerastert in punkt und in bunten punk, wie man es damals in den zeitungen sah ... - als stilmittel zu einer fast kabarettistischen aktualität - gerade auch um das motiv ad absurdum zu führen ...: die wilden 60er/70er jahre: und unter den talaren ...
und dann kommt es wie immer - wie es kommen muss: auf dem dachboden steht dann ein alter pappkarton - und der sohn vom polke, der schorch oder jörres, findet plötzlich dieses unschätzbare konvolut an zeit-schnappschüssen ... - schatzsuche - archäologie - archivierung - danke ... S!