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Doktor Algorithmus
von Thomas Schulz | SPIEGEL.de
Zukunft🔴 Das Silicon Valley stürzt sich auf die Medizin: Konzernriesen wie Google und Hunderte neue Start-ups arbeiten an neuen Behandlungsmethoden. Krebs soll per Bluttest entdeckt, das Leben verlängert und der Mensch mit Maschinenimplantaten aufgerüstet werden.
Hinter mehreren Sicherheitsschleusen, in einer fensterlosen Werkstatt, schrauben Ingenieure am Chirurgen der Zukunft: eine Maschine, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz (KI), eingebettet in virtuelle Realität und beworben als »Komplettlösung für alle Operationssäle«. Gleich nebenan arbeiten Forscher an in den Menschen implantierbaren Minicomputern, die elektrische Signale in den Nervenbahnen manipulieren, um auf diese Weise Krankheiten zu behandeln: der erste Schritt in eine neue »bioelektrische Medizin«.
Einige Türen weiter geht es um neue Therapien gegen Krebs und Depression, entwickeln fast tausend Wissenschaftler neue Biosensoren, Medizinroboter, Medikamente. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Feldern; aus Biologie, Medizin, Chemie, Materialwissenschaften, Informatik, Maschinenbau.
Und sie alle forschen für Google.
Als der Internetriese vor fünf Jahren erstmals ankündigte, nun auch die Medizin erobern zu wollen, haben noch viele in den Chefetagen der Pharmafirmen gelacht. Die Anfänge waren bescheiden: zwei Dutzend Google-Mitarbeiter, ausgelagert in einen nichtssagenden Bungalow am Rande des Firmenhauptquartiers im Silicon Valley.
Aber nun breitet sich bereits ein fünfstöckiges Karree aus Stahl und grünem Glas an der Bucht von San Francisco aus, ein eigenständiger Forschungscampus rund 40 Kilometer nördlich des Google-Hauptquartiers, groß wie eine gut ausgestattete Uniklinik, mit zahllosen Laboratorien hinter Sichtschutzglas. In der Lobby wächst Gras die Wände hoch.
Aus der Abteilung ist eine eigenständige Firma geworden, Verily, unter dem Dach des Google-Mutterkonzerns Alphabet. Prominente Mediziner und selbst der Chef der US-Aufsichtsbehörde für Lebens- und Arzneimittel wechselten zu Verily, angezogen von hochfliegenden Plänen: »Unsere Mission ist es, die Gesundheitsdaten der Welt nutzbar zu machen, damit wir gesünder leben können«, sagt Jessica Mega, Chefmedizinerin von Verily. Sie ist eine der führenden Kardiologinnen der USA, war zuvor Professorin an der Harvard Medical School.
Sie lächelt fast ununterbrochen, während sie über die Pläne von Verily spricht: eine neue medizinische Plattform zu bauen, »die Infrastruktur für die digitale Gesundheitswelt« zu schaffen. Mehr als eine Milliarde Dollar stellte Google dazu bereit – für den Anfang.
Aber trotz solcher großen Anstrengungen läuft Google längst nicht mehr allein vorweg bei dem Versuch, die Gesundheit zu digitalisieren. Das ganze Silicon Valley stürzt sich auf die Medizin, die großen Konzerne von Apple bis Facebook genauso wie Hunderte Start-ups. Die Wagniskapitalfirmen investieren Milliarden in Biotechnologie und Gesundheit.
In den vergangenen Jahrzehnten hat die digitale Revolution eine Industrie nach der anderen erobert und umgekrempelt – und dabei auch grundlegend verändert, wie wir leben. Die Silicon-Valley-Strategen sind nun überzeugt: Kein Bereich sei besser geeignet, von den immer mächtigeren digitalen Instrumenten revolutioniert zu werden als unsere eigene Biologie. Nirgends biete sich eine größere Chance, den Weg der Menschheit zu verändern. Und neue Geschäftsfelder zu erschließen.
Daten sind der Schlüssel für diese Zukunftsmedizin: ausgelesen aus Geräten, Genomen, Sensoren und zahllosen Tests zu allen möglichen Biomarkern, von der bakteriellen Besiedlung des Darms bis zur Proteinzusammensetzung. Und analysiert und aufbereitet durch kluge Software, die dazulernt und Muster selbst in riesigen Informationsmengen erkennt. Wo der Arzt nicht mehr durchblickt, liefert Doktor Algorithmus Antworten.
»Stell dir eine Zukunft vor,
in der du alterst,
aber ohne die Krankheiten deiner Eltern.«
Die größten Chancen für neue digitale Instrumente sehen viele der Silicon-Valley-Technologen zunächst nicht in der Behandlung, sondern in der Diagnose. Verily arbeitet deswegen derzeit vor allem daran, »die menschliche Gesundheit zu kartografieren«, wie Mega sagt. Dazu sammelt das Unternehmen gemeinsam mit Universitäten über vier Jahre alle denkbaren Biodaten von 10 000 Menschen: genetische, molekulare, psychologische.
Die Teilnehmer wurden unter anderem mit neuen Sensoren und Messgeräten ausgestattet, die rund um die Uhr Daten liefern. Am Ende soll genau definiert sein: Was ist ein gesunder Mensch? Um mit diesen Werten die neuen digitalen Messgeräte zu eichen. Dann ließen sich digitale Frühwarnsysteme für viele Krankheitsbilder bauen, die den Arzt warnten: Achtung, hier bahnt sich etwas an.
Die meisten Krebsformen etwa sind heute schon behandelbar, viele sogar heilbar, solange sie nur rechtzeitig erkannt werden. Erst wenn die Tumoren zu lange unerkannt bleiben und die Patienten bereits im dritten oder vierten Stadium der Krankheit in die Klinik kommen, steigt die Sterblichkeitsrate rasant. Was also, wenn sich Krebs schon in seiner frühesten Anfangsphase mit einem einfachen Bluttest erkennen ließe?
Auf diesen Weg setzen gleich mehrere Silicon-Valley-Unternehmen. Allen voran Grail, benannt nach dem Heiligen Gral, dem legendären mystischen Gefäß, das ewiges Leben verspricht. Die Forscher des Start-ups erhoffen sich zumindest die Chance auf ein längeres Leben, indem sich alle Menschen routinemäßig durch sogenannte »liquid biopsies«, flüssige Gewebeproben, testen lassen, ob sie Warnzeichen für Krebs in sich tragen.
Die Idee ist eine große Wette auf die Macht der digitalen Technologie: Die Forscher hoffen, dass sich mit rasend schnellen DNA-Sequenzierungsmaschinen, KI-gestützter Software und neuen Analyseverfahren das genetische Material erkennen lässt, das selbst von kleinsten, noch unerkannten Tumoren abgesondert wird.
Grail ist dabei mindestens genauso Software-Unternehmen wie Biotech-Firma. Aus den Blutproben jedes Patienten sammeln die Techniker rund tausend Gigabyte Daten und jagen diese dann durch einen »Klassifizierer«, der mit KI-Algorithmen nach Mustern sucht. Wenn solche Früherkennungsbluttests Standard werden sollten, würde Grail wohl schnell »zur größten Big-Data-Firma der Welt«, sagt Jeff Huber, Gründungschef von Grail. Nicht zufällig ist er zuvor Topmanager bei Google gewesen.
Schon länger ist bekannt: Im Blut lässt sich Krebs früh feststellen – sogar, wenn sich der Patient noch kerngesund fühlt. Daraus einen generellen Indikator für eine Krebserkrankung zu entwickeln wurde aber erst mit neuer Technologie zur schnellen und billigen Analyse von Erbgut möglich. Große Teile des Hauptquartiers von Grail in Menlo Park, gleich um die Ecke von Facebook, sind mit neuartigen DNA-Sequenzierungsmaschinen vollgestellt.
Testen wollen die Grail-Forscher ihre Technologie an einem ersten Großprojekt: Aus den Blutproben von 120 000 Frauen sollen die frühen DNA-Signaturen von Brustkrebs herausgefiltert werden. Statistisch gesehen werden 650 Frauen aus dieser Testgruppe innerhalb eines Jahres Brustkrebs entwickeln. Grail will dann die gesammelten Proben analysieren, um festzustellen, ob der DNA-Test den Krebs korrekt vorhergesagt hätte.
Ob sich die großen Pläne des Unternehmens, schon bis Ende des Jahrzehnts einen kommerziellen Krebs-Bluttest bereitzustellen, verwirklichen lassen, wird jedoch von vielen Krebsexperten bezweifelt. Zudem müsste der Test nahezu perfekt sein: Wenn tatsächlich Millionen Menschen jedes Jahr getestet würden, wären schon wenige fehlerhafte Krebsdiagnosen genug, um zu einer Panikwelle zu führen und die Krankenhäuser zu überlasten.
Trotzdem sammelte Grail bereits mehr als eine Milliarde Dollar Kapital ein und gehört damit zu den bestfinanzierten privaten Biotech-Start-ups der Welt. Zu Grails Geldgebern gehören unter anderem Google, der Amazon-Gründer Jeff Bezos und Bill Gates.
Viele der bekannten Technologievordenker engagieren sich persönlich in der Medizinforschung. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg etwa finanziert den Aufbau eines »menschlichen Zellatlas«: Ein mit 600 Millionen Dollar ausgestattetes Forschungszentrum soll unter anderem alle Zellen des menschlichen Körpers kartografieren und damit die Entwicklung neuer Medikamente ermöglichen. Insgesamt wollen Zuckerberg und seine Frau Priscilla Chan, eine Kinderärztin, mehr als drei Milliarden Doller in die Erforschung neuer Therapien investieren.
»Wir glauben nicht an ›unmöglich‹«, so lautet das Motto des »Chan Zuckerberg Biohub«, prominent verkündet auf einem Motivationsposter auf den Fluren des neuen Forschungszentrums, gleich gegenüber der Uniklinik von San Francisco. Die Ziele von Biohub sind ähnlich gigantisch wie die Welteroberungsvisionen von Facebook: »Alle Krankheiten noch zu Lebzeiten unserer Kinder zu heilen, zu verhindern oder zu managen mag auf den ersten Blick unmöglich erscheinen – bis man die Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts in Betracht zieht.«
Der erste komplette Zellatlas soll dazu ein wichtiges Instrument sein. Medizinstudenten lernen bislang, dass es rund 300 Arten von Zellen gibt, Gehirnzellen etwa, Blutzellen oder die T-Zellen des Immunsystems. Wahrscheinlich seien es aber viel mehr Zelltypen, bis zu 10 000, sagt Stephen Quake, Co-Präsident von Biohub und Professor für Biotechnik an der Stanford University, ein ernster Mann mit Halbglatze und flinken Augen, der schnell und mit intensiver Überzeugung spricht.
Wenn man künftig vorab weiß, wie genau welche Zellen auf Therapien reagieren, so Quakes Plan, wird das die Suche nach neuen Medikamenten erheblich erleichtern. Sein Ziel: »einen universellen Diagnosetest für jede Art von Infektionskrankheit zu entwickeln«. Ein Prototyp diagnostizierte eine seltene bakterielle Infektion bei einem Teenager, indem die neue DNA-Analysetechnik schnell zwischen menschlicher DNA und der des Krankheitserregers unterscheiden konnte.
»Wir setzen darauf, die Zukunft zu erfinden«, sagt Quake. Wenn das gelingt, wäre es sicher höchst lukrativ: Eine neue Art von Therapie zu erschaffen verspricht Milliardeneinnahmen.
Entsprechend treibt die Silicon-Valley-Vordenker nicht nur Forschergeist, sondern die Hoffnung, die digitale Gesundheitsbranche zu dominieren.
So ist es auch kein Zufall, dass der neue Präsident der Stanford University aus der Medizin kommt. Stanford ist der Nexus des Silicon Valley, hier laufen all die Netzwerke aus Forschern, Gründern, Geldgebern und Konzernführern zusammen. Jedes Jahr werden etliche Start-ups von Stanford-Studenten gegründet, an manchen dieser Firmen ist die Uni finanziell beteiligt. So entstanden hier etwa Hewlett-Packard und auch Google, gegründet von den beiden Stanford-Doktoranden Larry Page und Sergey Brin.
Seit 2016 ist Marc Tessier-Lavigne der Präsident der Universität, ein Neurowissenschaftler und einer der weltweit führenden Experten für die Entwicklung des Gehirns. Er leitete lange die Forschung des Biotech-Riesen Genentech. Tessier-Lavigne sagt: »Wir sind im goldenen Zeitalter der Erforschung von Krankheiten, dank der Sequenzierung des menschlichen Genoms und anderer mächtiger Technologien.«
Schmal und hochgewachsen, mit silbergrauem Seitenscheitel und hohen Wangenknochen, ist Tessier-Lavigne eine markante Erscheinung, er wirkt ernst und intensiv. Auf Fragen antwortet er fast immer druckreif. Die Zukunft sieht er so: »Wenn wir die nötigen Investments machen, werden wir verstehen können, wie sich Tumoren ausbreiten, werden wir lernen können, wie Nervenzellen funktionieren, und die Geheimnisse des Immunsystems entschlüsseln. Und dieses Wissen brauchen wir, um den Krebs zu unterwerfen, die Demenz zu besiegen und Impfungen gegen HIV zu entwickeln.«
Tessier-Lavigne hält den technologie-getriebenen Fortschritt »in dieser Zeit der enormen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Chancen« für eine gesellschaftliche Aufgabe. Und für eine staatliche, wie er vor dem amerikanischen Kongress betonte: »Um in der Biomedizin die Vorherrschaft zu bewahren, müssen die notwendigen Mittel bereitgestellt und die strukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden.«
Stanford ist eng verwoben mit dem vielleicht eigentlichen Machtzentrum des Silicon Valley: den Wagniskapitalgebern, die jedes Jahr Milliarden Dollar an junge Unternehmen vergeben. Viele von ihnen haben ihren Sitz an der Sand Hill Road, einer langen, kurvigen Straße, die sich gleich hinter dem Uni-Campus die Hügel des Silicon Valley hochschlängelt.
Hier hat sich auch Andreessen Horowitz niedergelassen, die wohl einflussreichste Investmentfirma der Technologiewelt. Tausende Unternehmensvertreter pilgern jedes Jahr den Berg hinauf zu der eleganten Bungalowanlage mit Springbrunnen und künstlichen Bächen, um sich beraten zu lassen oder um Geld zu bitten.
Beste Chancen haben derzeit »Software-Start-ups, die biotechnologische Probleme lösen wollen«, sagt Vijay Pande. Als Professor für »Structural Biology« war er Chef des Biophysikprogramms der Stanford University, entwickelte dort neue Informatikprozesse zur Anwendung in der Medizin. Nun leitet Pande die Biotech-Investments von Andreessen Horowitz.
Beim Gespräch auf der sonnigen Terrasse des Andreessen-Hauptquartiers redet Pande bedächtig und nüchtern, als analysiere er triviale, altbekannte Tatsachen, wenn er sagt, dass wir durch die Vermischung von Informatik und Medizin zweifelsfrei am Anfang eines »Jahrhunderts der Biologie« stünden. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen müssten dabei als »Mittel zum Zweck« verstanden werden »für etwas viel Größeres«, als Instrumente, »um die Biologie zu konstruieren«. Diese Biokonstruktion werde »buchstäblich wie Programmierung zu handhaben« sein.
Eines der Lieblingsprojekte von Pande ist derzeit BioAge: Das Start-up setzt sich gleichermaßen aus Biochemikern und Datenwissenschaftlern zusammen, gemeinsam suchen sie nach Biomarkern, die für das Altern verantwortlich sind. Wenn die spezifischen Merkmale erst einmal bekannt sind, könnte der Körper mit der richtigen Behandlung vorsorglich gepflegt werden, damit er möglichst lange Spitzenleistung bringt.
Als Vergleich verweist Pande auf den schon lange bekannten Zusammenhang zwischen dem Cholesterinwert im Blut und Herzerkrankungen. Da man den relevanten Biomarker – Cholesterin – kennt, lassen sich Herzerkrankungen vorbeugend mit Medikamenten bekämpfen, die den Cholesterinspiegel senken. Durch Einsatz von künstlicher Intelligenz will BioAge nun ähnliche Biomarker mit einer klaren Verbindung zu Alterungsprozessen finden. Sollte das Start-up mit der Biomarker-Suche erfolgreich sein, wären die Folgen für das Lebensalter enorm, glaubt Pande: »Das bringt uns sehr nah an eine Welt, in der 120 die neuen 80 sind und 60 buchstäblich die neuen 40.«
BioAge ist nur eines von vielen Silicon-Valley-Unternehmen, die ganz gezielt an Alterungsprozessen forschen. Lebensverlängerung ist in diesen Tagen das Steckenpferd der Technologievordenker, ein ständiges Diskussionsthema in den Gesprächsrunden der Silicon-Valley-Elite: Sie sehen den Körper als Informationsverarbeitungssystem, das kontrolliert und gesteuert werden kann, wenn man nur alle seine Bausteine und Prozesse kennt. Verstopfte Arterien, absterbende Gehirnzellen, schwindende Muskeln, erlahmende Motoren in den Zellkernen: Das Silicon Valley träumt davon, dieses Systemversagen aufzuhalten, indem das Betriebssystem ständig erneuert wird.
Unternehmen wie Unity Biotechnology werden inzwischen mit Geld überschüttet. Das Start-up ist einer der Stars der neuen Antialterungsforschung und arbeitet daran, »die Gesundheitsspanne zu verlängern, die Zeit, in der man in guter Gesundheit lebt«. Amazon-Gründer Jeff Bezos, der prominente Investor Peter Thiel und andere Kapitalgeber steckten zusammen mehr als 130 Millionen Dollar in diese Vision der Gründer: »Stell dir eine Zukunft vor, in der du alterst, aber ohne die Krankheiten deiner Eltern. Eine Zukunft, in der Altern nicht schmerzt.«
Vielen Silicon-Valley-Technologen geht das alles jedoch noch nicht weit genug: Das Ziel müsse am Ende das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine sein, den Körper hochzurüsten, damit er besser und länger funktioniert. Sogenannte Gehirn-Computer-Interfaces sind ein eigenes Forschungsfeld, in dem sich zahlreiche Start-ups und die großen Tech-Konzerne tummeln.
Und das amerikanische Verteidigungsministerium: Mit 65 Millionen Dollar unterstützen die US-Militärs gleich sechs Projekte, die unter anderem Lähmung, Blindheit und Sprachstörungen durch maschinelle Unterstützung überwinden sollen.
Den größten Teil der Fördermittel erhielt Paradromics, ein kleines Start-up aus San Jose am südlichen Ende des Silicon Valley. Die Unternehmer wollen ein pfenniggroßes implantiertes Gehirnmodem bauen, mit einem Hochgeschwindigkeitsdatenlink zwischen Mensch und Computer. Eine Art »Breitbandanschluss für das Gehirn«, das ein Gigabyte Daten pro Sekunde verarbeiten und dabei mindestens eine Million Neuronen gleichzeitig »lesen« soll. Selbst mit solchen Geschwindigkeiten ließe sich auch nur annähernd das Ziel erreichen, das hinter diesem Forschungsauftrag steht: beschädigte Sinne zu reparieren.
Erste klinische Studien sollen bald beginnen. »Auch wenn es sich erst mal so anhören mag, sind Gehirnimplantate keine ferne Zukunftsmusik«, sagt Matt Angle, der Chef des Start-ups.
So sehen es viele der Silicon-Valley-Forscher, das Zeitalter der digitalen Medizin stehe nicht erst bevor, sondern habe bereits begonnen: »Man muss nicht alle Mechanismen der Biologie bis ins Detail verstanden haben, um solche neuen Instrumente schon jetzt für Patienten zu nutzen.«
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ÜBER DEN AUTOR
Thomas Schulz, Jahrgang 1973, berichtete fast ein Jahrzehnt als Wirtschaftskorrespondent für den SPIEGEL aus New York und San Francisco. Seit diesem Frühjahr zurück in Deutschland, schreibt er als SPIEGEL-Reporter über Digitalisierung und Fortschritt.___________________________________________
Thomas Schulz: »Zukunftsmedizin«. DVA; 286 Seiten; 20 Euro. Erscheint am 29. Mai.
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natürlich befeuern solche artikel bei mir nicht nur eitel-sonnenschein-positive gefühle in die menschliche zukunft allgemein.
denn mit dem wissen, dass all die im text genannten konglomerate von unternehmen und standorte eben auch die ersten marken im globalen algorithmen-gesteuerten turbokapitalismus sind, will man mit all den anstrengungen nicht zuletzt auch macht & geld generieren.
und mich beschleicht dabei auch das eigenartige gefühl, dass man aufgrund der angerissenen methoden nicht nur auf heilung und "chuat-choan" setzt, sondern ja auch krankheiten oder symptome und verdachtsmomente bzw. "abweichungen von der norm" implizieren kann - auf der einen seite - die man auf der anderen seite dann für teuer geld wieder eindämmt: das ganze also zur immerwährenden gelddruckmaschine weiterhin ausbaut.
aber vielleicht ist das auch nur mein (un)gesundes misstrauen ... - ansonsten freue ich mich als 71-jähriger natürlich noch auf die vor mir liegenden satten 50 jahre ohne aua und wehweh ...😉
in der nächsten woche wird mir mein arzt dann schon den einen oben erwähnten biomarker einflüstern, nämlich endlich einen "cholesterin-senker" einzusetzen, vor dem ich mich bis dato erfolgreich gedrückt habe ... - und letztlich weiß ich immer noch nicht - ob der senker mir hilft oder doch mehr dem hersteller aus der pharmazeutischen industrie, die ja längst die normwerte so bestimmen und "setzen", dass ihr börsenkurs keine einbrüche erfährt ... - S!