Während der Dreißigjährige Krieg im 17. Jahrhundert Städte und Landstriche verwüstete, steht Syrien heute als Sinnbild für Zerstörung in einem erschreckenden Ausmaß. Foto: dpa/WB |
Politikwissenschaftler Herfried Münkler sieht Parallelen im Nahen Osten
Von Dietmar Kemper | WB
Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 ist schon lange her. Ist er deshalb nur noch etwas für Lokalhistoriker, die bei Gelegenheit darauf hinweisen, dass zum Beispiel die Burg in Bad Lippspringe damals beschädigt wurde? Nein, glaubt der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler.
Wer sich mit der Tragödie damals in Mitteleuropa befasse, verstehe die Kriege der Gegenwart in Syrien, Libyen, dem Jemen und in Somalia besser und bekomme eine Ahnung von den Konflikten der Zukunft. Der Dreißigjährige Krieg tauge als Analysefolie, weil es »strukturelle Gemeinsamkeiten« zur Zeit heute gebe, betont Münkler in seinem mehr als 800 Seiten dicken Buch »Der Dreißigjährige Krieg: europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648« (Rowohlt-Verlag). Der Konfliktforscher der Berliner Humboldt-Universität bezeichnet die damalige Zeit als für »gegenwärtige Fragen hochgradig aufschlussreichen Abschnitt der deutschen und europäischen Geschichte«. Vom Kampf um Macht und Einfluss überlagerter Religionsstreit, Kriegsunternehmer, die das Blutvergießen in die Länge ziehen, massive Übergriffe auf die Zivilbevölkerung, Erschöpfung auf allen Seiten: All das haben die Kriege im Vorderen Orient und Nordafrika nach Münklers Ansicht mit dem Dreißigjährigen Krieg gemein.
Damals, zwischen 1618 und 1648, entwickelte sich ein lokaler Konflikt in Böhmen zu einem Flächenbrand, die spanischen und österreichischen Habsburger kämpften mit Frankreich und Schweden, das sich als Schutzmacht der Protestanten ausgab, um die Vorherrschaft. Sie finanzierten die Söldnerheere von Kriegsunternehmern wie Ernst von Mansfeld, Albrecht Wallenstein oder Bernhard von Sachsen-Weimar. Deren Landsknechte verwüsteten die Dörfer und Städte auf deutschem Boden, etwa ein Drittel der Bevölkerung kam dabei um. Die Übergriffe von Söldnern auf die Bevölkerung verbanden sich mit dem großen Kriege zwischen den Mächten. Erst die allseitige Erschöpfung zwang sie zu Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück, die 1648 das scheinbar nicht enden wollende Blutvergießen stoppten.
Münkler fasst zusammen: »Wäre der Krieg 1620/21 mit der Niederschlagung des böhmischen Aufstands beendet worden, so hätte er keine dreißig Jahre gedauert und sich auch nicht mit den europäischen Hegemonialkonflikten verbunden. Da der Krieg jedoch immer weiterging, hat er wie ein großer Magnet das gesamte Kriegsgeschehen in Europa auf sich ausgerichtet.«
Der Verlauf erinnert Münkler frappierend an das, was in Syrien, im Nordirak, im Jemen, in Libyen, Somalia und Nigeria zu beobachten ist. Hier verhaken sich lokale Aufstände und Bürgerkriege mit Interventionen regionaler und überregionaler Mächte wie den USA und Russland und den religiösen Feindschaften zwischen Schiiten, Sunniten und Christen. Im Hintergrund agieren, damals im Dreißigjährigen Krieg und heute im Nahen Osten, regionale Großmächte, analysiert Münkler. Damals waren es Spanien und Frankreich, heute sind es die Türkei, Saudi-Arabien und der Iran. Die »Unübersichtlichkeit der wechselnden Bündniskonstellationen und Feindschaften« kennzeichne gleichermaßen die Kriege heute und den vor 400 Jahren. Indem sie mit Geld und Soldaten eingriffen, sorgten und sorgen die Mächte in diesen Fällen für eine Fortsetzung des Blutvergießens, betont Münkler.
War der Aufstand in Böhmen die Keimzelle des Dreißigjährigen Krieges, so hält Münkler den »Arabischen Frühling«, den Machtverlust Ägyptens, das Chaos im Irak und den seit 2011 andauernden Bürgerkrieg in Syrien für die Feuerstellen, an denen sich die gesamte arabische Welt angesteckt habe. Stichwort Assad: Syriens Diktator stuft der durch Bücher über den Ersten Weltkrieg, über Weltreiche und die Mythen der Deutschen bekannt gewordene Politikwissenschaftler als Person und Clanchef ein, der sich an seinem Land schamlos bereichere. Auch in diesem Punkt weise der Dreißigjährige Krieg unrühmliche Vorbilder und Parallelen auf: »Akteure wie Ernst von Mansfeld und Albrecht Wallenstein können in der Verbindung von Warlord und Kleptokrat als Prototypen dieser modernen Akteure angesehen werden.«
Schließlich sind da noch die religiösen Konflikte als unübersehbare Gemeinsamkeit. Flugschriften von katholischer und protestantischer Seite betonten im 17. Jahrhundert, es gehe bei dem Krieg um den »wahren Glauben«. Heute werfen Sunniten, Schiiten, Wahhabiten und die Steinzeit-Islamisten des IS sich gegenseitig vor, sich gegen den Propheten Mohammed zu versündigen und nicht getreu dem Koran zu leben. Münkler betont: »Der religiös-konfessionelle Gegensatz ist weder im Dreißigjährigen Krieg die alleinige Konfliktursache gewesen, noch ist er das in den strukturanalogen Kriegen der Gegenwart. Aber er sorgt dafür, dass politisch lösbare Konflikte von einem Geist der Unversöhnlichkeit erfasst werden, der keinerlei Vermittlungs- und Ausgleichsebenen mehr kennt.« Religiös-konfessionelle Frontbildungen führten dazu, dass das Völkerrecht ignoriert werde und eine »bedingungslose Feindschaft« mit extremer Gewalt und Grausamkeit entstehe. Weil nicht mehr zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten unterschieden werde, leide die Zivilbevölkerung schrecklich. Große Flüchtlingsströme, so der 66-Jährige, seien ein gemeinsames Merkmal des Dreißigjährigen Krieges, der heutigen Auseinandersetzungen und des Zweiten Weltkriegs, der für das geschichtliche Denken in Deutschland zur neuen Bezugsgröße geworden sei. Dessen Schrecken zwischen 1939 und 1945 hätten in der Erinnerung die in der Zeit von 1618 bis 1648 überschrieben.
In Vergessenheit geraten und damit zum Steckenpferd von Lokalhistorikern werden sollte er nach Münklers Meinung aber nicht. Das meint übrigens auch der englische Historiker Peter H. Wilson. Die Stimmen und Bilder des 17. Jahrhunderts warnten auch heute »vor der Gefahr, jenen Macht zu verleihen, die sich durch Gott zum Krieg berufen fühlen oder glauben, dass ihre Vorstellungen von Recht und Ordnung die einzig gültigen sind«.
🔲 Herfried Münkler lehrt an der Humboldt-Universität in Berlin. Mit Kriegen befasst sich der Politikwissenschaftler seit vielen Jahren. Vor dem Buch über den Dreißigjährigen Krieg verfasste er ein vielbeachtetes über den Ersten Weltkrieg (»Der große Krieg. Die Welt 1914-1918«). Wie sich die Gestalt des Krieges veränderte – vom begrenzten Kräftemessen der Könige in den Kabinettskriegen des 18. Jahrhunderts bis zu den asymmetrischen, unübersichtlichen militärischen Auseinandersetzungen und Stellvertreterkriegen der Gegenwart im Nahen Osten – ist eine Frage, die ihn immer wieder beschäftigt hat (»Kriegssplitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert«). Außerdem hat er die Rolle des heutigen Deutschlands in der Welt und die Auswirkungen der Flüchtlingskrise analysiert und Bücher über die Mythen der Deutschen geschrieben. Zu den Spezialgebieten des Wissenschaftlers gehört auch die politische Theorie.
Das Gemälde zeigt die Schlacht bei Lützen 1632, bei der Schwedens König Gustav Adolf II. ums Leben kam. Es war einer der grausamsten Schlachten des Krieges. Foto: imago/WB |
aus: WESTFALEN-BLATT - 30.05.2018 - S. 7
_________________________________________________________
vor 400 jahren fing der dreißigjährige krieg an - und vor 370 jahren hörte er folglich erst auf - mit den schwierigen friedensverhandlungen in osnabrück und münster - und wie ich erst neulich erfahren habe: der entscheidung zur neutralität der schweiz.
ein krieg, den heute viele zeitgenossen scheinbar vergessen haben, obwohl er sich sicherlich als trauma in das kollektive unbewusste der menschlichen seele vererbt und niedergeschlagen hat und ab und zu auch hochgespült wird - in albträumen etwa und bei erschreckensbildern, die uns im fernsehen gezeigt werden.
ein krieg, den heute viele zeitgenossen scheinbar vergessen haben, obwohl er sich sicherlich als trauma in das kollektive unbewusste der menschlichen seele vererbt und niedergeschlagen hat und ab und zu auch hochgespült wird - in albträumen etwa und bei erschreckensbildern, die uns im fernsehen gezeigt werden.
denn auch menschen, die nie eine militärische ausbildung hatten oder an kampfhandlungen teilgenommen haben, haben eine relativ nahe und plastische vorstellung vom "krieg" in all seinen auswüchsen - furcht, angst und schrecken sind beim begriff "krieg" seitdem im menschen als "angelegtes" verhaltensmuster über diese jahrhunderte hinweg fest verankert ...
man sieht das ja auch an diesen beiden bildern hier, die ja irgendwie leider gottes zu "ikonen" geworden sind über das grauen in der welt.
und dann geht ja das lamentieren wieder los: dass gott das alles zulässt und diesem grauen nicht in die speichen fällt: und die menschen vergessen dann, dass ihre entscheidungen und kompromisslosigkeiten und unmenschlichkeiten das alles auslösen - und gott dem menschen die freiheit für ihre entscheidungen mitgegeben hat, die jedoch damit in ihrer hartherzigkeit gar nicht umgehen können.
rechthaberei, macht und ungerechtfertigtes egoistisches reichtumstreben führen dann zu einem solchen desaster, was gerne einfach abgespalten wird - mit: "was geht mich das an ???" ...
aber damit geht es dann ja schon los: mit dem eigenen ego: was geht mich der andere an - was geht mich das überhaupt an in der welt "da draußen": 3 tote - 300 tote - 300.000 tote menschen - was soll's - hab ich doch nichts mit zu tun ... - aber was haben meine alltäglichen ansprüche vielleicht letztlich doch genau damit zu tun ... ???
dieses gewirr von ansprüchen und egoismen ist es aber, was dann irgendwann in zyklischen abständen zum ausbruch kommt - was sich regelrecht zusammenbraut in einer von menschen gemachten giftküche - wie die gewitter ... - S!