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überall und rundherum

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Die Scherben unserer Welt: "Untitled Ceiling Projection" - MIKA ROTTENBERG


Reste des Kapitalismus

Von Hans-Joachim Müller | DIE WELT

Glück und Glas, wie leicht bricht das: Die Arbeiten der Künstlerin Mika Rottenberg sind in jeder Hinsicht heiß und verführen durch Intelligenz. Jetzt ist ihr eine große Schau in Bregenz gewidmet


Man wird gleich am Ticketcorner gewarnt: Vorsicht, zweiter Stock, heiß, nicht zu nahe, keinesfalls berühren. Also spart man sich die Gefahr noch eine Weile auf. Unten ist ja auch was los. „Sneeze“ heißt der Video-Loop. Es wird ununterbrochen geniest. Wobei der Proband nach einiger Leidenszeit sichtlich gealtert und verwüstet erscheint. Was ja noch hingehen mag. Aber dass bei jeder schwergeburtlichen Entladung ein rohes T-Bone-Steak auf den Tisch klatscht, das bestärkt einen doch im vegetarischen Vorsatz.



Und schon ist man in der Welt der Mika Rottenberg. Die Künstlerin, in Argentinien geboren, gehört mit ihren 42 Jahren noch nicht zu den Post-Internet-Artists, die sich ein Kreativleben ohne 3-D-Printer nicht vorstellen können. Zwar sind ihre Videoarbeiten technisch brillant, das Steak mit der Trockenblutkruste fällt aus dem Off wie im besten Animationsfilm. Aber darüber hinaus werden ihren sehr heterogenen Installationen gerne Haltung, Anspruch, Überzeugung und Bedeutung attestiert – politische Qualitäten, die noch aus der analogen Vergangenheit stammen könnten.

Und noch keine Rottenberg-Interpretation hat auf den Hinweis verzichten wollen, dass es im Werk um Waren gehe und darum, wie Menschen die Waren herstellten und was die Waren mit den Menschen machten.

Vorerst machen Menschen erst einmal mit sich etwas. Wir sind in „Cheese“, einem betret- und begehbaren Bretterverschlag, der durch die eingebauten Bildschirme zu einem verwinkelten Hüttendorf wird. Man zieht von der einen zur anderen Abspielstelle, wo eine Herde Geißen über Rampen getrieben wird, dass ihr Trappeln wie rurale Percussion klingt, und ein halbes Dutzend junger Frauen mit ihren sehr, sehr langen Haaren zugange ist. Es könnten die Töchter einer tief religiösen Shaker-Community sein, die wie im Versteck den Übergang ins moderne Leben üben – oder soll man sagen: den Eintritt in den „Cheese“-, den unerbittlichen „Bitte lächeln“-Alltag?

Es geht eine suggestive Sinnlichkeit von der schiefen Zimmermannsarbeit und den weichen Videobildern aus. Und man bleibt lange, auch wenn einem der scharfe Kommentar dazu nicht einfällt. So wenig hier der entgrenzende Digitaltrip versprochen ist, so überflüssig erscheint es, in diesem eigentümlichen Märchen nach versteckten zeitdiagnostischen Motiven zu forschen. Dass man völlig zufrieden ist mit Ziege und blondem Haar, das gibt der Freundschaft mit der Künstlerin ein Fundament. Zumal um die Ecke ein Pony-Schwanz aus einem Loch im geschliffenen Beton hängt, mit dem Peter Zumthor sein makelloses Bregenzer Kunsthaus ausgekleidet hat. Auch vor dem Pferdeschwanz denkt man nicht gleich an die zielführende Referenz. Denn dass er wippt und wackelt, als trainierte das zugehörige Tier hinter der Wand den Stehgalopp, das ist so verwunderlich, wie wenn im Wald aus einem Vogelhaus ein Eichhörnchen mit roter Clownsnase schaute. Es mutet, wenn man an die Bedeutungsansprüche zeitgenössischer Kunst denkt, fast unwahrscheinlich an, wie hier noch einmal alles Vertrauen dem starken Bild gilt.

Nie löst sich irgendetwas restlos auf in diesem eigensinnigen Werk. Keine Geschichte, die wirklich zu Ende käme. Kein Bild, das irgendwann stillstünde. Keine Erkenntnis, die abgeschlossen erschiene. Keine Erfahrung, von der man sagen könnte, man hätte sie nun gemacht. Keine Beschäftigung, die endlich geschafft wäre. Der Pony-Schwanz beschäftigt sich ja mit überhaupt nichts. Und gerade deshalb bleibt man etwas irritiert stehen und nimmt das Wackelbild mit ins nächste Stockwerk.

Die Glücksspielmetapher ist zwingend, und hier scheint auch die Gebrauchsanleitung für das Werk von einiger Plausibilität zu sein. Dass sich Mika Rottenberg „mit den finsteren Themen unserer Zeit“ auseinandersetze, mit Globalisierung, Ausbeutung, Produktion, Lohnarbeit und Kapital, das muss wohl schon so sein, wenn man die verwaltete Trostlosigkeit der Glückshoffnung vor Augen hat.

Oder in einer anderen Videobox den Perlenzüchtern am langen Fabriktisch zusieht, wie sie Sandkörner ins Muschelweiche pinzettieren und ihr Schnellhandwerk künstlicher Befruchtung mit der gleichen Routine verrichten, mit der im Kaufhaus die Uhrenbatterie gewechselt wird. Wenn man da eine Weile zuschaut, spürt man förmlich, wie sich die Arbeiterinnenkörper mit ihren ameisenartigen Repetitivhandgriffen demnächst in Roboter verwandeln werden, was die Arbeitsbedingungen möglicherweise humaner, aber nicht unbedingt attraktiver macht.

Vollends deutet alles Botschaft und Kritik, wenn man sich die 26 Minuten Bilderflussdauer der monumentalen Videoinstallation „Cosmic Generator“ antut, die im vergangenen Jahr für die Skulpturenausstellung in Münster entstanden ist. Immer wieder blickt die Kamera in bis oben hin verstopfte Läden mit Plastikhausrat, Winke-Figuren und Ramsch-Folklore, folgt einsamen Verkäufern und Verkäuferinnen, die einem vorkommen wie überwachsen vom Schrott, für den das Wort Ware fast zu kostbar erscheint.

Es sind seltsam klaustrophobische Ansichten, die an eine riesenhafte Puppenstube erinnern, bei der man durch die offene Front in sämtliche Zimmer und Kabinette sehen kann. Und dass das skurrile Gewerbe irgendwo in Asien spielt, verleitet natürlich, in der Proliferation einer Gegenstandsklasse, die garantiert nicht zu den Bedarfsartikeln zählt und nach dem Erwerb unverzüglich ins Recycling übergeht, die große Abrechnung mit einem sinnentleerten Kapitalismus zu sehen. Vielleicht ist es ja so. Aber wie sie sich damit beschäftigt, das hat nichts mit Antworten auf gestellte Fragen zu tun. Und schon gar nicht befreit einen die thematische Vorgabe aus dem Gewirr möglicher Anspielungen, in das man in jeder Installation aufs Neue gerät.

Das Beunruhigende ist ja gerade, dass diese Arbeiten so gänzlich frei von adressierter Polemik sind. Mika Rottenberg recherchiert nicht, sie inszeniert. Und zur Frontsoldatin in Philipp Ruchs „Zentrum für politische Schönheit“ eignete sie sich schwerlich. Ohnehin sollte man mit Zuschreibungen und Ordensverleihungen etwas vorsichtig umgehen, seit Kapitalismuskritik zu Discountpreisen zu haben ist und die ehemals linksgesicherte Position von rechts außen gekapert wurde. Und von dort, möchten wir einmal unterstellen, würde sich Mika Rottenberg doch nicht so gerne den Beifall holen. Die Intelligenz ihres Werks besteht im Triumph des Bildes über den Begriff, in den ikonischen Verführungen, die sie aus dem kruden Lebensstoff gewinnt.

Noch war man ja nicht im zweiten Stock, wo um den Kreis aus Herdplatten – Vorsicht, heiß, nicht zu nahe, keinesfalls berühren – niemand herumsteht. 240 Grad laut Anzeige. In den Stilpfannen kalkig wabernde Wasserkrusten. Und wenn es von oben in sie hineintropft, dann zischt ein Nebel auf wie bei einem gutmütigen Vulkanausbruch. Lagerfeuer? Alchemistenlabor? Werden gleich Hexendarstellerinnen auf Besen in den abgedunkelten Raum reiten? „Zisch“ macht der Nebel, steigt nach oben zu den Deckenfenstern, in denen eine Videoprojektion knallbunte Glasscherben durcheinanderrührt.

Nach Lage der Dinge muss es sich um Kapitalismusreste handeln. Und das ist dann vielleicht kein Trost, aber doch ein schönes Schlussbild: Mag über den ewig harten Realien „Globalisierung, Ausbeutung, Produktion, Lohnarbeit und Kapital“ längst jede Kunstanstrengung verzweifeln, so zischt bei 240 Grad Dauertemperatur doch immer noch der Kunstnebel, und wenn man aufschaut, dann zersplittern all die strengen Weltbilder im Kaleidoskop banaler Farben.

Kunsthaus Bregenz, bis 1. Juli

 DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten.







bei diesem "spaß" bleibt einem zumeist ja das lachen im halse im wahrsten sinne des wortes stecken: es ist immer ein lachen, das uns gleichzeitig in den spiegel schauen lässt. 

und da wir ja am liebsten über die fehler anderer kichern - "erschrecken" wir uns lachend in den kunst-"performances" von mika rottenberg in bregenz vielleicht ja vor uns selbst - weil wir da in den installationen überall mitmischen - direkt und indirekt ...

da wird unsere global-turbokapitalistische produktionsweise in ihrer eigentlichen sinnlosigkeit bloßgelegt ...

da zeigt man uns ja gestern minutenlang und in der wiederholung immer wieder wie in hamburg wegen der luftverschmutzung zwei straßen für besondere dieselfahrzeuge gesperrt werden: und wenn wir uns das u.a. mal aus der "meta-ebene" betrachten: erkennen wir ja vielleicht noch diesen anteil an "luxus-problematik" in diesem "einscheidenden" ge- und verbot.

und wenn heute der herr söder in bayern all die kreuze in die amtsstuben hängen lässt, dann ist das auch so eine "aktionskunst", die mit steuergeldern gezahlt wird - es wird das elend in der welt um keinen deut verbessern - es ist purer spätkapitalistischer aktionalismus für nichts und wiedernichts.

mika rottenberg führt in bregenz ähnliche beispiele unserer alltäglichen arbeitswelt ins ad absurdum - und vorsichtig: manchmal ist's regelrecht heiß ... - S!

rottenberg zeigt frauen und ihren monotonen arbeitsalltag. - derstandard.at/2000078425385/Mika-Rottenberg-In-Tunneln-die-Menschen-verbinden - foto: markus tretter 


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