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kirchendämmerung

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aus einem Spiegel-Titelblatt von 1981 - mit einem Holzschnitt von Otto Pankok aus 1950



Wie 1968 die Kirche veränderte

Die Protestbewegung hat auch Spuren in den Religionsgemeinschaften hinterlassen. Willi Nettingsmeier, damals im Dienst der Evangelischen Kirche, machte besonders prägende Erfahrungen

Von Stefan Boes | NW

Löhne-Obernbeck: ein Sonntagnachmittag in den Sechzigerjahren. Die Mitglieder der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde haben den obligatorischen Kirchenbesuch absolviert. Eine Selbstverständlichkeit in der traditionell geprägten Gemeinde im Kreis Herford. Auch für Willi Nettingsmeier, der damals Anfang 20 ist. Nach dem Kirchgang ist dann nicht mehr viel los in dem kleinen Ort. Die Freizeitindustrie steht noch am Anfang und Smartphones und Videospiele gibt es ebenso wenig wie Bundesligakonferenzen und Serienmarathons vor dem TV. "An den Wochenenden gab's nichts", erinnert sich Willi Nettingsmeier.

Dann erzählt er von Pfarrer Erich Kleine, der 1962 nach Obernbeck kommt. Ein Modernisierer, der die Kirche damals in der Krise wähnt. Und ein Mann mit dem Auftreten eines Managers. "Sehr beliebt", sagt Nettingsmeier. Anfang der 1960er-Jahre führt Kleine an den Sonntagnachmittagen Treffen für Jugendliche ein. Man spielt Schach und Tischtennis. Aber man redet auch über Dinge, über die sonst nichts gesprochen wurde. Über Aufklärung und Sexualität. Es war damals schwer, sich als junger Mensch eine Vorstellung von solchen Themen zu machen und eine Haltung dazu zu finden. Pfarrer Kleine brachte Aufklärungsbücher mit zu den Treffen. Es sollte noch zum großen Krach deshalb kommen.

Nettingsmeier, Jahrgang 1944, hat fast 50 Jahre im Landeskirchenamt Bielefeld gearbeitet. Heute erteilt er in Löhne ehrenamtlich Konfirmandenunterricht. Die Kirche hat sein Leben geprägt. Jetzt, 50 Jahre nach 1968, musste Willi Nettingsmeier wieder an den vor fünf Jahren verstorbenen Pfarrer Kleine denken und an den Aufbruch, der damals auch in der Kirche zu spüren war. Als Kirchenbeamter habe er tiefe Einblicke gehabt in die sich allmählich öffnenden kirchlichen Strukturen und Veränderungen. "Die 1968er-Bewegung hat die Kirche verändert", sagt Nettingsmeier. Nicht auf Anhieb, aber nach und nach.

"Es gab mancherlei Anstöße, deren Tendenz war: Weg mit unhinterfragten Autoritäten und Traditionen", sagt Andreas Duderstedt, Pressesprecher der Evangelischen Kirche von Westfalen. An vielen Orten habe man experimentiert, neue Formen ausprobiert, die bis heute fortwirken - etwa in Jugendgottesdiensten mit Bands und szenischem Spiel. "Wichtig war die Erkenntnis: Das Evangelium ist immer auch politisch. Das wirkte sich in Predigten und Veranstaltungsformen aus", sagt Duderstedt. Das Risiko dabei: Wenn die politische Dimension alles andere verdrängt, bleibe für das Evangelium kein Platz. "Und wenn überlieferte Formen ganz über Bord geworfen werden, geht ein Schatz verloren", sagt Duderstedt.

Heinrich Wilhelm Schäfer, Religionssoziologe an der Uni Bielefeld, spricht von langfristigen Entwicklungen, die die 68er angestoßen haben. Die völlige rechtliche Gleichstellung von Frauen im Pfarramt in der Evangelischen Kirche seit 1974 etwa. Die Kirche habe sich zwar nicht explizit auf die 68er-Bewegung bezogen, doch die starken linken Bewegungen an den theologischen Fakultäten hätten dazu geführt, dass die Studenten später mit einem anderen Bewusstsein in den Kirchendienst gegangen sind.

Die Aufbrüche in der Gesellschaft und in der Kirche, die Politisierung der Jugend, die Kirchentage jener Zeit, die ganz neue Traditionen wie die Politischen Nachtgebete hervorgebracht haben, zuerst in Köln, wo es starke Proteste gegen den Vietnamkrieg gab, später auch an vielen anderen Orten - das alles ist Willi Nettingsmeier "in lebhafter Erinnerung", sagt er. Und besonders das Gemeindeleben in Obernbeck. Erich Kleine blieb jedoch nicht lange in der Gemeinde. Er galt als zu fortschrittlich. Dass der Pfarrer den Jugendlichen Themen wie Sexualität und Aufklärung nahebrachte, sei nicht gerne gesehen worden, erinnert sich Nettingsmeier. Aber auch einige der Schriften von Kleine kamen nicht gut an. 1968 veröffentlichte er ein Buch, aus dem sein kritischer Geist spricht: "Nun, es ist ja sehr bequem, auf alteingefahrenen Gleisen zu fahren und sich nicht umstellen zu müssen", schreibt Kleine. Aber: "Als Christen täte es uns gut, etwas liberal zu werden, so wie Jesus liberal war, gerade im Blick auf die kirchlichen Ordnungen und Traditionen." In der Erinnerung von Willi Nettingsmeier sind das Sätze, die auch 50 Jahre später noch nachhallen.

© 2018 Neue Westfälische
03 - Bielefeld Süd, Dienstag 26. Juni 2018

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ich habe im geist der 68er damals meinen "kriegsdienst mit der waffe" verweigert, nachdem ich bereits 9 monate grundwehrdienst in einem fernmeldebataillon als sprechfunker mit dem dienstgrad des "gefreiten" absolviert hatte.

ein vertragsarzt für psychiatrie-neurologie der bundeswehr riet mir aufgrund meiner andauernden psychosomatischen problematiken zu diesem schritt, und nannte das ganze damals ein umfassendes "angstsyndrom" ... - eine andauernde panik - vor willkür und militär.

und mein weiser körper lehnte sich zu recht dagegen auf - und ich stellte dann meine anträge und unterwarf mich der verhandlung, um mein grundrecht auf "kriegsdienstverweigerung" durchzusetzen - quasi als "therapie": ich musste vom "ge-freiten" zum "be-freiten" werden - und dafür musste ich "kämpfen".

als sohn eines eingesegneten bethel-diakons berief ich mich dazu auch auf religiöse gewissensgründe.

den anschließenden rest-ersatzdienst von nochmal 9 monaten nach der anerkennung zum kriegsdienstverweigerer trat ich in bethel-eckardtsheim an, in der pflege von menschen mit epilepsien, die z.b. in der landwirtschaft arbeiteten.

so kam ich zu "kirchens" - zum kirchlich-diakonischen dienst, denn ich gab daraufhin meinen damals aussterbenden beruf als schriftsetzer im bleisatz und als verlagskorrektor auf, um in berufsbegleitenden umschulungs-ausbildungskursen die nötige pflegerisch-heilpädagogische Kompetenz zu erlangen.

das alles war getragen und durchdrungen damals vom 68er zeitgeist (69/70 trat ich diesen zivildienst an) - und ich fand im wahrsten sinne des wortes in manchen bethel-häusern noch "unter den talaren [und 'brüderkitteln'] den muff von von 1000 jahren" - in die grau-"sterilen" schlafsäle und "tagesräume" zog nun farbe ein (manchmal gekauft vom eigenen "sold"geld) - und es gab plötzlich gemütliche sitzecken und gemischtgeschlechtliche wohngruppen - und vor allen dingen setzten wir zivildienstleistende den "paramilitärischen" drill und ton in den pflege(!)häusern außer kraft und wandelten ihn um in kontakte von face to face und in annahme und tatsächlicher auseinandersetzung mit den persönlichen problematiken der bewohner und patienten - heute würde das sicherlich als eine zu große nähe und zu viel an gemeinsinn abgetan.

ab dann traf man auch bei den alltäglichen andachten und den sonntagsgottesdiensten und den kirchentagen (die kirche war ja ab dann auch mein "dienstgeber") immer öfter auf gleichgesinnte "brüder und schwestern" in den verschiedenen professionen auf diesem gebiet.

natürlich nahm man an friedensgebeten und antimilitaristischen kundgebungen teil - natürlich sog man die grundsätze der lateinamerikanischen befreiungstheologie förmlich auf, von deren geist auch sicherlich der jetziger papst franziskus mit durchdrungen ist ist in seinen progressiv-ökumenischen momenten.

all das strahlte ab 68 in die kirche ein, die ja kein "geschlossenes system" war - sondern von ihren "schafen" und "hirten" jeweils mitgeprägt wird.

und ich erkannte rasch, dass viele aspekte dieses noch immer hier und dar währenden zeitgeites durchaus dem entsprachen, wie ich es in der bibel - in der bergpredigt beispielsweise - vorfinde und lese und wovon ich mich be- und anrühren lasse ...

es gibt ja heute zuhauf diese typen, die diesen 68er geist verteufeln wollen und ihm jedes originäre quellentum meinen absprechen zu müssen, oder noch alte "versteckte" faschistischemechanismen darin hier und da erkennen wollen - aber dabei vergisst man, mit welcher "wucht" sich dieser "geist" weltweit damals nach geradezu "systemischen" lehrsätzen entwickelte und ausbreitete und beflügelnd wirkte für viele elemente des lebens und der kultur [= der flügelschlag eines schmetterlings in brasilien kann einen tsunami in japan auslösen ...] .

ich jedenfalls bin dankbar für diesen 68er "kuss", der mich und viele andere in meiner nähe wachgeknutscht hat ... S!






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