... von innen heraus gesprochen ...
Meister Eckhart sagt: "Die zweite Stufe ist erreicht, wenn er jetzt nicht nur auf die äußeren Vorbilder, auch auf gute Menschen, schaut, sondern läuft und eilt zur Lehre und zum Rat Gottes und göttlicher Weisheit, wenn er der Menschheit den Rücken und Gott das Gesicht zuwendet, gleichsam der Mutter aus dem Schoß kriecht und den himmlischen Vater anlacht."
(vgl. Meister Eckhart Werke, Frankfurt / M. 1993 Bd. II, S. 318).
Aus dem Neuen Testament, Markus 3, 32-35:
Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder draußen fragen nach dir.
Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah rings um sich auf die Jünger, die im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.
Irgendwann in der späteren Kindheit glaubten wir nicht mehr alles, was uns gelehrt wurde. Wir wollten »zu den Quellen«, wollten aus eigener Anschauung erkennen, was gut für uns ist. Als Jugendliche haben wir uns vor allem an Gleichaltrigen orientiert, das eine äußere Vorbild durch das andere ersetzt.
Aber andere Menschen, seien es die Eltern und Lehrer oder die Freunde, sind nicht die letzte Instanz. In den drei abrahamitischen Religionen wird die Vorstellung tradiert, dass Gott jeden einzelnen Menschen anspricht, dass jede Frau, jeder Mann die Stimme der göttlichen Weisheit in sich vernehmen kann.
Habe ich das nicht auch schon einmal selbst erfahren? Habe ich das nicht auch schon einmal gespürt, dass ich das jetzt sagen oder tun muss, auch wenn es mich in Gegensatz bringt zu meiner Gruppe, auch wenn mich vielleicht im Moment keiner versteht?
Ja - und war das nicht auch die Befeuerung für Martin Luther, als er auf dem Reichstag zu Worms - vor all den unumschränkten Autoritäten, nämlich Kaiser und Kirche, nach der Überlieferung ausrief: "Hier stehe ich - ich kann nicht anders ... - Gott helfe mir, Amen!"
Ja - Luthers Bücher werden auf einem Tisch plaziert. Er wird gefragt, ob es sich um seine Schriften handele und ob er etwas daraus widerrufen wolle. Luther erbittet sich Bedenkzeit, danach lehnt er jedoch mit der bekannt gewordenen Rede einen Widerruf ab:
"Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, daß sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!"
Da kommt diese Kraft, diese starke Überzeugung in einem auf: Ich muss hier jetzt meine Wahrheit sagen - die Wahrheit, die ich kaum selbst aus meinem Kalkül heraus formulieren kann, die aber in mir von irgendwoher tatsächlich formuliert wird - mir werden fast die "Worte in den Mund gelegt": Aus mir heraus sprudelt es ... - ja - "ich kann nicht anders". - Matthäus 12,34: "Denn wessen das Herz voll ist, dem geht der Mund über." - "Ich kann nicht anders - ich musste das hier und jetzt mal richtigstellen ..." ...
Und wer oder was ist das da in mir - aus mir heraus - was da die Worte formuliert und aneinandersetzt und "richtigstellt" ...???
Hinterher kann ich das gar nicht mehr richtig benennen ... Das schoss so durch mich hindurch, da fand ich die richtigen Worte im rechten Augenblick ...
Ja - und es scheint, als ob die Angesprochenen in jenen Momenten - quasi dieses "zwischen Himmel & Erde" auch abspüren können: sonst spricht der nie so - so klar und fest - so deutlich - das war fast so, als hätte es ihm jemand "eingegeben" ...
Aus dem neuen testament - aus Markus 13,11: "...sorgt euch nicht vorher, was ihr reden sollt; sondern was euch in jener Stunde gegeben wird, das redet. Denn ihr seid's nicht, die da reden, sondern der Heilige Geist."
Unter Verwendung von Materialien aus: Ingrid Kampmann: Meister Eckhart Brevier, Kösel-Verlag, München, 2010,