Bibliolog
Zachäus muss endlich vom Baum runter!
OriginalFoto: cw-design / photocase | bearbeitet von S!NEDi |
Eine der wohl beliebtesten Geschichten im Neuen Testament ist die vom Zöllner Zachäus (Lk 19,1-9). Der kleine, aber fiese Zöllner, der Jesus sehen will, es aber aufgrund seiner Statur nicht kann, der darauf hin einen Baum erklimmt, und Jesus sieht ihn da, ruft ihn herunter und lädt sich gleich bei ihm zum Essen ein. Zachäus stimmt freudig zu, ein paar Leute murren, aber Jesus sagt, dass er bei Zachäus genau richtig ist. Der wiederum verspricht, die Hälfte seines Vermögens den Armen zu geben und alle, die er betrogen hat, bekommen ihr Geld vierfach zurück.
VON FRANK MUCHLINSKY, evangelisch.de
Hier endet die Geschichte vom Zöller Zachäus abrupt. Als nächstes erfahren wir, dass Jesus ein Gleichnis über Gaben erzählt, aus denen man ordentlich etwas machen soll. Was aus Zachäus wird, erfährt man nicht. Weder erfahren wir, ob Zachäus mit Jesus weiter zieht, noch bekommen wir einen Hinweis darauf, ob Zachäus tatsächlich wahr macht, was er bei Abendessen mit Jesus so vollmundig ankündigt. Dabei ist das doch spannend: Was wird aus solchen Menschen, denen blitzartig klar wird, dass sie ihr Leben ändern müssen und wollen? Wie sagt Jesus zu ihm? "Heute ist diesem Haus Heil widerfahren." Wie wirkt es sich auf das Leben aus, wenn man tatsächlich eine solche Epiphanie hat, wie sie dem Zöllner Zachäus widerfahren ist?
Fragen nach dem, was die Bibel nicht erzählt
Solchen Fragen nachzugehen, dazu ist der "Bibliolog" da, eine Methode, bei der mehrere Menschen in dieselbe biblische Rolle schlüpfen und miteinander teilen können, was ihrer Meinung nach diese Person wohl gedacht haben mag, gefühlt oder erlebt. Dieser Ausflug in die Bibel wird von einer gut geschulten Leitung begleitet. Sie führt zunächst in die Geschichte ein, dann gibt sie den Anwesenden die erwähnte biblische Rolle – allen dieselbe. Zu der Rolle kommt eine Frage. In diesem Fall zum Beispiel eine Frage an Zachäus – und zwar ein Jahr nachdem Jesus bei ihm zum Abendessen war: "Zachäus, sag mal, jetzt, ein Jahr später. Wie hat sich dein Leben eigentlich entwickelt, seit Du diese Begegnung mit Jesus hattest?"
Darf man das?
Darf man das? Darf man einfach so mit der Bibel spielen? Der Bibliolog sagt: O ja, denn es geht hier ja nicht darum, nach etwas zu fragen, was die Bibel selbst beantworten könnte. Wenn man Paulus fragen würde, was er ein Jahr nach seiner Bekehrung in Damaskus so macht, dann wäre das keine zulässige Frage, weil es darauf ja "richtige" Antworten gäbe, zumindest kann man anhand der biblischen Quellen ungefähr errechnen, was der Apostel ein Jahr nach Damaskus tatsächlich macht. Der Bibliolog aber fragt nach dem, was nicht in der Bibel steht, nach den weißen Zwischenräumen zwischen den schwarzen Buchstaben. Also darf man Zachäus nach seinem weiteren Leben nach der Baumbesteigung fragen. Auf diese Frage gibt es nicht nur eine, sondern sehr viele Antworten, von denen keine richtig oder falsch ist, sondern spannend, bereichernd und manchmal so überraschend, dass man beinahe selbst eine "Epiphanie" hat. So sammelt also die Bibliologleitung die verschiedenen Antworten der Teilnehmenden ein und bindet einen Strauß von Auslegungsmöglichkeiten.
Im Fall von Zachäus durfte ich einmal an einem Bibliolog teilnehmen, in dem genau diese Frage an Zachäus gestellt wurde – ein Jahr danach: "Was machst Du heute?" In der Rolle von Zachäus hatte ich plötzlich ein klares Bild vor Augen von diesem Mann, der tatsächlich von Jesus persönlich Besuch bekommen hatte, dem wirklich sein Geld nicht mehr so wichtig war, der aber trauriger Weise seit diesem Tag regelmäßig auf den Baum kletterte, von dem aus er Jesus gesehen hatte. Ich sah mich als Zachäus am Jahrestag des Besuchs wieder auf dem Ast sitzen und nach Jesus Ausschau halten, der nie wieder vorbeigekommen war, noch jemals wieder kommen würde.
"Zachäus" versteht, dass Glaube sich entwickeln muss
"Mein" Zachäus saß da, und endlich wurde ihm klar, dass er etwas Entscheidendes übersehen hatte, nämlich, dass es anders weitergehen musste. Er kletterte vom Baum und machte sich auf den Weg hinaus aus seiner Stadt, um nachzusehen, was aus Jesus wohl geworden sei. Weiter dachte ich als Zachäus nicht. Vielleicht hat er bald erfahren, dass Jesus mittlerweile gekreuzigt und auferstanden war. Ich selbst habe auf jeden Fall durch diesen geliehenen Augenblick erfahren, dass sich der Glaube immer wieder weiterentwickeln muss, wenn er lebendig bleiben will. Wenn wir immer nur wiederholen, was uns einmal gut getan hat, entgeht uns eventuell, dass das Leben weitergeht. Zachäus muss endlich vom Baum runter. Er muss kapieren, dass eine Begegnung mit Jesus nicht mehr so verläuft, wie er das einmal getan hat. Ich bin recht zuversichtlich für meinen erdachten Zachäus. Ich glaube, dass er Menschen gefunden hat, mit denen er Jesus wiedergefunden hat, nur eben anders.
Der Bibliolog wird mittlerweile an vielen Orten als Methode eingesetzt, die Bibel direkt erlebbar zu machen: In Gottesdiensten, Gemeindegruppen, Schulklassen oder auch auf größeren Veranstaltungen. Immer wieder schafft es der Bibliolog, solche Erkenntnisse entstehen zu lassen – beinahe eine Epiphanie.
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AUTOR Frank Muchlinsky
ist Pastor und betreut bei evangelisch.de verschiedene Seiten
http://www.josefstal.de/bibliolog/index.html
http://m.evangelisch.de/artikel/76515/epiphanie-dank-bibliolog
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ANHANG: IN EIGENER SACHE
DOPPEL-JUBILÄUM
1500 + 100
S!NEDi: photo|graphic zum "doppel-jubiläum" |
Mit dem heutigen Tag - diesem Post - diesem "Impuls für die Woche" feiere ich hier ein kleines Doppeljubiläum:
Seit dem 04.10.2010 ist dieses Blog hier regelmäßig online - und dieser Post hier ist der 1.500-ste seiner Art - und dieser "Impuls für die Woche" (vormals: "(m)ein wort zum sonntag") geht in die 100.-ste Ausgabe.
Seit 1049 Tagen blogge ich somit hier herum - völlig unkommerziell und einzig und allein zu Ihrem und meinem "Vergnügen" [was sich aber bei den behandelten Themen nicht immer einzustellen vermag ...] - seit 149 Wochen und 6 Tagen - haben 53.049 Besuche dieses Blog "heimgesucht" - aus 117 Staaten: eine stolze Zahl von Gästen aus im wahrsten Sinne des Wortes "aller Herren Länder" - in einem langen Zeitraum - fast schon eine kleine "Epoche" - mit vielen Ereignissen und "Umwälzungen" - immer im jeweiligen nunc|hic - jetzt|hier ...
1. ein paar wenige Monate nach dem Beginn dieses Blogs zunächst die Katastrophe von "Fukushima" - und der (angebliche) bundesrepublikanische Ausstieg aus der Atomstromerzeugung - für mich eine Zäsur im lebenslangen Kampf gegen Atomenergie: und mit dieser sicherlich einer der schrecklichsten Katastrophen in der Menschheitsgeschichte zeigte sich in der ersten Reaktion gleichzeitig der Beginn eines zarten weltweiten Hoffnungsschimmers der Vernunft und des Umdenkens - und sicherlich ist das auch ein Einschnitt in den menschlichen Gefühls- und Verarbeitungsreaktionen und ihrer relevanten politischen Umsetzung gewesen: ich habe sie hier im Blog die "Post-Fukushima"-Zeit genannt, die Epoche "danach" ...
2. dann die Rücktritte von Guttenberg, Wulff und Annette Schavan, die ich hier kritisch begleitete und kommentierte: "Hochmut kommt vor dem Fall" - Die Redensart stammt aus der Bibel Spr 16,18 in der Übersetzung Martin Luthers und hieß in einer ersten Übersetzung "Stolzer Mut kommt vor dem Fall"...
3. die Aufdeckung der Morde des rechtsradikalen "NSU" und die überaus schlappen Erkenntnisse oder besser Nicht-Erkenntnisse unserer ach so informierten Geheimdienste gegenüber "Rechts" - auf dem "rechten" Auge blind (vgl. auch die Diskussion um den NSA-Skandal ...).
4. und nun - vor ein paar Wochen - die Enthüllungen durch Edward Snowden von scheinbar seit Jahren üblichen, unvorstellbaren und ungeheuerlich umfassenden Datenausspähungen des einfachen Bürgers durch Geheimdienste - die auch durch die derzeitige Bundesregierung bewusst vertuscht, verharmlost, kaschiert und mit verschleppt werden (das 10 Jahre währende relativ amateurhaft angelegte NSU-Mordkomplott konnte aber eine solche minutiöse und haarkleine Überwachung nicht offenlgen !!! - nach dem Motto: Was ich nicht suche kann ich auch nicht finden ..., wahrscheinlich sind aber die Bankverbindungen und das Konsumverhalten von Beate Zschäpe und alle Handy-Nummern fein säuberlich irgendwo hinterlegt ...).
5. Das wichtige Buch von Frank Schirrmacher: "EGO", das die Augen ein klein wenig geöffnet hat im Hinblick auf die unmerklichen Manipulationen jedes Einzelnen bei seiner Konsumteilnahme vor dem wirtschaftlichen globalen Gesamtkontext durch die automatisierten Algorithmen riesiger Rechenzentren, die die Welt abzocken und an den Rand des vollständigen "Blackouts" stürzen können - die aber auch genau die "Bedürfnisse" des "Marktes" analysieren und auch "wecken" können - just wie man es gerade "benötigt"...
6. die schwierige Frage der gesellschaftlichen Aufgaben zu einer "Inklusion", nämlich einer Er- und Einschließung sämtlicher Spielarten menschlichen Seins als Erweiterung und Ressource gesellschaftlichen Zusammenlebens nach dem "Diversity"-Ansatz - und die Überwindung aller ausschließenden Mechanismen - auch die Überwindung von sogenannten "Grenzen" und "Grenzziehungen" ... - bei gleichzeitiger Respektierung persönlicher Identitätskriterien (z.B. "Heimat" ...)
7. und gleichzeitig die Feststellung, dass erreichte und erkämpfte demokratische Grundorientierungen insgesamt - vielleicht weltweit - plötzlich zur Disposition gestellt werden - und fundamentalistisch-konservative Strukturen an Zustimmung gewinnen ... - bzw. ihren Standpunkt erhalten und z.T. erweitern.
- um nur einige Schwerpunktthemen dieses Zeitraumes zu nennen - alles in allem sicherlich mehr Grund zur Sorge als Gründe zur Freude ...
Dieses Blog dient aber auch von Anfang an in erster Linie als eine Veröffentlichungs-Möglichkeit meiner kreativen "Bild- und Illustrations-Materialien", meiner (Music)Slideshows usw., mit denen ich "etwas mitzuteilen gedenke" und die entsprechenden Ergebnisse meiner Photographien und Photobearbeitungen mit verwenden kann - dabei dominiert die künstlerische Freiheit, entsprechende Motive mit den Mitteln der photographischen Datenverarbeitung visuell in Szene zu setzen - denn das gilt ja immer noch: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte ...
Was treibt mich immer wieder an, dieses Blog zu füttern ?: in erster Linie ist das sicherlich meine Empörung über eine Vielzahl von Zuständen auf diesem Globus - aber auch meine Faszination bei neuen bizarren und ungeheuerlichen Entdeckungen und Aufdeckungen - aber auch der Wunsch dabei, meine Kreativität zu kanalisieren - und "auf dem Laufenden" zu (er)halten - die Gewissheit dabei: Es gibt dümmere Freizeitgestaltungen als zu bloggen und Photos mit Photoshop künstlerisch aufzupeppen ...
Ein besonderes Anliegen ist mir aber, spirituelle und mystische Themen regelmäßig mit in den Blogger-"Alltag" zu transportieren: Der Theologe Karl Rahner (1904 - 1984) hat nämlich gesagt: „Die Kirche der Zukunft wird eine mystische Kirche sein, oder sie wird nicht mehr sein." - und ich meine, deshalb schon müssen diese geistig-seelischen Ressourcen aus einem antiken und mittelalterlich verorteten fernen Himmel heruntergezogen und befreit werden - der "Himmel" findet permanent mitten in uns und unter uns statt ... - auch der "Himmel" muss also mit inkludiert werden...
("Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte; auch wird man nicht sagen: Siehe hier! Oder: Siehe dort! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch." Lukas 17,20b/21 )
- Auf denn ... - und danke für Ihre immer wieder treue Wiederkehr zu diesem Blog ...