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Koalitionsvertrag im Wortcheck: 62.000 Wörter heiße Luft ...

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"Insbesondere Deutschland stärken": Die häufigsten Wörter im schwarz-roten Koalitionsvertrag - Original-Typografie: wordle.net/SPIEGEL-ONLINE

62.000 Worte: 
Der Koalitionsvertrag im Wortcheck: Viel Deutschland und wenig €uropa

Von Christina Elmer und Kurt Jansson | SPIEGEL-ONLINE

Am Ende hing alles an Formulierungen. Mehrere Tage feilschten SPD und Union über ihren Koalitionsvertrag. Der Vergleich der Entwürfe legt offen, was im Endspurt der Verhandlungen entschieden wurde - und wo sich Schwarz-Rot um konkrete Vorgaben drückt.

Auf rund 62.000 Wörter hatten sich Union und SPD schlussendlich geeinigt, in einer Marathonsitzung in der Nacht zum Mittwoch. Danach stand der Koalitionsvertrag mitsamt großen Themen wie Mindestlohn und Mütterrente, Maut und Rentenpakt. Mindestens ebenso spannend sind aber auch die Details der nächtlichen Verhandlungen.
Diese Zwischentöne fallen bei Pressekonferenzen oftmals unter den Tisch, in politischen Analysen werden sie nicht selten übersehen. Dabei sind sie einfach zu finden: Vergleicht man den dritten Entwurf des Koalitionsvertrages aus der Nacht zum Dienstag mit der finalen Fassung vom Mittwoch, werden auch minimale Veränderungen deutlich. Da bekommen Sätze einen neuen Tonfall, verwandeln sich konkrete Konzepte in vage Ideen. Und hier und da verschwinden Zahlen, Sätze, Absätze. Hier einige Fundstellen im Wortlaut:

Zahlen im Koalitionsnirvana

Die Städtebauförderung soll ausgebaut werden, so heißt es im Koalitionsvertrag - allerdings ohne Angabe zum Umfang. Dabei stand diese noch im dritten Entwurf: "Die Bundesmittel hierfür werden wir auf jährlich 700 Mio. Euro erhöhen". Außerdem wolle man finanzschwache Kommunen mit einem "Eigenanteilfonds" von Bund und Ländern unterstützen. Wie die 700 Millionen Euro verschwindet auch dieser Fonds auf dem Weg zur Endfassung.

Steigern wollen Union und SPD auch die Bundesmittel für die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland. Auch hier enthält lediglich der Entwurf eine konkrete Abschätzung der Kosten: "Nach belastbaren Bestandsaufnahmen brauchen wir für die bundeseigene Infrastruktur jährlich rund 4 Mrd. Euro zusätzlich."

Bei der Städtebauförderung rudert die Koalition zurück: Das Programm "Soziale Stadt" für benachteiligte Stadt- und Ortsteile "werden wir (...) stärken und mit jährlich 150 Mio. Euro ausstatten", steht im Entwurf. Von dieser Aufwertung ist im Vertrag später nichts mehr zu spüren. Dort heißt es lediglich, man wolle das Programm "weiterführen".

Erwartungsmanagement betreibt die Koalition auch im Bereich Forschung und Entwicklung. Laut Entwurf wolle man "mindestens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung investieren". In der finalen Fassung fehlt dann das kleine, aber nicht ganz unwichtige Wort "mindestens".

Verschwundene Vorsätze

Doch nicht nur einzelne Angaben, auch ganze Sätze müssen im Koalitionsvertrag leider als vermisst gemeldet werden, darunter diese:

"Die Bundesregierung trägt die finanzielle und rechtliche Verantwortung für Rückbau, Entsorgung und sichere Aufbewahrung von Materialien aus kerntechnischen Anlagen, die nicht der gewerblichen Erzeugung von Elektrizität dienen oder gedient haben."
"Wir werden das Informationsfreiheitsrecht überarbeiten."
"Die Sozialversicherungsansprüche von geringfügig Beschäftigten wollen wir verbessern."
Zur Digitalisierung der Gesellschaft findet sich im Vertragsentwurf ein geradezu fürsorglicher Gedanke: Gegen "beleidigende und verleumderische Äußerungen im Netz" wolle man ein "ausgewogenes Aufklärungs- und Schutzkonzept" umsetzen - mit "rechtlichen, technischen und gesellschaftlichen Mitteln". In der finalen Fassung fehlt das Schutzkonzept gänzlich.

Formulierungen im Feintuning

Wie der Koalitionsvertrag wirkt, entscheiden neben Zahlen und Konzepten auch die Zwischentöne. Gerade an den Überschriften der Kapitel wird deutlich, dass den Koalitionären diese Wirkung durchaus bewusst war. Aus "Schiene, Straße, Wasserstraße stärken" wurde letztlich "Schiene, Straße, Wasserstraße verzahnen", das schon deutlich konstruktiver und gestalterischer klingt.
Wie gefährlich ein einzelnes Wort sein kann, beweist das Thema Bürokratie. Im Vertrag steht hierzu die noble Absicht: "Wir wollen Wirtschaft und Bürger weiter spürbar von unnötiger Bürokratie entlasten." Dieser Satz findet sich auch im Entwurf, allerdings ohne "weiter", was natürlich die Schlussfolgerung zulässt, Schwarz-Gelb habe in dieser Hinsicht die Füße stillgehalten.

An manchen Stellen im Vertrag wurden Details nicht nur optimiert, sondern bis zuletzt verhandelt. Thema Stromerzeugung: Inwieweit der Zubau von Biomasse auf Abfall- und Reststoffe begrenzt werden soll, war offenbar für die CSU von größerer Bedeutung. Ihr abgeschwächtes "überwiegend", setzte sich am Ende gegen die eindeutigere Alternative "grundsätzlich" durch. Für die Landwirtschaft bedeutet der Passus mehr Freiheiten, auch Energiepflanzen wie Mais für die Stromerzeugung zu nutzen. Im CSU-Land Bayern dürfte das einige Wähler freuen.


Kommentar zu dem Artikel von ego_me_absolvo:
*Die Koalition der Käuflichen* erliegt den Einblasungen der Lobby. Kein Wort davon, endlich mal die United Nations Charta Against Corruption (UNCAC) auf den Weg zu bringen, was bisher schon über zehn Jahre verschleppt und hintertrieben wurde. Diese Gestalten wollen offensichtlich, dass Abgeordnete -und damit sie selber auch- straflos käuflich bleiben können. Im Vergleich zu dieser Trümmertruppe ist eine Bananenrepublik die Rechtschaffenheit per se.
Quelle 
Wider die Große Koalition

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