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Hadayatullah Hübsch – ein Nachruf vom 08.01.2011
Kommentar von Florian Vetsch am 08.01.2011 um 12:31
Florian Vetsch im Hotel Rembrandt in Tanger by Amsel | amselschau.ch |
Am Tag vor seinem Tod schickte ich ihm, mit dem ich seit Jahren eine rege, fruchtbare Korrespondenz führte, ein Couvert mit dem Anfang für einen zweiten Band unseres lyrischen Schlagabtauschs; der abgeschlossene erste Band soll unter dem Titel „Round & Round & Round“ 2011 bei Songdog erscheinen. Im Couvert befand sich auch ein Gedicht, das Hadayatullah im März 2010 geschrieben hatte und das den Schluss zulässt, dass er in einem Ausmass krank war, welches er Aussenstehenden nicht mitteilte. Denn sein Tod kam nicht nur für mich, sondern für alle überraschend, riss ihn mitten aus seiner vielfältigen literarischen Tätigkeit und seinem religiösen Amt als Imam der Ahmadiyya-Bewegung.
Wetterbericht
Die Sprache im Eimer,
Das System durcheinander,
Der Kopf spielt verrückt,
Ich bin krank,
In Innereien,
Und Aussenreihen,
Bis auf Blut&Niere,
Die Augen trocken,
Die Synapsen flirren,
Viren im Computerhirn,
Die Stirn in Falten
Wie eine vom Sturm ver-
Wirbelte Eisenbahn-
Kreuzung, ein Mischding
Aus Hulk&Walk the Line,
Ich bin krank,
Im Arm Ziepen&Zerren,
Im Ohr der Wurm von Yester-
Day und nachts weisse
Träume, die Mut machen
& Sorgen verkünden,
Inscha-Allah,
Ich bin krank,
Aber noch da,
Worte nähern sich,
Die Welt ein Fluss im Spiegel,
Ich spiele den Igel,
Wozu Reime?
Angesichts der barocken Fülle von Hübschs weit über 100 Publikationen könnte er heute schreiben:
Ich bin tot,
Aber noch da.
Noch da ist er jetzt gerade auch für all jene, die an seiner Beisetzung teilnehmen. Ich wünsche ihnen viel Kraft und seiner Seele wünsche ich viel Glück auf dem nadelfeinen Weg in den ewigen Osten!
Hadayatullah wird mir fehlen, tut es jetzt schon, weil er das Couvert nicht mehr öffnen und nicht mehr auf meinen Brief und mein neues Gedicht antworten kann. Und er wird mir fehlen, weil mich unsere Brieffreundschaft zu immer neuen Gedichten anspornte. Eines davon schrieb ich nach seinem Besuch in der Ostschweiz, wo er im Mai 2008 in Steckborn ein Seminar geleitet und in St.Gallen im Palace ein Podiumsgespräch zum Thema „Islam – Krieg oder Frieden?“ bestritten hatte. Ich habe es ihm gewidmet und in der „Tanger Trance“ (Benteli 2010) veröffentlicht; Hadayatullah freute sich so sehr darüber, dass er es in der nächsten „Holunderground“-Ausgabe, dem von ihm herausgegebenen Little Mag, abdrucken wollte:
21 Augen
für Hadayatullah Hübsch
21 Augen zählt der Würfel &
Mit der Zeit zahlen sie
Sich alle aus, zählen sich
Aus: 3, 2
1, 0 – so endet der Koran. Hau!
California, I’m comin’ home
Du kamst zum Schwäbischen
Meer, in der zerfetzten Tasche
Die Pöms aus Marokko
Sprachst am Mikro-
Phon von der Anderen Welt
Im alten Kino Palace
Vor wenig Leuten
Friede den Hütten!
Krieg den Palästen!
Als Irrweg ausgemacht
& mitten im Gebimmel & Gelall
Der Pfaffen den Salat
Gemacht. Love is touching
Souls, so süss wie
Bitter, die 21. Zeile.
Hadayatullahs Stimme wird allerdings überhaupt fehlen, weil er wie kein Anderer an der Schnittstelle Beat-Literatur und Islam gearbeitet hat, auf einem brach liegenden Feld, das dem Mainstream nicht geheuer ist – daher die Peinlichkeit der fehlenden Nachrufe in den grossen Tageszeitungen. Das Netz ist da reicher… Hadayatullah war ein Brückenbauer sondergleichen; kein Wunder, dass ihn jene, denen Mauern – Wertungen, Standards, eine Leitkultur, der Kanon etc. – wichtiger sind als Brücken, zurückstossen wie das Weihwasser den Teufel. Doch einer, der schreiben könnte
Ich bin tot,
Aber noch da
braucht das Rascheln in den Feuilletons nicht, wenn er abtritt. Hübsch lebt weiter. Auf Youtube zum Beispiel, einsehbar für alle, die das wollen, oder aber in dem enthusiastischen Langgedicht „besser als gegen mülltonnen zu kicken“ von dem blutjungen Dichter Pablo Haller *) aus Luzern, das bislang nur eine Handvoll Freunde kennen und das mit diesen Versen endet:
über deinen lebenslauf
der in der tat
einer «aussergewöhnlichen
jeglichen bürgerlichen rahmen des abendlandes sprengenden
erscheinung» (faz-kündigung an dich)
würdig war
wurde genug geschrieben
deine grenzenlose
herzlichkeit
kann
man nicht genug erwähnen
hübsch – ich geh jetzt
einen schnaps auf dich trinken
das ist nicht halal – aber es tut wohl!
thx for everything, man!
i’ll miss you … damn!
allahu akbar
Meinen Nachruf möchte ich mit dem letzten Gedicht beschliessen, das mir Hadayatullah geschickt hat. Es mündet in eine Message, in den Aufruf, unter all den schlafenden Zeitgenossen die Wachsamkeit für die Wirkungen der Liebe zu kultivieren. Ihm, der selbst die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten in Gesprächen und Leserbriefen nicht scheute, kann man das abnehmen, voll und ganz.
Fiktion
Wenn es denn wahr wäre,
Was Pop-Eye, Micky Maus und
All die Comic-Helden
Mit ihren Gesichtern und Hand-
Bewegungen verraten,
Wenn das, was die Zeitungen schrei-
Ben mehr wäre als das,
Was wir zwischen den Zeilen lesen,
Wir blieben in unserer Kiste
Hocken, höchstens mal ein Blick
Durch ein Astloch,
Merkten nicht, wie wir da zusammen
Gekauert gespenstisch werden,
Würden die Fesseln nicht spüren,
Die uns die Wärter verpassten,
So aber blieben wir hängen
In den Spinnennetzen der Aussenwelt;
Gut also, dass
Wir nicht alles glauben müssen,
Was sie da verzapfen,
Weil bei Good Day Sunshine
Das Funzellicht der Halogenlampen
Eingefangen wird von
Der blendenden Helligkeit des
Sterns, der uns treffen mag
Wie ein Blitz mit seinem Leuchten,
Dass wir zu Wachhunden werden
Inmitten der Schlafenden,
Die nicht wissen,
Was Liebe bewirken kann.
„Liebe für alle – Hass für keinen!“ lautet die Maxime der muslimischen Ahmadiyya-Bewegung. Hadayatullah Hübsch hat sie vertreten und gelebt.
Danke, Hadayatullah, für die grosse Inspiration, die du für viele von uns darstelltest und die du für viele von uns darstellst und darstellen wirst!
Nichts ist verloren.
Geist ist unsterbliche Transmutation.
Bis Fadschr, mein Freund!
Florian Vetsch, geschrieben in den Morgenstunden des 8. Januars 2011
*) besser als gegen mülltonnen zu treten – oder: gibt es ein letztes mal?
Veröffentlicht am 2011/02/05 von Pablo Haller
für hadayatullah hübsch
I
allahu akbar
4. januar 2011
über den wolken
bettet sich eine blutrote sichel
für die darunter sind
bloss eine verlängerung der nacht
«wird es denn heute nie tag?»
postet jemand auf facebook
aschhadu-alla ilaha illa-llah
«wird es denn heute nie tag?»
spute mich schlafbesoffen an ne sitzung
nach zwei stunden rast
mit nem mordskater
«warst du das heute morgen?»
«sorry sah noch überhaupt nicht raus …»
–
ignoriere diesen
ersten dienstag des jahres
so gut es geht
ignoriere die schweinekälte
ignoriere die dumpfheit
ignoriere die gegenwart
die grauschwadig & hadesgleich
über die gehsteige
kriecht
–
n film über alternde amimänner
die mit dem car nach odessa fahren
um die frau ihres lebens zu finden
den aufgepimpten mädls die
es faustdick hinter den ohren haben
gehörig auf den leim kriechen
sich ausnehmen lassen
bis zum letzen hemd
zur letzten hose
darunter geht nix
(aber dann ist auch schluss …)
GELD, GIB MIR GELD
–
ne radiosendung mit dir
SWR 1
ausgestrahlt am 5. märz 2009
du erzählst von fritz teufel
«der ist mittlerweile auch tot»
denk ich bei mir
dann
erklärst du
dass die muslime dekadent geworden seien
den geist des islams verlassen hätten
sich bloss noch um äusserlichkeiten kümmerten
aber:
«kein zwang!
kein zwang!
kein zwang!
durch zwang verkrüppelt
man nur die leute»
aschhadu-anna muhammadan rasulu illah
später briefe eintüten
in nem spunten
mit nero hauptmann
«nimmst auch n bier?»
«danke. bin konvertiert. nur noch halal-zeug für mich»
wir lachen beide
& er bringt zwei grosse
allahu akbar
als ich rauskomme
unbeantwortete anrufe
matthias burki vom menschenversand
ich rufe zurück
«hey hesch mitbecho?»
ernste stimme – klingt nicht gut
«de hadayatullah esch gschtorbe»
–
–
–
–
–
autoreifen quietschen
eine wütende hupe
eine obszöne handgeste
ich gehe weiter
–
–
–
–
ich bin leer
–
ich bin dumpf
–
ich bin wütend
–
ich bin traurig
–
ich bin dumpf
–
ich bin leer
–
ich bin leer
–
leer leer leer leer
–
leer bloss unglaublich leer
–
das war ein schlag
von hinten
über den schädel
scheitel gezogen
/
den erdball unter
den füssen weg
gekickt
«oh sweet nuthin’
oh let me hear you!»
_
baff!
bloss
baff!
ich irre ziellos
durch die stadt
–
–
–
allahumma salli ala muhammadin
wa ala alihi
als ich deinen namen erstmals las
dachte ich
hadayatullah
das sei ist eine frau
so ne türkische femme fatal blitzte auf
mit hochgestecktem
schwarzen haar
& smaragdgrün funkelnden augen
das war in jürgen ploogs
strassen des zufalls:
«hadayatullah hübsch
rief mich an. burroughs sei tot»
allahu akbar
ne mail von ploog
hadayatullah hübsch
sei verstorben
«eben hörte ich diese unfassbare
nachricht»
ploog der sonst so abgklärte
das schreiben der familie angehängt
«im namen allahs
des gnädigen
des barmherzigen
liebe freunde und bekannte
assalaamu aleikum
friede sei mit ihnen,
im namen der familie
möchten wir ihnen mitteilen
dass unser geliebter vater
paul-gerhard hadayatullah hübsch,
am morgen des 4. januar 2011 friedlich
entschlafen ist»
allahumma-ghfir lillmuminina
wa-l muminat
am morgen
war ein weiteres
ein letztes
paket
von dir
in der post
monolith & was kurzes über den islam
ein letzter gruss
–
monolith
ich kriegte nummer 48
von 333
monolith
ein letzter gruss
denn du auf die grossen schriebst
allahu akbar
monolith
auch du warst einer
allürenlos
ehrlich gerührt wenn dein stoff
jemanden begeistern konnte
engagiert bis zur selbstverleugnung
veröffentlichtest bücher
wie andere monatszeitschriften
weit über hundert
& keiner zweifelte daran
dass noch mindestens so viele
folgen würden
dazu acht kinder
eine frau
& zehn enkel
–
jaja der beste, der liebste, der fleissigste
diese ganzen verlogenen nachrufhudeleien
aber hey –
bei dir wars so
& dass man sehr wohl
über tote herziehen kann zeigt
PRO ZION NRW
– zu anti-hass-demos aufrufen
aber wehe jemand sucht den
dialog abseits von allem
populismus
ok durchaus
mit einem schuss
hippiesker verblendung
aber hey –
wenn man nach den sternen greift
versengt man sich halt
manchmal
die
hände
hadayatullah
wo immer du jetzt performst
möge allah in der ersten reihe sitzen
AR-BEI-TEN
AR-BEI-TEN
DRO-GEN
DRO-GEN
ES-SEN-FAS-SEN
FREI-ZEIT-MA-CHEN
SENTIMENTAL – ERKLÄR’ MIR DAS MAL …
allahumma-ghfir
lihada-l- majjit
–––––
heute
der erste tag seit langem
ohne eine wolke am himmel
sonnenlicht im gesicht
weckte mich auf
-mist, ich war gestern bereits wach-
was geschehen ist, geschah
gibt es ein letztes mal
für etwas, das nicht geschehen konnte?
es ist mir
als hätten wir uns persönlich gekannt
«danke für die blumen
(es gab mal einen deutschen schlager
der hiess so, der ging dann so weiter:
… aber komm doch lieber mal selbst vorbei)
wäre also schön, wir würden uns mal sehen
vielleicht ergibt sich eine möglichkeit
zur frankfurter buchmesse
oder so …»
da war ich in tanger
ich schlug vor
im januar
dann hörte ich
länger nichts mehr
bis an silverster
ein brief eintrudelte
du seist über drei ohren
beschäftigt
überarbeitet
gewesen
wir sollen per mail
einen termin ausmachen
um uns
endlich mal
kennen zu lernen …
«and when i’m gone
just carry on
don’t mourn …»
eminems stimme dröhnt aus den lautsprechern
«… and i didn’t feel a thing
so baby don’t feel my pain»
du hättest dich gegen mittag hingelegt
und seist friedlich entschlafen
heisst es
auf dem bett
in deinem arbeitszimmer
wo sonst?
ein letztes gedicht
auf dem schreibtisch
beginnt mit:
«und wenn das leben nun weitergeht …»
–
über deine vita
die in der tat
einer «aussergewöhnlichen
jeglichen bürgerlichen rahmen
des abendlandes
sprengenden
erscheinung» (faz-kündigung an dich)
würdig war
wurde genug geschrieben
deine weitherzigkeit
kann
man nicht genug erwähnen
hübsch – ich geh jetzt
einen schnaps auf dich trinken
das ist nicht halal – aber es tut wohl!
thx for everything, man!
i’ll miss you … damn!
allahu akbar
II
gott ist die summe
dessen was geschieht
gott ist jetzt
gestikulative anspielungen
vegetative vokabeln
ich schreibe mit
grüner farbe
auf
weisses papier
hadayatullah
du hast mich mit dem tod versöhnt
wie wird es wohl sein
dereinst?
«wollen sie die weiche maschine wirklich ausschalten?
wenn sie keine auswahl treffen wird die maschine in 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, 0 sekunden automatisch ausgeschaltet»
und dann?
kann etwas existieren
das wir uns nicht vorstellen können?
können wir uns «nichts» vorstellen?
können wir uns vorstellen
wie unsere essenz mit lichtgeschwindigkeit
in so’n paralleluniversum jagt?
«ich war erstaunt, wie sehr dich das getroffen hat
es klang, als wäre dein vater gestorben»
was würde ich meinem vater schreiben?
was würde er über mich sagen?
ICE 72
platz 87
hackensberger über choukri:
«es ist nicht leicht
über einen guten bekannten zu schreiben
der kürzlich gestorben ist»
nicht leicht oder lindernd?
der zug rollt an
rückwärts
kurze überraschung
ich werde zurückgespult
nachtskizze, 8. januar 2011, 00:30, bristol hotel, frankfurt a. m.
zugfahrt – endlich mal lesen
blättern durch fremde leben
blättern durch zeiten
die heute bloss schwer nachvollziehbar sind
(wie auch in «herbst der gammler»
den ich mir abends im
hotelzimmer ansehen werde …
«in arbeitslager sollte man die stecken. unter hitler – das können sie so senden – unter hitler hätte es das niemals gegeben. niemals. das ist meine meinung. das können sie so senden …»)
im sitz neben mir eine überparfümierte dame
die sich im verlauf der fahrt dann auch noch
db-currywürste kaufen muss
gebettet in schwarzen plastik
–diese dämpfe! phuuu!–
der leere magen ist es glücklicherweise
sonst würde er brodeln
ankommen
schnurstracks zum bristol
das mir empfohlen wurde
zimmer frei ja, nett durchaus
internet, raucher sogar
dann in ploogs schwarzen mercedes
nachdem ich mir den vorabend
an der hotelbar runter gespült habe
(hinterm tresen n fesches mädl um die 20
schön & gut
obschon klar ist
dass allah
der alte tombolameister
mir heut nacht mal wieder
die 31 aus seinem zylinder ziehen wird
– otuzbircekiyorsun)
jürgen bringt sein neues buch mit
short stories – gebettet zwischen
bestechende skizzen
betörende frauenkörper
verlorene grazien
schemen & szenen
in schwarz–weissen interzonen
«SANTA MUERTE»
(jede geschichte beginnt mit einem bild,
das sich im lauf der handlung
zu einem film entwickelt …)
auf
zu nem griechen
baby-calamares &
wein ausm harzfass
dazu reden reden reden
über die freiheit
ihre absenz
& sonstiges zeug
über das sich keiner mehr
gedanken zu machen scheint
–früher war eben doch alles besser
dazu muss man früher nicht erlebt haben//
egal, keep on pushing
the beat goes on
schlag auf geisterstunde
back @ bristol
nur noch das
mädl in der hotelbar
und die lady
hinter dem rezeptionstresen
keep on pushing
the beat goes on!
& morgen
hadayatullah treffen
endlich
nach so vielem vertagen
der schwarze mercedes wird vorfahren
wir werden um die grube stehen
«hoffentlich regnet es nicht
es pflegt an beerdigungen stets zu regnen»
bemerkt jürgen
III
da gehen sie umher
deine jungs
in knallgelben leuchtwesten
& weisen autos in die
parkplätze ein
vor dem
südfriedhof sachsenhausen
ich sehe dich vor mir
wie du auf nem flashback
durch die strassen trippst
& zeternd autoscheiben
einschlägst
in der heutigen faz
feuilleton titelseite
ein letzter brief
an die redaktion
wegen sarrazins falschzitaten
aus goethes west-östlichen divan
(sarrazin–
mittlerweile kitzelt
der name den brechreiz
was vom besten
zu diesem
gekeife
stammt von carl weissner
blaues sofa, frankfurter buchmesse
stürmer-thilo soeben abgetreten
doch in hörweite
die luft noch ein bisschen heiss
das sofa auch
& carl bittet um einen einzigen satz
«ich hab beschlossen, dass ich thilo sarrazin erst ernst nehme
wenn er seine thesen live im türkischen fernsehen vertritt
vor einer horde von islamischen schriftgelehrten
& türkischen genetikern, vorher nicht …»)
du
eingehüllt von fuss bis hals
in ein weisses laken
siehst so anders aus
als auf den fotos
erinnerst
–ich kann nicht sagen
warum–
an bukowski
oder nen schauspieler
den ihn mal spielte
mit dem nach hinten frisierten haar
& friedlicher miene
nun sehen wir uns doch noch
bist kleiner
und dünner
als ich mir dich vorstellte
ein weisses tuch
über dein gesicht
deckel auf den sarg
dann wirst du rausgetragen
durch eine menschengasse
«durch diese hohle gasse muss er kommen»
alle stürzen sich richtung hülle
in der deine hülle liegt
so richtig melodramatisch
wie an ner tv-bestattung
aus nem arabischen land
dann stillstand
allahu akbar
allahu akbar
allahu akbar
die frauen
verschleiert
halten abstand
zu den männern
die bestatter gleichen polizisten
mit ihren blauen jacken
& den mützen
schäufelchen
um schäufelchen
erde
auf
deinen
sarg
ich zittere als ich dran bin
wenn alle durch sind
kommt der bagger
jürgen wird von nem kamerateam interviewt
ich versuche meine zigarette
unauffälig zu entsorgen
ein junger mann reicht mir die hand
der sohn eines guten freundes
der sozusagen in deinem haushalt
aufgewachsen ist
«alles was er tat, tat er in extremen»
«in den 70ern hätte man – hat man – ihn
mit brinkmann gleichsetzen können,
danach kam auf einmal zu viel
das kann nicht alles gut sein …»
bemerkt jemand
die sonne blitzt durch
das geäst
ein flugzeug startet
dröhnend
ein paar kilometer entfernt
jürgen neben mir
streift seine schwarzen lederhandschuhe ab
schaut gen himmel
kommentiert die maschine
& setzt sich ans steuer
auf zum bahnhof
krankfurt
nanntest du diese stadt
die züge fahren nicht
keiner weiss warum
das gerücht geht um
dass irgendjemand
versucht hat
irgendwas
in die luft zu jagen
ich setze mich
in ein restaurant
in der nähe der gleise
bestell mir n bier
& warte ab …
viel zu wenig geschlafen
die schrift wird
schluck um schluck
grosszügiger
unleserliche
grüne schlirke
auf weissen blättern
am tisch vis à vis
n mädchen
mit nem
jungen hund
alice
zwischen den spiegeln
alice
mit sanften augen
der sohn der sonne
der sich als deutscher schauspieler ausgibt
auf ihrem schoss
der zug fährt doch
fährt an
beschleunigt
alice
zwischen spiegelnden zugfenster
alice
mit sinnlichen lippen
an nem carlsberg nippend
mit sanften augen
«das gefällt mir
das ist so voll gradeheraus …»
beim bierholen
grüsst mich jemand mit
«assalaamu aleikum»
die nacht schleicht
sich so sanft heran
dass sie auf einmal
plötzlich da ist
lichter blitzen
flitzen vorbei …