Aus gegebenem Anlass:
Am jĂ€hrlichen Gedenktag fĂŒrÂ
Martin Luther King
eine Dokumentation zu seinen letzten Stunden 1968 ...
Martin Luther King -Â
Zur Dokumentation:Â Seine letzte Andacht ...
Ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen
Ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen
Martin Luther King
Ich freue mich ĂŒber jeden von euch, der heute Abend hier ist, trotz einer âSturmwarnungâ. Ihr zeigt, dass ihr in jedem Fall weitermachen wollt. Es geschieht etwas in Memphis, es geschieht etwas in unserer Welt. Wisst ihr, wenn ich am Anfang der Zeit stĂŒnde und die Möglichkeit hĂ€tte, so etwas wie einen allgemeinen Ăberblick ĂŒber die ganze Menschheitsgeschichte bis zum heutigen Tag zu gewinnen, und wenn Gott, der AllmĂ€chtige, zu mir sagen wĂŒrde: âMartin Luther King, in welchem Zeitalter wĂŒrdest du gern leben?â, dann wĂŒrde ich meinen geistigen Flug in Ăgypten beginnen. Und ich wĂŒrde Gottes Kinder beobachten bei ihrem wunderbaren Treck aus den dunklen Kerkern Ăgyptens durch das Rote Meer, durch die WĂŒste zum Gelobten Land.
Trotz dieses groĂartigen Anblicks wĂŒrde ich dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde mich weiterbewegen und meinen Geist zum Olymp erheben. Und ich wĂŒrde Plato, Aristoteles, Sokrates, Euripides und Aristophanes um den Parthenon versammelt sehen bei ihren Diskussionen ĂŒber die groĂen und ewigen Menschheitsfragen. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde mich weiterbewegen, zur BlĂŒtezeit des römischen Imperiums. Und ich wĂŒrde die Entwicklungen unter den verschiedenen Imperatoren erleben. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde sogar vordringen in das Zeitalter der Renaissance und einen kurzen Eindruck von den kulturellen und Ă€sthetischen Leistungen der Renaissance erhalten. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde sogar dort hingehen, wo der Mann, nach dem ich genannt worden bin, seine Heimat hatte. Und ich wĂŒrde Martin Luther beobachten, wie er die 95 Thesen an die KirchentĂŒr in Wittenberg nagelt. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde vordringen zum Jahr 1863 und beobachten, wie ein unschlĂŒssiger PrĂ€sident mit dem Namen Abraham Lincoln schlieĂlich zu der Ăberzeugung gelangt, dass er die Emanzipationsproklamation unterzeichnen muss. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde vordringen zu den frĂŒhen dreiĂiger Jahren und sehen, wie ein Mann mit dem Problem des nationalen Bankrotts ringt. Und wie er beschwörend ausruft, dass wir nichts auĂer der Furcht zu fĂŒrchten haben. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben.
So seltsam es anmuten mag: ich wĂŒrde mich an den AllmĂ€chtigen wenden und sagen: âWenn Du mir erlaubst, nur ein paar Jahre in der 2. HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts zu leben, dann bin ich glĂŒcklich.â Freilich, das ist eine seltsame ErklĂ€rung, denn die Welt ist in ziemlicher Unordnung. Unsere Nation ist krank. Unruhe ist im Land. Verwirrung ĂŒberall. Es ist eine seltsame ErklĂ€rung. Aber irgendwie weiĂ ich, dass man nur dann, wenn es dunkel genug ist, die Sterne sehen kann. Und ich sehe Gott am Werk in diesem Abschnitt des 20. Jahrhunderts - und zwar so, dass Menschen auf seltsame Weise antworten. Es geschieht etwas in unserer Welt. GroĂe Menschenscharen erheben sich. Wo sie auch sind - sie sind ein Zeichen. Ob sie in Johannesburg (SĂŒdafrika), Nairobi (Kenia), Accra (Ghana), New York City, Atlanta (Georgia), Jackson (Mississippi) oder in Memphis (Tennessee) sind - der Schrei ist stets der gleiche: âWir wollen frei sein!â
Ein weiterer Grund, warum ich glĂŒcklich bin, in dieser Epoche zu leben, ist dieser: wir sind gezwungenermaĂen an einen Punkt gekommen, wo wir uns mit Problemen auseinandersetzen mĂŒssen, die in der Geschichte der Menschheit schon lange existieren, zu deren Lösung aber nie ein Zwang bestand. Wenn wir ĂŒberleben wollen, mĂŒssen wir sie anpacken. Die Menschen haben jahrelang ĂŒber Krieg und Frieden geredet. Aber jetzt können sie nicht mehr darĂŒber reden. Es gibt in dieser Welt keine Wahl mehr zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit. Entweder Gewaltlosigkeit oder Nicht-Existenz. Genau an diesem Punkt stehen wir heute. So auch in der Revolution, in der es um die Menschenrechte geht. Wenn nichts getan wird - und zwar schnell -, um die farbigen Völker der Welt aus ihrem seit langem bestehenden Zustand der Armut, der KrĂ€nkung und der VernachlĂ€ssigung herauszubringen, dann ist die ganze Welt zum Untergang verurteilt. Ja, ich bin wirklich glĂŒcklich, dass Gott mir erlaubt hat, in dieser Periode zu leben, damit ich sehe, was sich schon entwickelt. Ich bin glĂŒcklich, dass er mir erlaubt hat, in Memphis zu sein. Ich kann mich erinnern, wie Neger - nach den Worten von Ralph (Abernathy) - umhergingen und sich kratzten, wo es nicht juckte, und lachten, wenn sie nicht gekitzelt wurden. Aber jene Zeit ist vorbei. Wir meinen es ernst, und wir sind entschlossen, unseren rechtmĂ€Ăigen Platz in Gottes Welt zu gewinnen. Das ist es, worum es bei dieser ganzen Angelegenheit geht. Wir haben uns nicht in negativem Protest oder irgendwelchen negativen Streitereien mit irgend jemand engagiert. Wir sagen, dass wir entschlossen sind, Mensch zu sein. Wir sind entschlossen, jemand zu sein. Wir sagen, dass wir Gottes Kinder sind. Und deshalb nicht leben mĂŒssen, wie wir gezwungen werden zu leben.
Nun, was bedeutet das alles in dieser hervorragenden Periode der Geschichte? Es bedeutet, dass wir zusammenhalten mĂŒssen. Wir mĂŒssen zusammenhalten und Einheit bewahren. Ihr wisst, immer wenn der Pharao die Sklaverei in Ăgypten verlĂ€ngern wollte, hatte er ein bevorzugtes Mittel dafĂŒr. Welches? Er lieĂ die Sklaven untereinander streiten. Aber sobald sich die Sklaven zusammentun, geschieht etwas am Hof des Pharao, und dann kann er die Sklaverei nicht mehr aufrechterhalten. Kommen die Sklaven zusammen, dann kommen sie bald heraus aus der Sklaverei. Deshalb lasst uns Einheit bewahren! Zweitens: Lasst uns die Probleme dort sehen, wo sie sind! Das Problem heiĂt: Ungerechtigkeit. Das Problem ist die Weigerung der Stadt Memphis, fair und ehrlich im Umgang mit ihren Angestellten zu sein, die in diesem Falle MĂŒllarbeiter sind. Wir mĂŒssen unsere Aufmerksamkeit weiter auf dieses Problem richten und nicht auf die kleinen GewaltausbrĂŒche. Ihr wisst, was neulich passierte. Die Presse erwĂ€hnte nur die Zerstörung einiger Fenster. Ich habe die Zeitungsartikel gelesen. ĂuĂerst selten gingen sie so weit zu erwĂ€hnen, dass 1300 MĂŒllarbeiter streikten, und dass die Stadt Memphis nicht fair zu ihnen war, und dass OberbĂŒrgermeister Loeb unbedingt einen Arzt braucht. So weit ging die Berichterstattung nicht.
Jetzt werden wir wieder marschieren. Wir mĂŒssen es, um zu zeigen, wo das Problem liegt. Um jedem vor Augen zu fĂŒhren, dass hier 1300 von Gottes Kindern leiden. Manchmal sind sie hungrig, manchmal erleben sie dunkle und traurige NĂ€chte und fragen sich, wie diese Sache ausgehen wird. Darum geht es. Und wir mĂŒssen unserer Nation sagen: wir wissen, wie sie ausgeht. Denn wenn Menschen ergriffen sind von dem, was recht ist, und wenn sie dafĂŒr Opfer zu bringen bereit sind, dann gibt es keinen Halt kurz vor dem Sieg.
Kein KnĂŒppel wird uns aufhalten. Wir verstehen es meisterhaft in unserer gewaltlosen Bewegung, PolizeikrĂ€fte zu entwaffnen; sie wissen nicht, was sie tun sollen. Ich habe sie so oft gesehen. Ich entsinne mich, wie wir wĂ€hrend jenes groĂen Kampfes in Birmingham (Alabama) jeden Tag von der Baptistischen Kirche in der 16. StraĂe losmarschierten, zu Hunderten zogen wir aus. Und âBullâ Connor befahl den Polizisten, die Hunde loszulassen, und sie kamen. Aber wir sangen vor den Hunden: âIch werde vor niemandem weglaufenâ. Dann befahl âBullâ Connor: âDreht die WasserschlĂ€uche auf!â Wie ich euch schon sagte, âBullâ Connor kannte die Geschichte nicht. Er kannte eine Art Physik, die irgendwie nicht zu der Trans-Physik passte, von der wir wussten. Es war die Tatsache, dass da ein bestimmtes Feuer war, das kein Wasser löschen konnte. Wir stellten uns den WasserschlĂ€uchen entgegen. Wir kannten Wasser. Wer zu den Baptisten oder einer verwandten Denomination gehörte, war untergetaucht worden; wer zu den Methodisten und einigen anderen Denominationen gehörte, war besprengt worden. In jedem Fall waren wir mit Wasser vertraut. Sie konnten uns nicht aufhalten.
Wir gingen einfach auf die Hunde zu und schauten sie an, wir gingen einfach auf die WasserschlĂ€uche zu und schauten sie an, und dabei sangen wir: âĂber meinem Kopf sehe ich Freiheit in der Luftâ. Dann wurden wir in Polizeiwagen geworfen, manchmal zusammengepfercht wie Ălsardinen in einer BĂŒchse. Und âBullâ Connor rief: âFahrt sie fort!â Das taten sie auch, wĂ€hrend wir im GefĂ€ngniswagen weiter sangen: âWir werden siegen.â Gelegentlich landeten wir im GefĂ€ngnis, und wir sahen, wie unsere Gebete, Worte und Lieder die GefĂ€ngnis-WĂ€rter bewegten, die durch die Fenster schauten. Es existierte dort eine Macht, mit der âBullâ Connor nicht fertig wurde. So verwandelten wir schlieĂlich den âBullenâ Connor in einen jungen Ochsen und gewannen den Kampf in Birmingham.
Jetzt mĂŒssen wir in Memphis ebenso vorangehen. Ich fordere euch auf, dabei zu sein, wenn wir am Montag losmarschieren. Was die einstweilige VerfĂŒgung betrifft: wir werden morgen vor Gericht gehen, um diese illegale und verfassungswidrige einstweilige VerfĂŒgung zu bekĂ€mpfen.
Wir sagen zu Amerika nicht mehr als dies: âStehe zu dem, was du auf dem Papier versprochen hast.â Wenn ich in China oder Russland oder irgendeinem totalitĂ€ren Land lebte, dann könnte ich vielleicht diese illegalen einstweiligen VerfĂŒgungen verstehen. Dann könnte ich vielleicht die Verweigerung gewisser Grundrechte aus dem 1. Zusatz zur Verfassung verstehen, weil sie sich in jenen LĂ€ndern nicht darauf verpflichtet haben. Aber irgendwo lese ich etwas von Versammlungsfreiheit, von Redefreiheit, von Pressefreiheit; irgendwo lese ich, dass die GröĂe Amerikas in dem Recht besteht, fĂŒr das Recht zu protestieren. Und deshalb sage ich: uns werden keine Hunde oder Wasserwerfer zur Umkehr bringen, uns wird keine einstweilige VerfĂŒgung zur Umkehr bringen. Wir marschieren weiter.
Wir brauchen euch alle. Wisst ihr, ich finde es wunderbar, all diese Prediger des Evangeliums zu sehen. Es ist ein herrliches Bild. Von wem darf man mit gröĂerem Recht erwarten, dass er die SehnsĂŒchte und Hoffnungen der Menschen artikuliert, als vom Prediger? Ein Prediger muss eine Art Feuer in seinem Gebein verschlossen haben. Und wo ihm Ungerechtigkeit begegnet, da muss er sie beim Namen nennen. In gewisser Weise muss der Prediger ein Amos sein und sagen: âWenn Gott spricht, wer muss dann nicht prophezeien?â Wie Amos muss er sagen: âEs ströme aber wie Wasser das Recht und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.â In gewisser Weise muss der Prediger mit Jesus sagen: âDer Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesalbt, die Probleme der Armen aufzugreifen.â Ich möchte die Pastoren loben, die FĂŒhrung, die diese edlen MĂ€nner bedeuten - James Lawson, der an unserem Kampf seit Jahren beteiligt ist; fĂŒr diesen Kampf kam er ins GefĂ€ngnis; fĂŒr diesen Kampf wurde er von der Vanderbilt University ausgeschlossen. Aber er macht immer noch weiter und kĂ€mpft fĂŒr das Recht seiner Leute. Pastor Ralph Jackson, Pastor Billy Kyles ⊠ich könnte in der AufzĂ€hlung fortfahren, aber die Zeit lĂ€sst es nicht zu. Doch ich möchte ihnen allen danken.
Ich möchte ihnen danken, weil Pastoren oft mit nichts, auĂer mit sich selbst beschĂ€ftigt sind. Ich bin jedes Mal glĂŒcklich, wenn ich Pastoren sehe, die einen sinnvollen Dienst tun.
Es ist nicht falsch, ĂŒber âlange weiĂe GewĂ€nder dort drĂŒbenâ zu reden, dies Symbol hat seine Berechtigung. Aber letztlich wollen die Menschen Kleider und Schuhe hier unten auf der Erde tragen. Es ist nicht falsch, ĂŒber StraĂen zu reden, in denen Milch und Honig flieĂt, aber Gott hat uns befohlen, uns um die Slums hier unten zu sorgen, und um seine Kinder, die nicht einmal drei ausreichende Mahlzeiten pro Tag erhalten. Es ist nicht falsch, ĂŒber das neue Jerusalem zu reden, aber eines Tages muss ein Prediger Gottes ĂŒber das neue New York, das neue Atlanta, das neue Los Angeles, das neue Philadelphia und das neue Memphis (Tennessee) reden. Das ist unsere Aufgabe.
Was wir noch tun mĂŒssen, ist dies: unsere direkte Aktion mit der Macht eines wirtschaftlichen Boykotts verbinden. Zugegeben: wir sind arme Leute. Als Individuen sind wir arm im Vergleich zu den weiĂen Amerikanern. Wir sind arm. Aber bleibt nicht bei dieser Erkenntnis stehen, vergesst nicht, dass wir kollektiv - d. h. wir alle zusammen - reicher sind als alle Nationen der Welt - von neun Staaten abgesehen. Habt ihr das schon gewusst? Wenn wir von den USA, der UdSSR, GroĂbritannien, West-Deutschland, Frankreich und einigen anderen LĂ€ndern, die ich jetzt nicht aufzĂ€hlen will, absehen, dann sind wir, die amerikanischen Neger in ihrer Gesamtheit, reicher als die meisten LĂ€nder der Erde. Unser jĂ€hrliches Einkommen betrĂ€gt mehr als 30 Milliarden Dollar, ein Betrag, der gröĂer ist als das Exportvolumen der USA und gröĂer als der Staatshaushalt Kanadas. Wusstet ihr das? Das bedeutet Macht, wenn wir sie zu sammeln verstehen.
Wir brauchen uns mit niemand zu streiten. Wir brauchen nicht zu fluchen oder böse Worte zu verlieren. Wir benötigen keine Steine und Flaschen. Wir benötigen keine Molotow-Cocktails. Wir mĂŒssen nur zu den GeschĂ€ften und den GroĂindustrien in unserem Land gehen und sagen: âGott hat uns hierher geschickt, um zu sagen, dass ihr seine Kinder nicht richtig behandelt. Ihr sollt, das fordern wir von euch, faire Behandlung der Kinder Gottes zum ersten Punkt eurer Tagesordnung machen. Freilich, wenn ihr dazu nicht bereit seid, dann haben wir eine Tagesordnung, der wir folgen mĂŒssen. Unsere Ordnung verlangt von uns, euch die wirtschaftliche UnterstĂŒtzung zu entziehen.â
Deshalb bitten wir euch heute Abend: geht zu euren Nachbarn und sagt ihnen, sie sollen keine Coca Cola in Memphis kaufen. Geht und sagt ihnen, sie sollen keine âSealtestâ-Milch kaufen. Sagt ihnen, sie sollen kein - wie heiĂt es doch noch? - kein âWonderâ-Brot kaufen. Und wie heiĂt die andere Brotfirma, Jesse? ⊠Sagt ihnen, sie sollen kein âHartzâ-Brot kaufen. Wie Jesse Jackson gesagt hat: bisher haben nur die MĂŒllarbeiter Schmerzen gefĂŒhlt, nun mĂŒssen wir die Schmerzen gleichsam neu verteilen. Wir haben diese Firmen ausgesucht, weil ihre Einstellungspraktiken unfair sind. Wir haben diese Firmen ausgesucht, weil sie damit anfangen können zu erklĂ€ren, dass sie fĂŒr die Rechte der Streikenden eintreten werden. AuĂerdem können sie OberbĂŒrgermeister Loeb veranlassen, das Richtige zu tun.
Nicht nur das: wir mĂŒssen auch die von Schwarzen kontrollierten Institutionen stĂ€rken. Ich fordere euch auf, euer Geld aus den Banken in der Innenstadt abzuziehen und in der âTri-StateâBank zu deponieren. Wir streben eine âbank-inâ-Bewegung in Memphis an. Geht zur Spar- und Darlehnskasse. Ich verlange nichts von euch, was wir in der SCLC nicht selbst tun. Richter Hooks und andere können euch bestĂ€tigen, dass die SCLC ein Konto bei der Spar- und Darlehnskasse hat. Wir sagen nur: SchlieĂt euch an! Zahlt euer Geld dort ein! Es gibt 6 oder 7 Versicherungsgesellschaften hier in Memphis, die von Schwarzen kontrolliert werden. SchlieĂt eure Versicherungen (insurance) dort ab. Wir streben ein âinsurance-inâ an. Das sind ein paar praktische Dinge, die wir tun können. Wir beginnen so allmĂ€hlich, eine breite ökonomische Basis herzustellen. Gleichzeitig ĂŒben wir dort Druck aus, wo er wirklich spĂŒrbar ist. Ich bitte euch, lasst hier nicht nach!
Lasst mich, bevor ich meine Rede beschlieĂe, noch dies sagen: wir mĂŒssen diesen Kampf bis zum Ende fĂŒhren! Es wĂ€re tragisch, wenn wir zum jetzigen Zeitpunkt in Memphis aufhören wĂŒrden. Wir mĂŒssen den Konflikt durchstehen bis zum Ende.
Wenn wir unseren Marsch durchfĂŒhren, dann mĂŒsst ihr dabei sein. Auch wenn ihr der Arbeit oder der Schule fernbleiben mĂŒsst: seid dabei! KĂŒmmert euch um eure BrĂŒder! Vielleicht gehört ihr selber nicht zu den Streikenden. Aber bedenkt: entweder erheben wir uns gemeinsam, oder wir gehen gemeinsam unter. Lasst uns eine Art gefĂ€hrlicher Selbstlosigkeit entwickeln.
Eines Tages kam ein Mann zu Jesus. Er wollte einige Fragen zu Grundproblemen des Lebens stellen. An einigen Stellen wollte er Jesus ĂŒberlisten und ihm zeigen, dass er mehr wusste als Jesus, und ihn in Verlegenheit bringen. Zweifellos hĂ€tte jene Anfrage leicht in einer philosophischen oder theologischen Debatte enden können. Aber Jesus holte die Anfrage sofort aus der Höhe der Abstraktion und machte sie gleichsam fest an einer gefĂ€hrlichen Kurve zwischen Jerusalem und Jericho. Und er erzĂ€hlte von einem Mann, der unter die RĂ€uber gefallen war. Wie ihr wisst, gingen ein Levit und ein Priester auf der anderen StraĂenseite an ihm vorbei. Sie hielten nicht an, um ihm zu helfen. SchlieĂlich kam ein Mann vorbei, der einer anderen Rasse angehörte. Er stieg von seinem Tier und beschloss, sich in seiner Situation nicht durch andere vertreten zu lassen. Vielmehr beugte er sich zu ihm, leistete erste Hilfe und half dem Mann in Not. Jesus beendete die ErzĂ€hlung mit der ErklĂ€rung: das war ein guter Mensch, das war ein groĂer Mensch, weil er es fertigbrachte, sich mit seinem âIchâ in das âDuâ zu versetzen und sich um seinen Bruder zu sorgen.
Oft strengen wir unsere Phantasie an, um herauszufinden, warum der Levit und der Priester nicht anhielten. Manchmal vermuten wir, sie waren gerade auf dem Weg zu einer kirchlichen Versammlung und mussten weitergehen nach Jerusalem, um nicht zu spĂ€t zu kommen. Oder unsere Spekulationen beziehen sich auf jenes religiöse Gesetz, wonach âjemand, der an religiösen Zeremonien teilnehmen wollte, 24 Stunden vor der Zeremonie keinen menschlichen Körper mehr anrĂŒhren durfteâ. Und gelegentlich fragen wir uns, ob sie vielleicht nach Jerusalem oder Jericho gingen, um eine âVereinigung zur Verbesserung der StraĂe nach Jerichoâ zu organisieren. Das ist denkbar. Vielleicht waren sie der Meinung, es sei besser, das Problem bei der Wurzel zu packen, statt sich an ein einzelnes Symptom zu verlieren.
Doch lasst mich erzĂ€hlen, was ich vermute: Möglicherweise hatten diese MĂ€nner Angst. Denn die StraĂe nach Jericho ist gefĂ€hrlich. Ich entsinne mich noch der Situation, als meine Frau und ich zum ersten Mal in Jerusalem waren. Wir mieteten ein Auto und fuhren von Jerusalem hinunter nach Jericho. Als wir erst eine kurze Strecke auf der StraĂe gefahren waren, sagte ich zu meiner Frau: âIch verstehe, warum Jesus diese StraĂe als Szenerie fĂŒr das Gleichnis verwendet hat.â Es handelt sich nĂ€mlich um eine StraĂe mit vielen Kurven und Serpentinen. Sie lĂ€dt förmlich dazu ein, einen Hinterhalt zu errichten. Man fĂ€hrt in Jerusalem los, diese Stadt liegt etwa 1200 FuĂ ĂŒber dem Meeresspiegel. Wenn man 15 bis 20 Minuten spĂ€ter in Jericho ankommt, befindet man sich etwa 2200 FuĂ unter dem Meeresspiegel. Es ist wirklich eine gefĂ€hrliche StraĂe. Zur Zeit Jesu war sie bekannt als der âBlutpassâ.
Möglicherweise schauten sich der Levit und der Priester den Mann am Boden an und fragten sich, ob die RĂ€uber wohl noch in der NĂ€he wĂ€ren. Oder sie waren der Meinung, der Mann auf dem Boden markiere nur. Vielleicht tĂ€uschte er einen Ăberfall und Verletzungen vor, um sie anzulocken und dann auf einfache und schnelle Weise gefangenzunehmen.
Deshalb war die erste Frage, die sich der Priester wie der Levit stellten: âWenn ich anhalte, um diesem Mann zu helfen, was wird mir passieren?â Aber dann kam der barmherzige Samariter vorbei und kehrte die Frage um: âWenn ich nicht anhalte, um diesem Mann zu helfen, was wird ihm dann passieren?â Das ist die. Frage, die heute Abend vor euch steht. Nicht: âWenn ich anhalte, um den MĂŒllarbeitern zu helfen, was wird dann aus meiner Arbeit?â Nicht: âWenn ich anhalte, um den MĂŒllarbeitern zu helfen, was wird dann aus all den Stunden, die ich als Pastor normalerweise tĂ€glich und wöchentlich in meinem BĂŒro verbringe?â Die Frage ist nicht: âWenn ich anhalte, um diesem Mann in Not zu helfen, was wird mir passieren?â Die Frage ist: âWenn ich nicht anhalte, um den MĂŒllarbeitern zu helfen, was wird ihnen passieren?â Das ist die Frage! Lasst uns heute Abend aufstehen mit einer gröĂeren Bereitschaft.
Lasst uns feststehen mit gröĂerer Bestimmtheit. Lasst uns vorangehen in diesen Tagen machtvoller Herausforderung mit dem Ziel, Amerika zu dem zu machen, was es sein sollte. Wir haben die Gelegenheit, aus Amerika eine bessere Nation zu machen. Auch heute möchte ich Gott danken fĂŒr die Gelegenheit, hier bei euch zu sein. Wie ihr wisst, signierte ich vor einigen Jahren in New York City mein erstes Buch. Und wĂ€hrend ich saĂ, um die Autogramme zu geben, kam eine geistesgestörte schwarze Frau auf mich zu. Ich hörte von ihr nur eine Frage: âSind Sie Martin Luther King?â Ich schaute gerade herunter auf meine Unterschriften und sagte: âJaâ. Und in der nĂ€chsten Minute fĂŒhlte ich einen Schlag gegen meine Brust. Bevor ich es merkte, hatte mir jene geistesgestörte Frau einen Stich versetzt. Ich wurde so schnell wie möglich in das Harlem Hospital gebracht. Es war ein unglĂŒcklicher Samstagnachmittag. Die Klinge des Messers war weit vorgedrungen und ihre Spitze reichte, wie die Röntgenaufnahmen zeigten, fast bis an die Aorta, die Hauptschlagader. Und wenn diese Ader durchschlagen ist, dann ertrinkt man in seinem eigenen Blut - das ist das Ende.
Die New York Times berichtete am nĂ€chsten Tag, dass ich gestorben wĂ€re, wenn ich nur geniest hĂ€tte. Etwa vier Tage spĂ€ter, nach der Operation, nachdem die Klinge herausgenommen war, erlaubte man mir, mich im Rollstuhl innerhalb des Krankenhauses zu bewegen. Ich durfte auch einen Teil der an mich gerichteten Post lesen. Freundliche Briefe kamen aus allen Staaten, aus der ganzen Welt. Ich las einige, doch einen werde ich nie vergessen. Ich erhielt ein Schreiben vom PrĂ€sidenten und vom VizeprĂ€sidenten. Ich habe den Inhalt jener Telegramme vergessen. Ich erhielt einen Besuch und einen Brief vom Gouverneur von New York, doch ich habe vergessen, was in jenem Brief stand. Aber da war noch ein anderer Brief, von einem jungen MĂ€dchen, das die White Plains High School besuchte. Ich las jenen Brief, und ich werde ihn nie vergessen. Er lautete ganz schlicht: âLieber Dr. King! Ich bin eine SchĂŒlerin der 9. Klasse in der White Plains High School. Es sollte zwar keine Rolle spielen, aber ich möchte doch erwĂ€hnen: ich bin ein weiĂes MĂ€dchen. In der Zeitung las ich von Ihrem Missgeschick und Ihrem Leiden. Ich las auch, dass Sie gestorben wĂ€ren, wenn Sie hĂ€tten niesen mĂŒssen. Ich schreibe Ihnen ganz einfach deswegen, weil ich Ihnen sagen möchte: Ich bin so glĂŒcklich, dass Sie nicht niesen mussten.â
Ja, ihr sollt heute Abend wissen: auch ich bin glĂŒcklich, dass ich nicht niesen musste. Denn: hĂ€tte ich geniest, wĂ€re ich 1960 nicht in diesem Gebiet gewesen, als Studenten in allen Gegenden des SĂŒdens mit Sit-ins an den Imbisstheken begannen. Ich wusste: als sie diese Sit-ins durchfĂŒhrten, traten sie ein fĂŒr die besten Elemente des amerikanischen Traums. Sie brachten die ganze Nation zurĂŒck zu jenen groĂen Brunnen der Demokratie, die von den GrĂŒndervĂ€tern in der UnabhĂ€ngigkeitserklĂ€rung und in der Verfassung tief gegraben worden waren. HĂ€tte ich geniest, wĂ€re ich 1961 nicht hier gewesen, als wir uns zu einer Freiheitsfahrt entschlossen und der Rassentrennung im Verkehr zwischen den Bundesstaaten ein Ende machten. HĂ€tte ich geniest, wĂ€re ich 1962 nicht hier gewesen, als die Neger von Albany, Georgia, sich entschlossen, den RĂŒcken aufzurichten. Immer, wenn MĂ€nner und Frauen ihren RĂŒcken aufrichten, dann machen sie Fortschritte. Denn niemand kann auf einem RĂŒcken reiten, wenn er nicht gebeugt ist. HĂ€tte ich geniest, ich wĂ€re 1963 nicht hier gewesen, als die schwarzen Einwohner von Birmingham, Alabama, das Gewissen der Nation anrĂŒhrten und die BĂŒrgerrechtsgesetzgebung auslösten. HĂ€tte ich geniest, ich hĂ€tte spĂ€ter im August keine Gelegenheit gehabt, Amerika von meinem Traum zu erzĂ€hlen. HĂ€tte ich geniest, ich hĂ€tte nicht die eindrucksvolle Bewegung in Selma, Alabama, miterleben können. HĂ€tte ich geniest, ich hĂ€tte nicht gesehen, wie in Memphis eine Gemeinschaft jenen BrĂŒdern und Schwestern zu Hilfe kommt, die leiden. Ich bin so froh, dass ich nicht niesen musste.
Und man sagte mir ⊠Nun, das spielt jetzt keine Rolle. Es spielt wirklich keine Rolle, was jetzt geschieht. Ich verlieĂ Atlanta heute frĂŒh, wir waren eine Gruppe von sechs, und als der Flug begann, sagte der Pilot ĂŒber den Lautsprecher: âEntschuldigen Sie bitte die VerspĂ€tung, aber wir haben Dr. Martin Luther King an Bord. Um sicher zu gehen, dass alles GepĂ€ck kontrolliert und alles an Bord in Ordnung war, mussten wir alles sorgfĂ€ltig prĂŒfen. Das Flugzeug wurde die ganze Nacht bewacht.â Und dann landete ich in Memphis. Und einige sprachen von den Drohungen, die im Umlauf waren, und von dem, was mir von einigen unserer kranken weiĂen BrĂŒder widerfahren könnte.
Nun, ich weiĂ nicht, was jetzt geschehen wird. Schwierige Tage liegen vor uns. Aber das macht mir jetzt wirklich nichts aus. Denn ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen. Ich mache mir keine Sorgen. Wie jeder andere wĂŒrde ich gern lange leben. Langlebigkeit hat ihren Wert. Aber darum bin ich jetzt nicht besorgt. Ich möchte nur Gottes Willen tun. Er hat mir erlaubt, auf den Berg zu steigen. Und ich habe hinĂŒbergesehen. Ich habe das Gelobte Land gesehen. Vielleicht gelange ich nicht dorthin mit euch. Aber ihr sollt heute Abend wissen, dass wir, als ein Volk, in das Gelobte Land gelangen werden. Und deshalb bin ich glĂŒcklich heute Abend. Ich mache mir keine Sorgen wegen irgend etwas. Ich fĂŒrchte niemanden. Meine Augen haben die Herrlichkeit des kommenden Herrn gesehen.
Original AnspracheÂ
Am jĂ€hrlichen Gedenktag fĂŒrÂ
Martin Luther King
eine Dokumentation zu seinen letzten Stunden 1968 ...
S!NEDi|photo|graphic: Martin Luther King wÀhrend seiner letzten Rede |
S!NEDi|photo|graphic: Die Leiche Martin Luther Kings im Sarg |
An jedem dritten Montag im Januar, also auch heute, ist in den USA Martin-Luther-King-Tag. Die berĂŒhmte "I have a dream"-Rede des BĂŒrgerrechtlers finden Sie unter anderem hier bei YouTube. Seine letzte Rede finden Sie hier dokumentiert:
Martin Luther King -Â
Zur Dokumentation:Â Seine letzte Andacht ...
Ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen
Am 4. April 1968 wurde Martin Luther King in Memphis/Tennessee, wo er zur UnterstĂŒtzung des MĂŒllarbeiterstreiks war, ermordet. Am Abend des 3. April hielt er in der Meason Temple Church in Memphis eine Ansprache, die spĂ€ter mit dem Titel âBerggipfelredeâ versehen wurde. Viele, die diese Rede gehört hatten, waren ĂŒberzeugt, King habe seinen Tod vorausgeahnt. Sicherlich war ihm der Gedanke durch eine Bombendrohung, die es vor seinem Abflug aus Atlanta gegeben hatte, und andere Morddrohungen sehr nahe. King fasste in dieser Rede sein Leben zusammen und lieĂ es noch einmal vorĂŒberziehenÂ
AnlĂ€sslich des 40. Todestages von Martin Luther King am 4. April 2008 dokumentieren wir nachfolgend diese Rede.Â
http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/004944.html
Ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen
Martin Luther King
Ich freue mich ĂŒber jeden von euch, der heute Abend hier ist, trotz einer âSturmwarnungâ. Ihr zeigt, dass ihr in jedem Fall weitermachen wollt. Es geschieht etwas in Memphis, es geschieht etwas in unserer Welt. Wisst ihr, wenn ich am Anfang der Zeit stĂŒnde und die Möglichkeit hĂ€tte, so etwas wie einen allgemeinen Ăberblick ĂŒber die ganze Menschheitsgeschichte bis zum heutigen Tag zu gewinnen, und wenn Gott, der AllmĂ€chtige, zu mir sagen wĂŒrde: âMartin Luther King, in welchem Zeitalter wĂŒrdest du gern leben?â, dann wĂŒrde ich meinen geistigen Flug in Ăgypten beginnen. Und ich wĂŒrde Gottes Kinder beobachten bei ihrem wunderbaren Treck aus den dunklen Kerkern Ăgyptens durch das Rote Meer, durch die WĂŒste zum Gelobten Land.
Trotz dieses groĂartigen Anblicks wĂŒrde ich dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde mich weiterbewegen und meinen Geist zum Olymp erheben. Und ich wĂŒrde Plato, Aristoteles, Sokrates, Euripides und Aristophanes um den Parthenon versammelt sehen bei ihren Diskussionen ĂŒber die groĂen und ewigen Menschheitsfragen. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde mich weiterbewegen, zur BlĂŒtezeit des römischen Imperiums. Und ich wĂŒrde die Entwicklungen unter den verschiedenen Imperatoren erleben. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde sogar vordringen in das Zeitalter der Renaissance und einen kurzen Eindruck von den kulturellen und Ă€sthetischen Leistungen der Renaissance erhalten. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde sogar dort hingehen, wo der Mann, nach dem ich genannt worden bin, seine Heimat hatte. Und ich wĂŒrde Martin Luther beobachten, wie er die 95 Thesen an die KirchentĂŒr in Wittenberg nagelt. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde vordringen zum Jahr 1863 und beobachten, wie ein unschlĂŒssiger PrĂ€sident mit dem Namen Abraham Lincoln schlieĂlich zu der Ăberzeugung gelangt, dass er die Emanzipationsproklamation unterzeichnen muss. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben. Ich wĂŒrde vordringen zu den frĂŒhen dreiĂiger Jahren und sehen, wie ein Mann mit dem Problem des nationalen Bankrotts ringt. Und wie er beschwörend ausruft, dass wir nichts auĂer der Furcht zu fĂŒrchten haben. Aber ich wĂŒrde dort nicht stehenbleiben.
So seltsam es anmuten mag: ich wĂŒrde mich an den AllmĂ€chtigen wenden und sagen: âWenn Du mir erlaubst, nur ein paar Jahre in der 2. HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts zu leben, dann bin ich glĂŒcklich.â Freilich, das ist eine seltsame ErklĂ€rung, denn die Welt ist in ziemlicher Unordnung. Unsere Nation ist krank. Unruhe ist im Land. Verwirrung ĂŒberall. Es ist eine seltsame ErklĂ€rung. Aber irgendwie weiĂ ich, dass man nur dann, wenn es dunkel genug ist, die Sterne sehen kann. Und ich sehe Gott am Werk in diesem Abschnitt des 20. Jahrhunderts - und zwar so, dass Menschen auf seltsame Weise antworten. Es geschieht etwas in unserer Welt. GroĂe Menschenscharen erheben sich. Wo sie auch sind - sie sind ein Zeichen. Ob sie in Johannesburg (SĂŒdafrika), Nairobi (Kenia), Accra (Ghana), New York City, Atlanta (Georgia), Jackson (Mississippi) oder in Memphis (Tennessee) sind - der Schrei ist stets der gleiche: âWir wollen frei sein!â
Ein weiterer Grund, warum ich glĂŒcklich bin, in dieser Epoche zu leben, ist dieser: wir sind gezwungenermaĂen an einen Punkt gekommen, wo wir uns mit Problemen auseinandersetzen mĂŒssen, die in der Geschichte der Menschheit schon lange existieren, zu deren Lösung aber nie ein Zwang bestand. Wenn wir ĂŒberleben wollen, mĂŒssen wir sie anpacken. Die Menschen haben jahrelang ĂŒber Krieg und Frieden geredet. Aber jetzt können sie nicht mehr darĂŒber reden. Es gibt in dieser Welt keine Wahl mehr zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit. Entweder Gewaltlosigkeit oder Nicht-Existenz. Genau an diesem Punkt stehen wir heute. So auch in der Revolution, in der es um die Menschenrechte geht. Wenn nichts getan wird - und zwar schnell -, um die farbigen Völker der Welt aus ihrem seit langem bestehenden Zustand der Armut, der KrĂ€nkung und der VernachlĂ€ssigung herauszubringen, dann ist die ganze Welt zum Untergang verurteilt. Ja, ich bin wirklich glĂŒcklich, dass Gott mir erlaubt hat, in dieser Periode zu leben, damit ich sehe, was sich schon entwickelt. Ich bin glĂŒcklich, dass er mir erlaubt hat, in Memphis zu sein. Ich kann mich erinnern, wie Neger - nach den Worten von Ralph (Abernathy) - umhergingen und sich kratzten, wo es nicht juckte, und lachten, wenn sie nicht gekitzelt wurden. Aber jene Zeit ist vorbei. Wir meinen es ernst, und wir sind entschlossen, unseren rechtmĂ€Ăigen Platz in Gottes Welt zu gewinnen. Das ist es, worum es bei dieser ganzen Angelegenheit geht. Wir haben uns nicht in negativem Protest oder irgendwelchen negativen Streitereien mit irgend jemand engagiert. Wir sagen, dass wir entschlossen sind, Mensch zu sein. Wir sind entschlossen, jemand zu sein. Wir sagen, dass wir Gottes Kinder sind. Und deshalb nicht leben mĂŒssen, wie wir gezwungen werden zu leben.
Nun, was bedeutet das alles in dieser hervorragenden Periode der Geschichte? Es bedeutet, dass wir zusammenhalten mĂŒssen. Wir mĂŒssen zusammenhalten und Einheit bewahren. Ihr wisst, immer wenn der Pharao die Sklaverei in Ăgypten verlĂ€ngern wollte, hatte er ein bevorzugtes Mittel dafĂŒr. Welches? Er lieĂ die Sklaven untereinander streiten. Aber sobald sich die Sklaven zusammentun, geschieht etwas am Hof des Pharao, und dann kann er die Sklaverei nicht mehr aufrechterhalten. Kommen die Sklaven zusammen, dann kommen sie bald heraus aus der Sklaverei. Deshalb lasst uns Einheit bewahren! Zweitens: Lasst uns die Probleme dort sehen, wo sie sind! Das Problem heiĂt: Ungerechtigkeit. Das Problem ist die Weigerung der Stadt Memphis, fair und ehrlich im Umgang mit ihren Angestellten zu sein, die in diesem Falle MĂŒllarbeiter sind. Wir mĂŒssen unsere Aufmerksamkeit weiter auf dieses Problem richten und nicht auf die kleinen GewaltausbrĂŒche. Ihr wisst, was neulich passierte. Die Presse erwĂ€hnte nur die Zerstörung einiger Fenster. Ich habe die Zeitungsartikel gelesen. ĂuĂerst selten gingen sie so weit zu erwĂ€hnen, dass 1300 MĂŒllarbeiter streikten, und dass die Stadt Memphis nicht fair zu ihnen war, und dass OberbĂŒrgermeister Loeb unbedingt einen Arzt braucht. So weit ging die Berichterstattung nicht.
Jetzt werden wir wieder marschieren. Wir mĂŒssen es, um zu zeigen, wo das Problem liegt. Um jedem vor Augen zu fĂŒhren, dass hier 1300 von Gottes Kindern leiden. Manchmal sind sie hungrig, manchmal erleben sie dunkle und traurige NĂ€chte und fragen sich, wie diese Sache ausgehen wird. Darum geht es. Und wir mĂŒssen unserer Nation sagen: wir wissen, wie sie ausgeht. Denn wenn Menschen ergriffen sind von dem, was recht ist, und wenn sie dafĂŒr Opfer zu bringen bereit sind, dann gibt es keinen Halt kurz vor dem Sieg.
Kein KnĂŒppel wird uns aufhalten. Wir verstehen es meisterhaft in unserer gewaltlosen Bewegung, PolizeikrĂ€fte zu entwaffnen; sie wissen nicht, was sie tun sollen. Ich habe sie so oft gesehen. Ich entsinne mich, wie wir wĂ€hrend jenes groĂen Kampfes in Birmingham (Alabama) jeden Tag von der Baptistischen Kirche in der 16. StraĂe losmarschierten, zu Hunderten zogen wir aus. Und âBullâ Connor befahl den Polizisten, die Hunde loszulassen, und sie kamen. Aber wir sangen vor den Hunden: âIch werde vor niemandem weglaufenâ. Dann befahl âBullâ Connor: âDreht die WasserschlĂ€uche auf!â Wie ich euch schon sagte, âBullâ Connor kannte die Geschichte nicht. Er kannte eine Art Physik, die irgendwie nicht zu der Trans-Physik passte, von der wir wussten. Es war die Tatsache, dass da ein bestimmtes Feuer war, das kein Wasser löschen konnte. Wir stellten uns den WasserschlĂ€uchen entgegen. Wir kannten Wasser. Wer zu den Baptisten oder einer verwandten Denomination gehörte, war untergetaucht worden; wer zu den Methodisten und einigen anderen Denominationen gehörte, war besprengt worden. In jedem Fall waren wir mit Wasser vertraut. Sie konnten uns nicht aufhalten.
Wir gingen einfach auf die Hunde zu und schauten sie an, wir gingen einfach auf die WasserschlĂ€uche zu und schauten sie an, und dabei sangen wir: âĂber meinem Kopf sehe ich Freiheit in der Luftâ. Dann wurden wir in Polizeiwagen geworfen, manchmal zusammengepfercht wie Ălsardinen in einer BĂŒchse. Und âBullâ Connor rief: âFahrt sie fort!â Das taten sie auch, wĂ€hrend wir im GefĂ€ngniswagen weiter sangen: âWir werden siegen.â Gelegentlich landeten wir im GefĂ€ngnis, und wir sahen, wie unsere Gebete, Worte und Lieder die GefĂ€ngnis-WĂ€rter bewegten, die durch die Fenster schauten. Es existierte dort eine Macht, mit der âBullâ Connor nicht fertig wurde. So verwandelten wir schlieĂlich den âBullenâ Connor in einen jungen Ochsen und gewannen den Kampf in Birmingham.
Jetzt mĂŒssen wir in Memphis ebenso vorangehen. Ich fordere euch auf, dabei zu sein, wenn wir am Montag losmarschieren. Was die einstweilige VerfĂŒgung betrifft: wir werden morgen vor Gericht gehen, um diese illegale und verfassungswidrige einstweilige VerfĂŒgung zu bekĂ€mpfen.
Wir sagen zu Amerika nicht mehr als dies: âStehe zu dem, was du auf dem Papier versprochen hast.â Wenn ich in China oder Russland oder irgendeinem totalitĂ€ren Land lebte, dann könnte ich vielleicht diese illegalen einstweiligen VerfĂŒgungen verstehen. Dann könnte ich vielleicht die Verweigerung gewisser Grundrechte aus dem 1. Zusatz zur Verfassung verstehen, weil sie sich in jenen LĂ€ndern nicht darauf verpflichtet haben. Aber irgendwo lese ich etwas von Versammlungsfreiheit, von Redefreiheit, von Pressefreiheit; irgendwo lese ich, dass die GröĂe Amerikas in dem Recht besteht, fĂŒr das Recht zu protestieren. Und deshalb sage ich: uns werden keine Hunde oder Wasserwerfer zur Umkehr bringen, uns wird keine einstweilige VerfĂŒgung zur Umkehr bringen. Wir marschieren weiter.
Wir brauchen euch alle. Wisst ihr, ich finde es wunderbar, all diese Prediger des Evangeliums zu sehen. Es ist ein herrliches Bild. Von wem darf man mit gröĂerem Recht erwarten, dass er die SehnsĂŒchte und Hoffnungen der Menschen artikuliert, als vom Prediger? Ein Prediger muss eine Art Feuer in seinem Gebein verschlossen haben. Und wo ihm Ungerechtigkeit begegnet, da muss er sie beim Namen nennen. In gewisser Weise muss der Prediger ein Amos sein und sagen: âWenn Gott spricht, wer muss dann nicht prophezeien?â Wie Amos muss er sagen: âEs ströme aber wie Wasser das Recht und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.â In gewisser Weise muss der Prediger mit Jesus sagen: âDer Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesalbt, die Probleme der Armen aufzugreifen.â Ich möchte die Pastoren loben, die FĂŒhrung, die diese edlen MĂ€nner bedeuten - James Lawson, der an unserem Kampf seit Jahren beteiligt ist; fĂŒr diesen Kampf kam er ins GefĂ€ngnis; fĂŒr diesen Kampf wurde er von der Vanderbilt University ausgeschlossen. Aber er macht immer noch weiter und kĂ€mpft fĂŒr das Recht seiner Leute. Pastor Ralph Jackson, Pastor Billy Kyles ⊠ich könnte in der AufzĂ€hlung fortfahren, aber die Zeit lĂ€sst es nicht zu. Doch ich möchte ihnen allen danken.
Ich möchte ihnen danken, weil Pastoren oft mit nichts, auĂer mit sich selbst beschĂ€ftigt sind. Ich bin jedes Mal glĂŒcklich, wenn ich Pastoren sehe, die einen sinnvollen Dienst tun.
Es ist nicht falsch, ĂŒber âlange weiĂe GewĂ€nder dort drĂŒbenâ zu reden, dies Symbol hat seine Berechtigung. Aber letztlich wollen die Menschen Kleider und Schuhe hier unten auf der Erde tragen. Es ist nicht falsch, ĂŒber StraĂen zu reden, in denen Milch und Honig flieĂt, aber Gott hat uns befohlen, uns um die Slums hier unten zu sorgen, und um seine Kinder, die nicht einmal drei ausreichende Mahlzeiten pro Tag erhalten. Es ist nicht falsch, ĂŒber das neue Jerusalem zu reden, aber eines Tages muss ein Prediger Gottes ĂŒber das neue New York, das neue Atlanta, das neue Los Angeles, das neue Philadelphia und das neue Memphis (Tennessee) reden. Das ist unsere Aufgabe.
Was wir noch tun mĂŒssen, ist dies: unsere direkte Aktion mit der Macht eines wirtschaftlichen Boykotts verbinden. Zugegeben: wir sind arme Leute. Als Individuen sind wir arm im Vergleich zu den weiĂen Amerikanern. Wir sind arm. Aber bleibt nicht bei dieser Erkenntnis stehen, vergesst nicht, dass wir kollektiv - d. h. wir alle zusammen - reicher sind als alle Nationen der Welt - von neun Staaten abgesehen. Habt ihr das schon gewusst? Wenn wir von den USA, der UdSSR, GroĂbritannien, West-Deutschland, Frankreich und einigen anderen LĂ€ndern, die ich jetzt nicht aufzĂ€hlen will, absehen, dann sind wir, die amerikanischen Neger in ihrer Gesamtheit, reicher als die meisten LĂ€nder der Erde. Unser jĂ€hrliches Einkommen betrĂ€gt mehr als 30 Milliarden Dollar, ein Betrag, der gröĂer ist als das Exportvolumen der USA und gröĂer als der Staatshaushalt Kanadas. Wusstet ihr das? Das bedeutet Macht, wenn wir sie zu sammeln verstehen.
Wir brauchen uns mit niemand zu streiten. Wir brauchen nicht zu fluchen oder böse Worte zu verlieren. Wir benötigen keine Steine und Flaschen. Wir benötigen keine Molotow-Cocktails. Wir mĂŒssen nur zu den GeschĂ€ften und den GroĂindustrien in unserem Land gehen und sagen: âGott hat uns hierher geschickt, um zu sagen, dass ihr seine Kinder nicht richtig behandelt. Ihr sollt, das fordern wir von euch, faire Behandlung der Kinder Gottes zum ersten Punkt eurer Tagesordnung machen. Freilich, wenn ihr dazu nicht bereit seid, dann haben wir eine Tagesordnung, der wir folgen mĂŒssen. Unsere Ordnung verlangt von uns, euch die wirtschaftliche UnterstĂŒtzung zu entziehen.â
Deshalb bitten wir euch heute Abend: geht zu euren Nachbarn und sagt ihnen, sie sollen keine Coca Cola in Memphis kaufen. Geht und sagt ihnen, sie sollen keine âSealtestâ-Milch kaufen. Sagt ihnen, sie sollen kein - wie heiĂt es doch noch? - kein âWonderâ-Brot kaufen. Und wie heiĂt die andere Brotfirma, Jesse? ⊠Sagt ihnen, sie sollen kein âHartzâ-Brot kaufen. Wie Jesse Jackson gesagt hat: bisher haben nur die MĂŒllarbeiter Schmerzen gefĂŒhlt, nun mĂŒssen wir die Schmerzen gleichsam neu verteilen. Wir haben diese Firmen ausgesucht, weil ihre Einstellungspraktiken unfair sind. Wir haben diese Firmen ausgesucht, weil sie damit anfangen können zu erklĂ€ren, dass sie fĂŒr die Rechte der Streikenden eintreten werden. AuĂerdem können sie OberbĂŒrgermeister Loeb veranlassen, das Richtige zu tun.
Nicht nur das: wir mĂŒssen auch die von Schwarzen kontrollierten Institutionen stĂ€rken. Ich fordere euch auf, euer Geld aus den Banken in der Innenstadt abzuziehen und in der âTri-StateâBank zu deponieren. Wir streben eine âbank-inâ-Bewegung in Memphis an. Geht zur Spar- und Darlehnskasse. Ich verlange nichts von euch, was wir in der SCLC nicht selbst tun. Richter Hooks und andere können euch bestĂ€tigen, dass die SCLC ein Konto bei der Spar- und Darlehnskasse hat. Wir sagen nur: SchlieĂt euch an! Zahlt euer Geld dort ein! Es gibt 6 oder 7 Versicherungsgesellschaften hier in Memphis, die von Schwarzen kontrolliert werden. SchlieĂt eure Versicherungen (insurance) dort ab. Wir streben ein âinsurance-inâ an. Das sind ein paar praktische Dinge, die wir tun können. Wir beginnen so allmĂ€hlich, eine breite ökonomische Basis herzustellen. Gleichzeitig ĂŒben wir dort Druck aus, wo er wirklich spĂŒrbar ist. Ich bitte euch, lasst hier nicht nach!
Lasst mich, bevor ich meine Rede beschlieĂe, noch dies sagen: wir mĂŒssen diesen Kampf bis zum Ende fĂŒhren! Es wĂ€re tragisch, wenn wir zum jetzigen Zeitpunkt in Memphis aufhören wĂŒrden. Wir mĂŒssen den Konflikt durchstehen bis zum Ende.
Wenn wir unseren Marsch durchfĂŒhren, dann mĂŒsst ihr dabei sein. Auch wenn ihr der Arbeit oder der Schule fernbleiben mĂŒsst: seid dabei! KĂŒmmert euch um eure BrĂŒder! Vielleicht gehört ihr selber nicht zu den Streikenden. Aber bedenkt: entweder erheben wir uns gemeinsam, oder wir gehen gemeinsam unter. Lasst uns eine Art gefĂ€hrlicher Selbstlosigkeit entwickeln.
Eines Tages kam ein Mann zu Jesus. Er wollte einige Fragen zu Grundproblemen des Lebens stellen. An einigen Stellen wollte er Jesus ĂŒberlisten und ihm zeigen, dass er mehr wusste als Jesus, und ihn in Verlegenheit bringen. Zweifellos hĂ€tte jene Anfrage leicht in einer philosophischen oder theologischen Debatte enden können. Aber Jesus holte die Anfrage sofort aus der Höhe der Abstraktion und machte sie gleichsam fest an einer gefĂ€hrlichen Kurve zwischen Jerusalem und Jericho. Und er erzĂ€hlte von einem Mann, der unter die RĂ€uber gefallen war. Wie ihr wisst, gingen ein Levit und ein Priester auf der anderen StraĂenseite an ihm vorbei. Sie hielten nicht an, um ihm zu helfen. SchlieĂlich kam ein Mann vorbei, der einer anderen Rasse angehörte. Er stieg von seinem Tier und beschloss, sich in seiner Situation nicht durch andere vertreten zu lassen. Vielmehr beugte er sich zu ihm, leistete erste Hilfe und half dem Mann in Not. Jesus beendete die ErzĂ€hlung mit der ErklĂ€rung: das war ein guter Mensch, das war ein groĂer Mensch, weil er es fertigbrachte, sich mit seinem âIchâ in das âDuâ zu versetzen und sich um seinen Bruder zu sorgen.
Oft strengen wir unsere Phantasie an, um herauszufinden, warum der Levit und der Priester nicht anhielten. Manchmal vermuten wir, sie waren gerade auf dem Weg zu einer kirchlichen Versammlung und mussten weitergehen nach Jerusalem, um nicht zu spĂ€t zu kommen. Oder unsere Spekulationen beziehen sich auf jenes religiöse Gesetz, wonach âjemand, der an religiösen Zeremonien teilnehmen wollte, 24 Stunden vor der Zeremonie keinen menschlichen Körper mehr anrĂŒhren durfteâ. Und gelegentlich fragen wir uns, ob sie vielleicht nach Jerusalem oder Jericho gingen, um eine âVereinigung zur Verbesserung der StraĂe nach Jerichoâ zu organisieren. Das ist denkbar. Vielleicht waren sie der Meinung, es sei besser, das Problem bei der Wurzel zu packen, statt sich an ein einzelnes Symptom zu verlieren.
Doch lasst mich erzĂ€hlen, was ich vermute: Möglicherweise hatten diese MĂ€nner Angst. Denn die StraĂe nach Jericho ist gefĂ€hrlich. Ich entsinne mich noch der Situation, als meine Frau und ich zum ersten Mal in Jerusalem waren. Wir mieteten ein Auto und fuhren von Jerusalem hinunter nach Jericho. Als wir erst eine kurze Strecke auf der StraĂe gefahren waren, sagte ich zu meiner Frau: âIch verstehe, warum Jesus diese StraĂe als Szenerie fĂŒr das Gleichnis verwendet hat.â Es handelt sich nĂ€mlich um eine StraĂe mit vielen Kurven und Serpentinen. Sie lĂ€dt förmlich dazu ein, einen Hinterhalt zu errichten. Man fĂ€hrt in Jerusalem los, diese Stadt liegt etwa 1200 FuĂ ĂŒber dem Meeresspiegel. Wenn man 15 bis 20 Minuten spĂ€ter in Jericho ankommt, befindet man sich etwa 2200 FuĂ unter dem Meeresspiegel. Es ist wirklich eine gefĂ€hrliche StraĂe. Zur Zeit Jesu war sie bekannt als der âBlutpassâ.
Möglicherweise schauten sich der Levit und der Priester den Mann am Boden an und fragten sich, ob die RĂ€uber wohl noch in der NĂ€he wĂ€ren. Oder sie waren der Meinung, der Mann auf dem Boden markiere nur. Vielleicht tĂ€uschte er einen Ăberfall und Verletzungen vor, um sie anzulocken und dann auf einfache und schnelle Weise gefangenzunehmen.
Deshalb war die erste Frage, die sich der Priester wie der Levit stellten: âWenn ich anhalte, um diesem Mann zu helfen, was wird mir passieren?â Aber dann kam der barmherzige Samariter vorbei und kehrte die Frage um: âWenn ich nicht anhalte, um diesem Mann zu helfen, was wird ihm dann passieren?â Das ist die. Frage, die heute Abend vor euch steht. Nicht: âWenn ich anhalte, um den MĂŒllarbeitern zu helfen, was wird dann aus meiner Arbeit?â Nicht: âWenn ich anhalte, um den MĂŒllarbeitern zu helfen, was wird dann aus all den Stunden, die ich als Pastor normalerweise tĂ€glich und wöchentlich in meinem BĂŒro verbringe?â Die Frage ist nicht: âWenn ich anhalte, um diesem Mann in Not zu helfen, was wird mir passieren?â Die Frage ist: âWenn ich nicht anhalte, um den MĂŒllarbeitern zu helfen, was wird ihnen passieren?â Das ist die Frage! Lasst uns heute Abend aufstehen mit einer gröĂeren Bereitschaft.
Lasst uns feststehen mit gröĂerer Bestimmtheit. Lasst uns vorangehen in diesen Tagen machtvoller Herausforderung mit dem Ziel, Amerika zu dem zu machen, was es sein sollte. Wir haben die Gelegenheit, aus Amerika eine bessere Nation zu machen. Auch heute möchte ich Gott danken fĂŒr die Gelegenheit, hier bei euch zu sein. Wie ihr wisst, signierte ich vor einigen Jahren in New York City mein erstes Buch. Und wĂ€hrend ich saĂ, um die Autogramme zu geben, kam eine geistesgestörte schwarze Frau auf mich zu. Ich hörte von ihr nur eine Frage: âSind Sie Martin Luther King?â Ich schaute gerade herunter auf meine Unterschriften und sagte: âJaâ. Und in der nĂ€chsten Minute fĂŒhlte ich einen Schlag gegen meine Brust. Bevor ich es merkte, hatte mir jene geistesgestörte Frau einen Stich versetzt. Ich wurde so schnell wie möglich in das Harlem Hospital gebracht. Es war ein unglĂŒcklicher Samstagnachmittag. Die Klinge des Messers war weit vorgedrungen und ihre Spitze reichte, wie die Röntgenaufnahmen zeigten, fast bis an die Aorta, die Hauptschlagader. Und wenn diese Ader durchschlagen ist, dann ertrinkt man in seinem eigenen Blut - das ist das Ende.
Die New York Times berichtete am nĂ€chsten Tag, dass ich gestorben wĂ€re, wenn ich nur geniest hĂ€tte. Etwa vier Tage spĂ€ter, nach der Operation, nachdem die Klinge herausgenommen war, erlaubte man mir, mich im Rollstuhl innerhalb des Krankenhauses zu bewegen. Ich durfte auch einen Teil der an mich gerichteten Post lesen. Freundliche Briefe kamen aus allen Staaten, aus der ganzen Welt. Ich las einige, doch einen werde ich nie vergessen. Ich erhielt ein Schreiben vom PrĂ€sidenten und vom VizeprĂ€sidenten. Ich habe den Inhalt jener Telegramme vergessen. Ich erhielt einen Besuch und einen Brief vom Gouverneur von New York, doch ich habe vergessen, was in jenem Brief stand. Aber da war noch ein anderer Brief, von einem jungen MĂ€dchen, das die White Plains High School besuchte. Ich las jenen Brief, und ich werde ihn nie vergessen. Er lautete ganz schlicht: âLieber Dr. King! Ich bin eine SchĂŒlerin der 9. Klasse in der White Plains High School. Es sollte zwar keine Rolle spielen, aber ich möchte doch erwĂ€hnen: ich bin ein weiĂes MĂ€dchen. In der Zeitung las ich von Ihrem Missgeschick und Ihrem Leiden. Ich las auch, dass Sie gestorben wĂ€ren, wenn Sie hĂ€tten niesen mĂŒssen. Ich schreibe Ihnen ganz einfach deswegen, weil ich Ihnen sagen möchte: Ich bin so glĂŒcklich, dass Sie nicht niesen mussten.â
Ja, ihr sollt heute Abend wissen: auch ich bin glĂŒcklich, dass ich nicht niesen musste. Denn: hĂ€tte ich geniest, wĂ€re ich 1960 nicht in diesem Gebiet gewesen, als Studenten in allen Gegenden des SĂŒdens mit Sit-ins an den Imbisstheken begannen. Ich wusste: als sie diese Sit-ins durchfĂŒhrten, traten sie ein fĂŒr die besten Elemente des amerikanischen Traums. Sie brachten die ganze Nation zurĂŒck zu jenen groĂen Brunnen der Demokratie, die von den GrĂŒndervĂ€tern in der UnabhĂ€ngigkeitserklĂ€rung und in der Verfassung tief gegraben worden waren. HĂ€tte ich geniest, wĂ€re ich 1961 nicht hier gewesen, als wir uns zu einer Freiheitsfahrt entschlossen und der Rassentrennung im Verkehr zwischen den Bundesstaaten ein Ende machten. HĂ€tte ich geniest, wĂ€re ich 1962 nicht hier gewesen, als die Neger von Albany, Georgia, sich entschlossen, den RĂŒcken aufzurichten. Immer, wenn MĂ€nner und Frauen ihren RĂŒcken aufrichten, dann machen sie Fortschritte. Denn niemand kann auf einem RĂŒcken reiten, wenn er nicht gebeugt ist. HĂ€tte ich geniest, ich wĂ€re 1963 nicht hier gewesen, als die schwarzen Einwohner von Birmingham, Alabama, das Gewissen der Nation anrĂŒhrten und die BĂŒrgerrechtsgesetzgebung auslösten. HĂ€tte ich geniest, ich hĂ€tte spĂ€ter im August keine Gelegenheit gehabt, Amerika von meinem Traum zu erzĂ€hlen. HĂ€tte ich geniest, ich hĂ€tte nicht die eindrucksvolle Bewegung in Selma, Alabama, miterleben können. HĂ€tte ich geniest, ich hĂ€tte nicht gesehen, wie in Memphis eine Gemeinschaft jenen BrĂŒdern und Schwestern zu Hilfe kommt, die leiden. Ich bin so froh, dass ich nicht niesen musste.
Und man sagte mir ⊠Nun, das spielt jetzt keine Rolle. Es spielt wirklich keine Rolle, was jetzt geschieht. Ich verlieĂ Atlanta heute frĂŒh, wir waren eine Gruppe von sechs, und als der Flug begann, sagte der Pilot ĂŒber den Lautsprecher: âEntschuldigen Sie bitte die VerspĂ€tung, aber wir haben Dr. Martin Luther King an Bord. Um sicher zu gehen, dass alles GepĂ€ck kontrolliert und alles an Bord in Ordnung war, mussten wir alles sorgfĂ€ltig prĂŒfen. Das Flugzeug wurde die ganze Nacht bewacht.â Und dann landete ich in Memphis. Und einige sprachen von den Drohungen, die im Umlauf waren, und von dem, was mir von einigen unserer kranken weiĂen BrĂŒder widerfahren könnte.
Nun, ich weiĂ nicht, was jetzt geschehen wird. Schwierige Tage liegen vor uns. Aber das macht mir jetzt wirklich nichts aus. Denn ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen. Ich mache mir keine Sorgen. Wie jeder andere wĂŒrde ich gern lange leben. Langlebigkeit hat ihren Wert. Aber darum bin ich jetzt nicht besorgt. Ich möchte nur Gottes Willen tun. Er hat mir erlaubt, auf den Berg zu steigen. Und ich habe hinĂŒbergesehen. Ich habe das Gelobte Land gesehen. Vielleicht gelange ich nicht dorthin mit euch. Aber ihr sollt heute Abend wissen, dass wir, als ein Volk, in das Gelobte Land gelangen werden. Und deshalb bin ich glĂŒcklich heute Abend. Ich mache mir keine Sorgen wegen irgend etwas. Ich fĂŒrchte niemanden. Meine Augen haben die Herrlichkeit des kommenden Herrn gesehen.
Original AnspracheÂ