Mit dem Sprengstoffgürtel einer Selbstmordattentäterin
als Kunst-Performance in Beirut ...
In den 1960er Jahren wurde, zunächst in den USA, der Begriff „Performance Art” zu einer Sammelbezeichnung für künstlerisches Geschehen, das den üblichen Kontext der „Performing Arts” (Darstellenden Künste) und der „Visual Arts” (Bildenden Künste) sprengte: Happenings, „Live Events”, Fluxuskonzerte, Straßenaktionen und Demonstrationen als öffentliches künstlerisches Ereignis. Beeinflusst durch Antonin Artaud, Dada, die Situationistische Internationale und Konzeptkunst wurde „Performance Art” um 1970 in den USA von Künstlern wie Allan Kaprow verstärkt als Antithese zu Theater formuliert und zunehmend als konzeptuell eigenständige Kunstform verstanden. In „Performance Art” dieses Typs sollte ein künstlerisches Ereignis nie in der gleichen Weise wiederholt werden und nie die Struktur eines Stückes darstellender Kunst haben. Für die so definierte Kunstform wurde die Kurzform „Performance”, im Sinne von „Kunstperformance”, ins Deutsche übernommen.
Eine Performance im Sinne bildender Kunst ist nicht Drama und nicht wie eine Theateraufführung vorstrukturiert. Sie ist ein offener künstlerischer Prozess in eigener Zeit, der als unmittelbare körperliche Handlung und Präsenz abläuft, und dessen Medium der Performancekünstler selbst ist. Es wird keine theatralische Rolle gespielt, sondern der nicht austauschbare Performer durchlebt das Präsentierte im Augenblick des Entstehens künstlerisch zum ersten Mal. In den darstellenden Künsten dagegen tritt der Mime hinter der Rolle zurück, die er in einem Stück spielt, so wie im klassischen Ballett der Tänzer hinter der Figur zurücktritt, die er in einer Choreografie tanzt.
Performance überwindet Auffassungen, nach denen nur dauerhafte, werthaltige, beliebig verschiebbare und verkäufliche Objekte, wie Gemälde und Skulpturen relevante Kunst sind. Performances können anderen Strömungen, Kunstrichtungen, Bewegungen und Kunsttheorien zugeordnet sein, wie Body-Art, Happening und Fluxus-Performance.
Die Berlinerin Rima Najdi (28) mit dem Sprengstoff-Gürtel in Beirut | Bearbeitetes Originalfoto von Maria Kassab | BILD.de |
Nun also lief als eine künstlerische Performance und Demo die Berlinerin Rima Najdi (28) mit einem Plastik-Sprengstoff-Gürtel durch die seit Jahrzehnten terrorgeplagte Stadt Beirut (Libanon). Offen zurechtgemacht wie eine Selbstmordattentäterin – auf der einen Seite sicherlich eine gefährliche Provokation in solche einem angespannten Milieu – auf der anderen Seite eine Performance in starker künstlerischer und eben auch politischer Radikalität. Manche Passanten waren schockiert oder verängstigt, andere voller Respekt –völlig emotionslos konnte in dieser Umgebung dazu ja niemand bleiben.
Doch für "Madame Bomba", wie sie unten im Video bezeichnet wird, ist das eben ihre Art radikaler Kunst!
„In Libanon aufzuwachsen bedeutet ständig mit Gewalt konfrontiert zu sein. Trotzdem bin ich nicht bereit, die Anschläge und den Hass als Normalität zu akzeptieren“, sagt Rima.
Zu Weihnachten hatte Najdi ihre Familie in der libanesischen Heimat besucht. Am zweiten Feiertag detonierte eine Bombe im Zentrum Beiruts und tötete sechs Menschen. Am 2. Januar folgte ein weiterer Anschlag, der ebenfalls der schiitischen, pro-syrischen Hisbollah-Miliz zugerechnet wurde. In dem gespaltenen Land stehen sich derzeit pro- und anti-syrische Lager feindlich gegenüber.
Darauf reagierte Najdi am 12. Januar auf ihre spezielle Weise: Freunde fotografierten und filmten sie dabei, wie sie umgeben mit einem Plastik-Sprengstoff-Gürtel durch Beiruts Straßen lief.
„Ich wollte Passanten mit dem direkten persönlich warnehmbaren Gefühl konfrontieren, jeden Moment Anschlagsopfer werden und sterben zu können“, sagt die die ausgebildete Performance-Künstlerin zu ihrer ungewöhnlichen Kunst - "manche werfen mir vor, Opfer zu verhöhnen und Terroristen zu ermutigen. Andere bewundern das Projekt“, so Najdi. Die feindlichen Reaktionen seien jedoch auch wertvoll für die Diskussion.
Performance ist ein Konzept, in dem Widerspruch und Meinungsverschiedenheit bereits enthalten sind. Es kann keine allgemeinverbindliche Definition von Performance geben. Die Widersprüchlichkeit rivalisierender Deutungen und Bedeutungen ist ein wesentlicher Bestandteil. Die der Kunstrichtung innewohnende Überwindung jeglicher Regelästhetik ist demnach folgerichtig und prozessimmanent ...
Mit Texten von: FABIENNE PROCHNOW | BILD.de und WIKIPEDIA