Am 26. Februar 2012 - also vor gut einem Jahr - hat der Schriftsteller Ingo Schulze im Rahmen der “Dresdner Reden 2012” im Dresdner Schauspielhaus eine Rede unter der Überschrift “Unsere schönen neuen Kleider | Gegen die marktkonforme Demokratie – für demokratiekonforme Märkte” gehalten. Die vollständige Rede gibt es als pdf bei den Nachdenkseiten zum Download. Die 26 Seiten durchzulesen lohnt sich auf jeden Fall. Ingo Schulze übernimmt in diesem Text die Rolle des Kindes aus dem Märchen “Des Kaisers neue Kleider”, das ausruft: “Aber der hat doch nichts an”. Er spricht eine Wahrheit aus, die niemand gern hören will.
Ich werde in den nächsten Tagen plakativ einige Kernsätze dieser Rede hier ins Blog posten und mit meinen Möglichkeiten versuchen, sie zu illustrieren ... - einfach um Sie neugierig zu machen - aber auch um Sie aufzuschrecken, denn klammheimlich scheint es unserer noch jungen Demokratie in Deutschland an den Kragen zu gehen ...
Wundern hätte man sich aber schon dürfen, warum die Implosion des Ostens jede Alternative zum Bestehenden aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verbannen konnte.
Denn der real existierende Sozialismus in seiner erstarrten Gestalt wurde ja nie – zumindest nicht von der Mehrheit jener, die in ihm zu leben hatten – als Alternative verstanden. Das war ein vormundschaftlicher Staat, keine Demokratie. Und Freiheit und Demokratie waren ja die Forderungen des Herbstes ’89.
Es gab kein Plakat, keinen Slogan, keinen Sprechchor für die Privatisierung, keine Forderung, das Recht auf Arbeit abzuschaffen. Warum sollten Freiheit und Demokratie nicht mit dem gesellschaftlichen Eigentum an Produktionsmitteln möglich sein?
Diese Frage wurde damals von einigen wenigen gestellt, aber sie fand kaum Gehör im freiheitlich demokratischen Medienapparat.
Im Grundgesetz findet sich kein Paragraph, der von privatem Eigentum an Produktionsmitteln spricht. 1947 hatte selbst die neu gegründete CDU gerade in Großindustrie und Konzernen eine Bedrohung von Freiheit und Demokratie gesehen.
In ihrem Ahlener Parteiprogramm von 1947 formulierte sie:
„Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“
Solche Gedanken, bleibt festzuhalten, waren spätestens nach dem Mauerfall nicht nur gestrig, sie waren "unverzeihlich dumm".
Ingo Schulze in der "Dresdner Rede 2012"
(Fortsetzung folgt)