Afscheid en bedankt ...
Der Boxer ist tot. Am 27. Februar ist Jan Hoet im Alter von 77 Jahren in Gent gestorben. In jungen Jahren war er als Amateurboxer aktiv gewesen, hatte Gegner besiegt oder sich selbst eine blutige Nase geholt. Er wusste wie man kämpft, als Boxer, als Mensch und als umtriebiger Museumsdirektor und Kurator. Schien die Situation ausweglos, legte er erst richtig los. Im Boxring, aber auch in der Kunst agierte er reaktionsschnell, bewies ein gutes Auge. Er spürte genau, wann es sich lohnte, zuzuschlagen. Wobei er nicht nur den Kopf, sondern intuitiv den ganzen Körper einsetzte.
Jeder, der ihm begegnete, bemerkte: Hier war einer am Werk, der für die Kunst brannte. Immer stand er unter Spannung, oft nervös wie ein Rennpferd vor dem Start – oder eben wie ein Boxer im Ring, in den er zur Eröffnung des S.M.A.K., des "Stedelijk Museum voor Actuele Kunst" in Gent, dessen Direktor er geworden war, 1999 noch einmal stieg, um gegen Dennis Bellone und für die Sache der Kunst zu kämpfen. Jan Hoet hat sich durchgeboxt, und sich gern als Boxer inszeniert. Voller Enthusiasmus, oft mit missionarischem Eifern, manchmal als naiver Gralssucher.
Geboren wurde Jan Hoet am 23. Juni 1936 im belgischen Löwen als viertes von sieben Kindern. Sein Vater leitete in der Nähe eine Psychiatrische Klinik – im Geiste der Anti-Psychiatrie, weshalb im Haus des Direktors oft Patienten wohnten. Zuweilen ängstigten sie den Jungen, vor allem aber faszinierten sie ihn. Später, 1989, hat er sich in seiner Ausstellung "Open Mind / Closed Circuits" des Themas "Kunst und Psychiatrie" angenommen, mit Fragen nach Kreativität und Schizophrenie, der Rolle von Drogen im kreativen Prozess, mit Blick auf Grenzfälle wie Vincent van Gogh und Edvard Munch.
Schon als Kind nahm er Malunterricht bei einem flämischen Künstler. Von 1957 an engagierte er sich im örtlichen Kunstverein. Nach der Schule und einem Diplom als Kunsterzieher arbeitete er zwei Jahre als Lehrer. Ein großer Künstler wollte er werden. Als er im Sommer 1964 feststellte, dass er dazu wohl nicht kreativ genug war, begann er ein Studium der Kunstgeschichte, das er mit einer Dissertation über "Victor Servranckx und die Ersten Abstrakten in Belgien" abschloss. 1969 gründeten er und ein Freund eine "wandernde" private Kunstakademie, deren anfangs kostenloser Unterricht an immer anderen Orten stattfand. Vier Jahre ging das so, dann stellte die Stadt Gent ein Haus zur Verfügung.
Als es die Genter Stadtverwaltung 1975 erlaubte, im hinteren Teil des "Museums voor Schone Kunsten" ein "Museum van Hedendaagse Kunst" einzurichten – dem ersten für zeitgenössische Kunst in Belgien –, erkannte Karel Geirlandt, die treibende Kraft des Unternehmens, in dem damals 31 Jahre alten Zeichenlehrer aus Oostakker den Mann, den es dazu brauchte. Die Bedingungen waren alles andere als komfortabel. Der Etat war lächerlich gering und die Mannschaft passte in ein kleines Boot. Doch Jan Hoet schwamm, wie es Jan Braet von der belgischen Zeitschrift "Knack" ausgedrückt hat, "ausgestattet mit genügend Abenteuer- und Provokationslust", von "Anfang an gegen den Strom und schlug wie Moses Wasser aus dem Felsen". Er zeigte Panamarenko, den man für einen Scharlatan hielt, Broodthaers und Beuys, Michael Buthe und Eugène Leroy, machte sich in der Kunstszene rasch einen Namen und zauberte durch gute Beziehungen über die Jahre eine beachtliche Sammlung ins Haus.
Wegweisend war Hoets Ausstellung "Chambres d’amis" im Jahr 1986. Bewusst ließ Hoet die Isolationskammer Museum hinter sich. Er zog aus, um der Vertreibung der Kunst aus dem Alltag entgegenzuwirken. Persönlich überredete er Genter Bürger, die Kunst bei sich einziehen zu lassen. 60 Künstler aus Europa und Amerika, jeweils nur einer pro Haus oder Wohnung, hängten Bilder auf, stellten Skulpturen auf, fertigten Wandgemälde an. Oder sie tapezierten, wie Joseph Kosuth es tat, sämtliche Wände mit Sätzen aus Freuds "Zur Psychopathologie des Alltagslebens", die mittels schwarzen Balken sogleich der Zensur anheimfielen. Die Kunst kommunizierte mit ihrem Ort, die Gastgeber mit ihren Gästen. Privates wurde öffentlich, Öffentliches privat. Für Monate herrschte in der Stadt ein verändertes Klima.
Was Jan Hoets documenta IX von 1992 angeht, so hat der ruhelose Abenteurer auch damals alles auf eine Karte gesetzt. Im Rückblick muss man, durchaus selbstkritisch, feststellen: Sie wird, trotz erkennbarer Schwächen, bis heute unterschätzt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, wurden aber erst sichtbar, als Catherine David die folgende documenta X zu einem gesellschaftlichen Ereignis mit politischem Anspruch stilisiert und die Kasseler Weltkunstschau geschickt mit deren eigener Tradition verknüpft hatte. Politische Kunst hat auch Jan Hoet gezeigt, nicht als Ausnahme, sondern in großer Zahl. Programmatisch herausposaunt hat er es nicht. So wie er es versäumte, die eigene documenta – in der er eine "Argumentation in Bildern" sah, die "gleichermaßen die Augen, das Gefühl, die Erfahrung des einzelnen" fordern sollte – in die Reihe ihrer Vorläufer einzuordnen. Mit dem Galeristenklüngel hatte er ohnehin nichts am Hut. Was er zeigte, blieb an seine Begeisterung, sein Gespür, seine Person gebunden. Eine "bewusste und persönliche Stellungnahme zu unserer Zeit" hatte er abgeben wollen. Da er dabei selbst im Zentrum stand, inszenierte er sich auch so, trat als Kopf und Körper seiner documenta auf.
Mit dem Ergebnis: Abgelenkt vom Rummel, den er machte, übersah man, wie eindringlich, wie überzeugend, wie politisch viele der von ihm ausgewählten Werke waren. Wer erinnerte sich nicht an die schreienden Köpfe von Bruce Naumans "Anthro-Socio", an David Hammons Busch aus krausen Haarbüschlen, an Tadashi Kawamatas Hüttendorf und Lothar Baumgartens mit Wörtern und Spielkartensymbolen bemalten Zwehrenturm? Oder an Rodney Grahams Hommage an die Gebrüder Grimm, an Katsura Funakoshis melancholisch blickende, aus Kampferholz geschnitzte Halbfiguren, Thomas Schüttes "Fremde" auf dem Kaufhaus Leffers und an Jonathan Borofskys "Man walking to the sky", der Kassel erhalten geblieben ist. Allein Guillaume Bijl rief mit seinem "Wax Museum" die documenta-Geschichte wach, formte Arnold Bode, Joseph Beuys und – nicht zu vergessen: Jan Hoet aus Wachs. Aber das war ironisch.
Hoets Neubestimmung des Individuellen erfolgte intuitiv, köperhaft, blieb am Ende aber zu bunt, zu laut, zu chaotisch, um vor der Kritik bestehen zu können. Dabei hatte er kein Geheimnis daraus gemacht, was er vorhatte. Auch wenn er es selbst noch nicht wusste. Lange vor Okwui Enwezor und dessen über den Globus verteilte Plattformen inszenierte er seinen Weg nach Kassel. "Marathon-Gespräche" nannte er, was 24 Stunden dauerte – samt nicht endender Diaschauen und untermalt vom Gesang eines Chors der Sowjetarmee.
Als die documenta zu Ende war, kehrte Hoet nach Gent in sein Museum zurück. 1999 erhielt das "Museum van Hedensdaagse Kunst" ein eigenes Haus und wurde zum S.M.A.K. Dass es den Zusatz "für aktuelle Kunst" im Namen trägt, entspricht der nie erlahmenden Neugier seines ehemaligen Direktors. Von 2003 bis 2009 agierte er abermals als Gründungsdirektor, nun im MARTa Herford, an der Grenze von Kunst und Design und in einem Neubau des Stararchitekten Frank O. Gehry. Das aber gehörte fast schon zum Nachspiel. Wenngleich Hoet auch dort keine Konfrontation scheute, bereits die erste Ausstellung skandalös verlief, weil die Kreisbehörde die ausgestellten Werke des norwegischen Künstlers Bjarne Melgaard für jugendgefährdend hielt. Auf seinem Weg zur documenta hat Jan Hoet zur Frage, was Kunst sei, notiert: "Die Kunst selber wird uns erzählen, wer sie ist. Nicht ich. Ich kann nur einen Fahrschein für die Entdeckungsreise anbieten."
http://www.art-magazin.de/szene/69779/jan_hoet_nachruf
Er brannte für die Kunst: Jan Hoet (Foto: Jürgen Escher, courtesy MARTA Herford - Bearbeitung: S!NEDi |
ZUM TODE VON JAN HOET
über Jan Hoet,
den Leiter der documenta IX
und Gründungsdirektor des MARTA Herford.
Der Boxer ist tot. Am 27. Februar ist Jan Hoet im Alter von 77 Jahren in Gent gestorben. In jungen Jahren war er als Amateurboxer aktiv gewesen, hatte Gegner besiegt oder sich selbst eine blutige Nase geholt. Er wusste wie man kämpft, als Boxer, als Mensch und als umtriebiger Museumsdirektor und Kurator. Schien die Situation ausweglos, legte er erst richtig los. Im Boxring, aber auch in der Kunst agierte er reaktionsschnell, bewies ein gutes Auge. Er spürte genau, wann es sich lohnte, zuzuschlagen. Wobei er nicht nur den Kopf, sondern intuitiv den ganzen Körper einsetzte.
Jeder, der ihm begegnete, bemerkte: Hier war einer am Werk, der für die Kunst brannte. Immer stand er unter Spannung, oft nervös wie ein Rennpferd vor dem Start – oder eben wie ein Boxer im Ring, in den er zur Eröffnung des S.M.A.K., des "Stedelijk Museum voor Actuele Kunst" in Gent, dessen Direktor er geworden war, 1999 noch einmal stieg, um gegen Dennis Bellone und für die Sache der Kunst zu kämpfen. Jan Hoet hat sich durchgeboxt, und sich gern als Boxer inszeniert. Voller Enthusiasmus, oft mit missionarischem Eifern, manchmal als naiver Gralssucher.
Geboren wurde Jan Hoet am 23. Juni 1936 im belgischen Löwen als viertes von sieben Kindern. Sein Vater leitete in der Nähe eine Psychiatrische Klinik – im Geiste der Anti-Psychiatrie, weshalb im Haus des Direktors oft Patienten wohnten. Zuweilen ängstigten sie den Jungen, vor allem aber faszinierten sie ihn. Später, 1989, hat er sich in seiner Ausstellung "Open Mind / Closed Circuits" des Themas "Kunst und Psychiatrie" angenommen, mit Fragen nach Kreativität und Schizophrenie, der Rolle von Drogen im kreativen Prozess, mit Blick auf Grenzfälle wie Vincent van Gogh und Edvard Munch.
Schon als Kind nahm er Malunterricht bei einem flämischen Künstler. Von 1957 an engagierte er sich im örtlichen Kunstverein. Nach der Schule und einem Diplom als Kunsterzieher arbeitete er zwei Jahre als Lehrer. Ein großer Künstler wollte er werden. Als er im Sommer 1964 feststellte, dass er dazu wohl nicht kreativ genug war, begann er ein Studium der Kunstgeschichte, das er mit einer Dissertation über "Victor Servranckx und die Ersten Abstrakten in Belgien" abschloss. 1969 gründeten er und ein Freund eine "wandernde" private Kunstakademie, deren anfangs kostenloser Unterricht an immer anderen Orten stattfand. Vier Jahre ging das so, dann stellte die Stadt Gent ein Haus zur Verfügung.
Als es die Genter Stadtverwaltung 1975 erlaubte, im hinteren Teil des "Museums voor Schone Kunsten" ein "Museum van Hedendaagse Kunst" einzurichten – dem ersten für zeitgenössische Kunst in Belgien –, erkannte Karel Geirlandt, die treibende Kraft des Unternehmens, in dem damals 31 Jahre alten Zeichenlehrer aus Oostakker den Mann, den es dazu brauchte. Die Bedingungen waren alles andere als komfortabel. Der Etat war lächerlich gering und die Mannschaft passte in ein kleines Boot. Doch Jan Hoet schwamm, wie es Jan Braet von der belgischen Zeitschrift "Knack" ausgedrückt hat, "ausgestattet mit genügend Abenteuer- und Provokationslust", von "Anfang an gegen den Strom und schlug wie Moses Wasser aus dem Felsen". Er zeigte Panamarenko, den man für einen Scharlatan hielt, Broodthaers und Beuys, Michael Buthe und Eugène Leroy, machte sich in der Kunstszene rasch einen Namen und zauberte durch gute Beziehungen über die Jahre eine beachtliche Sammlung ins Haus.
Wegweisend war Hoets Ausstellung "Chambres d’amis" im Jahr 1986. Bewusst ließ Hoet die Isolationskammer Museum hinter sich. Er zog aus, um der Vertreibung der Kunst aus dem Alltag entgegenzuwirken. Persönlich überredete er Genter Bürger, die Kunst bei sich einziehen zu lassen. 60 Künstler aus Europa und Amerika, jeweils nur einer pro Haus oder Wohnung, hängten Bilder auf, stellten Skulpturen auf, fertigten Wandgemälde an. Oder sie tapezierten, wie Joseph Kosuth es tat, sämtliche Wände mit Sätzen aus Freuds "Zur Psychopathologie des Alltagslebens", die mittels schwarzen Balken sogleich der Zensur anheimfielen. Die Kunst kommunizierte mit ihrem Ort, die Gastgeber mit ihren Gästen. Privates wurde öffentlich, Öffentliches privat. Für Monate herrschte in der Stadt ein verändertes Klima.
Was Jan Hoets documenta IX von 1992 angeht, so hat der ruhelose Abenteurer auch damals alles auf eine Karte gesetzt. Im Rückblick muss man, durchaus selbstkritisch, feststellen: Sie wird, trotz erkennbarer Schwächen, bis heute unterschätzt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, wurden aber erst sichtbar, als Catherine David die folgende documenta X zu einem gesellschaftlichen Ereignis mit politischem Anspruch stilisiert und die Kasseler Weltkunstschau geschickt mit deren eigener Tradition verknüpft hatte. Politische Kunst hat auch Jan Hoet gezeigt, nicht als Ausnahme, sondern in großer Zahl. Programmatisch herausposaunt hat er es nicht. So wie er es versäumte, die eigene documenta – in der er eine "Argumentation in Bildern" sah, die "gleichermaßen die Augen, das Gefühl, die Erfahrung des einzelnen" fordern sollte – in die Reihe ihrer Vorläufer einzuordnen. Mit dem Galeristenklüngel hatte er ohnehin nichts am Hut. Was er zeigte, blieb an seine Begeisterung, sein Gespür, seine Person gebunden. Eine "bewusste und persönliche Stellungnahme zu unserer Zeit" hatte er abgeben wollen. Da er dabei selbst im Zentrum stand, inszenierte er sich auch so, trat als Kopf und Körper seiner documenta auf.
Mit dem Ergebnis: Abgelenkt vom Rummel, den er machte, übersah man, wie eindringlich, wie überzeugend, wie politisch viele der von ihm ausgewählten Werke waren. Wer erinnerte sich nicht an die schreienden Köpfe von Bruce Naumans "Anthro-Socio", an David Hammons Busch aus krausen Haarbüschlen, an Tadashi Kawamatas Hüttendorf und Lothar Baumgartens mit Wörtern und Spielkartensymbolen bemalten Zwehrenturm? Oder an Rodney Grahams Hommage an die Gebrüder Grimm, an Katsura Funakoshis melancholisch blickende, aus Kampferholz geschnitzte Halbfiguren, Thomas Schüttes "Fremde" auf dem Kaufhaus Leffers und an Jonathan Borofskys "Man walking to the sky", der Kassel erhalten geblieben ist. Allein Guillaume Bijl rief mit seinem "Wax Museum" die documenta-Geschichte wach, formte Arnold Bode, Joseph Beuys und – nicht zu vergessen: Jan Hoet aus Wachs. Aber das war ironisch.
Hoets Neubestimmung des Individuellen erfolgte intuitiv, köperhaft, blieb am Ende aber zu bunt, zu laut, zu chaotisch, um vor der Kritik bestehen zu können. Dabei hatte er kein Geheimnis daraus gemacht, was er vorhatte. Auch wenn er es selbst noch nicht wusste. Lange vor Okwui Enwezor und dessen über den Globus verteilte Plattformen inszenierte er seinen Weg nach Kassel. "Marathon-Gespräche" nannte er, was 24 Stunden dauerte – samt nicht endender Diaschauen und untermalt vom Gesang eines Chors der Sowjetarmee.
MARTa Herford mit Baukran | photo: S!NEDi |
http://www.art-magazin.de/szene/69779/jan_hoet_nachruf