Ja - ich habe lange überlegt, welchen Post ich hier heute einfügen soll - zu Beginn der Karwoche ... Ich habe die gängigen Nachrichtenseiten durchstöbert nach einer passenden Anregung: ich wollte schauen, was auf mich zukommt - ich wollte finden und nicht suchen ...
Aber zwischen all den üblichen "Mutterschweinen", die so täglich bzw. wöchentlich bzw. epochal durchs globale Dorf getrieben werden, und die mich - in höchster Eile - immer mal wieder anquieken und angrunzen, war es dann letztlich doch eine Karfreitagspredigt zum Lied "DONA-DONA-DONAJ", das Joan Baez, Donovan, Esther Ofarim und noch viele andere in verschiedenen Sprachen gesungen haben ... Im Predigttext war "jiddisch" vorgegeben - und so habe ich nach einer entsprechenden Aufnahme Ausschau gehalten: Ich fand auf YOUTUBE den Song von NEHAMA HENDEL auf jiddisch - und habe dann ein paar Fotos dazu zusammengestellt ... Und insgesamt muss das auch weniger "gefallen" - als zum Nachdenken anregen - und ist bestimmt zeitloser als der Ruf nach Blauhelmen in Kiew - oder die Diskussionen zu einer Freihandelszone mit den USA - trotz NSA-Bespitzelungen ...- und beachten Sie die Guantánamo-Zitate am Schluss ....
DONA-DONA-DONAJ
Predigt
über Jesaja 52,13-15 - 53,1-12:
Andreas Gruhn
in der evangelische Kirchengemeinde Poppenweiler
Liebe Gemeinde,
in der Karwoche und am Karfreitag selbst erinnern wir uns, was Jesus am Ende seines Lebens zugemutet wurde. Wir erinnern uns an die erfahrenen Demütigungen, sein Leiden und Sterben. Jesus der Jude - hingerichtet von den Römern. "Bist du der König der Juden?", wird er von Pontius Pilatus gefragt. "Du sagst es," antwortet Jesus und schweigt. Er erklärt sich nicht weiter. Unternimmt keinen Versuch sich zu verteidigen.
I. Der Gottesknecht
Was Jesus erlebt hat und was ihm widerfahren war, das erinnerte die Jünger nach Ostern an einen, den sie kannten. Auch er stammte wie Jesus aus dem jüdischen Volk. Doch lagen nun fünfhundert Jahre dazwischen. Was jeder von ihnen erlebt hat, lässt sie beide einander ähnlich sein. Er wird als eine unansehnliche Gestalt beschrieben, mit der niemand mehr etwas zu tun haben möchte. Krankheit und Schmerzen plagen ihn. Er wird misshandelt und niedergedrückt. Ohnmächtig gegenüber seinen Widersachern, kann er sich nicht wehren. Seinen Mund verschließt er, lässt seine Peiniger keinen Ton hören. Wie ein Tier, das man zur Schlachtbank führt, so schaut er drein. Und mit diesem Menschen, so bezeugen es die heiligen Schriften des jüdischen Volkes, hat sich Gott verbündet. Der, den alle verachtet hatten, an ihm hat Gott Gefallen gehabt. Später nannten sie diesen Menschen den "Gottesknecht". Vier Lieder sind ihm im Buch des Propheten Jesaja gewidmet. Das letzte davon ist unser heutiger Predigttext.
II. TEXT: Jesaja 52,13-15 - 53,1-12:
Fremdes Leid erinnert die Glücklichen, dass sie für den Augenblick davongekommen sind. Es führt aber gleichzeitig die eigene Verwundbarkeit vor Augen. Fremdes Leid kann Mitgefühl auslösen. Es kann aber auch das genaue Gegenteil bewirken. Abkehr bis hin zur Vernichtung. Offensichtlich bedrohen die Schwachen und Kranken die scheinbar Starken und Gesunden.
III. Der Entstehungsort von Dona Dona
Und wieder war es einer aus dem jüdischen Volk, nun aber fast zweitausend Jahre nach Jesus und zweieinhalbtausend Jahre nach dem sogenannten Gottesknecht, der bespuckt, gedemütigt und verachtet wurde. Eingesperrt im Ghetto in Warschau schaut er zu, wie sein Volk in Güterwaggons verladen wird. Niemand weiß wohin es geht, doch sie ahnen böses. Auf ihn selber wartet das gleiche Schicksal und er weiß nicht, wie er sich ihm entziehen könnte. Stumm vor Erschrecken kann er aber noch schreiben. Ein Gedicht entsteht. Es erzählt die Geschichte des Kälbchens, das mit dem Bauer auf dem Weg ist.
"Der Bauer führt ein Kälbchen hoch auf den Karren. Bindet es fest. Fesselt es an seinen Beinen. Nur den Rücken kann es noch krümmen. Mehr bewegen kann es sich nicht. Doch es weiß, wohin es geht. (Zum Schlachten.) Da sieht das Kälbchen am Himmel eine Schwalbe. Sie durchzieht den Himmel mit großem Bogen, frei und unbeschwert. Der Wind zieht durchs Weizenfeld. Es scheint dem Kälbchen als lachte der Wind über sein Geschick den Tag und die ganze Nacht hindurch. Da muss das Kälbchen weinen. Doch der Bauer lacht nur und sagt: "Nun bist du eben ein Kalb und hast nichts anderes verdient als geschlachtet zu werden. Du hättest eben ein Vogel werden müssen."
Da wusste das Kälbchen, dass Kälber geschlachtet werden. Nur wer Flügel hat, kann frei fliegen. Und wer fliegen kann, der wird niemals eines andern Knecht. Und der Wind weht durchs Weizenfeld und er lacht darüber, was er da sieht.
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IV. Leiderfahrungen als das verbindende Band
Ich vermute, der Verfasser dieses eben vorgetragenen Liedes, kannte auch den Text, der uns heute als Predigttext vorliegt. Und wenn es nicht so sein sollte, dann ist es die gemeinsame Erfahrung von unbegreiflichem Leid, von Gewalt und Terror, die beide Schreiber miteinander verbindet. Damit sind sie mit allen verbunden, die auch heute Gewalt erfahren und niedergedrückt werden. Und während wir hier sitzen verliert vielleicht durch ein Selbstmordattentat eine jüdische Mutter ihren Sohn und ein Palästinenser seine Tochter bei dem darauf folgenden Vergeltungsschlag. Beiden Elternteile erstarrt wohl das Herz im Leibe und sie verstummen angesichts der Gewalt, die ihre Kinder wie Lämmer zur Schlachtbank führte.
V. Vom möglichen Sinn und der Hoffnung in mitten leidvoller Erfahrungen
Ist das Leid, das Menschen erfahren völlig sinnlos? Die Frage, wozu das alles geschieht, drängt ja nach einer Antwort. Diese Antwort für sich selber zu finden, ist fast unmöglich. Sie einem anderen zu geben, muss als Anmaßung erscheinen.
Von dem Menschen, den man später als den Gottesknecht bezeichnet hat, heißt es in unserem Predigttext: Gott der Herr, habe an dem, den alle verachtet hatten, Gefallen gefunden (V 10). Und der, der so vieles zu ertragen hatte, erblickt das Licht (V 11) und wird in die Reihe der Großen gestellt (12).
Das "Dona, Dona" ist nicht die Erinnerung an eine geliebte Frau oder angebetete Madonna gar. Es ist die Abkürzung für "Adonai" Mit Adonai wird in der hebräischen Bibel der Name des Gottes Israels ausgesprochen. Adonai ist der verzweifelt hoffnungsvolle Ruf. "Mein Herr! Mein Gott"
Wo Menschen alles genommen wird, wo alles verloren geht, was einem eben noch so teuer war, da bleibt allein die Beziehung zu Gott erhalten. Sie bleibt denen, die in ihrer Verzweiflung Adonai mein Herr, mein Gott rufen und alles, was kommen mag in seine Hand ihm legen.
In diesem Adonai leuchtet eine Hoffnung auf. Der kurze Moment dieses hellen Scheins reicht zuweilen aus, dass wir der Verzweiflung entfliehen und dem Leben uns hingeben.
Amen
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Zitate aus: Hier spricht Guantánamo. Roger Willemsen interviewt Ex-Häftlinge. Frankfurt: Verlag Zweitausendeins, 2006:
Aber zwischen all den üblichen "Mutterschweinen", die so täglich bzw. wöchentlich bzw. epochal durchs globale Dorf getrieben werden, und die mich - in höchster Eile - immer mal wieder anquieken und angrunzen, war es dann letztlich doch eine Karfreitagspredigt zum Lied "DONA-DONA-DONAJ", das Joan Baez, Donovan, Esther Ofarim und noch viele andere in verschiedenen Sprachen gesungen haben ... Im Predigttext war "jiddisch" vorgegeben - und so habe ich nach einer entsprechenden Aufnahme Ausschau gehalten: Ich fand auf YOUTUBE den Song von NEHAMA HENDEL auf jiddisch - und habe dann ein paar Fotos dazu zusammengestellt ... Und insgesamt muss das auch weniger "gefallen" - als zum Nachdenken anregen - und ist bestimmt zeitloser als der Ruf nach Blauhelmen in Kiew - oder die Diskussionen zu einer Freihandelszone mit den USA - trotz NSA-Bespitzelungen ...- und beachten Sie die Guantánamo-Zitate am Schluss ....
DONA-DONA-DONAJ
Predigt
über Jesaja 52,13-15 - 53,1-12:
Andreas Gruhn
in der evangelische Kirchengemeinde Poppenweiler
Liebe Gemeinde,
in der Karwoche und am Karfreitag selbst erinnern wir uns, was Jesus am Ende seines Lebens zugemutet wurde. Wir erinnern uns an die erfahrenen Demütigungen, sein Leiden und Sterben. Jesus der Jude - hingerichtet von den Römern. "Bist du der König der Juden?", wird er von Pontius Pilatus gefragt. "Du sagst es," antwortet Jesus und schweigt. Er erklärt sich nicht weiter. Unternimmt keinen Versuch sich zu verteidigen.
I. Der Gottesknecht
Was Jesus erlebt hat und was ihm widerfahren war, das erinnerte die Jünger nach Ostern an einen, den sie kannten. Auch er stammte wie Jesus aus dem jüdischen Volk. Doch lagen nun fünfhundert Jahre dazwischen. Was jeder von ihnen erlebt hat, lässt sie beide einander ähnlich sein. Er wird als eine unansehnliche Gestalt beschrieben, mit der niemand mehr etwas zu tun haben möchte. Krankheit und Schmerzen plagen ihn. Er wird misshandelt und niedergedrückt. Ohnmächtig gegenüber seinen Widersachern, kann er sich nicht wehren. Seinen Mund verschließt er, lässt seine Peiniger keinen Ton hören. Wie ein Tier, das man zur Schlachtbank führt, so schaut er drein. Und mit diesem Menschen, so bezeugen es die heiligen Schriften des jüdischen Volkes, hat sich Gott verbündet. Der, den alle verachtet hatten, an ihm hat Gott Gefallen gehabt. Später nannten sie diesen Menschen den "Gottesknecht". Vier Lieder sind ihm im Buch des Propheten Jesaja gewidmet. Das letzte davon ist unser heutiger Predigttext.
II. TEXT: Jesaja 52,13-15 - 53,1-12:
13 Siehe, meinem Knecht wird's gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. 14 Wie sich viele über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder, 15 so wird er viele Heiden besprengen, dass auch Könige werden ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn denen nichts davon verkündet ist, die werden es nun sehen, und die nichts davon gehört haben, die werden es merken.
1 Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart? 2 Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. 3 Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.4 Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. 6 Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. 7 Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.8 Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. 9 Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. 10 So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit.Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. 11 Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. 12 Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.
Fremdes Leid erinnert die Glücklichen, dass sie für den Augenblick davongekommen sind. Es führt aber gleichzeitig die eigene Verwundbarkeit vor Augen. Fremdes Leid kann Mitgefühl auslösen. Es kann aber auch das genaue Gegenteil bewirken. Abkehr bis hin zur Vernichtung. Offensichtlich bedrohen die Schwachen und Kranken die scheinbar Starken und Gesunden.
III. Der Entstehungsort von Dona Dona
Und wieder war es einer aus dem jüdischen Volk, nun aber fast zweitausend Jahre nach Jesus und zweieinhalbtausend Jahre nach dem sogenannten Gottesknecht, der bespuckt, gedemütigt und verachtet wurde. Eingesperrt im Ghetto in Warschau schaut er zu, wie sein Volk in Güterwaggons verladen wird. Niemand weiß wohin es geht, doch sie ahnen böses. Auf ihn selber wartet das gleiche Schicksal und er weiß nicht, wie er sich ihm entziehen könnte. Stumm vor Erschrecken kann er aber noch schreiben. Ein Gedicht entsteht. Es erzählt die Geschichte des Kälbchens, das mit dem Bauer auf dem Weg ist.
"Der Bauer führt ein Kälbchen hoch auf den Karren. Bindet es fest. Fesselt es an seinen Beinen. Nur den Rücken kann es noch krümmen. Mehr bewegen kann es sich nicht. Doch es weiß, wohin es geht. (Zum Schlachten.) Da sieht das Kälbchen am Himmel eine Schwalbe. Sie durchzieht den Himmel mit großem Bogen, frei und unbeschwert. Der Wind zieht durchs Weizenfeld. Es scheint dem Kälbchen als lachte der Wind über sein Geschick den Tag und die ganze Nacht hindurch. Da muss das Kälbchen weinen. Doch der Bauer lacht nur und sagt: "Nun bist du eben ein Kalb und hast nichts anderes verdient als geschlachtet zu werden. Du hättest eben ein Vogel werden müssen."
Da wusste das Kälbchen, dass Kälber geschlachtet werden. Nur wer Flügel hat, kann frei fliegen. Und wer fliegen kann, der wird niemals eines andern Knecht. Und der Wind weht durchs Weizenfeld und er lacht darüber, was er da sieht.
LIED: DONA DONA mit Gesang (jiddisch) von NEHAMA HENDEL,
Text: Jiddisch vermutlich nach Jizchak Katzenelson
Englisch: Shelodon Secunda (Vgl. Student für Europa Nr. 62
Musik: Sheldon Secunda (1940)
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Yiddish translation
Dos Kelbl
Oyfn furl ligt dos kelbl
Ligt gebundn mit a shtrik
Hoykh in himl flit dos shvelbl
Freydt zikh, dreyt zikh hin un krik.
Chorus
Lakht der vint in korn
Lakh un lakht un lakht
Lakht er op a tog a gantsn
mit a halber nakht.
Hey Dona, dona, dona...
Shrayt dos kelbl, zogt der poyer
"Ver zhe heyst dikh zayn a kalb?
Volst gekert tsu zayn a foygl
Volst gekert tsu zayn a shvalb?"
Chorus
Lakht der vint in korn....
Bidne kelber tut men bindn
Un men shlept zey un men shekht
ver s'hot fligl, flit aroyf tzu
iz bay keynem nit keyn knekht
Chorus
Lakht der vint in korn....
.......................................
deutsch:
1. Auf einem Wagen liegt ein Kälbchen ist gefesselt mit ´nem Strick.
Hoch am Himmel fliegt ein Vogel, fliegt nach rechts und fliegt nach links.
Lacht der Wind im Kornfeld, lacht und lacht und lacht,
lacht den ganzen Tag darüber und noch die halbe Nacht.
Donaj, Donaj, Donaj....... daj !
2. Schreit das Kälbchen, sagt der Bauer: Weshalb bist du auch ein Kalb ?
Wenn du willst, dann sei ein Vogel, wie am Himmel diese Schwalb !
Lacht der Wind...
3. Arme Kälbchen kann man fesseln und zum Schlächter schleppen hin,
frei zu sein bedarf es Flügel, und du fliegst zum Himmel hin.
Lacht der Wind...
Im Yiddischen heißt es übrigens nicht Dona - sondern Donaj - von Adonaj.
IV. Leiderfahrungen als das verbindende Band
Ich vermute, der Verfasser dieses eben vorgetragenen Liedes, kannte auch den Text, der uns heute als Predigttext vorliegt. Und wenn es nicht so sein sollte, dann ist es die gemeinsame Erfahrung von unbegreiflichem Leid, von Gewalt und Terror, die beide Schreiber miteinander verbindet. Damit sind sie mit allen verbunden, die auch heute Gewalt erfahren und niedergedrückt werden. Und während wir hier sitzen verliert vielleicht durch ein Selbstmordattentat eine jüdische Mutter ihren Sohn und ein Palästinenser seine Tochter bei dem darauf folgenden Vergeltungsschlag. Beiden Elternteile erstarrt wohl das Herz im Leibe und sie verstummen angesichts der Gewalt, die ihre Kinder wie Lämmer zur Schlachtbank führte.
V. Vom möglichen Sinn und der Hoffnung in mitten leidvoller Erfahrungen
Ist das Leid, das Menschen erfahren völlig sinnlos? Die Frage, wozu das alles geschieht, drängt ja nach einer Antwort. Diese Antwort für sich selber zu finden, ist fast unmöglich. Sie einem anderen zu geben, muss als Anmaßung erscheinen.
Von dem Menschen, den man später als den Gottesknecht bezeichnet hat, heißt es in unserem Predigttext: Gott der Herr, habe an dem, den alle verachtet hatten, Gefallen gefunden (V 10). Und der, der so vieles zu ertragen hatte, erblickt das Licht (V 11) und wird in die Reihe der Großen gestellt (12).
- Das Recht, das diesem Menschen vorenthalten wurde, dieses Recht stellt Gott für ihn her.
- Rückblickend auf sein Leben zeigt sich, dass er nicht umsonst gelitten hat.
- Rückblickend auf das Leben Jesu erkannten die Jünger im Geschick des Gottesknechts das Geschick ihres Meisters.
- Rückblickend auf das erfahrene Leid der Juden in Europa wird das Lied vom "Kälbchen" gesungen. Es singt allen, die zu Unrecht leiden. Und jedes Leid besteht zu Unrecht. Niemand, auch nicht der Ungerechte hat es verdient. Es singt von der einzigen Hoffnung, die dem Vergessenen, dem von anderen Menschen Aufgegebenen bleibt. Es singt allen, die heute körperliche und seelische Schmerzen zu ertragen haben. Es singt allen, die um ihre Schönheit und ihr gelingendes leben bangen.
Das "Dona, Dona" ist nicht die Erinnerung an eine geliebte Frau oder angebetete Madonna gar. Es ist die Abkürzung für "Adonai" Mit Adonai wird in der hebräischen Bibel der Name des Gottes Israels ausgesprochen. Adonai ist der verzweifelt hoffnungsvolle Ruf. "Mein Herr! Mein Gott"
Wo Menschen alles genommen wird, wo alles verloren geht, was einem eben noch so teuer war, da bleibt allein die Beziehung zu Gott erhalten. Sie bleibt denen, die in ihrer Verzweiflung Adonai mein Herr, mein Gott rufen und alles, was kommen mag in seine Hand ihm legen.
In diesem Adonai leuchtet eine Hoffnung auf. Der kurze Moment dieses hellen Scheins reicht zuweilen aus, dass wir der Verzweiflung entfliehen und dem Leben uns hingeben.
Amen
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Zitate aus: Hier spricht Guantánamo. Roger Willemsen interviewt Ex-Häftlinge. Frankfurt: Verlag Zweitausendeins, 2006:
- "Schlimm war aber vor allem, wie man zu den Verhören gebracht wurde. Man bekam Beinfesseln und Handfesseln angelegt, und man wurde vorüber gebeugt abgeführt, die Hände auf dem Rücken, und wenn man stolperte, konnte man nicht wieder aufstehen, sondern wurde einfach weitergeschleift" (113).
- "Ja, sie haben mich gequält. Sie haben mich gezwungen, mit gefesselten Händen auf den Knien zu hocken. Manchmal habe ich auf einem Bein stehen müssen, manchmal haben sie mich mit den Händen an die Eisentür gebunden. Manchmal bin ich 24 Stunden lang mit gefesselten Händen und Beinen in einem Raum gesperrt worden. Wir durften Nachts nur 2 Stunden schlafen, und wenn einer sitzend einschlief, wurde er geweckt und gezwungen, aufzustehen. Wenn sich jemand wegen der Müdigkeit an die Gitter lehnen wollte, befahlen sie ihm, Abstand von den Gittern zu halten" (80).
- "Beispielesweise hat man im ganzen Block das Wasser abgestellt, wegen irgendwelcher Verstöße. Oder man wurde in den Isolierraum, den Karzer, gesteckt. Dort wurde einem alles fortgenommen, und man musste auf dem nackten Eisen schlafen. Einmal habe ich 15 Tage so verbracht."
- "Das war mein Platz. Die ganze Zeit über war ich im Käfig. Am Anfang durfte ich nur einmal wöchentlich für 15 Minuten den Käfig verlassen. Nach zwei bis drei Monaten wurden es zweimal wöchentlich dreißig Minuten" (216).
- "Ich wäre glücklich gewesen und hätte es begrüßt, wenn sie mich hingerichtet hätten. Die Hinrichtung wäre für mich die größte Freude gewesen" (215). Quelle