Und noch einmal - meine "SOZIAL"-PHOTOGRAPHIE: Aufgang der Sonne über der Soziologen-Stadt Oerlinghausen, sieben Kilometer von meiner Wohnung entfernt gelegen: Erst neulich berichtete ich über Niklas Luhmann, der in Oerlinghausen lebte ehe er hier starb - und nun - zum 150. Geburtstag vom Soziologen Max Weber kann ich das gleiche Photo verwenden: Er heiratete hier seine Cousine Marianne, die sich als Frauenrechtlerin und Rechtshistorikerin ebenfalls im Fach Soziologie einen Namen machte - eben nicht nur im Schatten ihres Mannes ... Ja - und mir geht jeden Morgen über dieser wissenschaftsträchtigen Stadt die Sonne auf ....... |
S!NEDi: Max Weber in PopArt |
Max Weber, ein Klassiker der Soziologie, wurde vor 150 Jahren geboren
VON MANFRED STRECKER | NEUE WESTFÄLISCHE
Der Mann wurde von vielen verehrt, und er war - ungebärdig und reizbar, wie er sich gab - zum Fürchten. Dem einen Beobachter erschien der Gelehrte Max Weber als "nervöser Stürmer", der immerfort, ein Schlagetot, selbst um die "kleinsten lokalen Dinge" kämpfte. Einem anderen, dem Philosophen Karl Jaspers, wurde vor ihm "ganz unheimlich zumute". Die "unaufhebbare Zerrissenheit" Webers nötigte ihm aber zeitlebens Bewunderung ab: Weber war "ein Mann, den man auf keinen Nenner bringen kann". Max Weber, ein Klassiker der Soziologie, wurde als Spross einer großbürgerlichen Familie von Bielefelder Leinenkaufleuten am 21. April 1864, vor 150 Jahren, in Erfurt geboren.
Max Weber | nach einem BR-Foto |
Max Weber verkörperte einen seltenen Typus in Deutschland, den des engagierten Intellektuellen, und das ausgerechnet in der Epoche des Wilhelminismus, in der nicht das Bürgertum, sondern Adel und Militär nicht nur die feine Gesellschaft beherrschten.
Auf der einen Seite - als universal gebildeter Gelehrter - arbeitete Weber seine Grundlagen einer neuen Wissenschaft, der Soziologie, aus. Seine Erkenntnisse über den Kapitalismus, der zugehörigen modernen Lebensformen und deren Zumutungen gehören zu den meistdiskutierten sozialwissenschaftlichen Würfen aus den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts. Weber gilt daher als ein "Klassiker der Soziologie".
Mit wissenschaftlicher Wirkung gab sich Max Weber jedoch nicht zufrieden. Vielleicht, weil er dem Vorbild des Vaters, Max Weber senior, nacheiferte, der in Bielefeld in einer Villa an der Obernstraße (Sitz der Handwerkskammer derzeit) aufgewachsen war. Max Weber sen. war neben Abgeordnetenmandaten 23 Jahre als kommunalpolitischer Beamter und Baudezernent ins "Rote Rathaus" von Berlin bestellt. Ein politisches Amt, das ihm dauerhaft die Chance geboten hätte, "in die Speichen des Rades der Geschichte" zu greifen, blieb dem Sohn versagt. Allenfalls brachtees Max Weber junior zum Gelegenheitspolitiker, der in Zeitungen gereizte Einreden gegen die herrschende Politik erhob, vor allem im Ersten Weltkrieg. Noch in der Juli-Krise 1914 hielt Max Weber es für "ein Verbrechen, uns in eine militärische Auseinandersetzung zu verwickeln". Dennoch meldete er sich am 2. August freiwillig zum Kriegsdienst. Am 28. August schrieb er euphorisch in einem Brief, dieser Krieg sei, einerlei dessen Erfolg, "groß und wunderbar". In Heidelberg, seinem Wohnsitz, wurde er mit dem Aufbau von Reservelazaretten betraut, dabei wäre der Premierlieutenant der Reserve, wenn nicht mit 50 Jahren zu alt dafür, gern selbst an der Spitze einer Truppe ins Feld gezogen.
Auf Dauer blieb trotz aller oder wegen seiner nationalen Gesinnung Webers Urteil unbestechlich. Er störte sich an der maßlosen Kriegsziel-Politik von Kaiser und Militär, die großzügige Annexionen in den Nachbarländern vorsah; so würde ein ehrenvoller Frieden für Deutschland außer Reichweite rücken. Vehement stritt Weber gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, der - wie es sich erwies - die USA in den Krieg ziehen und Deutschlands Niederlage besiegeln würde.
Spuren in der deutschen Geschichte hat Max Weber dennoch hinterlassen. Zu Beratungen über die neue deutsche Verfassung nach dem Untergang des Kaiserreichs herangezogen, setzte er sich für das Amt eines vom Volk gewählten Präsidenten mit erheblichen Vollmachten ein, um einer starken Führung der Republik eine plebiszitäre Legitimation zu verschaffen - wozu es in der Weimarer Reichsverfassung auch kam. Diese präsidiale Machtposition ebnete aber - damals kaum vorauszusehen - Wege, die Weimarer Republik in den 30er Jahren in einem kalten Staatsstreich zu vernichten.
Hauptwerk: Max Webers : "Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" Foto: WIKICommon/NW |
In "Politik als Beruf" leitet Weber die Zwangsläufigkeit eines Menschentypus der Moderne her, des Berufspolitikers. In dieser Rede findet Weber zu einer zum Überdruss zitierten Metapher: "Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß." Diese Sentenz verdichtet, was Weber verhohlen mit Pathos umkleidet: Der Politiker, gerade der verantwortungsbewusste, ist ein "Held", aber in tragischer Ausprägung, der auch böse Folgen seiner Machtausübung unerschüttert ins Auge fassen muss. Solche Helden sind in der Veralltäglichung der Berufsrolle des Politikers selten, der politische Konkurrenzkampf jedoch bietet für Weber allein die Chance, dass charismatische Persönlichkeiten herausgebildet würden.
Das Großelternhaus Max Webers: Die Handwerkskammer an der Obernstraße 48 in Bielefeld. FOTO: NW |
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Das Leben Max Webers dreifach gespiegelt:
Neue und alte Biografien
Bielefeld (rec). Ein Bewunderer, der ihn in jungen Jahren erlebt hatte, sah im Gelehrten Max Weber (1864-1920) die "Tragödie eines modernen Menschen". Tatsächlich bietet dessen Lebensweg ergiebigen Stoff, wie drei schwergewichtige, zwei davon in diesem Frühjahr erschienene Biografien bezeugen. Jede dieser Darstellungen, alle drei umfassen insgesamt mehr als 2.400 Druckseiten, wählt einen anderen Gesichtspunkt, um - gemäß der begrifflichen und methodischen Strenge, die der Soziologe Max Weber empfohlen hatte - die Überfülle an Quellen und Zeugnissen zu einem je verständlichen Lebenslauf zu ordnen.
Leben zwischen
den Epochen
Jürgen Kaube, Ressortleiter für die "Geisteswissenschaften" der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, schildert Max Webers Geschick als "Leben zwischen den Epochen". Als er geboren wurde, gab es das vereinte Deutschland noch nicht, als er 1920 starb, war das Kaiser-Reich gerade untergegangen. Doch Lebens-, Glaubens- und Verhaltensgewissheiten waren schon während dieser Lebensspanne ständig im Umbruch begriffen durch kapitalistische Industrialisierung, durch den den Alltag umwälzenden technischen Fortschritt, durch das Wachstum der Städte und das Aufkommen der Arbeiterbewegung. Kaube, einmal Assistent für Soziologie an der Universität Bielefeld, bekannt für scharfzüngig vorgetragene Argumente, führt, Widersprüche im Denken Webers aufspürend, beiläufig und erfrischend die Auseinandersetzung mit diesem "Klassiker der Soziologie".
Jürgen Kaube
Max Weber
Ein Leben zwischen den Epochen
Rowohlt Berlin, 496 Seiten
Politische
Leidenschaft
Der Soziologe und Weber-Forscher Dirk Kaesler erzählt das Leben seines Protagonisten nach dem literarischen Muster, nach dem sich das Bürgertum, dem Max Weber entstammt, verstand: als Bildungsroman. Das von Bielefeld aus europaweit gespannte Netz der Familienbeziehungen von Kaufleuten, Unternehmern und Gelehrten kommt detailgetreu in den Blick. Das ist biografisch-soziologisch gerechtfertigt, weil Weber in diesem Netzwerk, wie man es heute nennt, das notwendige kulturelle und soziale Kapital anhäufte, das ihm zugute kam; nicht zu schweigen von dem daraus zugekommenen Geldkapital, das ihm und seiner Frau eine großzügige Lebenshaltung ermöglichte, obwohl er nur wenige Jahre einer bezahlten Berufstätigkeit nachging. Kaesler schildert die politische Leidenschaft Webers als Preuße, seine wissenschaftliche Passion als Gelehrter, und er deutet dessen inneres Lebensgeschick in Bindung, Temperament und Hemmung aus der frühkindlichen Prägung als Muttersohn.
Dirk Kaesler
Max Weber
Preuße, Denker, Muttersohn
Eine Biographie
C.H.BECK, 1007 Seiten
Der Wissenschaftler
und der Liebhaber
Schon 2005 hat der Bielefelder Historiker Joachim Radkau mit der ersten wissenschaftlichen Biografie über Max Weber überhaupt Furore gemacht. Radkaus Werk, jetzt als Taschenbuch wieder aufgelegt, verarbeitet Liebesbriefe des Soziologen, die bis dahin wohl verschämt unter Verschluss gehalten worden waren. Weber unterhielt bei Wissen seiner Frau Marianne gegen Ende seines Lebens, wie zuvor schon einmal, eine amouröse Beziehung zu einer engen Freundin der Familie, in der er offenbar sexuelle Erfüllung fand. Solche Intimität mag unerheblich für die Bilanz eines Gelehrten-Lebens erscheinen. Doch nach der Weberschen Diagnose verlangt das moderne Leben den Menschen eine allseits sachliche, in den Leidenschaften gebremste Lebensführung ab; die Rationalisierungforderungen der Moderne schließen sich um die Menschen wie ein "stahlhartes Gehäuse". Nur Kunst und Erotik bieten vorübergehend Ausflucht. In der erotischen Vereinigung wüsste sich der Liebende, wie Weber in seiner Religionssoziologie notiert, "den kalten Skeletthänden rationaler Ordnungen ebenso völlig entronnen wie der Stumpfheit des Alltags".
Joachim Radkau
Max Weber
Die Leidenschaft des Denkens.
Carl Hanser, 1008 Seiten
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Marianne & Max Weber |
Die Gefährtin
Marianne Schnitger, eine Cousine aus dem lippischen Bergdorf Oerlinghausen
Bielefeld (rec). Auch die Ehe Max Webers machte Geschichte. Nicht, weil es sich dabei um eine "Cousinen-Ehe" gehandelt hatte, nicht ungewöhnlich im Bürgertum des 19. Jahrhunderts. Marianne Schnitger, geboren am 2. August 1870 in Oerlinghausen, war die Enkelin von Max Webers Onkel Carl David, der in dem lippischen Bergdorf eine Leinenweberei (CaWeCo) aufgezogen hatte. In Oerlinghausen wurde 1893 geheiratet und damit der Grund gelegt zu einer "Gefährtenehe", die im Urteil der Zeitgenossen als vorbildhaft galt.
Die Verbindung, kinderlos, ließ der Ehefrau Freiraum für eine einem bürgerlichen Hausstand angemessene höhere Bildung, auch für Studium, für wissenschaftliche Arbeit und politisches Engagement. Für Max Webers Forschung, Wissenschaft und Gelegenheitspolitik blieb die Ehefrau zeitlebens Gesprächspartnerin. 1896 hatte Max Weber einen Ruf nach Heidelberg angenommen. Dort wurde der Haushalt von Max und Marianne Weber unter wechselnden Adressen zu einem Kristallisationspunkt des gesellschaftlichen und intellektuellen Lebens. Beistand bot Marianne Weber ihrem Mann in den Jahren, in denen er wegen einer heute wohl "Burn out" genannten Erschöpfungsdepression aus Überarbeitung alle Lehrtätigkeit niederlegen musste. Und nach prekärer Genesung blieben der Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit des Ehemanns von bleibender Sorge.
Marianne Weber, gestorben 1954, überlebte ihren Mann um 34 Jahre. Sie gab Werke aus dem Nachlass Max Webers heraus und verfasste 1926 ein "Lebensbild", das in vielen Details als Quelle der späteren Biografien dient. Darüber - als treue Gefährtin an der Seite des Gelehrten - geriet ihr eigenständiges Wirken in Vergessenheit. Sie gilt - in Fachkreisen wiederentdeckt - als Wegbereiterin der rechtshistorischen Frauenforschung, und sie engagierte sich als Frauenrechtlerin. 1919 erwarb sie als einzige weibliche Abgeordnete einen Sitz im Landtag von Baden, von 1919 bis 1923 hatte sie den Vorsitz des "Bundes Deutscher Frauenvereine" inne. Jahre zuvor schon richtete sie in Freiburg, wo Max Weber seine erste Professur angenommen hatte, eine Rechtsschutzstelle für Frauen ein.
Marianne Weber focht energisch für die Chancengleichheit der Frauen im Bildungssystem und für die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau. Wegen ihrer Werthaltungen wird sie der bürgerlich konservativen Frauenbewegung zugerechnet. Die Frau "darf als Berufstätige durchaus nicht ,Mann? sein wollen, damit ihre besonderen weiblichen Wesenskräfte stets als warmer befruchtender Quell das Gestein der Sachlichkeiten durchbrechen kann, und sie darf als Gattin und Mutter nicht nur ,Weib? sein, sondern auch ,Mensch? - das heißt durch die Vereinigung: echt Frau." Zu dieser Schlussfolgerung war sie Ende der 20er Jahre in einem Aufsatz "Beruf und Persönlichkeit" gekommen.
Über Marianne Weber liegt seit 2010 ebenfalls eine umfassende Biografie vor -
Bärbel Meurer
Marianne Weber. Leben und Werk
Mohr Siebeck-Verlag, 688 Seiten
Die Soziologin Bärbel Meurer hat jüngst auch ein Büchlein Oerlinghausen als Ort gewidmet, den die Eheleute zur Erholung im Familienkreis immer wieder einmal aufgesucht hatten
Bärbel Meurer
Max und Marianne Weber und ihre Beziehung zu Oerlinghausen
Aisthesis-Verlag, 96 Seiten
© 2014 Neue Westfälische - Bielefeld Süd, Donnerstag 17. April 2014