Auf Sonnen stehest du und bist der Sonne Geist; Die Sonn erkennt dich nicht, die dich mit Strahlen preist. (Foto: S!NEDi-photo|graphy] |
FRIEDRICH RÜCKERT
Auf Erden gehest du und bist der Erde Geist;Die Erd erkennt dich nicht, die dich mit Strahlen preist.
Auf Sonnen stehest du und bist der Sonne Geist;Die Sonn erkennt dich nicht, die dich mit Strahlen preist
Im Winde wehest du und bist der Lüfte Geist;Die Luft erkennt dich nicht, die dich mit Atmen preist.
Auf Wassern gehest du und bist der Wassers Geist;Das Wasser kennt dich nicht, das dich mit Rauschen preist.
Im Herzen stehest du und bist der Liebe Geist,Und dich erkennt das Herz, das dich mit Liebe preist.
Friedrich Schorlemmer hat 2012 unter dem Titel: "Für morgens und abends - DAS SOLL DIR BLEIBEN" im Radius-Verlag ein Nachdenk-Tages-Brevier herausgegeben, in dem er für jeden Tag - für morgens und abends - beherzenswerte geistreiche Texte ausgewählt und eingestellt hat ...
Und just zum 16. Mai - morgens - also zu Schorlemmers Geburtstag - wurde von ihm dieses oben abgedruckte Gedicht von Friedrich Rückert auserkoren ...
Und die Tageslosung der Herrnhuter Brüdergemeine lautet für heute:
Losung und Lehrtext für Freitag, 16. Mai 2014 Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus. Psalm 51,14
Gott gebe euch viel Barmherzigkeit und Frieden und Liebe! Judas 1,2
Selbst Engel ballen die Faust?
Von Hans-Dieter Schütt | neues deutschland.de
Der Theologe, Bürgerrechtler und Essayist Friedrich Schorlemmer wird 70 Jahre alt - (*1944) ...
Schorlemmer hat Lust am Wort, sein Wort ist Lust; die Natur gab ihm eine hohe Stirn, die bietet er; das Schild jedoch, das für Schutz und Angriff gleichermaßen nötig ist, es liegt hinter dieser Stirn: Es ist Geist, der glänzt, manchmal auch wie ein aufgeriebener Nerv.
An diesem Freitag wird Friedrich Schorlemmer 70 Jahre alt - Foto: S!NEDi|archiv |
Vielleicht ist Theologie die reinste aller Phantasien. Weil so absolut gegenstandslos. Theologie versucht, das Nichts positiv zu beantworten. Der Pfarrer ist der mutigste Artist: beschäftigt mit der Illusion des Aufschwungs, und das ohne Netz. Gott ist die Auskunft, der keine Frage vorausgeht und doch auch alle Fragen, kein Zweifel und doch auch alle Zweifel. Wo der Mensch dem Menschen beisteht, ist der Gott, den Friedrich Schorlemmer glaubt, unbedingt anwesend.
Der Prediger aus Lutherstadt Wittenberg schrieb über dreißig Bücher, eines heißt: »In der Freiheit bestehen«. Schönste Freiheit: ein Stück Freiheit aufgeben für die des anderen.
Schorlemmer schreibt in jedem seiner Texte gegen den modern genannten »freien« Menschen. Der nicht auf andere Interessen treffen will. Der sie nur treffen will. Mitten ins Herz. Erledigt. Ich gegen Ich. Mächtige oder aber jene, die nur mächtig tun - sie treten auf, als bräuchten wir sie mehr, als wir uns selber brauchen. Schorlemmer wirbt für die Stärkung eines anderen Gefühls: Ich brauche vor allem - mich selber. Das Ich - ewige Leerstelle, aber auch ewiger Erfüllungsort. Gnade heißt: Du bist willkommen - wer immer da kommen will, es anzuzweifeln. Am meisten zweifelt Herrschaft den Menschen an. Jede Herrschaft. »Frei sein: Ich bin frei für dich - ich bin frei für mich - ich werde frei für uns.« Schorlemmer hat Lust am Wort, sein Wort ist Lust; die Natur gab ihm eine hohe Stirn, die bietet er; das Schild jedoch, das für Schutz und Angriff gleichermaßen nötig ist, es liegt hinter dieser Stirn: Es ist Geist, der glänzt, manchmal auch wie ein aufgeriebener Nerv.
Der Pfarrersohn, 1944 in Wittenberge in der Prignitz geboren, nennt sein Leben in der DDR »hart«; es war ihm Existenz in einem »System organisierter Lügen«. Abitur an der Abendschule. Wo immer er aufkreuzte (welch christliche Bezüglichkeit in diesem Wort, das zuvörderst eine Belästigung meint), schlugen Spitzel ihr Quartier auf. Er war Vikar in Halle-Neustadt, Jugend- und Studentenpfarrer in Magdeburg. SED und Stasi trainierten an ihm ihre Talente für Verachtung, Verstörung, Vernichtung. Auf intriganteste, infamst ideenreiche Weise. Und just so ein Verfolgter wie er sagt eines Tages als Begründung, warum er alles tat, nur um nicht in den Knast zu kommen: »Ich wollte vermeiden, ein unrettbarer Antikommunist zu werden.« Größe des Opfers, die den Tätern und all ihren Mitstreitern und Mitläufern die ehrenwerte Chance einräumt, sich zu schämen.
Er war mutig in der DDR. Er war sogar gefährlich: Denn er offenbarte, dass Denken zwar Mut aufbringen kann, aber Anmut durchhalten muss. Er verweigerte sich keinem Dialog mit dem Regime, er suchte ihn geradezu. Mehr Feindschaft geht nicht gegen die Hybris der Avantgarde.
Die Aktion »Schwerter zu Pflugscharen« 1983 war spektakulärer Höhepunkt jener unabhängigen Friedensbewegung in der DDR, die gegen eine parteilich betonierte »Frieden schaffen gegen NATO-Waffen«-Doktrin etwas anderes setzte: »Frieden schaffen ohne Waffen«. Initiator Schorlemmer: Friedfertigkeit als Wesensart, aber auch als Arbeit an den Verhältnissen. Arbeit gegen den »roten Militarismus« in Pädagogik und Propaganda. Kirchliche Initiative, die den Spagat versuchte: Bindeglied zu sein zwischen einer Diakonie-Leitung, die Rücksicht auf den Staat nahm, und jenen Kräften, die endlich ein klares Wort gegen den Staat wollten. Schorlemmer wurde zum Impulsträger der Gratwanderung.
Er hasste die Mauer, er verhöhnte die Ideenzwerge des marxistischen Dogmas, ihn barmte die Gefügigkeit einer im Gesellschaftsgrau herumrudernden Masse - aber nie setzte er aggressiv oder böse System und redliches Leben von Millionen Menschen gleich. 1989 gehörte er in Dresden zu den Begründern des Demokratischen Aufbruchs, der später in der CDU aufging (natürlich ohne Schorlemmer). Aber mit dem Ende der DDR endete nicht die Entzündbarkeit seines Gewissensnervs. Der Lutheraner und Lutherstädter handelte, nunmehr im Westen, mit gleicher Unbestechlichkeit. Bürgerrechtler blieb ihm das verpflichtende Tätigkeitswort. Er setzte sich aus. Er riskierte neue Feinde. Er wünschte den Stasi-Akten ein Freudenfeuer (hui!, wie die Missverständnisgierigen da bösemeinend aufheulten!), und er attackiert unablässig die Gebrechen jener Freiheit, die ihm doch stets die sehnlichste Lebensform war. Blieb Seelsorger - das so treue wie mehr und mehr verzweifelnde SPD-Mitglied sah sich nie bloß in der Übergangsposition eines geparkten Politikers.
Der Glaubensmensch aus Sachsen-Anhalt - er war lange Jahre Studienleiter an der Evangelischen Akademie in der Lutherstadt - ist Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels. In Vehemenz ist er Aufklärer und Schwärmender zugleich. Wer ihn erlebt, der erlebt genießende Offenheit, parlierende wie parierende Rhetorik, Freude an den seelischen Rückwirkungen durch Aura (ach, wer fragt die Trost- und Trotzkraftspendenden, wie es um deren eigenen Energiehaushalt steht). Jetzt endlich muss wieder von Gott die Rede sein. »Du berufst mich zum Leben unter Lebendigen.« Was aber ist das - Gott?
Er ist das Angerufene wider die Schändung. Aber antworten müssen wir selber. Und die Schändung, das ist, was aus Unterschieden zwischen Menschen herrschaftlich herausgewirtschaftet wird. Immer wieder. Von den Verbrechern des Geldes. Denen stirbt Gott nie: Sie sind ihr eigener Gott. Ihre Kirchen sind Regierungen und Konzerne. Gegen einen Gott, der Leiden zulässt, weil sie der Mensch zulässt, setzen sie täglich einen schlimmen Gott, der Leidende einschüchtert. »Klar sehen und doch hoffen« heißen Schorlemmers politische Erinnerungen. Er macht wider alle bittere Erfahrung Lust auf Besinnung. Die uns davor bewahren kann, angesichts einer gefahrvollen Lage falsche Tragiker und verlorene Ironiker, zynische Weltschmerzler und leicht durchschaubare Dandys zu werden.
Gott ist wahrscheinlich alles, was sich noch an ihn wendet. Der Christ Schorlemmer weiß freilich um die tiefe Kluft zwischen Kirche und Glaube, er weiß um den tiefen Riss, der die gepredigte Moral oft genug von der gelebten trennt. Aber wo kluge intellektuelle Analytiker das Elend der Moderne aufzeigen - da verweist der Prediger unbeirrbar darauf, wie und warum weiterhin nur eines gilt: zu retten. Es geht um Arbeit gegen die »Entsakralisierung unserer Seelen und Körper« (Octavio Paz). Der Theologe über »seinen« Jesus: »Scheitern können, ohne verzweifeln zu müssen, das ist es, was mich an ihm besticht in meiner Weltzeit, da die Schatten lang geworden sind.« Der prometheische Mensch erschuf den Fortschritt und sich selbst immer wieder neu, aber inzwischen ist er blind geworden gegenüber seinem Auftrag, mitleidend und gerecht zu sein. Sehend werden, das heißt für Schorlemmer: empfindlich bleiben.
Der Elbländer. Heimat als Ort - und als Seelenzustand, als Sehnsucht und Erbteil. Wer seine Seele offenzuhalten vermag für den Wechsel, dem ist Heimat ein Zusichkommen in der Bewegung. Dieser Prediger geht durch Zeit und Raum, als ginge ein Frühaufsteher durch Gras und unter Bäumen; aller Mut, den Tag zu nehmen, beginnt mit bewussten Hinwendungen. Gräser und Bäume machen ja nicht Figur für dich, sie sind nichts als das Ihre. Man muss schon etwas von sich selber hinzutun, wenn die Dinge einem nah sein sollen. Dir bietet kein Baum Schutz, du musst ihn suchen. Alles, was erfreuen kann, steht kühl und spröd vor uns, will nichts von uns, ist uns nicht zugehörig. Der Schritt auf die Welt zu - erst dies ist der tägliche Mut, der einen Sinn eröffnen kann. Und Schönheit stiften kann. Und auch Enttäuschung einschließt.
Schorlemmer. Der Verehrer von Anti-Helden wie Jeremia und Franziskus. Der rhetorisch Sprudelnde (wegen dessen Schwatzhaftigkeit warf der Vater schon mal mit dem Gesangbuch nach dem Sohn). Schorlemmer, der gierig nach Poesie greifende Leser: Heine, Brecht, Benn, Böll, Kaschnitz, Domin, Paul Gerhardt, Reiner Kunze - es ist da ein süchtiges Wandeln in Versen und schönem Geist. Eines seiner schönsten Bücher heißt: »Das soll dir bleiben« - für jeden Morgen und Abend des Jahreskreises wählte er ein Gedicht aus. Für den Morgen des 16. Mai, seinem Geburtstag, ist es Friedrich Rückert: »Der Liebe Geist«. Darin Erde, Sonne Winde, Wasser als Spender, als Elemente der Belebung genannt werden, die doch aber nichts wissen von ihrer Wirkung und vom Menschen, dem sie gut tun. Das Gedicht endet: »Im Herzen stehest du und bist der Liebe Geist,/ Und dich erkennt das Herz, das dich mit Liebe preist.« Der Mensch: belebend, wo er sich im anderen Menschen bereichernd erkennt. Gelingendes Leben.
Gelingendes Leben? Das ist Zorn, dem die Güte nicht verloren geht. Das ist Freundlichkeit, die nicht winselt. Oder auch Ungläubigkeit, die vorm Dasein trotzdem kniet. Leben gelingt für Schorlemmer vor allem als Widerstand gegen eine Welt, in der die Unterbietung des Menschen durch den Menschen als dessen Erfüllung gefeiert wird. Schorlemmer könnte wohl, beim Blick in diese Welt, selbst Engel überzeugen, die Faust zu ballen. Aber sie auch wieder zu öffnen. Er macht darauf aufmerksam, worauf sich der wohlgetane Bürger einließe, wenn er das Christentum ernst nähme: Blinde und Lahme an den gemeinsamen Tisch, Ausgestoßene in die Mitte geholt!, Schmutzigen die Hand gereicht! Zitat Brecht: »Glück ist Hilfe.«
An diesem Freitag wird Friedrich Schorlemmer siebzig Jahre alt.