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Achtsamkeit | Alltagsspiritualität | Kunst | impuls für die woche -138

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Hoffentlich ist es kein zu großer Spagatschritt, die Alltagsspiritualität und die Achtsamkeit mit der Kunst ausgerechnet auch noch eines Joseph Beuys in Verbindung zu bringen: Aber darauf gekommen bin ich, als mir meine Frau von einem Fachtag-Forum zum Thema "Demenz" berichtete, wo der Referent Erich Schützendorf sinngemäß die Aussage machte, eine am Mittagstisch mit der Papierserviette nestelnde und damit umherblätternde an Altersdemenz erkrankte Person, wolle vielleicht damit ein "Zeitungslesen" nachempfinden - oder einfach "Spielen", Ausprobieren - auf alle Fälle wäre dieses für viele Pflegende und Alltagsbegleitungen "sinnlose" Tun eine "Aktivität", ein Ausdruck, "sie mache etwas", was es aufzunehmen gelte: Man müsse diese Handlungsreste "sehen" und "deuten" wie "Poesie" - und müsse die "Brille" der "Zweckmäßigkeit & Rationalität" ablegen lernen, auf deren Duktus wir alle ja fast schon von Kindesbeinen fixiert - und reduziert - werden im Alltag ... Und ich meine: Die "Achtsamkeit" und die Kunst bieten dazu Alternativen an ... - Genau vor 30 Jahren erschien im SPIEGEL 23/1984 das legendäre "Mysterien-Bahnhof"-Interview mit Joseph Beuys - geführt von Peter Brügge ... 


Spiritualität | Achtsamkeit | Kunst im Alltag 


Quelle: nahrungsretter.simontobor.de





Im Alten Testament, beim Propheten Micha, findet sich ein sensibler Vers: 
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, nämlich Liebe üben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott.“ 



Der Satz lässt sich erden. Und dann gelten die Aufmerksamkeit, die Achtsamkeit, die Sorgfalt der Erde und ihren Geschöpfen, den Menschen und den Dingen, dem Partner und – nicht zuletzt – mir selbst. Denn dann merke ich, dass ich lebe. Und nicht gelebt werde.
Achtsamkeit ist die Fähigkeit, mit vollem, ungeteiltem Bewusstsein bei einem Eindruck oder einer Begegnung gegenwärtig zu sein. Und nicht mit dem Kopf schon wieder woanders. Was auch heißt, das, was gerade zu tun ist, mit Respekt vor den Wesen und Dingen zu verrichten. Denn Achtsamkeit hat mit Achtung und Wertschätzung zu tun. Sie beeinflusst die Qualität des Zusammenseins. Was vor allem an der Unachtsamkeit deutlich wird, meint Bernardin Schellenberger, Trappistenmönch und Schriftsteller.
Ein Zen-Mönch, der einmal gefragt wurde, welche Praxis seiner geistlich-religiösen Übungen er pflege, antwortete:
„Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich.“
Darauf der Frager: „Das ist doch nichts Besonderes. Das tun doch alle.
Da meinte der Mönch: „Nein, wenn du sitzt, dann stehst du schon. Und wenn du stehst, dann bist du schon auf dem Weg.“

Diese Zen-Geschichte erzählt Anselm Grün, Verwalter der Benediktinerabtei Münsterschwarzach.
Auf Anwesenheit kommt es also an. Sie schließt die Bereitschaft ein, aufgeschlossen und unvoreingenommen mitzudenken, mitzuentscheiden, mitzuhoffen und mitzuleiden, wo immer gedacht, entschieden, gehofft und gelitten wird. Auf jene Fantasie auch, die unerschöpflich nach neuen Wegen sucht. Auf jene Frömmigkeit, die die Spirale der Verdrossenheit durchtrennt, die den Kampf um Frieden und Gerechtigkeit nicht aufgibt, die „Hoffnungen zusammenführt und niemanden aufgibt“ (Heinrich Albertz).

Von dem Objektkünstler und Aktionisten Joseph Beuys stammt der Satz, dem inzwischen schon Flügel wuchsen: 
„Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt ....“*) 

Im Vorfeld des Jugendtreffens der ökumenischen Bruderschaft von Taizé umschrieb einer der bei der Vorbereitung engagierten Brüder Achtsamkeit so: 
„Es geht darum, Geschmack am Leben, am Schönen, an der Unterschiedlichkeit und an der Begegnung zu wecken.“ 
Nicht nur auf dem Hauptbahnhof - auch am Mittagstisch - mit einer Papierserviette*).

Text nach Hans-Albrecht Pflästerer

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In dem Moment, 
in dem man etwas 
seine ganze Aufmerksamkeit schenkt,
selbst einem Grashalm, 
wird es zu einer geheimnisvollen, 
Ehrfurcht gebietenden,
unbeschreiblich großartigen eigenen Welt.
Henry Miller

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Joseph Beuys | S!NEDi|photo|graphic nach einem Bild von DAPD|welt.de


*)"Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt ..."

Joseph Beuys zu seinem Kunstbegriff und seinem tiefen künstlerisch-philosophischen Verständnis von Achtsamkeit zur Schöpfung - 
Ausschnitte aus dem berühmten SPIEGEL-INTERVIEW mit Peter Brügge, SPIEGEL 23/1984 - also genau vor 30 Jahren:
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SPIEGEL: Sie, Joseph Beuys, jedenfalls nehmen in Kauf, daß nur wenige Ihnen folgen können. Vor Ihren Werken zerbrechen sogar die Bildungsprivilegierten sich oft vergeblich den Kopf, so verkapselt sind die Botschaften. Andererseits hoffen Sie, so haben Sie gesagt, "jeden arbeitenden Menschen auf der Welt" mit Ihrer Erkenntnis zu erreichen, daß jeder irgendwie, irgendwo Künstler und Gestalter sei, nämlich frei und kreativ. Wie geht das zusammen?
BEUYS: Nun besteht meine Arbeit ja nicht nur aus diesen Gebilden im Museum oder sonstwo, sondern zum großen Teil aus sprachlicher Aufklärung. Die Hauptaktivität lag immer auch in den Organisationen und Unternehmungen wie dem von mir mitbegründeten Achberger Kreis, der Organisation für direkte Demokratie, der Freien Hochschule für Kreativität, meiner Mitwirkung bei der Gründung der Grünen oder meiner Aktion zur Documenta 7 ...
SPIEGEL: ... die "Stadt-Verwaldung" anstelle von Stadt-Verwaltung ...
BEUYS: ... ja die Pflanzung von 7000 Eichen und 7000 Basalt-Stelen, aus der sich wiederum diese Münchner Arbeit ergeben hat.
SPIEGEL: Wo auch immer, die Leute stehen Ihren Werken wie Ihrem Werben für ein radikal anderes Verständnis von Natur, Arbeit und Produktivität ratlos und sogar aggressiv gegenüber.
BEUYS: Auch betroffen. Da gibt es eine Langzeitwirkung. Viele schreiben mir, manche beschimpfen mich. Aber sie kommen immer wieder.
SPIEGEL: Vielleicht schreckt die Leute das Mystische und Schamanische in Ihren Auftritten und Arbeiten, das Auftauchen alchimistischer und mythischer Zeichen, wie sie gerade noch dem fortgeschrittenen Anthroposophen geläufig sind.
BEUYS: Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt, nicht im Goetheanum.
SPIEGEL: Und um davon was mitzukriegen, muß man bei Ihnen mühsam sehen lernen.
BEUYS: Deswegen sage ich doch andererseits ganz einfache Sachen und will für die Leute etwas ganz Entgegengesetztes, nämlich ein Spielzeug sein. Die können mit mir machen, was sie wollen. Ich bin der Narr, der Idiot mit dem Filzhut. Sie stoßen mich in die oder jene Ecke. Ich stelle mich da ganz einfach zur Verfügung. Ich will den Leuten klarmachen, daß ich eigentlich genauso bin wie sie selber.
SPIEGEL: Selbst wenn Sie sich zum Punchingball oder Narren machen, kommt das, was Sie eigentlich meinen, diese Utopie einer wiedergewonnenen Einheit von Natur und Mensch, von Denken, Fühlen und Handeln, am allerwenigsten bei denen an, denen das vor allem beschert werden soll.
BEUYS: Es handelt sich eigentlich darum, das Unmögliche möglich zu machen. Das reißt die Leute letztendlich aus den Sesseln.
SPIEGEL: Jeder Mensch also ist Künstler. Darin sehen Sie eine Säule Ihrer Freiheits-Idee. Können Sie das an einem Beispiel erklären?
BEUYS: Was ich meine, ist: Jeder Mensch ist ein Träger von Fähigkeiten, ein sich selbst bestimmendes Wesen, der Souverän schlechthin in unserer Zeit. Er ist ein Künstler, ob er nun bei der Müllabfuhr ist, Krankenpfleger, Arzt, Ingenieur oder Landwirt. Da, wo er seine Fähigkeiten entfaltet, ist er Künstler. Ich sage nicht, daß dies bei der Malerei eher zur Kunst führt als beim Maschinenbau ...
SPIEGEL: ... Maschinen, wie die berühmte Honigpumpe, verwenden Sie ja selbst in Ihrem Werk.
Honigpumpe | bild: tate.org.uk|© DACS, 2014
BEUYS: Wer richtig und behutsam vorgeht, findet einen Bereich, in dem er, obschon er sich dauernd abhängig fühlt, doch frei ist und seine Abhängigkeit, unter der er leidet, beseitigt und einen neuen Schritt tut.
SPIEGEL: Das klingt ein bißchen nach Flucht ins Hobby, nach einer Bewegung der kleinen Freiheiten mit zentrifugaler Wirkung fürs Ganze.
BEUYS: Mein Erweiterter Kunstbegriff ist die einzige Möglichkeit, die herrschenden Verhältnisse zu überwinden.
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SPIEGEL: Beziehen Sie denn nicht auf dem anthroposophischen Schulungsweg Ideen für Ihre künstlerische Arbeit?
BEUYS: Das ist praktisch alles Schulungsweg.
SPIEGEL: Das heißt aber doch auch okkulte Erkenntnis-Gewinnung aus dem Übersinnlichen.
BEUYS: Ich glaube, wir müssen die Räucherwerk-Atmosphäre da rausbrin
gen. Ich benutze klare Begriffe. Mein Weg, das ist die Arbeit und die Konzentration auf die Arbeit. Vielleicht ist das meine Meditation. Natürlich gibt es nichts Normaleres als die Auseinandersetzung mit der Wahrheit des Bestehenden, der ganzen Wahrheit und Wirklichkeit, nicht nur der Hälfte.
SPIEGEL: Glauben Sie an Wiedergeburt?
BEUYS: Das ist für mich keine Glaubensfrage. Es war mir eigentlich immer klar, daß da nicht irgend etwas plötzlich lebt, ein biologisches Etwas, und dann stirbt, und es geht nicht weiter. Wenn der Geist eine Funktion in der Welt hat, dann gibt es ein Vor- und Nachher. Wenn dieses Grundverhältnis zum Leben bei mir nicht dagewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich nicht zur Anthroposophie gefunden. Es gibt heute sehr viele Denkende, die das so wie ich sehen.
SPIEGEL: Immer wieder spielt in Ihre Entwürfe Ur- und Evolutionsgeschichte herein. Wurzelt das in Rudolf Steiners Vorstellungen der gleichzeitigen Entwicklung von Mensch und Kosmos?
BEUYS: Eher in den Visionen Swedenborgs oder Jakob Böhmes.
SPIEGEL: Ist Ihnen selber denn auch schon Visionäres begegnet?
BEUYS: Ich hatte eine ganze Reihe von was man so schön Schlüsselerlebnisse nennt.
SPIEGEL: Schlüsselerlebnisse des Verstandes oder visionäre Begegnungen?
BEUYS: Auch solche Sachen. Daß mir plötzlich ein Wesen gegenübergestanden und mir mitgeteilt hat, was ich machen sollte. Und das Merkwürdige ist, daß das, was es mir gesagt hat, als ich so um die vier Jahre alt war, genau das ist, was ich heute machen muß. Natürlich geschah es in einer Sprache, die nur der vernimmt, der auf dieser Linie hören kann. Es wurde nicht etwa gesagt: Du mußt den Erweiterten Kunstbegriff entwickeln.
SPIEGEL: Und wer war das?
BEUYS: Es war eigentlich mehr ein Unbekannter, ein Engel.
SPIEGEL: Haben Sie ihn wiedergesehen?
BEUYS: Später ist dieselbe Gestalt öfter wiedergekommen.
SPIEGEL: Eine immaterielle Gestalt?
BEUYS: Ja, die aber sichtbar war, so real, wie Sie da jetzt sitzen.
SPIEGEL: Hat sich die Gestalt zu erkennen gegeben?
BEUYS: Nein, nur wiedererkennbar. Einmal sehr hell, fast nicht vorhanden, ein durchsichtiges Wesen. Und ein andermal ganz schwarz von oben bis unten, aber praktisch mit demselben Inhalt der Vermittlung. Ich habe mich immer damit zu befassen, jeden Tag.
SPIEGEL: War das vergleichbar mit Traum-Erscheinungen a la Freud?
BEUYS: Nein, nein. Die typischen Freudschen Träume kenne ich auch. Aber dies war ja gar kein Traum. Es war ja am hellichten Tage. In der Nacht habe ich geträumt, wie andere träumen.
SPIEGEL: Was für Träume? Sind Ihnen da auch welche in Erinnerung?
BEUYS: Manche Träume habe ich immer wieder. Einen hab'' ich mindestens 500mal geträumt: Ich stehe morgens aus dem Bett auf, und mein Bein bleibt im Bett. Schrecklich und lustig. Ich gehe dann und nehme ein Stück Zeitungspapier und wickle das Bein damit ein und gehe zu irgendeinem Arzt. Der hält das einfach nur so dran und guckt - alles ist wieder gesund. Der Traum erzeugte zuerst ein schlechtes Gefühl von Krankheit - später, wenn er wiederkam, habe ich gedacht, brauchst keine Angst zu haben. Man kann alles heilen.


Das Interview führte Peter Brügge - und erschien im SPIEGEL 23/1984










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