Schöpfer & Kritiker der digitalen Welt
Jaron Lanier erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Internet-Pionier Jaron Lanier gilt als Vater des Begriffs "virtuelle Realität"
Von Thomas Maier | dpa|NW
Der amerikanische Technologiepionier und Internetkritiker Jaron Lanier erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Der 54-jährige Informatiker und Autor habe erkannt, welche Risiken die digitale Welt für die freie Lebensgestaltung eines jeden Menschen habe, teilt der Stiftungsrat in Frankfurt mit.
Jaron Lanier | Foto: http://briongysin.com/ |
Erstmals geht der mit 25 000 Euro dotierte Friedenspreis, eine der bedeutendsten Kulturauszeichnungen Deutschlands, damit an einen Wissenschaftler, der sich mit der Internet-Revolution auseinandersetzt. Der Dachverband der Buchbranche schlägt so eine Brücke zur digitalen Welt, die derzeit auch die Buchbranche massiv verändert.
Lanier weise in seinen Büchern auf die Gefahren hin, "die unserer offenen Gesellschaft drohen, wenn ihr die Macht der Gestaltung entzogen wird und wenn Menschen, trotz eines Gewinns an Vielfalt und Freiheit, auf digitale Kategorien reduziert werden".
Der einstige Technologie-Guru, der als Vater des Begriffs "virtuelle Realität" gilt, war als Unternehmer an zahlreichen digitalen Entwicklungen beteiligt. Er initiierte internet-basierte Computernetzwerke und konstruierte virtuelle Kameras, 3-D-Grafiken für Kinofilme und den ersten Avatar, einen künstlichen Stellvertreter für eine reale Person in der virtuellen Welt.
Lanier, der Dreadlocks trägt, tritt auch als Pianist und Musiker mit asiatischen Wind- und Harfeninstrumenten auf und komponiert. Gemälde und Zeichnungen von ihm wurden in Ausstellungen präsentiert.
Sein jüngstes Buch "Wem gehört die Zukunft?" sei ein Appell, wachsam gegenüber Unfreiheit, Missbrauch und Überwachung zu sein, heißt es in der Begründung für die Preisvergabe weiter. Der digitalen Welt müssten Strukturen vorgegeben werden, um die Rechte des Individuums zu achten und die demokratische Teilhabe aller zu fördern. Häufig zitiert wurde Laniers Satz: "Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt."
Lanier beschäftigt sich seit Jahren mit der immer größer werdenden Diskrepanz zwischen Mensch und Maschine, Wirklichkeit und virtueller Realität sowie dem Missbrauch von Daten für kommerzielle Zwecke. Er betreut derzeit nach Angaben des Börsenvereins als führender Wissenschaftler ein Projekt mehrerer Universitäten zur Erforschung des "Internets 2" und arbeitet als Forscher für Microsoft Research. Neben der Forschung gründete er das Unternehmen VPL Research.
Immer wieder unterzieht Lanier das Internet-Zeitalter einem kritischen Blick. Das größte Problem unserer Gesellschaft seien derzeit die Arbeitsplätze, die durch die technische Revolution wegrationalisiert würden, sagte Lanier vor einigen Monaten in einem Interview der Zeit. Diese Gefahr sieht er durch Erfindungen wie 3-D-Drucker noch einmal deutlich beschleunigt. Die Hochtechnisierung in den Betrieben führe möglicherweise in ein "Zeitalter der Hyperarbeitslosigkeit".
"So wie sich die Digitalisierung bislang entwickelt hat, zerstört sie die Mittelschicht unserer Gesellschaft", sagte er der Wochenzeitung. Während die digitale Gesellschaft Errungenschaften wie die freie Enzyklopädie Wikipedia als Befreiung von Herrschaftswissen und Werkzeug der Demokratisierung feiert, geißelt Lanier sie als Instrumente von Schwarmintelligenz und Verbreitung von Durchschnittsmeinungen. Dass von der Digitalisierung einmal alle profitieren werden, habe er auch einmal geglaubt. Das habe sich aber als falsch erwiesen. Für ihn ist das Internet zu einem Herrschaftsinstrument geworden, bei dem die Daten nur noch einigen wenigen gehören.
Dabei funktioniere beispielsweise Googles Übersetzungsfunktion nur deshalb gut, weil das Unternehmen in Millionen von Daten der Nutzer nach ähnlichen Sätzen sucht. Reale Personen legten also den Grundstein dafür. In seinem aktuellen Buch schlägt Lanier deshalb auch ein Vergütungssystem, eine Art Micro-Bezahlsystem vor, das die Profite im Netz auf alle verteilt, die ihre Daten zur Verfügung stellen.
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ZUR PERSON:
Jaron Lanier
Geboren am 3. Mai 1960 in New YorkBrach die Schule mit 15 Jahren ab und besuchte Vorlesungen in MathematikVater des Begriffs "virtuelle Realität", Unternehmer und Forscher2010 laut Time Magazine einer der 100 einflussreichsten KöpfeBücher: "Gadget. Warum die Zukunft uns noch braucht" (2010), "Wem gehört die Zukunft?" (2014)- 2014 Goldsmith Book Prize der Harvard UniversitätLebt mit Frau und Tochter in Berkeley, KalifornienLehrt als Informatiker an mehreren US-Universitäten
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Homepage: www.jaronlanier.com
Lesetipp: Jaron Lanier, "Wem gehört die Zukunft?", 480 S., Hoffmann und Campe, 24,99 €.
© 2014 Neue Westfälische, Freitag 06. Juni 2014
S!NEDi: digitale welt |
Links:
Jaron-Lanier Artikel in der FAZ von 2010
Jaron-Lanier-Interview: Der digitale Maoismus ist zu Ende, 2010
fischmarkt-Aufsatz: Warum Jaron Lanier im Netz ignoriert wird - Von Martin Recke, 2010
Die FAZ: Zum Friedenspreis
ZEIT-Interview mit Jaron Lanier 2014